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Wimpern aus Gras

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
217 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am01.06.2011Originalausgabe
Anna ist tot. Und Rena will wissen, warum. Seit Anna mit 19 Jahren Hals über Kopf in die USA ausgewandert ist, um Reiko zu heiraten, hat Rena ihre Schulfreundin nicht mehr gesehen, Briefe und Postkarten kommen immer seltener, Annas Mann hat Rena nie kennengelernt. Als eines Tages ein Paket mit Annas Tagebuch und der Todesanzeige bei ihr abgegeben wird und Reiko immer hartnäckiger den Kontakt mit ihr sucht, lassen Rena die Erinnerungen an die Freundin nicht mehr los. Und bald gibt es kein Zurückweichen mehr vor jenen Fragen, die Rena so lange von sich geschoben hat: Woher kam die Entfremdung zwischen ihnen nach langer, ungetrübter Freundschaft? Und was bedeutet Annas letzter rätselhafter, fast feindseliger Brief? In packenden, schnell wechselnden Szenen erzählt Ruth Johanna Benrath vom Wunsch nach Nähe und Liebe und der fatalen Wirkung von Abhängigkeit und Unterwerfung: die Geschichte einer jungen Frau, der jene Menschen immer fremder werden, denen sie sich am nächsten fühlt.


Ruth Johanna Benrath, geboren 1966, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte in Heidelberg. Mit dem Cellisten Thomas Böhm-Christl inszeniert sie interdisziplinäre Kunstprojekte und tritt als Duo gezinkte sterne in Berliner Salons auf. 2009 wurde ihr erster Roman Rosa Gott, wir loben dich veröffentlicht, zwei Jahre später Wimpern aus Gras. 2013 erhielt die Autorin für das Jugendtheaterstück Klassenkämpfe den Preis des Coburger Forums junger Autoren. Für das Kindertheaterstück Der Junge bei denFischen bekam sie ein Stipendium zum Deutschen Kindertheaterpreis. 2015 erschien das Jugendtheaterstück Frankfurt/Oder, Frankfurt/Main. Ruth Johanna Benrath lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR13,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextAnna ist tot. Und Rena will wissen, warum. Seit Anna mit 19 Jahren Hals über Kopf in die USA ausgewandert ist, um Reiko zu heiraten, hat Rena ihre Schulfreundin nicht mehr gesehen, Briefe und Postkarten kommen immer seltener, Annas Mann hat Rena nie kennengelernt. Als eines Tages ein Paket mit Annas Tagebuch und der Todesanzeige bei ihr abgegeben wird und Reiko immer hartnäckiger den Kontakt mit ihr sucht, lassen Rena die Erinnerungen an die Freundin nicht mehr los. Und bald gibt es kein Zurückweichen mehr vor jenen Fragen, die Rena so lange von sich geschoben hat: Woher kam die Entfremdung zwischen ihnen nach langer, ungetrübter Freundschaft? Und was bedeutet Annas letzter rätselhafter, fast feindseliger Brief? In packenden, schnell wechselnden Szenen erzählt Ruth Johanna Benrath vom Wunsch nach Nähe und Liebe und der fatalen Wirkung von Abhängigkeit und Unterwerfung: die Geschichte einer jungen Frau, der jene Menschen immer fremder werden, denen sie sich am nächsten fühlt.


Ruth Johanna Benrath, geboren 1966, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte in Heidelberg. Mit dem Cellisten Thomas Böhm-Christl inszeniert sie interdisziplinäre Kunstprojekte und tritt als Duo gezinkte sterne in Berliner Salons auf. 2009 wurde ihr erster Roman Rosa Gott, wir loben dich veröffentlicht, zwei Jahre später Wimpern aus Gras. 2013 erhielt die Autorin für das Jugendtheaterstück Klassenkämpfe den Preis des Coburger Forums junger Autoren. Für das Kindertheaterstück Der Junge bei denFischen bekam sie ein Stipendium zum Deutschen Kindertheaterpreis. 2015 erschien das Jugendtheaterstück Frankfurt/Oder, Frankfurt/Main. Ruth Johanna Benrath lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518748206
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum01.06.2011
AuflageOriginalausgabe
Seiten217 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1024039
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Ein Garten. A garden.

The voices. Die Stimmen.

Today is her tenth birthday. Translate it.

Heute ist ihr zehnter Geburtstag. Übersetze es.

 

Annas Passbild liegt in Renas Hand wie eine Oblate, nur nicht rund. Die Schnittkanten des Fotos sind scharf, als wäre es eben frisch aus dem Automaten gekommen, aber die Farben sind verblasst und rotstichig. Auf der Rückseite steht ein Datum. Und ein Kugelschreiberherz, verbunden mit einem Bindestrich und einem lich. -lich für Schwabbelbauch. Von Anna der Ersten und Letzten. Anna und Rena haben sich im Handarbeitsunterricht manchmal gegenseitig das Maßband um die Taillen geschlungen. Anna hat meistens gewonnen, sie war die dünnere. Wenn sie in der Schule Kuchen ausgeteilt hat, hat sie selbst nichts davon gegessen.

 

Leave, left, left. Lose, lost, lost.

Thank you, Anna. Sit down, please.

 

Anna ist tot. Rena hat ihr Foto herausgekramt und betrachtet es. Im Hintergrund ist der blaue Vorhang einer Fotokabine zu sehen, durch den Rotstich wirkt er violett. Auf dem faltigen Stoff zeichnet sich eine faustgroße Verfärbung ab, ein dunkler Fleck hinter Annas Kopf.

 

Wo bist du?

 

Anna hat Rena das Foto geschenkt. An den Anlass kann sie sich nicht mehr erinnern. Das Datum auf der Rückseite. Weder Annas Geburtstag noch ihr eigener.

 

I am happy. I will be happy. I would have been happy.

Correct. Korrekt.

 

Englisch ist Annas Lieblingsfach gewesen. Sie ist zweisprachig aufgewachsen, ihre Mutter war Engländerin. Anna hatte englische Kinderbücher und eine englische Bibel. Zu ihrer Mutter sagte sie Mum oder Ma. Rena fand das viel schöner als Mama. Annas Großmutter wohnte auch mit im Haus. Mit den Kindern sprach sie nur Englisch. Immer wenn Rena bei Anna eingeladen war, hat sie sich ein wenig vor Granny gefürchtet. Sich bloß nicht in ein Gespräch verwickeln lassen. In Englisch bin ich noch nicht so weit.

 

Auf Shakespeare ist Rena durch Anna gestoßen. Shall I compare thee to a summer's day. In der zwölften Klasse hat Anna ihr ein Shakespeare-Sonett abgeschrieben. Thou art more lovely and more temperate.

 

Das Passfoto zeigt eine junge Frau. Ihre linke Gesichtshälfte ist leicht schräg der Kamera zugewendet, als habe Anna sich exakt an die Anleitung gehalten. Vielleicht hat sie das Foto gebraucht, um ihren ersten Personalausweis zu beantragen. Dem Kuli-Datum zufolge ist sie sechzehn. Rough winds do shake the darling buds of May. Sie war immer die Jüngste in unserer Klasse.

 

My doll's name is Mary. Today I am wearing my best petticoat. It's handmade. I have invited my best friends. My grandma has baked her best cake. Bake, baked, baked.

 

Wenn Rena und Anna gemeinsam in der Küche zugange waren, gab Anna die Befehle, das Backen hatte sie von ihrer Großmutter gelernt. Wenn der Kuchen aus dem Ofen kam, wollte Rena ihn sofort anschneiden. Anna hatte darauf bestanden zu warten, bis er abkühlte, bevor sie ihn probierten. Eat, ate, eaten.

 

And looking up, he saw by his head a cake cooked on the stones and a bottle of water. So he ate and drank and went to sleep again.

 

Eine Locke hat sich aus Annas Seitenscheitel gelöst und hängt ihr in die Stirn. Die gealterten Farben des Fotos täuschen über die Farbe ihres Haares hinweg. Es war rotbraun, wie von Kastanien. Rena weiß das so genau, weil sie ihre Haarfarbe immer mit Annas verglichen hat. In einer mühevollen Prozedur hat sie sich ihre Haare mehrmals hintereinander mit Henna gefärbt, um den gleichen Rotton zu erzeugen. Annas Haarfarbe ist es nie gewesen. But thy eternal summer shall not fade. Anna trägt ihr dichtes Haar kurz, aber so, dass es die Ohren fast bedeckt. Nor lose possession of that fair thou owest. An ihrem linken Ohr ist ein Ohrring zu sehen. Ein goldener Hänger, an dem ein Kügelchen baumelt. Annas Ohrringe. Ich sehe sie genau vor mir. Selbst beim Schwimmen hat sie sie anbehalten.

 

Annas Gesicht ist oval und läuft in ein schmales Kinn aus. Ihre Nase dagegen könnte man knubbelig nennen. Von Nahem betrachtet ist an ihrem Kinn ein Grübchen zu erkennen. Nor shall Death brag thou wanderest in his shade. When in eternal lines to time thou growest. Annas Lippen sind leicht geöffnet, als wollte sie gleich etwas sagen. Sie scheint ihr Spiegelbild etwas zu fragen. Ihre geöffneten Lippen, der Hauch eines Lächelns. So wie sie mich jetzt anschaut. Zwischen ihre Lippen passt ein Lufthauch, ein Einatmen, ein Ausatmen. Der Hauch einer Frage.

 

So long as men can breathe or eyes can see. So long lives this, and this gives life to thee.

 

Anna trägt ein rotes T-Shirt mit einem breiten Ausschnitt. Wie auf dem Dekolleté einer Büste bleibt der Blick beim Betrachten des Fotos auf ihrem Hals hängen. Und auf der silbernen Kette, die sie auf ihrer gebräunten Haut trägt. Wenn man genau hinschaut, kann man rechts und links neben der Kette die Spuren eines Bikinioberteils erkennen. Seine Träger zeichnen sich als weiße Streifen auf beiden Seiten ihres Schlüsselbeins ab. Es muss Sommer sein.

 

Im Wurzelgrab hausend. Niemand entdeckt mich. In die Kissen gesunken Mitte Juli. Rosafarbene Käfer im Haar. Bald Wimpern aus Gras. Ein ewiger Sommer. Eine langlebige Stille.

 

Wie die Ohrringe hat Anna auch ihre Halskette nie abgelegt. Auch auf einem späteren Foto ist sie gut zu erkennen. Diesmal trägt Anna sie über ihrem Halstuch. Rena legt die beiden Fotos nebeneinander. Da das Passfoto auf der Höhe des Schlüsselbeins abgeschnitten ist, kann man nur die Kette und nicht den dazugehörigen Anhänger sehen. Dass es sich um dieselbe Kette handelt, kann man nur vermuten. Oder man muss wissen, dass Anna ihr Leben lang nur diese eine Kette getragen hat. Ein rundes Medaillon ist daran befestigt. Es zeigt das Bild einer Marienfigur. Anna hat Rena die Kette, die ihre Großmutter ihr zur Kommunion geschenkt hatte, gleich am nächsten Tag gezeigt. Die beschützt mich, hat Anna gesagt. Mit bloßem Auge ist die Madonna, die im Profil abgebildet ist und einen Schleier trägt, nicht zu erkennen. Man muss es wissen.

 

Zwischen dem Passbild und Annas letztem Foto liegen vier Jahre. Trotzdem hat Rena sie sofort erkannt, als sie den wattierten Umschlag mit den amerikanischen Marken aufriss, den ihr Reiko Ankenman vor gut zwei Monaten zugeschickt hatte. Im Gegensatz zu Annas Passbild befindet sich auf dem späteren Foto keine Widmung. Mit blauem Filzstift sind auf der Rückseite Datum und Ort der Aufnahme notiert. Es ist vier Wochen vor Annas Tod, das kann man nachrechnen. Auf dem Foto sind Mr. und Mrs. Ankenman abgebildet, im Hintergrund Mauerwerk. Sie sind gerade zu Besuch in der Stadt, in der Anna und Rena aufgewachsen sind. Die beiden sind braun gebrannt. Es ist wieder Sommer.

 

The angel of the Lord came again a second time and touched him and said: Arise, eat, because the journey is too great for you.

 

Reiko Ankenman lacht direkt in die Kamera, er sieht ein wenig erschöpft aus. Vielleicht hat er gerade das übliche Sightseeing-Programm hinter sich. Anna sieht ihren Mann von der Seite an. Mit einem Blick, mit dem man jemanden anschaut, den man sehr gut kennt. Das Grübchen an ihrem Kinn ist ausgeprägter als früher, die kastanienbraunen Locken trägt sie jetzt schulterlang, was ihr Gesicht länglicher erscheinen lässt. Sie hat Ringe unter den Augen. Ihre Schultern kommen Rena noch schmaler vor als auf dem Passfoto. Kein Zweifel, Anna ist dünner geworden. Früher hätte ich mit dem Maßband nachgemessen.

 

Während ihr Mann das hellblaue Hemd offen trägt, ist Anna eher elegant gekleidet. Das grau melierte Halstuch und die Seidenbluse lassen sie älter wirken, als sie ist. Rena rechnet nach. Anna war ein Jahr jünger als sie, also muss sie auf dem Foto zwanzig sein. Über Annas Schulter hängt der Riemen einer Handtasche, der in ihre weiße Bluse schneidet. Anna wirkt auf Rena so zart wie eine Feder.

 

Then the Lord went by and mountains were parted by the force of a great wind.

 

Rena hat die beiden damals nicht getroffen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Anna den Kontakt zu ihr bereits abgebrochen. Anna sieht glücklich aus einen Monat vor ihrem Tod. Ich bin kein...
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Autor

Ruth Johanna Benrath, geboren 1966, studierte Germanistik, Philosophie und Geschichte in Heidelberg. Mit dem Cellisten Thomas Böhm-Christl inszeniert sie interdisziplinäre Kunstprojekte und tritt als Duo gezinkte sterne in Berliner Salons auf. 2009 wurde ihr erster Roman Rosa Gott, wir loben dich veröffentlicht, zwei Jahre später Wimpern aus Gras. 2013 erhielt die Autorin für das Jugendtheaterstück Klassenkämpfe den Preis des Coburger Forums junger Autoren. Für das Kindertheaterstück Der Junge bei denFischen bekam sie ein Stipendium zum Deutschen Kindertheaterpreis. 2015 erschien das Jugendtheaterstück Frankfurt/Oder, Frankfurt/Main. Ruth Johanna Benrath lebt in Berlin.