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Bellboy oder: Ich schulde Paul einen Sommer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.04.20121. Auflage
»Jess Jochimsen ist ein begnadeter Schilderer von Kindheits-Katastrophen.« Süddeutsche Zeitung Die Freundin weg, das Studium abgebrochen, und um irgendetwas geregelt zu kriegen, ist es einfach zu heiß.  Der 31-jährige Lukas fristet ein trostloses Dasein als Nachhilfelehrer und Kirchendiener im München des Jahres 2003. Mit seiner Vergangenheit auf dem Land hat er gebrochen und die Gegenwart in der Stadt erträgt er nur mit einer gehörigen Portion Zynismus und Promiskuität. Bis sein demenzkranker Cousin Paul auftaucht und alles aus den Fugen gerät. Paul umgibt ein dunkles Geheimnis, doch bis Lukas es lüftet, muss er nicht nur tief in den Niederungen einer grotesken Provinz-Kindheit wühlen, sondern auch noch die unglaublichsten Abenteuer bestehen.  Nebenbei wird ein Ausflugsschiff versenkt, der Kanzler im Urlaub besucht, ein Landstrich verwüstet, ein halbes Provinznest geschwängert und eine ganze Reihe der zehn Gebote gebrochen.   

Jess Jochimsen, 1970 in München geboren, studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie und lebt als Autor und Kabarettist in Freiburg. Seit 1992 tritt er auf allen bekannten deutschsprachigen Bühnen auf. Er ist regelmäßiger Gast in verschiedenen Fernsehsendungen (u.a. im >ScheibenwischerQuatsch Comedy ClubMitternachtsspitzen3 nach 9Kölner TreffNDR TalkshowSWR-PoetennächteDas Dosenmilch-TraumaFlaschendrehenDanebenLebenWas sollen die Leute denkenKrieg ich schulfrei, wenn du stirbst?Liebespaare bitte hier küssenBellboyWas weg is´, is' wegAbschlussball< bei dtv. Seine CDs erscheinen bei WortArt. Preise: Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (Förderpreis), Deutscher Kabarettpreis, Prix Pantheon, Passauer Scharfrichterbeil, zuletzt: Kleinkunstpreis Baden-Würtemberg 2011.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR8,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR7,99

Produkt

Klappentext»Jess Jochimsen ist ein begnadeter Schilderer von Kindheits-Katastrophen.« Süddeutsche Zeitung Die Freundin weg, das Studium abgebrochen, und um irgendetwas geregelt zu kriegen, ist es einfach zu heiß.  Der 31-jährige Lukas fristet ein trostloses Dasein als Nachhilfelehrer und Kirchendiener im München des Jahres 2003. Mit seiner Vergangenheit auf dem Land hat er gebrochen und die Gegenwart in der Stadt erträgt er nur mit einer gehörigen Portion Zynismus und Promiskuität. Bis sein demenzkranker Cousin Paul auftaucht und alles aus den Fugen gerät. Paul umgibt ein dunkles Geheimnis, doch bis Lukas es lüftet, muss er nicht nur tief in den Niederungen einer grotesken Provinz-Kindheit wühlen, sondern auch noch die unglaublichsten Abenteuer bestehen.  Nebenbei wird ein Ausflugsschiff versenkt, der Kanzler im Urlaub besucht, ein Landstrich verwüstet, ein halbes Provinznest geschwängert und eine ganze Reihe der zehn Gebote gebrochen.   

Jess Jochimsen, 1970 in München geboren, studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie und lebt als Autor und Kabarettist in Freiburg. Seit 1992 tritt er auf allen bekannten deutschsprachigen Bühnen auf. Er ist regelmäßiger Gast in verschiedenen Fernsehsendungen (u.a. im >ScheibenwischerQuatsch Comedy ClubMitternachtsspitzen3 nach 9Kölner TreffNDR TalkshowSWR-PoetennächteDas Dosenmilch-TraumaFlaschendrehenDanebenLebenWas sollen die Leute denkenKrieg ich schulfrei, wenn du stirbst?Liebespaare bitte hier küssenBellboyWas weg is´, is' wegAbschlussball< bei dtv. Seine CDs erscheinen bei WortArt. Preise: Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (Förderpreis), Deutscher Kabarettpreis, Prix Pantheon, Passauer Scharfrichterbeil, zuletzt: Kleinkunstpreis Baden-Würtemberg 2011.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423414159
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum01.04.2012
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1108525
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Paul trat in mein Leben wie ein Hautausschlag. Wie eines dieser Ekzeme, die ich als Kind öfter hatte, wenn es besonders heiß war im Sommer. Urplötzlich bekam ich dann Pusteln am linken Oberarm, ich merkte es erst gar nicht, und auf einmal waren sie da, kleine rote Pusteln mit weißen Köpfen, sie breiteten sich aus zu einem handtellergroßen Feld und juckten.

»Eigenschweißallergie«, diagnostizierte Doktor Söhnlein, der Kinderarzt, »nichts Tragisches. Das gibt sich.«

Es gab sich nicht, der Ausschlag begleitete mich den ganzen Sommer lang, hartnäckig und zäh. Ich konnte machen, was ich wollte, waschen, eincremen, Pflaster draufkleben, das Ekzem durch Kratzen in ein blutiges Schlachtfeld verwandeln, nichts half. Der Ausschlag war nicht wegzukriegen, »hier gefällt es mir, hier bleibe ich«, schien er damit sagen zu wollen. Nie breitete er sich aus, er beschränkte sich auf seinen Kreis von rund zehn Zentimetern Durchmesser auf meinem Oberarm. Dabei hätte es durchaus Stellen gegeben, an denen ich mehr schwitzte, vor allem Stellen, die man nicht so sah, Oberarm war ganz blöd, ärmellose Shirts konnte ich vergessen. Obwohl er sie mochte, der Ausschlag wollte gesehen werden. »Guckt her, Leute, bin ich nicht ein schmucker Eiterherd.« Luft tat ihm gut, Luft und in Ruhe gelassen werden. Aber weg ging er nicht. Und allzu lange durfte man ihn auch nicht ignorieren, dann begann er zu nässen und zu jucken, als riefe er: »Du könntest mich ruhig mal wieder beachten. Komm, lass uns was machen.« Ich gewöhnte mich an den Ausschlag, ich war nie allein, gemeinsam gingen wir vormittags zur Schule und nachmittags ins Schwimmbad, wir spielten Fußball, hingen gemeinsam rum, stritten und verliebten uns gemeinsam. Manchmal ließ er mich machen, manchmal war er eifersüchtig. Und irgendwann wurden die Tage kürzer, der Herbst kam, und das Ekzem verschwand. Ohne Tschüs zu sagen, unmerklich. Na ja, nächsten Sommer sehen wir uns ja wieder, dachte ich, und so war es auch. Bis ich wegzog.

In die Stadt hat es der Ausschlag nie geschafft, er war ein Landei und brauchte seine gewohnte Umgebung. Bis zum 8. April 2003, jenem Tag, an dem Paul in mein Leben trat. Oder besser gesagt: wieder in mein Leben trat. Paul ist mein Cousin, mehr als zehn Jahre hatte ich ihn nicht gesehen, er blieb zurück in der Provinz, in der miefigen Enge von Elternhaus und Verwandtenbesuchen, von grauen Reihenhaussiedlungen, einsamen Bushaltestellen und traurigen Stadtfesten. Er blieb zurück in der Welt der Ausfallstraßen, der Sonntagskleidung, der Ohrfeigen, der »Willst du mit mir gehen?«-Zettelchen, er blieb zurück in dem Leben mit Hautausschlag, das ich verlassen hatte.

 

Ich spülte gerade den Weinkelch, als es klingelte. Durchs Küchenfenster sah ich auf der Straße ein Taxi mit laufendem Motor. Ich trocknete mir die Hände ab, und mein Oberarm begann zu jucken. Ein vertrautes Gefühl, mechanisch kratzte ich mich. Im Gehen rieb ich mit dem Abtrockentuch über die Haut und öffnete die Tür.

»Gehört der Irre zu Ihnen?«, fragte ein Mann, der aussah und roch wie ein Taxifahrer. Neben ihm stand die Vergangenheit.

»Paul! Was machst du denn hier?«, rief ich und legte das Tuch weg.

»Sind Sie«, der Taxifahrer kramte nach einem Papierfetzen, »sind Sie Lukas Baumgarten?« Er reichte mir den Zettel.

»Ja.«

»Dann kriege ich sechsundzwanzig Euro.«

Paul griff sich in den Schritt. »Wenn man´s zu oft macht, kriegt man krumme Finger.«

»Was tust du denn da?«

»Krumme Finger kriegt man«, wiederholte er.

»Der ist völlig bekloppt«, sagte der Taxifahrer, »aber hier ist er wohl gut aufgehoben.« Er zeigte auf das Klingelschild, auf dem nicht nur mein Name, sondern auch der der Kirchengemeinde stand. »Kann ich jetzt meine Kohle haben?«

Konsterniert gab ich ihm das Geld.

»Wegsperren sollte man solche«, sagte der Taxler, »wegsperren, und fertig. Servus.« Er ging.

»Paul«, sagte ich, und noch mal, »Paul«. Mehr brachte ich nicht heraus, und mein Oberarm juckte.

»Ich hab sie verloren.« Paul begann zu weinen.

»Wen hast du verloren?« Was, zum Teufel, war hier los? »Komm doch erst mal rein.«

»Man darf sie nicht verlieren.«

»Wen? Paul, Herrgott, was hast du denn?«

»Die Zähne.«

»Was ist damit?«

»Ich hab sie verloren.«

»Jetzt spinn doch nicht rum, Paulemann.«

Mein linker Oberarm brannte wie Feuer. Ich ignorierte ihn und sah Paul an. Mein kleiner Cousin. Achtundzwanzig musste er mittlerweile sein oder neunundzwanzig, ungefähr zwei Jahre jünger als ich. Er stand da, wie er immer dastand: schief. Das linke Bein leicht vorgestellt, die Schultern eingezogen, demütig, als würde er darauf warten, dass ihm jemand sagte, was er tun sollte. Er zog die Nase hoch und schniefte. Einmal Heulsuse, immer Heulsuse. Seine Zähne waren, soweit ich erkennen konnte, alle an ihrem Platz.

»Sind doch noch alle da«, sagte ich.

»Doch nicht die.«

»Ja, welche dann?«

»Die aus Milch.«

»Deine Milchzähne?«

»Die darf man nicht verlieren.«

»Bist du meschugge, Kleiner?«

Paul schrie auf und schluchzte. Aus seinem Schluchzen wurde ein gellendes Heulen. Er warf sich auf den Boden und strampelte mit den Beinen. Seine Fäuste trommelten gegen den Türpfosten. Wie ein Insekt, das auf den Rücken gefallen war, früher hatte er das oft gemacht, wenn er bei Mensch-ärger-dich-nicht verloren hatte oder nicht mitspielen durfte. »Brüllkäfer«, hatten wir ihn dann genannt.

»Hör auf, Paul!«

»Ich will aber nicht!«

Was passierte hier? Mein kleiner Cousin war verrückt, komplett durchgedreht. Wie kam er eigentlich hierher? Was sollte das alles? Und was hatte ich damit zu schaffen? Ich kratzte mich mit den Fingernägeln am Arm.

»Ich hatte sie«, Paul rappelte sich hoch, »die Zähne aus Milch, gestern hatte ich sie noch.«

Ich hielt ihn an den Schultern fest. »Paulemann, ich habe keinen Schimmer, was passiert ist, aber deine Milchzähne hast du schon länger verloren. Jeder verliert sie, das ist normal.«

»Ich hätte sie aber noch gebraucht.« Er griff sich wieder in den Schritt.

»Was packst du dir eigentlich dauernd an deinen Dödel?«

»Wenn man´s zu oft macht, kriegt man krumme Finger.«

»Und das willst du?«

»Will ich nicht.«

»Ja, dann lass das. Wer erzählt dir überhaupt so was?«

»Dietsche sagt das.«

»Dietsche sagt viel.«

»Er sagt auch, dass man die Zähne wieder reinmachen kann.«

»Unsinn. Verarschen wollte er dich.«

»Mama sagt das auch.«

»Tante Erika? Nein, Paul, das hat sie bestimmt nicht gesagt.«

»Hat sie wohl.«

Irgendwas war passiert. Irgendetwas musste sich in den letzten zehn Jahren ereignet haben, von dem ich nichts mitgekriegt hatte. Vielleicht sogar früher. Paul war immer schon seltsam, eine Memme, eine Nervensäge, aber verrückt war er definitiv nicht gewesen. Ich musste Lena anrufen, sie würde Bescheid wissen. Oder besser Dietsche. Genau. Schließlich war er sein Bruder. Am besten sollte er gleich herkommen und Paul mitnehmen. Ich hatte damit nichts zu tun. Familienscheiße.

»Darf ich fernsehen?« Paul schien sich gefangen zu haben.

»Klar. Der Fernseher steht in der Küche. Magst du was trinken?«

»Hm«, Paul fummelte am Fernsehgerät, »kann ich eine Cola?«

»Hab ich nicht. Aber Bier und Wasser sind im Kühlschrank.«

Er beachtete mich gar nicht. Der Fernseher lief mittlerweile, und Paul setzte sich auf einen Stuhl. Nach ein paar Sekunden stand er auf, lief zum Fernseher, schaltete um und setzte sich wieder. Es liefen Nachrichten.

»Mag ich nicht«, sagte er, stand wieder auf und ging zum Fernseher.

»Schon mal von der Erfindung der Fernbedienung gehört?« Paul reagierte nicht. Diesmal blieb er am Gerät stehen und schaltete durch die Programme. Bei einem Zeichentrickfilm blieb er hängen.

»Wo läuft Speedy Gonzalez?«

»Keine Ahnung. Gibt´s das überhaupt noch?«

»Egal.«

Er setzte sich hin. Und starrte auf die Mattscheibe. Lieblos gezeichnete japanische Mädchen spielten Volleyball.

»Die haben gar keine Titten«, sagte er, »aber die eine ist nett.«

Ich halt das nicht aus, dachte ich, das geht über meine Kräfte.

»Bleib mal einen Moment hier, ich bin gleich zurück.«

Ich trat ins Treppenhaus und horchte, ob ich Musik hörte. Keine Musik. Also war Stevie nicht da. Wenn man ihn einmal brauchte ... Trotzdem stieg ich die Stufen hoch, sicher war sicher.

»Stevie, Stefan, bist du da?« Keine Antwort. Der Herr Pfarrer war aushäusig.

Ich atmete durch. Das kriege ich auch allein hin, wenn nur mein Oberarm nicht so jucken würde. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich den Zettel, den mir der Taxifahrer gegeben hatte, immer noch in der linken Hand hielt. Ich zerknüllte ihn und steckte ihn in die Hosentasche. Ein Stockwerk tiefer, fand ich meine Haustür verschlossen. Nicht auch das noch!

»Paul. Kannst du bitte die Tür aufmachen.« Ich klopfte meine Taschen ab, obwohl ich es schon wusste: kein Schlüssel, kein Handy, keine Kippen.

»Paulemann!«

Von drinnen hörte ich das tumbe Zack-Bumm des Zeichentrickfilms. Ich klingelte und trat mit dem Fuß gegen die Tür. »Paul, mach auf!«

Ich könnte sie aufbrechen, dachte ich. Wie im Film, Anlauf nehmen, einmal mit voller Wucht dagegen und dann mit der Tür in die Wohnung segeln. Abrollen, und ehe Paul bemerkt haben würde, was los war, könnte ich ihm eine einschenken. Hier, nimm meine Rechte! Ich könnte aber auch den Schlüsseldienst rufen.

Nur wie, ohne Handy. Wo war eigentlich...

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Kritik
»(...) ein mal komisches, mal melancholisches Buch (...)«Leipziger Volkszeitung 27.10.2005mehr

Autor

Jess Jochimsen, 1970 in München geboren, studierte Germanistik, Politikwissenschaft und Philosophie und lebt als Autor und Kabarettist in Freiburg. Seit 1992 tritt er auf allen bekannten deutschsprachigen Bühnen auf.Er ist regelmäßiger Gast in verschiedenen Fernsehsendungen (u.a. im >ScheibenwischerQuatsch Comedy ClubMitternachtsspitzen3 nach 9Kölner TreffNDR TalkshowSWR-PoetennächteDas Dosenmilch-TraumaFlaschendrehenDanebenLebenWas sollen die Leute denkenKrieg ich schulfrei, wenn du stirbst?Liebespaare bitte hier küssenBellboyWas weg is¿, is' wegAbschlussball