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Die Henkerstochter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
512 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am08.09.2010Auflage
Kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg wird in der bayerischen Stadt Schongau ein sterbender Junge aus dem Lech gezogen. Eine Tätowierung deutet auf Hexenwerk hin und sofort beschuldigen die Schongauer die Hebamme des Ortes. Der Henker Jakob Kuisl soll ihr unter Folter ein Geständnis entlocken, doch er ist überzeugt: die alte Frau ist unschuldig. Unterstützt von seiner Tochter Magdalena und dem jungen Stadtmedicus macht er sich auf die Suche nach dem Täter.

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Heute lebt er als Autor mit seiner Familie in München. Seine historischen Romane haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht: Die Bände der Henkerstochter-Serie sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextKurz nach dem Dreißigjährigen Krieg wird in der bayerischen Stadt Schongau ein sterbender Junge aus dem Lech gezogen. Eine Tätowierung deutet auf Hexenwerk hin und sofort beschuldigen die Schongauer die Hebamme des Ortes. Der Henker Jakob Kuisl soll ihr unter Folter ein Geständnis entlocken, doch er ist überzeugt: die alte Frau ist unschuldig. Unterstützt von seiner Tochter Magdalena und dem jungen Stadtmedicus macht er sich auf die Suche nach dem Täter.

Oliver Pötzsch, Jahrgang 1970, arbeitete nach dem Studium zunächst als Journalist und Filmautor beim Bayerischen Rundfunk. Heute lebt er als Autor mit seiner Familie in München. Seine historischen Romane haben ihn weit über die Grenzen Deutschlands bekannt gemacht: Die Bände der Henkerstochter-Serie sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783548920672
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum08.09.2010
AuflageAuflage
Reihen-Nr.1
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5203 Kbytes
Artikel-Nr.1009383
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Schongau,

am Morgen des 24. April Anno Domini 1659,

35 Jahre später ...

 

Magdalena Kuisl saß auf der Holzbank vor dem kleinen, geduckten Henkershaus und presste den schweren Bronzemörser fest zwischen ihre Schenkel. Mit gleichmäßigen Stößen zerrieb sie getrockneten Quendel, Bärlapp und Mutterwurz zu feinem, grünem Pulver. Ein würziger Duft stieg ihr in die Nase und verbreitete eine Ahnung vom herannahenden Sommer. Die Sonne schien ihr ins braungebrannte Gesicht, so dass sie blinzeln musste, Schweißtropfen rollten ihr über die Stirn. Es war der erste richtig warme Tag in diesem Jahr.

Draußen im Garten spielten ihre kleinen Geschwister, die sechsjährigen Zwillinge Georg und Barbara. Sie rannten durch die Hollersträucher, die bereits die ersten Knospen trugen. Immer wieder schrien die Kinder laut auf vor Vergnügen, wenn ihnen die langen Zweige wie Finger übers Gesicht streiften. Magdalena musste lächeln. Sie erinnerte sich daran, wie sie ihr Vater noch vor wenigen Jahren auf die gleiche Weise durch die Büsche gehetzt hatte. Sie sah seine große, massige Gestalt vor sich, wie er mit erhobenen Pranken und drohendem Knurren wie ein großer Bär hinter ihr hergelaufen war. Ihr Vater war ein wunderbarer Spielkamerad gewesen. Nie hatte sie verstanden, warum die Leute in der Stadt die Straßenseite wechselten oder ein Gebet murmelten, wenn er ihnen entgegenkam. Erst später, mit sieben, acht Jahren hatte sie erfahren, dass ihr Vater mit seinen Pranken nicht nur spielen konnte. Das war auf dem Galgenhügel gewesen, und Jakob Kuisl hatte einem Dieb den Hanfstrick um den Hals gelegt und zugezogen.

Trotz allem war Magdalena stolz auf ihre Familie. Schon ihr Urgroßvater Jörg Abriel und ihr Großvater Johannes Kuisl waren Henker gewesen. Magdalenas Vater Jakob war beim Großpapa in die Lehre gegangen, so wie es auch ihr kleiner Bruder Georg in ein paar Jahren bei seinem Vater tun würde. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr die Mutter einmal vor dem Einschlafen erzählt, dass der Vater nicht immer Henker gewesen war; im großen Krieg sei er mitmarschiert, bevor es ihn doch wieder zurück nach Schongau gezogen habe. Als die kleine Magdalena wissen wollte, was er im Krieg getan habe und warum er nun doch lieber den Leuten den Kopf abschlug, als mit Harnisch und funkelndem Säbel in ferne Länder zu ziehen, hatte ihre Mutter geschwiegen und ihr den Finger auf die Lippen gelegt.

Die Kräuter waren fertig gemahlen. Magdalena leerte das grüne Pulver in einen Tontiegel, den sie sorgfältig verschloss. Zu einem Sud verkocht, würde die duftende Mischung Frauen helfen, ihre aussetzende Blutung zu bekommen. Ein bekanntes Mittel, um eine unwillkommene Geburt doch noch zu verhindern. Quendel und Bärlapp wuchsen in jedem zweiten Garten, aber nur ihr Vater wusste, wo es den seltenen Mutterwurz zu finden gab. Selbst die Hebammen aus den umliegenden Dörfern kamen wegen dieses Pulvers zu ihm. Er nannte es Liebfrauenpulver und verdiente damit den einen oder anderen Silberpfennig zusätzlich.

Magdalena schob eine Locke nach hinten, die ihr immer wieder ins Gesicht fiel. Sie hatte die widerspenstigen Haare ihres Vaters geerbt. Buschige Augenbrauen saßen über schwarz funkelnden Augen, die immer ein wenig zu zwinkern schienen. Mit ihren zwanzig Jahren war sie das älteste Kind des Henkers. Nach ihr hatte die Mutter zwei Totgeburten zur Welt gebracht, außerdem drei Säuglinge, die so schwach waren, dass sie das erste Jahr nicht überlebten. Dann endlich waren die Zwillinge gekommen. Die beiden Rabauken waren der ganze Stolz ihres Vaters, und manchmal war Magdalena fast ein wenig eifersüchtig. Georg würde als einziger Sohn das Henkershandwerk erlernen, und Barbara träumte als kleines Mädchen noch alle Träume dieser Welt. Magdalena hingegen war die Henkersdirne, das Blutmädchen, das keiner anrühren durfte und hinter dessen Rücken man tuschelte und lachte. Sie seufzte. Es schien, als wäre ihr Leben schon jetzt genau festgelegt. Sie würde einen Henker aus einer anderen Stadt heiraten, denn Scharfrichterfamilien blieben stets unter sich. Dabei gab es schon den einen oder anderen jungen Mann hier in der Stadt, der ihr gefiel. Vor allem einen ...

»Wennst mit dem Liebfrauenpulver fertig bist, geh rein und kümmer dich um die Wäsch. Die werd ned von allein sauber.«

Die Stimme der Mutter riss Magdalena aus ihren Träumereien. Anna Maria Kuisl sah ihre Tochter mahnend an. Ihre Hände waren erdig von der Arbeit im Garten, sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor sie weitersprach.

»Träumst wieder von den Burschen, ich seh´s dir doch an«, sagte sie. »Schlag dir die Burschen aus dem Kopf. Wird schon genug getratscht im Ort.«

Sie lächelte Magdalena an, doch die Henkerstochter wusste, dass ihre Mutter es ernst meinte. Sie war eine praktisch veranlagte, geradlinige Frau. Für die Träumereien ihrer Tochter hatte sie nicht viel übrig. Auch, dass der Vater Magdalena das Lesen beigebracht hatte, hielt sie für unnütz. Eine Frau, die ihre Nase in Bücher steckte, wurde von den Männern schief angesehen. Wenn sie dann auch noch die Henkerstochter war und den Burschen schöne Augen machte, war der Weg zu Schandmaske und Pranger nicht weit. In düsteren Farben hatte die Henkersfrau schon des Öfteren ihrem Mann ausgemalt, wie es aussehen würde, wenn er seiner eigenen Tochter die Schandgeige aufsetzen und sie durch die Stadt treiben müsste.

»Ist gut, Mutter«, sagte Magdalena und stellte den Mörser auf der Bank ab. »Ich trag die Wäsche gleich runter zum Fluss.«

Sie nahm den Korb mit den schmutzigen Laken und machte sich, begleitet von den nachdenklichen Blicken ihrer Mutter, durch den Garten auf den Weg hinunter zum Lech.

Gleich hinter dem Haus führte ein schmaler Trampelpfad an Vorgärten, Scheunen und schmucken Häusern vorbei hin zum Ufer, zu einer Stelle, wo der Fluss eine kleine, flache Bucht ausgewaschen hatte. Magdalena blickte auf die wirbelnden Strudel, die sich in der Mitte des Lechs gebildet hatten. Jetzt im Frühling stand das Wasser hoch bis zu den Wurzeln der Birken und schob Äste und ganze Bäume vor sich her. Kurz glaubte Magdalena ein Stück Leinen oder Ähnliches in den braunen Fluten treiben zu sehen, doch als sie genauer hinsah, waren da nur noch Zweige und Blätter.

Sie bückte sich, nahm die Wäsche aus dem Korb und scheuerte sie über den nassen Kies. Dabei dachte sie an das Fest auf dem Paulusmarkt vor drei Wochen und das Tanzen dort. Besonders an das Tanzen mit ihm ... Erst letzten Sonntag in der Messe hatte sie ihn wieder gesehen. Als sie mit gesenktem Haupt ganz hinten in der Kirche Platz genommen hatte, war er noch einmal aufgestanden, um sein Gotteslob zu holen. Dabei hatte er ihr zugezwinkert. Sie hatte kichern müssen und die anderen Mädchen hatten böse zu ihr hinübergeschaut.

Magdalena summte ein Lied und klatschte die nassen Laken rhythmisch gegen den Kies.

»Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg«

So in Gedanken versunken war sie, dass sie das Schreien zunächst für eine Ausgeburt ihrer Phantasie hielt. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass die hohen, klagenden Laute von irgendwo flussaufwärts zu ihr herüberwehten.

 

Ein Schongauer Holzfäller oben am Steilufer hatte den Jungen als Erstes gesehen. Das Kind hatte sich an einen Baumstamm geklammert, es trudelte wie ein winziges Blatt in der Gischt. Der Holzfäller war sich zunächst nicht sicher, ob das kleine Bündel tief unter ihm in den rauschenden Fluten wirklich ein Mensch war. Doch als es zu zappeln begann und wild um sich schlug, rief er die Flößer um Hilfe, die im nebligen Morgengrauen zu ihrer ersten Fahrt nach Augsburg aufbrachen. Erst kurz vor Kinsau, vier Meilen nördlich von Schongau, war das Ufer flach und der Lech ruhig genug, dass die Männer sich zu dem Jungen vorwagen konnten. Mit ihren langen Stangen versuchten sie ihn aus dem Wasser zu fischen, doch der Junge entglitt ihnen jedes Mal wie ein glitschiger Fisch. Mal tauchte er ganz ab, blieb samt Stamm bedenklich lang unter der Oberfläche, dann kam er wie ein schwimmender Korken an anderer Stelle wieder hervor.

Noch einmal raffte der Junge sich auf, zog sich an dem glitschigen Baumstamm hoch und streckte seinen Kopf aus dem Wasser, um Atem zu holen. Er reckte die rechte Hand nach der Stange, die Finger streckten sich, doch sie griffen ins Leere. Mit einem dumpfen Geräusch prallte der Stamm an die anderen Stämme, die sich an der Floßlände angestaut hatten. Der Ruck ließ den Jungen den Halt verlieren, er rutschte ab und versank zwischen Dutzenden angeschwemmter Baumriesen.

Die Flößer hatten in der Zwischenzeit den kleinen Steg bei Kinsau angesteuert. Sie vertäuten in aller Eile ihre Flöße und begaben sich vorsichtig auf den wackligen Grund, den die Baumstämme in Ufernähe bildeten. Das Balancieren auf den rutschigen Stämmen war auch für erfahrene Rottflößer eine Herausforderung. Zu leicht konnte man den Halt verlieren und zwischen den mächtigen Buchen und Tannen zermalmt werden. Doch der Fluss war an dieser Stelle ruhig, die Baumstämme dümpelten nur bedrohlich träge vor sich hin.

Schon nach kurzer Zeit hatten zwei der Männer den Stamm des Jungen erreicht. Mit ihren Stangen stakten sie in den Zwischenräumen, in der Hoffnung auf weichen Widerstand zu stoßen. Die Stämme unter ihnen begannen zu wackeln und zu rollen. Immer wieder mussten die Männer ihr Gleichgewicht halten, barfuß rutschten sie auf der glitschigen Rinde hin und her.
...
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