Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Radikale Historisierung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
274 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am24.08.2011Originalausgabe
In der Diskussion um Urteilsgrundlagen und Geltungsansprüche moderner Wissenschaften verweisen die Geisteswissenschaften häufig auf den sogenannten hermeneutischen Zirkel, der besagt, daß man immer nur nach den Mustern seiner Kultur zu denken vermag. Aber auch die Naturwissenschaften sind Teil unserer Kultur, und deren Objektivität wäre demnach ebenfalls historisch zu relativieren. Wie innerhalb dieser Relativierung dennoch Positionen bezogen und Orientierungen gefunden werden können, zeigt Olaf Breidbach in seinem neuen Buch. Er plädiert für eine konsequente, radikale Historisierung, die einen Weg weist, wie wir uns in unserer Geschichte selbst vergewissern und im Relativen zurechtfinden können.


Olaf Breidbach (1957-2014) war Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik und Leiter des Bereichs Theoretische Biologie.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextIn der Diskussion um Urteilsgrundlagen und Geltungsansprüche moderner Wissenschaften verweisen die Geisteswissenschaften häufig auf den sogenannten hermeneutischen Zirkel, der besagt, daß man immer nur nach den Mustern seiner Kultur zu denken vermag. Aber auch die Naturwissenschaften sind Teil unserer Kultur, und deren Objektivität wäre demnach ebenfalls historisch zu relativieren. Wie innerhalb dieser Relativierung dennoch Positionen bezogen und Orientierungen gefunden werden können, zeigt Olaf Breidbach in seinem neuen Buch. Er plädiert für eine konsequente, radikale Historisierung, die einen Weg weist, wie wir uns in unserer Geschichte selbst vergewissern und im Relativen zurechtfinden können.


Olaf Breidbach (1957-2014) war Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik und Leiter des Bereichs Theoretische Biologie.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518767207
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum24.08.2011
AuflageOriginalausgabe
Seiten274 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1032984
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;Vorwort;10
2;I. Exposition;19
2.1;1. Geschichte denken;19
2.1.1;1.1. Historisierungen;19
2.1.1.1;1.1.1. Tradierte Historismen;19
2.1.1.2;1.1.2. Zur Geltung des Geschichtlichen;21
2.1.1.3;1.1.3. Das kulturelle Gedächtnis;26
2.1.2;1.2. Zeiten;31
2.1.2.1;1.2.1. Die Musterungen des Unbekannten;31
2.1.2.2;1.2.2. Werden;35
2.1.3;1.3. Geschichte und Erzählungen;38
2.1.3.1;1.3.1. Über Ansichten, Geschichten und andere Dinge;38
2.1.3.2;1.3.2. Evolutionsmechanik;45
2.1.3.3;1.3.3. Kultur- und Naturgeschichte;49
2.2;2. Radikale Historisierung;53
2.2.1;2.1. Zeitlichkeit;53
2.2.2;2.2. Vorgehensmuster;60
2.2.3;2.3. Bestimmtheiten im Historischen;67
3;II. Grundlagen;73
3.1;1. Historismus und Hermeneutik -
Von Dilthey zu Gadamer;74
3.1.1;1.1. Dilthey;74
3.1.2;1.2. Die Ontologie des Historischen
nach Nicolai Hartmann;81
3.1.3;1.3. Zeitmuster;85
3.1.4;1.4. Erlebniszeiten;89
3.1.5;1.5. Kulturzeiten;92
3.1.6;1.6. Geschichtlichkeit;95
3.1.7;1.7. Hans-Georg Gadamer und
die Hermeneutik der Geschichte;101
3.2;2. Historisierung;112
3.2.1;2.1. Zuordnungen - Zur Frage der Abstimmung
differierender Traditionen;112
3.2.2;2.2. Fakten;122
3.2.2.1;2.2.1. Die kulturelle Verdichtung des Objektiven;122
3.2.2.2;2.2.2. Materialien;128
3.2.3;2.3. Erinnerungen - Gedächtnisräume;130
4;III. Methodische Grundlagen;134
4.1;1. Diskurse;135
4.1.1;1.1. Lektüre - Objektivierungen
kultureller Kommunikationen;135
4.1.2;1.2. Texturen - oder warum Foucault Joyce schätzen müsste;141
4.1.3;1.3. Die Ordnung des Diskurses - Zum Ansatz
von Michel Foucault;144
4.1.4;1.4. Archäologien - Die Perspektiven
der Foucault´schen Diskursanalyse;149
4.1.5;1.5. Sprachräume - Über die Abgrenzungen
und Zuordnungen im Kommunikationsraum der Kulturen;154
4.1.6;1.6. Materialien und Texturen - Dinge im Netz der Befunde;158
4.1.7;1.7. Laboratorien - Bruno Latour über die Orte
der wissenschaftlichen Erfahrung;160
4.1.8;1.8. Paradigmen - Zur Kritik des Kuhn´schen Wissenschaftsbildes;166
4.2;2. Geschichte;176
4.2.1;2.1. Epistemologien - Die Geschichte
der Wissenschaftslehren nach H.-J. Rheinberger;177
4.2.2;2.2. Innensichten - Die Abbildung
einer Kultur in sich selbst;180
4.2.3;2.3. Werden denken - Über den Umgang
mit den Vorstellungen Darwins;184
4.2.4;2.4. Historischer Relativismus;190
4.2.4.1;2.4.1. Über die aus Darwins Ansatz erwachsenen Konsequenzen;190
4.2.4.2;2.4.2. Dinge;195
5;IV. Neuansatz;197
5.1;1. Darstellungen;198
5.1.1;1.1. Kulturen - Zur Selbstversicherung des Kulturellen;198
5.1.2;1.2. Rezeptionsidentitäten - Der methodische Ansatz
einer radikalen Historisierung;199
5.1.3;1.3. Repräsentationen - Die Materialien
einer radikalen Historisierung;205
5.1.4;1.4. Rezeptionsschichtungen;215
5.1.4.1;1.4.1. Ein Leitfaden für das radikal historische Vorgehen;215
5.1.4.2;1.4.2. Wie ist nun vorzugehen?;224
5.1.5;1.5. Strukturalismen - Wissenschaftsethnologie
nach Claude Lévi-Strauss;234
5.2;2. Historische Bestimmtheit - eine Zusammenfassung;242
6;Namenregister;264
7;Sachregister;266
mehr
Leseprobe
9Vorwort

Warum eigentlich betrachtet sich die Biologie, die durch die Evolutionslehre fundiert ist, als eine ahistorische Wissenschaft? Baut sie ihren Erkenntnisansatz auf der Evolutionslehre auf, ist sie von ihrer ganzen Konzeption her historisch angelegt. Wenn derart die von ihr betrachteten Strukturen als Resultat eines Prozesses begriffen werden, sie also nicht einfach als vorgegebene Größen zu beschreiben sind, dann stehen sie keineswegs in einem Raum absoluter Bestimmtheit. So lehrt uns denn auch heute die Physik, dass unsere Welt mit ihren Gesetzmäßigkeiten nur eine der möglichen Ordnungen der Materie darstellt. Die Naturwissenschaft mit ihrem Kalkül, den mathematischen Beschreibungen ihrer Aussagenzusammenhänge, operiert demnach in einer relativen Bestimmtheit, einer relativen Zeit - ohne den Halt absoluter Gewissheit. Einstein zeigt in seiner speziellen Relativitätstheorie, dass wir in unseren Beobachtungen immer nur auf uns selbst bezogen bleiben und dass das andere nach den uns zugänglichen Maßstäben zu bemessen und so an uns (beziehungsweise wir in ihm wieder an uns zurück) verwiesen ist. Dennoch werden mit diesem Ansatz eine in sich stimmige Beschreibung und damit eine Weltsicht möglich. Wieso verzweifelt dann aber eine Geisteswissenschaft, wenn ihr nichts bleibt als ein Relativismus, der ihr das Wahre, Schöne und Gute nicht mehr in den reinen Formen absoluter Gewissheit, sondern im Stil ihrer jeweiligen Kultur offeriert? Diese Relativierung führt nicht an den Abgrund, sie gibt vielmehr eine erste Sicherheit; sie lehrt, sich zu bescheiden, und erlaubt so, auch außerhalb des Absoluten Halt und Geltung zu finden.

Der vorliegende Text versucht darzulegen, was zu machen ist, um den Selbstzweifel an einer nur relativen Bestimmung abzulegen. Nur so sind die falschen Sicherheiten einer Weltsicht zu erkennen, die den Halt des bloß Relativen verwirft, ohne den universellen Maßstab zu besitzen, mit dem aus solch kleinteiliger Bestimmtheit herauszufinden wäre. Er zeigt auf, dass auch die in sich rückverwiesene Selbstbestimmung Halt bietet. Sie kann dies, indem sie in ihre Geschichte sieht. Nehmen wir die für uns zu überblickende Geschichte und damit auch die Geschichtlichkeit der eigenen Position 10ernst, finden wir aus den Unsicherheiten und Fehlbestimmungen eines inkonsequenten Relativismus heraus. Wir kennen die Positionen eines universellen Kulturalismus. Wir erfahren Naturalismen, in denen das Hirn den Geist, die Evolution den Sinn und das Schöne und vielleicht die Physik die Erlösung oder eben auch die Verdammnis unserer Kultur bestimmen sollen. Wir handeln nach und orientieren uns an diesen objektivierbar erscheinenden Konzepten, bleiben so aber in den alten Phantasien der vorobjektivierten Zeit stecken und sehen aus der Geschichte in das Grundlose einer uns nicht mehr verfügbaren Natur. In dieser suchen wir dann all das zu finden, was uns ansonsten verloren ginge. Die alten Fragestellungen und Heilsperspektiven hüllen wir derart allerdings nur in neue Kleider und kleiden uns so in unserer Gedankenführung damit eben nur oberflächig um, anstatt etwas Neues zu wagen. Gehen wir diesen Weg, bleiben wir auf den bekannten Lösungspfaden und gelangen auch nicht an neue Horizonte. Wie aber gewinnen wir neue Perspektiven, wie charakterisieren wir das dort in den Blick zu nehmende Fremde?

Zunächst sehen wir uns in einer Geschichte, die nichts als Verlauf ist, die als Geschichte nirgendwo hinführt, uns kein Ziel, keine Heilsperspektive ausweist. Wenn aber das, was wir tun, das, was sich um uns ereignet, nicht zu Höherem und Besserem führt, woran können wir uns dann noch festhalten, aus welcher Haltung können wir dann noch auf unser eigenes Leben zurück- oder vielleicht sogar in eine uns bestimmende Zukunft blicken? Bloß geschichtlich verortet, in einem Erinnerungsraum, der nur der Vorhof des möglichen Vergessens ist, findet sich keine Bestimmtheit, sondern nur Relativierung, kein Maßstab, sondern nur die Erfahrung des Momentanen. Dieses bloß Geschichtliche ist unsere Realität. Und an dieser Realität können wir festhalten. Wir müssen es auch - schon deswegen, weil wir gar keine andere haben. In der Bescheidung auf das Gegebene, im Eingehen auf das, was uns verfügbar ist, ist ein Grund gelegt, weiter ausgreifen zu können. Hier wird ein Raum durchmessen, in dem wir uns positionieren können. Hier findet sich der Ansatz, dem Problem der universellen Relativierung unserer Wertvorstellungen zu begegnen und mit ihm umzugehen. Solch ein Umgang ist möglich, wenn unsere Perspektive sich konsequent relativiert, um so ihre Bezugsgrößen kenntlich zu machen. Dies geschieht in der radikalen Historisierung unserer Position. Dabei 11akzeptieren wir, dass wir unsere Wertvorstellungen und Geltungsbestimmungen nur für eine bestimmte Zeit zu sichern vermögen. Dieser Eingrenzung unserer Sicherheiten können wir standhalten. Allerdings müssen wir dazu die Relativierung aushalten, der zufolge wir eben nicht mehr für alle Ewigkeiten tauglich sind. Hierzu müssen wir uns bescheiden und dann neu entdecken, wo in einer nur relativen Kennung Wege, Perspektiven und Horizonte zu finden sind. Im Auge des Sturms ist es ruhiger als in dessen Peripherie, und so ist es möglich, gerade dort das ein oder andere, wenn auch nur für einen Moment, dann aber mit nachhaltiger Konsequenz, in den Blick zu nehmen. Das vorliegende Buch ist solch ein Versuch. Es offeriert einen Text mit Stolpersteinen. Schließlich ist auf der einen Seite ein theoretischer Entwurf herauszuarbeiten, auf der anderen Seite aber sind die Geschichten zu erzählen, in denen sich dieser Entwurf realisieren lässt. Dabei ist zu fragen, ob in einer konsequent relativierenden Position überhaupt noch Geschichten zu erzählen sind, die etwas anderes als uns selbst reflektieren. Es ist zu fragen, ob in der Darstellung der Geschichte Positionen zu markieren sind, in denen das andere zu verstehen ist, und das ist dabei auch das, was vormals gesagt, gedacht und getan wurde. Nun ist Leopold von Rankes Idee, darzustellen, wie es eigentlich gewesen ist, alles andere als der Mainstream der heutigen geschichtlichen Forschung. Im Gegenteil, es scheint doch klar, dass das, was wir jetzt betrachten, immer nur durch unsere Brille gesehen wird. Diese Brille können wir nicht abnehmen, wir können aber ihre Abbildungswerte bestimmen - und so gibt es einen Weg heraus aus dem Engpass der Selbstbeschau. Es geht also darum, uns in der Geschichte zu verorten und die Ordnungen, in denen wir unser Wissen um unsere Kultur und unsere Positionen setzen, in ihrer historischen Bedingtheit zu erkennen. Es hilft uns nicht, in die Natur zu flüchten, die uns immer nur im Maßstab und nach den Vorgaben unserer Kultur verfügbar ist. Nur dann, wenn wir unsere Position konsequent relativieren, finden wir den Bezugsgrund, über den wir uns unsere Positionen zu sichern vermögen, um dann auch über den Rand des uns Offerierten hinausschauen zu können.

Der vorliegende Band sucht diese Idee eingehender darzulegen. Er beginnt mit einer Exposition, die uns zeigt, wie sehr unser Bild von Geschichte in den letzten 200 Jahren verändert wurde. Der Bruch einer Weltsicht, die 1859 mit Charles Darwins Konzept einer 12Evolutionslehre in eine neue Offenheit geführt und zeitgleich mit der ersten Messung von Sternabständen und der Entdeckung der Sternenalter, sowohl im Raum wie auch in der Zeit, in neue Dimensionen gesetzt wurde, ist uns bis heute noch nicht ganz bewusst geworden. Was bedeutet es für unsere Historie, wenn die Sonnen in einer Galaxis Tausende von Lichtjahren voneinander entfernt sind und wenn nunmehr das Alter der Erde in Milliarden Jahren zu messen ist? Die Menschheitsgeschichte und der Ort, an dem sie sich findet, werden in dieser Sicht zu einer Marginalie. Wenn dann noch klar ist, dass unser Sonnensystem selbst nicht ins Unendliche fortdauert, sondern seine Entwicklung enden wird, und wenn weiter eingesehen wird, dass wir nur in unserer Phantasie aus diesem System hinaus in andere Sternenreiche zu reisen vermögen, so stehen wir mit unserer Geschichte faktisch vor einem Ende. Wir haben die ins Absolute führende Zukunft verloren und behalten nur das uns nahe Morgen. Wir sind somit eingeschworen auf den Moment unseres Existierens und finden uns damit da, wo sich schon im Mittelalter ein Nikolaus von Cusa als der ganz Kleine zu verorten vermochte.?[1] Nur haben wir nicht mehr das Absolute, auf das hin er sich selbst auch noch in seiner Kleinheit zu bemessen vermochte. Unsere Natur führt sich selbst an ihr Ende, sie wird verpuffen und alles das, was wir in ihr denken, mit sich nehmen. Das bedeutet, all die Phantasien eines Isaac Asimov, unsere Zivili13sation ins Unendliche wachsen zu lassen und so den Sinn unserer Existenz auch in der Säkularisierung einer rein naturwissenschaftlich getragenen Weltsicht in die Zukunft zu setzen,?[2] zeigen sich an ihrer natürlichen Grenze. Es gibt für unsere Geschichte nicht dieses Übermorgen, aus dem heraus auf eine für den Einzelnen an sich verlorene Geschichte zurückzublicken ist. Die Menschheit steht nicht über der Natur, sie steht in ihr und ist mit ihr in deren Geschichte gesetzt. Dies ist zu verdauen, aber dies zeigt zugleich, dass wir in der Naturgeschichte zwar in anderen Dimensionen denken als in der Humangeschichte, dass sich aber strukturell das Geschehen in der Natur und das Geschehen der Historie im Endeffekt nicht unterscheiden. In beiden finden wir in sich unbestimmte, nur von den jeweiligen Bedingungen des Gegenwärtigen für Weiteres bestimmte Prozesse, beide laufen frei, beide haben nur den Moment sicher, und beide laufen an ein Ende.
...
mehr

Autor

Olaf Breidbach (1957-2014) war Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik und Leiter des Bereichs Theoretische Biologie.