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Wolfgang Pehnt. Die Regel und die Ausnahme

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Hatje Cantz Verlag GmbHerschienen am26.09.20111. Auflage
Das Bauen steckt voller Regeln, ohne die diese anspruchsvolle Spielart menschlichen Handelns nicht funktionieren würde. Doch es gibt auch Gepflogenheiten, die kritisches Nachfragen erfordern: Warum gehen wir nach wie vor verschwenderisch mit unseren Ressourcen um, obwohl wir es besser wissen? Warum treiben wir mit willkürlichen, neuen Rekonstruktionen Nostalgie statt zu retten, was an denkmalwerter Substanz noch tatsächlich vorhanden ist? Die Essays von Wolfgang Pehnt (*1931 in Kassel) nehmen Architektur von den verschiedensten Blickpunkten aus ins Visier, widmen sich thematischen Zusammenhängen, gegenwärtigen Aufgaben und historischen Phänomenen, aus denen oftmals Lehren für heute zu ziehen wären. Aus einzelnen Aspekten ergibt sich in diesem Buch ein Bild des vergangenen und gegenwärtigen Bauens, wie es sich im Kopf dieses Autors darstellt - und eine Architekturgeschichte in aufschlussreichen Episoden.   Ausstellung: Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/Main 10.-25.9.2011   Sprache: Deutschmehr
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Produkt

KlappentextDas Bauen steckt voller Regeln, ohne die diese anspruchsvolle Spielart menschlichen Handelns nicht funktionieren würde. Doch es gibt auch Gepflogenheiten, die kritisches Nachfragen erfordern: Warum gehen wir nach wie vor verschwenderisch mit unseren Ressourcen um, obwohl wir es besser wissen? Warum treiben wir mit willkürlichen, neuen Rekonstruktionen Nostalgie statt zu retten, was an denkmalwerter Substanz noch tatsächlich vorhanden ist? Die Essays von Wolfgang Pehnt (*1931 in Kassel) nehmen Architektur von den verschiedensten Blickpunkten aus ins Visier, widmen sich thematischen Zusammenhängen, gegenwärtigen Aufgaben und historischen Phänomenen, aus denen oftmals Lehren für heute zu ziehen wären. Aus einzelnen Aspekten ergibt sich in diesem Buch ein Bild des vergangenen und gegenwärtigen Bauens, wie es sich im Kopf dieses Autors darstellt - und eine Architekturgeschichte in aufschlussreichen Episoden.   Ausstellung: Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt/Main 10.-25.9.2011   Sprache: Deutsch
Details
Weitere ISBN/GTIN9783775731416
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum26.09.2011
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse26277 Kbytes
Artikel-Nr.1035424
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
UmschlagTitelInhaltVorwortDrinnen und DraußenTragen und GetragenwerdenSchinkels Kuppel und Libeskinds BlitzWarenmesse, Fortschrittsmotor, IdeenforumReformwille zur MachtTurm und HöhleVon der Zukunftskathedrale zum Iconic BuildingDas Werden der neuen ZeitImmer geradeausBlutwarmes Leben, einfachste KörperformModellwechselNach Mass-Gabe des ArchitektenDer Mensch braucht eine andere StadtEinfach sein ist schwierigRom hat mehr als sieben HügelSehnsucht nach GeschichteEin Ende der Wundpflege?MöglichkeitsorteSein wie andere auchDas Rauschen des Blutes und das Betriebsgeräusch des PcAnhangmehr
Leseprobe


DRINNEN UND DRAUSSEN
SPLITTER UND SPÄNE ZUR GESCHICHTE DER TÜR


EINGANG ZUM MEGALITHGRAB, BRETAGNE, JUNGSTEINZEIT


»An open door says, Come in.

A shut door says, Who are you? «

- Carl Sandburg, Doors

In der Geschichte der Erfindungen nimmt die Erfindung der Tür einen Rang ein, der nicht geringer ist als die Erfindung der Werkzeuge, des Weges, der Brücke, des Rades oder des Feuers. Beweglich wie ein Möbel und ortsfest wie ein Stück Architektur, gibt die Tür dem Menschen die Verfügung über jenen Teil des Raumes, den er sich aus dem unbegrenzten Kontinuum des allgemeinen Raumes abgetrennt hat. Die Tür macht diese Ausgrenzung, die das Gehäuse des Menschen bildet, nicht rückgängig, aber nutzbar. Geöffnet stellt sie den Zusammenhang zwischen Innen und Außen her, den Mauer und Dach zerschnitten haben. Geschlossen sichert sie dem Menschen seinen eindeutig definierten Bereich, hilft ihm, sich vor Wind, Nässe, Nebel, Kälte, Sonne und Hitze zu schützen, vor Lärm und Stille, vor eindringenden Tieren, Insekten, Ungeziefer, vor Feinden und zudringlichen Freunden, vor Neugier, Belästigung, unerwünschter Anteilnahme.

Anders als die naturgegebene Öffnung der Höhle gewährt die vom Menschen hergestellte Tür des Hauses dem Bewohner die Freiheit, über den Zustand seiner nächsten Umwelt selbst zu entscheiden. Georg Simmel hat die Tür geradezu zum Werkzeug und zum Symbol menschlicher Autonomie erklärt: »Gerade weil sie auch geöffnet werden kann, gibt ihre Geschlossenheit das Gefühl eines stärkeren Abgeschlossenseins gegen alles Jenseits dieses Raumes, als die bloße ungegliederte Wand. Diese ist stumm, aber die Tür spricht. Es ist dem Menschen im Tiefsten wesentlich, dass er sich selbst eine Begrenzung setze, aber mit Freiheit, d. h. so, dass er diese Begrenzung auch wieder aufheben, sich außerhalb ihrer selbst stellen kann.«[1]

DIE GESCHICHTE IN DEN WÖRTERN

Wo Bauten und ihre Elemente nicht überliefert sind, sind es die Wörter. Vor allem die lateinischen Ableitungen des indogermanischen Wortstamms »dhur« zeichnen die Dialektik zwischen dem Draußen und dem Drinnen nach. Mit »fores« bezeichneten die Römer die Tür. Aber »foris« hieß das, was vor der Tür, also draußen sich ereignete. »Forum«, der Vorhof, wurde zum Inbegriff des öffentlichen Raums. Wenn Cicero von der »dignitas domi et fori« sprach, meinte er die Würde des Staats, zu Hause wie in der Ferne. Ein Bestandteil des abschließbaren Intimraums, die Tür, gab dem Gegenteil, der Öffentlichkeit, den Namen!


FEDERICO ZUCCARI, MASKENPORTAL AM EHEMALIGEN GARTEN DES PALAZZO ZUCCARI, ROM,
ENDE 16. JAHRHUNDERT


Dass in diesem dialektischen Zusammenhang die Wortbildung von einem Plural oder eigentlich Dual ausging, von »fores«, verweist zugleich darauf, dass die Tür, vor der die Öffentlichkeit stattfand, als groß und repräsentativ, nämlich als zweiflügelig, gedacht war. Auch das deutsche Wort Tür, von althochdeutsch »turi«, ist ein zum Singular gewordener Plural. In anderen indogermanischen Sprachen gibt es parallele Beispiele. Andererseits steht im Altindischen die Ableitung »durona« als Synonym für Heimat und Zuhause. So spiegelt sich die Doppeldeutigkeit der Tür, des sich öffnenden und verschließenden Elementes, in ihrer Wortgeschichte.[2]

Tür und Tor bedeuteten immer weit mehr als nur sie selbst. Als hervorgehobenes Glied des Bauwerkes standen sie für das Ganze, dessen Teil sie waren. Denn wer sich den Zugang gesichert hatte, besaß die Sache selbst. Das Wort Tür kann deshalb als Pars pro Toto das gesamte Haus meinen. »Er ging von Tür zur Tür« will sagen: »von Haus zu Haus«, und wer »Tür an Tür« mit dem Nachbarn wohnt, dessen Haus steht unmittelbar neben dem seines Nächsten. So wie die Tür das Haus bezeichnet, bezeichnet das Tor die Stadt. Als die Städte sich Feinden wie Freunden noch als abgegrenzte Gebilde mit Mauern und Toren darstellten, genügte es, das Tor zu zitieren, um die Stadt zu beschwören. Auf Münzen, Siegeln und Wappen figurieren Tore als Stellvertreter der gesamten Communitas. Entsprechender Rang kam ihnen in der gebauten Wirklichkeit bei Abmessung und Ausschmückung zu. Im Falle des Osmanischen Reiches stand ein Portal, die »Hohe Pforte«, sogar für den gesamten Staatsverband.

Der Sprachgebrauch lehrt eine weitere Einsicht. Die Tür ist im psychischen Haushalt des Menschen hoch besetzt. Das geheimnisvolle Pförtchen öffnet den Zugang ins Märchen, die enge Pforte den Weg ins Himmelreich, das dunkle Tor den Zutritt in die Unterwelt. Eine dieser Urideen ist die Vorstellung vom Haus als Körper und der Türen und Fenster als Körperöffnungen. Grimms Wörterbuch führt eine Vielzahl einschlägiger Belege an, in denen von »des Ohrs gewölbter Pforte«, den Augen als den »Pforten der Sonne« oder »der Schamen Tür« (Vulva) die Rede ist. Besonders häufig scheint der Vergleich der Tür mit dem Mund.[3]

In christlichen Weltgerichtsdarstellungen verschlingt der Höllenrachen als »porta inferi« die verdammten Seelen. Im Zaubergarten des Vicino Orsini in Bomarzo kann man Riesenhäupter durch ihre aufgesperrten Mäuler begehen. In einem anderen Hauptwerk des italienischen Manierismus, dem Palast des Federico Zuccari in Rom, in der Via Gregoriana, betraten die Gäste den Garten durch einen »portone«, den weit aufgerissenen Mund eines grimassierenden Gigantenhauptes. Solche Gesichtshäuser gab es auch im revidierten Manierismus der jüngsten Vergangenheit, in der Postmoderne. »Sprechende« Motive haben eine Neigung, sich im Türbereich anzusiedeln. Bei Catull ergreift Ianua, die Haustür, selbst das Wort und bei Carl Sandburg auch.[4]

RITES DE PASSAGE

Der Augenblick, in dem man eine Türschwelle überschreitet, ist immer als ein Moment von entscheidender Wichtigkeit empfunden worden. »Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt - es ist niemals gutzumachen«, heißt es bei Franz Kafka. In seiner Parabel vom Türhüter wird die Dialektik von offener und geschlossener Tür auf die Spitze getrieben. Dem »Mann vom Lande« ist der Eingang verwehrt. Aber dieser Eingang war nur für ihn bestimmt![5] Der Bedeutung des Ein- und Ausgehens huldigten die Römer, indem sie eine eigene Schwellengottheit verehrten, Limentinus, und die Schwelle der Vesta, der Göttin des häuslichen Herdes und Herdfeuers, weihten. Das Haus des Totenfürsten dachten sie sich mit ehernen Schwellen ausgestattet, die das Unwiderrufliche des Übertritts symbolisierten. Als Grenze zwischen Drinnen und Draußen, als Trennung und Öffnung war die Schwelle in allen Kulturen mit Zauber, Opferzwängen und Ritualen belegt.[6]

Noch mehr als ihr Teilstück, die Schwelle, erforderte die Tür als Ganzes die Klugheit und Vorsorge dessen, der sie passierte. Tür und Tor sind aufrecht stehende, unübersehbare, den Eintretenden wie Abschied Nehmenden vollständig umfassende Rahmen, die den Übertritt aus dem einen in den anderen Bereich markieren. Eine Schwelle kann man versehentlich übertreten, die Türöffnung dagegen nicht unwissentlich durchschreiten. Türen waren der Sitz der Manen, der Seelen und Geister. Hier hatte man Opfergaben niederzulegen, anzunageln oder zu vergraben. In manchen Kulturen durften Tote nicht durch die Haupttür getragen werden, wenn man nicht ihre Wiederkehr als Geister riskieren wollte. Man hatte sie durch eine kleine Seitentür zu tragen, die in Italien »porta dei morti« hieß, oder sie durch ein Fenster oder eine eigens zu durchbrechende Maueröffnung zu heben. Bei Hochzeit und Geburt, Heimkehr von Reisen und Viehaustrieb, gegen Krankheit, Seuchen und Diebstahl gab es jeweils eigene Riten.

Zu diesem Kompendium des Heil- und Schadenszaubers haben sämtliche Länder und Zeiten beigetragen. Es ist eine dunkle Geschichte aus Tier- und Ernteopfern, aus Formelkenntnis und Gestenzwang, aus Geisterangst und Hexenfurcht. Die Anfangsbuchstaben der Heiligen Drei Könige, die in katholischen Gegenden noch heute, wenn auch überwiegend aus folkloristischer Nostalgie, am Dreikönigstag mit Kreide über die Haustür geschrieben werden, sind ein spätes Relikt eines von vielen Völkern einstmals praktizierten Abwehrzaubers. Die Buchstabenfolge »C+M+B« kürzt zugleich die Formel »christus mansionem benedicat« ab.

EIN ÖFFENTLICHER ORT

Da die Tür mit ihrer Außenseite an der Öffentlichkeit von Straße und Markt teilnimmt, war sie zugleich Ort juristischer Handlungen. Die Rechtsgeschichte kennt den Begriff des Türgerichts. Eigentumsübertragung und Besitzergreifung eines Hauses erfolgten durch Berührung der Tür oder durch Abspaltung eines Spans von den Türhölzern. In anderen Fällen war die Beschädigung der Haustür ein Beweis für vollzogenen Hausfriedensbruch. In manchen Kulturkreisen fanden Gottesurteile an oder vor der Tür statt, wurden Eide abgelegt, während die Hand des Schwörenden auf der Tür lag. Vor allem die Kirchentür war mit öffentlichen Handlungen und Rechtsgeschäften verbunden. Sie verhieß Asyl, war aber auch der Ort, an dem die geistlichen Hochgerichte tagten, an dem kirchliche und weltliche Territorialherren Recht sprachen, an dem Buße verrichtet und Sühne getan wurde. Den Gerichtsportalen entsprachen die Brauttüren vieler Kirchen, an denen mit Jawort und...
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