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Der Junge, der sich in Luft auflöste

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Carlsen Verlag GmbHerschienen am01.03.2011Auflage
Menschen lösen sich nicht einfach so in Luft auf, oder? Doch genau das scheint mit Teds Cousin passiert zu sein - Salim ist nämlich in eine Gondel des Londoner Riesenrades gestiegen und nicht wieder unten angekommen. Ist Salim in eine Zeitschleife geraten und sitzt in einem Paralleluniversum fest? (Eine von Teds acht Theorien) Oder ist er entführt worden? (Das glaubt Tante Gloria) Und ist er überhaupt noch am Leben? (Aber das sagt keiner) Diese Geschichte handelt davon, wie Teds seltsames Gehirn versucht den Fall zu lösen. Wie Ted und seine große Schwester Kat jede Spur verfolgen, um Salim zu finden. Und dabei spielen der Dodo, das Wetter, 18 Fotos von einer Wäscheleine und die erste Lüge nach 12 Jahren und 188 Tagen auch eine Rolle ....

Siobhan (sprich Schyvonne) Dowd, in London geboren, stammt aus County Waterford, Irland, und verbrachte dort einen großen Teil ihrer Kindheit. Sie ging in London auf eine katholische Schule und studierte in Oxford. Dort lebte sie zusammen mit ihrem Mann Geoff, bis sie im August 2007, im Alter von 47 Jahren, an Krebs starb.
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Produkt

KlappentextMenschen lösen sich nicht einfach so in Luft auf, oder? Doch genau das scheint mit Teds Cousin passiert zu sein - Salim ist nämlich in eine Gondel des Londoner Riesenrades gestiegen und nicht wieder unten angekommen. Ist Salim in eine Zeitschleife geraten und sitzt in einem Paralleluniversum fest? (Eine von Teds acht Theorien) Oder ist er entführt worden? (Das glaubt Tante Gloria) Und ist er überhaupt noch am Leben? (Aber das sagt keiner) Diese Geschichte handelt davon, wie Teds seltsames Gehirn versucht den Fall zu lösen. Wie Ted und seine große Schwester Kat jede Spur verfolgen, um Salim zu finden. Und dabei spielen der Dodo, das Wetter, 18 Fotos von einer Wäscheleine und die erste Lüge nach 12 Jahren und 188 Tagen auch eine Rolle ....

Siobhan (sprich Schyvonne) Dowd, in London geboren, stammt aus County Waterford, Irland, und verbrachte dort einen großen Teil ihrer Kindheit. Sie ging in London auf eine katholische Schule und studierte in Oxford. Dort lebte sie zusammen mit ihrem Mann Geoff, bis sie im August 2007, im Alter von 47 Jahren, an Krebs starb.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783646922448
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum01.03.2011
AuflageAuflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1114 Kbytes
Artikel-Nr.1021355
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



2

Nachricht vom Hurrikan

Es begann an dem Tag, als Tante Glorias Brief eintraf.

Tante Gloria ist die Schwester meiner Mutter. Mum nennt sie Glo und Kat nennt sie Tante Glo. Dad nennt sie Hurrikan Gloria, weil sie, wie er sagt, immer eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Ich habe ihn gefragt, wie er das meint. Ob es bedeuten soll, dass sie so tollpatschig ist wie ich? Er meinte, dass sie nicht so sehr Dinge durcheinanderbrächte, was ja nicht so schlimm wäre, sondern eher Menschen und Gefühle. »Soll das heißen, dass sie böse ist?«, fragte ich. Dad sagte, sie täte es ja nicht absichtlich, also wäre sie nicht böse, sondern einfach nur eine Plage. Ich fragte ihn, was eine Plage bedeutet, und er sagte, es würde bedeuten, den Rahmen zu sprengen. Und als ich die Bedeutung von den Rahmen zu sprengen wissen wollte, legte er mir eine Hand auf die Schulter und sagte: »Jetzt nicht, Ted.«

Der Morgen, an dem Tante Glorias Brief kam, war genauso wie jeder andere Morgen auch. Ich hörte, wie die Post auf die Fußmatte fiel, genau wie immer. Ich war bei Honigpop Nummer drei und die Wettervorhersage im Radio teilte uns mit, dass es heiter und beständig werden würde, im Südosten bestünde allerdings das Risiko von Regenschauern. Kat aß ihren Toast im Stehen und zappelte dabei herum. Nicht etwa weil sie Flöhe hatte, obwohl es so aussah. Sie hörte ihre Schwacho-Musik über Kopfhörer, was bedeutete, dass sie das Wetter verpasste und deswegen weder im Regenmantel noch mit ihrem Schirm zur Schule gehen würde. Was wiederum bedeutete, dass sie nass werden würde und ich nicht, und das war gut.

Dad hüpfte in nur einer Socke herum und schimpfte, dass die Waschmaschine alle seine Socken verschluckt hätte und dass er zu spät käme. Mum durchwühlte den Wäschekorb nach einer Ersatzsocke.

»Ted, hol mal die Post«, sagte sie. Sie trug ihre Krankenschwesternuniform, und sogar mir ist klar, dass man besser tut, was sie sagt, wenn ihre Sätze so knapp und zackig klingen, obwohl ich es hasse, meine Honigpops stehenzulassen, bis sie matschig werden.

Ich kam mit sechs Briefumschlägen zurück. Kat sah mich, schnappte sie mir aus der Hand und zog einen großen braunen und einen kleinen weißen Umschlag heraus. Auf dem weißen konnte ich unser Schullogo erkennen - es sieht wie ein zerdrücktes X aus, und darüber prangt ein Bischofshut, den man Mitra nennt. Kat versuchte den weißen hinter dem braunen Umschlag zu verstecken, aber Mum sah es.

»Nicht so hastig, Katrina«, sagte sie. Wenn Mum Kat Katrina nennt, dann weiß man, dass es Ärger gibt.

Kats Lippen pressten sich zusammen, und sie gab Mum die Post, alles bis auf den braunen Umschlag, den sie hochhielt, damit jeder sehen konnte, dass er an sie adressiert war, an Katrina Spark. Sie riss ihn auf und zum Vorschein kam ein Katalog. Der Titel lautete Haar, wunderbar. Kat lief mit wippendem Kopf Richtung Tür.

Ich aß die Honigpops Nummer sieben bis siebzehn.

Dad begann die Melodie von Dick und Doof zu summen, seiner Lieblingsfernsehsendung. Inzwischen hatte er die zweite Socke angezogen und bestrich sich einen Toast mit Butter, und die Haare standen ihm zu Berge, wozu Mum wohl gesagt hätte, dass er Stan von Dick und Doof wie aus dem Gesicht geschnitten ist. »Wie aus dem Gesicht geschnitten« ist ein anderer Ausdruck für »jemandem zum Verwechseln ähnlich sehen«, aber fragt mich nicht, warum. Außerdem hat Stan braunes Haar und Dads Haare sind blond, so wie meine, also sieht er Stan überhaupt nicht zum Verwechseln ähnlich.

»Katrina!«, brüllte Mum.

Der achtzehnte Honigpop fiel mir vom Löffel.

»Was ist?«

»Dieser Brief von der Schule ...«

»Welcher Brief von der Schule?«

»Dieser hier. Der, den du verstecken wolltest.«

»Was ist damit?«

»Da steht drin, dass du letzte Woche gefehlt hast, ohne Krankmeldung. Am Dienstag.«

»Oh. Ja.«

»Und?«

»Und was?«

»Wo warst du?«

»UE, Mum. Das hat sie gemacht«, meldete ich mich zu Wort. Kat und Mum starrten mich an. »UE, wie in der Armee«, erklärte ich. »Unerlaubtes Entfernen von der Truppe.«

»Du kannst mich mal, du Miststück!«, zischte Kat. Sie ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

Im Radio liefen nun wieder die Nachrichten.

»Mach das Ding aus, Ted«, sagte Mum. Ich fummelte an dem Knopf herum, aber sie zog einfach den Stecker aus der Steckdose. Es war still. Ich hörte, wie Dad ein Stück Toast kaute.

»Sie kommt unter die Räder, Ben«, sagte Mum zu Dad.

»Unter die Räder«, wiederholte ich und musste an Autounfälle denken. Wahrscheinlich sagte Mum irgendwas über Katrinas UE, und »unter die Räder kommen« ist vielleicht ja ein anderer Ausdruck für »schwänzen«, was so viel bedeutet wie nicht zur Schule gehen, obwohl man es muss. Aber ich traute mich nicht, das zu klären, weil Mum nicht in der richtigen Stimmung war.

»Sie kommt unter die Räder, und es kümmert niemanden«, sagte sie.

»Ich hab in ihrem Alter auch blaugemacht«, sagte Dad. »Bin den ganzen Tag nur Bus gefahren und hab im Park gesessen und Kippen geraucht.« Ich verschluckte mich fast an meinem zwanzigsten Honigpop. Die Vorstellung von Dad mit einer Zigarette in der Hand kam mir total seltsam vor. Er raucht inzwischen gar nicht mehr. Dad klopfte Mum auf die Schulter und als sie zu ihm aufblickte, küsste er sie mitten auf die Stirn. Es gab so ein komisches piepsiges Schmatzgeräusch, von dem mir fast der Appetit auf meine restlichen Honigpops verging. »Lass uns heute Abend drüber reden, Faith. Ich muss dringend los. Die Besprechung wegen der Sprengung der Kaserne.«

Mums Lippen hoben sich ein wenig. »Okay, Schatz. Dann später.«

Ich sollte hier vielleicht erklären, dass Dad kein Terrorist ist, der durch die Gegend läuft und Häuser sprengt, in denen Soldaten wohnen. Er ist Abbruchexperte und »die Kaserne« war der bei uns in der Gegend übliche Ausdruck für Barrington Heights, das höchste Hochhaus in unserem südlichen Stadtteil von London. Dort haben früher Leute gelebt, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein ist so ähnlich, wie von der Schule verwiesen zu werden, bloß dass einem nicht der Rektor sagt, dass man gehen soll, sondern dass alle anderen in der Gesellschaft so tun, als ob man überhaupt nicht existiert. Dann landet man bei all den anderen, die niemand beachtet. Und man ist so wütend, weil die Gesellschaft einen so behandelt, dass man aus Rache anfängt Drogen zu nehmen und in Läden zu klauen und Banden zu gründen. Die Leute von Barrington Heights haben all das getan. Dad meinte, es sei nicht so, dass die Bewohner dort von Anfang an böse waren. Er meinte, das Gebäude sei eine Krankheit und würde die Leute ebenfalls krank machen, so ähnlich wie ein Virus. Deswegen hatten er und der Stadtrat beschlossen, alle Leute dort in neue Wohnungen umziehen zu lassen, das Haus in die Luft zu sprengen und noch mal ganz von vorne anzufangen.

Dad zog seine Jacke an, sagte »Tschüss, Ted« zu mir und verließ das Haus. Und Mum setzte sich hin und ging den Rest der Post durch. Schließlich war der letzte Brief an der Reihe, ein blasslilafarbener Umschlag. Ich sah, wie sie ihn an ihre Nase hielt und daran schnupperte, als wäre er etwas zu essen. Dann lächelte sie. Ihre Lippen gingen steil nach oben, aber ihre Augen wurden feucht, was bedeutete, dass sie gleichzeitig traurig und glücklich war.

»Du lieber Himmel«, flüsterte sie. Sie öffnete ihn und las, was drinstand. Ich aß meine letzten drei Honigpops, die Nummern fünfunddreißig bis siebenunddreißig. Mum legte das lilafarbene Blatt Papier zur Seite und wuschelte mir durch die Haare - eine Sache, die sie ab und zu macht und wovon meine Hand heftig zu schlackern beginnt.

»Halt dich fest, Ted«, sagte sie. »Ein Hurrikan ist im Anmarsch.«

»Nein, stimmt nicht«, sagte ich. »Ein großes Hochdruckgebiet steuert auf uns zu.« Ich bin Meteorologe oder werde mal einer sein, wenn ich groß bin. Also weiß ich Bescheid. Hurrikans fallen in sich zusammen, wenn sie mitten über dem Atlantik sind. Bis nach England schaffen sie es selten. Sogar der aus dem Jahr 1987 war technisch gesehen gar kein Hurrikan. Der Wettermann namens Michael Fish, der für seine falschen Vorhersagen berühmt ist, hatte wirklich Recht. Es handelte sich bloß um einen heftigen Sturm und der hatte keinen Namen. Ein echter Hurrikan bekommt immer einen Namen. Wie Hannah, die 1957 bis zu 260 Stundenkilometer schnell stürmte, oder Hugo, der 1989 in den USA halb South Carolina plattmachte. Oder der Hurrikan Katrina, ein Sturm der Windstärke fünf, der 2005 New Orleans verwüstete. (Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass einer der verheerendsten Stürme aller Zeiten denselben Namen trägt wie meine Schwester.)

»Ich hab´s doch nicht wortwörtlich gemeint«, sagte Mum und zog mir meine leere Honigpopschale unter der Nase weg. »Hurrikan Gloria ist unterwegs zu uns. Meine Schwester. Erinnerst du dich? Sie kommt uns besuchen, zusammen mit ihrem Sohn, Salim.«

»Die, die in Manchester wohnen?«

»Genau. Wir haben uns fünf Jahre nicht mehr gesehen, Ted. Ich weiß echt nicht, wo die Zeit geblieben ist.«

Es hörte sich an, als würde sie denken, dass die Zeit etwas ist, was durch die Gegend wandert und sich ab und zu hinsetzt und ein bisschen bleibt, wie ein eiliger Gast. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Mum«, erklärte ich. »Die Zeit bleibt doch nirgends.«

»In diesem Haus schon, Ted. Sie verschwindet in einem verfluchten schwarzen Loch!«

Ich zwinkerte und überlegte, ob an der...


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Siobhan (sprich Schyvonne) Dowd, in London geboren, stammt aus County Waterford, Irland, und verbrachte dort einen großen Teil ihrer Kindheit. Sie ging in London auf eine katholische Schule und studierte in Oxford. Dort lebte sie zusammen mit ihrem Mann Geoff, bis sie im August 2007, im Alter von 47 Jahren, an Krebs starb.