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On se left you see se Siegessäule

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am12.03.2012
Do you speak Tourist? Lachtränen-komisch und unverzichtbar für jeden Reisekoffer
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf einem Ausflugsschiff an und stürzt sich in den Dschungel der Berliner Tourismusbranche. Er kämpft mit Bayern, die nicht Deutsch sprechen, trotzt Sturm und Hagel sowie erbosten Senioren und macht aus gelangweilten fränkischen Schülern eine fanatisierte Masse begeisterter Berlinfreunde. Bald bringt ihn nichts mehr aus dem Konzept, und er findet sogar Antworten auf die wichtigsten Fragen jedes Berlintouristen: Warum hat Hitler die Mauer gebaut? War Berlin wirklich die Hauptstadt Russlands? Wieso wurde eine Brücke nach Martin Semmelrogge benannt? Und wann war eigentlich Horst Tappert Bundespräsident?

Tilman Birr begann seine Bühnenkarriere als Lesebühnenleser und Poetry Slammer. 2002 gründete er die 'Lesebühne Ihres Vertrauens' in Frankfurt am Main. Seit 2008 ist er als Kabarettist und Musiker im deutschsprachigen Raum unterwegs. Für seine Bühnenprogramme wurde Tilman Birr mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter dem Förderpreis des Deutschen Kabarettpreises 2013. Sein Debüt als Autor legte er mit 'On se left you see se Siegessäule' vor. Er lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDo you speak Tourist? Lachtränen-komisch und unverzichtbar für jeden Reisekoffer
Tilman Birr ist jung, und er braucht das Geld. Kurz entschlossen heuert er als Stadtführer - in Berlin »Stadtbilderklärer« genannt - auf einem Ausflugsschiff an und stürzt sich in den Dschungel der Berliner Tourismusbranche. Er kämpft mit Bayern, die nicht Deutsch sprechen, trotzt Sturm und Hagel sowie erbosten Senioren und macht aus gelangweilten fränkischen Schülern eine fanatisierte Masse begeisterter Berlinfreunde. Bald bringt ihn nichts mehr aus dem Konzept, und er findet sogar Antworten auf die wichtigsten Fragen jedes Berlintouristen: Warum hat Hitler die Mauer gebaut? War Berlin wirklich die Hauptstadt Russlands? Wieso wurde eine Brücke nach Martin Semmelrogge benannt? Und wann war eigentlich Horst Tappert Bundespräsident?

Tilman Birr begann seine Bühnenkarriere als Lesebühnenleser und Poetry Slammer. 2002 gründete er die 'Lesebühne Ihres Vertrauens' in Frankfurt am Main. Seit 2008 ist er als Kabarettist und Musiker im deutschsprachigen Raum unterwegs. Für seine Bühnenprogramme wurde Tilman Birr mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter dem Förderpreis des Deutschen Kabarettpreises 2013. Sein Debüt als Autor legte er mit 'On se left you see se Siegessäule' vor. Er lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641073398
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum12.03.2012
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse501 Kbytes
Artikel-Nr.1080174
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Wo war ich jetzt?

Das Skript bestand aus zwanzig Seiten Fließtext. Seit meiner Führerscheinprüfung hatte ich nichts mehr auswendig lernen müssen. Außerdem hatte sich meine Konzentrationsfähigkeit seit der Einführung von Youtube, Wikipedia und StudiVZ auf den Stand eines Fünfzehnjährigen zurückentwickelt.

Es begann mit einer allgemeinen Einführung. Erste Erwähnung Cöllns 1237, Berlins 1244. Vereinigung zur Doppelstadt, Aufstieg unter den Hohenzollern.

»Die Stadt Berlin bestand im 19. Jahrhundert praktisch nur aus dem Bezirk Mitte. Erst die Reichsgründung von 1871 gab Berlin einen städtebaulichen Impuls, der sich auch an den Straßennamen ablesen lässt. Die preußische Annexion Elsass-Lothringens nach dem Krieg von 1870/71 reflektiert sich in der Namensgebung der Straßen im südlichen Prenzlauer Berg: Colmarer Straße, Straßburger Straße, Metzer Straße, Hagenauer Straße und so weiter. Deshalb nennt man dieses Viertel Elsässer Viertel.«

Elsässer Viertel, nie gehört. Es sagt ja auch niemand »Weniger-bekannte-Flüsse-Viertel« zu der Gegend in Friedrichshain, in der Weichsel-, Kinzig-, Fulda- und Finowstraße liegen. Im holländischen Zoetermeer gibt es ein Apfelviertel. Golden Delicioushof, Cox Orangehof, Jonagoldhof. Wer denkt sich so was aus? In Hamburg gibt es eine Käfersiedlung, und es würde mich nicht überraschen, wenn es irgendwo ein Hundeviertel gäbe. Terriersteig, Collieweg, Golden-Retriever-Straße. Nur eine Schäferhundstraße gibt es dort wahrscheinlich nicht, weil das zu sehr nach Nazi riecht. Klingt aber schon geil: Ich wohne in der Schäferhundstraße, Ecke Kruppstahlallee. Blutstraße, Ecke Bodenstraße. Da könnte man ein ganzes Naziviertel bauen. Blondschopfstraße, Ecke Blauaugenweg. Endsiegallee, Ecke Tausendjähriges-Reich-Straße. Wir-haben-dem-Führer-ewige-Treue-geschworen-Boulevard, Ecke Anschlussstraße. Dann muss es da aber auch irgendwo eine Guido-Knopp-Straße geben. Vielleicht als Ringstraße um das ganze Viertel herum.

Apropos Ringstraße: Wenn ich irgendwann in die Position kommen sollte, eigenmächtig die Benennung von Straßen bestimmen zu können, dann würde ich mir eine Ringstraße suchen und sie abschnittsweise nach Mitgliedern der Familie Herder benennen: nach dem Botaniker Ferdinand Gottfried von Herder, dem Geologen Sigismund August Wolfgang von Herder, dem Verleger Bartholomä Herder und natürlich dem Dichter Johann Gottfried Herder. Über die Grenzen der Region hinaus würde diese Straßenfolge als »Herderringe« bekannt werden, und meine Stadt würde zur Pilgerstätte für tausende spätpubertierende Rollenspieler in Lendenschurz und mit Trinkhorn am Gürtel. Kneipen mit pseudokeltischen Schriftarten auf grünen Schildern würden sich dort ansiedeln, die Met ausschenken und in denen man sich mit »Wohlan« begrüßt. Hobbits würden dort Stramme Mäxe vertilgen, Zwerge mit den Ausweisen ihrer großen Brüder Bier kaufen, und kahlrasierte Orks aus Hoyerswerda (Heizungsbauer, abgebrochen) würden sich betrinken und Ärger machen, während die zartfühlenden Elben (Soziale Arbeit an der Fachhochschule) langohrig daneben stünden und melancholisch den Kopf schüttelten wie ein Indianer, der mit ansehen muss, wie auf den Gräbern seiner Ahnen ein Einkaufszentrum gebaut wird.

Wo war ich jetzt? Ach ja, Stadtplanung und 1871. Also weiter im Text. 1920 Erweiterung Berlins auf heutige Grenzen. Krieg, Mauerbau, Mauerfall. Folgt kleine Brückenkunde: Monbijoubrücke ist nagelneu, nach altem Vorbild rekonstruiert. Weidendammer Brücke mit Reichsadler im Geländer (sehr niedrig, bitte sitzen bleiben!). Marschallbrücke war Grenzübergang für den Wasserweg. Moltkebrücke nach Moltke benannt. Was? »Helmuth von Moltke war ein hoher preußischer Militär des 19. Jahrhunderts. Er sollte mit dieser Benennung geehrt werden.«

Ach was. Unglaublich. Das Skript verkaufte die größten Banalitäten als Erkenntnis, verpasste es aber zu sagen, wer Moltke genau war. Mir ist außerdem kein Fall bekannt, in dem jemand mit einer Straßenbenennung geschmäht werden sollte. Ausnahmen sind möglich. Als Willy Brandt 1992 starb, haben sich einige bayerische Dorfbürgermeister einen Spaß daraus gemacht, ihre hässlichsten Straßen, die ursprünglich »Hinterm Klärwerk« oder »An der Jauchegrube« hießen, nach Willy Brandt zu benennen. Ein oberbayerischer Hardliner, der Willy Brandt immer noch für einen Vaterlandsverräter und Ostpreußenverkäufer hielt, hatte es sich sogar erlaubt, eine mittelalterliche Hinrichtungsstätte mit dem Namen Willy Brandts zu versehen. Zwar musste er so den Namen eines zentralen Platzes opfern, doch war ihm das die Schmähung des Kommunistenfreundes offensichtlich wert, zumal er durchsetzen konnte, dass auf dem Platz eine Informationstafel aufgestellt wurde: »Der Galgenplatz lag ursprünglich außerhalb der Stadtmauern und war im Mittelalter der Standort des Galgens und des Schafotts, zur Zeit der Hexenprozesse auch der Scheiterhaufen. Bis ins 19. Jahrhundert wurden hier die Todesurteile an verurteilten Verbrechern, Mördern und Verrätern vollstreckt. 1993 wurde der Platz nach dem früheren Bundeskanzler Willy Brandt benannt.«

Im privaten Kreis soll der Bürgermeister fortan nur noch vom »Platz des Vaterlandsverräters« gesprochen haben. Als ihm diese Bezeichnung bei einer Pressekonferenz herausrutschte, musste er seinen Hut nehmen, verließ daraufhin die CSU und gründete eine lokale Wählergemeinschaft, die bei den folgenden Kommunalwahlen die Mehrheit erreichte und den Bürgermeister wieder ins Amt setzte. Seitdem wartet er darauf, dass Helmut Schmidt stirbt und er die abgelegene Sackgasse »Am faulen Graben« nach ihm benennen kann.

Mist, schon wieder war ich abgedriftet. Wo war ich jetzt? Tiergarten. Siegessäule. Schloss Bellevue. Regierungsviertel. »1994 beschloss der Bundestag den Umzug der Regierung in die Bundeshauptstadt Berlin. Bonn behielt einige Ministerien und war fortan Bundesstadt.«

Oje, die armen Bonner! »Bundesstadt« klingt wie Trostpreis (»Für Sie das Spiel zur Sendung«), und wer einmal am Bonner Hauptbahnhof war, weiß, dass es dort auch genauso aussieht. Warum geben sich eigentlich so viele Städte selbst Titel, die weniger Auszeichnungen als Armutszeugnisse sind? Fachhochschulstadt Aschaffenburg. Barockstadt Fulda. Expo- und Messestadt Hannover. Bünde/Westfalen - die Zigarrenstadt. Hofheim - Obstgarten des Vordertaunus. Hartberg - Zentrum der nördlichen Oststeiermark. Goetheort Stützerbach. Hier soll der Dichterfürst sogar mal besoffen gewesen sein. Hannover und Fulda haben ein so starkes Bedürfnis nach Anerkennung, dass sie ihre Titel am Bahnhof durchsagen lassen. In Donauwörth hängen am Bahnhof unter dem Ortsnamensschild gleich zwei Titelschilder: »Stadt der Käthe-Kruse-Puppen« und »Hubschrauberstadt Europas«. Göttingen hat sogar ein beknacktes Wortspiel am Bahnhof hängen: »Stadt, die Wissen schafft«. Igitt!

Diese unverhohlene Anbiederei muss einem doch verdächtig vorkommen. Als ähnlich peinlich empfand ich immer die Provinzler, die sich bewusst sind, dass sie in einem unbedeutenden Kaff wohnen, und deshalb die Besonderheiten ihrer Heimat hervorheben wollen. Dinkelsbühl hat die zweitgrößte Hallenkirche Süddeutschlands. Riesa hat den zweitgrößten Binnenhafen Ostdeutschlands. Kremmen hat das größte zusammenhängende Scheunenviertel Deutschlands. Montabaur hat einen ICE-Bahnhof bekommen und ist damit »ein Stückchen näher an Europa gerückt«. Reinheim liegt sehr zentral im Odenwald, mitten im Dreieck Frankfurt-Darmstadt-Aschaffenburg. Von Neustadt an der Dosse kann man den Regionalexpress nehmen und steht »in siebzig Minuten vor dem Kanzleramt«.

Im Prinzip gehört auch Berlin zu dieser Art Städte. Auf jeden Hollywoodvogel, der auch nur zur Durchreise nach Berlin kommt, reagiert die Lokalpresse aufgeregt wie ein Teenie vor dem Schnapsladen. Angelina Jolie und Brad Pitt sind in Schönefeld zwischengelandet. Es wird gemunkelt, sie wollten in Berlin sogar essen gehen. George Clooney war zwei Tage hier und hat drei Sätze in eine Kamera gesprochen. Er sei gern in Berlin, hat er gesagt. Wahnsinn! Arnold Schwarzenegger hat seinen Besuch abgesagt, weil in Kalifornien Waldbrände ausgebrochen sind, schadeschade. Wenn Robbie Williams ein Konzert in Berlin gibt, steht das eine Woche lang jeden Tag in der Zeitung, und sogar ich freue mich aufs Konzert, weil dann die dämliche Vorberichterstattung endlich aufhört. Am Tag nach dem Konzert kommt ein langer Artikel mit großem Foto im Tagesspiegel. Protagonisten sind immer zwei Mädchen: »Minka und Tini haben seit Stunden im Regen ausgeharrt, um ihr Idol zu sehen. >Die Warterei hat sich aber total gelohntEr hat super Lieder gesungen. Mein Lieblingslied war auch dabei.<« Ja bitte, wo sind wir denn? Bei der Theateraufführung einer niedersächsischen Gesamtschule? Sogar eine Imagekampagne hat Berlin gestartet, wie eine westfälische Kleinstadt. Hat man Ähnliches von New York, Tokio oder London gehört?

Wenn ich es mir so überlegte, fand ich die meisten deutschen Städte ziemlich beknackt. Die Landeshauptstädte kann man eigentlich alle vergessen. Beweis: Hannover. Berlin ist eine Agglomeration mentaler Bauerndörfer mit implantierten Künstlervögeln. Köln besteht aus einer einzigen Kriegslücke plus Dom, begrenzt durch eine vulgäre Ausgehmeile, umgeben von eingemeindeten Dörfern. München ist eine Stadt voller pelzmanteltragender Prokuristengattinnen, die sich beim Konditor mit »Frau Direktor« ansprechen lassen, und wo Kultur entweder hochsubventioniert oder verboten wird. Außer Konkurrenz laufen die schönen großen Kleinstädte, die...


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Kritik
"So lustig kann Zeitgeschichte sein."
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Autor

Tilman Birr begann seine Bühnenkarriere als Lesebühnenleser und Poetry Slammer. 2002 gründete er die "Lesebühne Ihres Vertrauens" in Frankfurt am Main. Seit 2008 ist er als Kabarettist und Musiker im deutschsprachigen Raum unterwegs. Für seine Bühnenprogramme wurde Tilman Birr mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter dem Förderpreis des Deutschen Kabarettpreises 2013. Sein Debüt als Autor legte er mit "On se left you see se Siegessäule" vor. Er lebt in Berlin.