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Die Sandelholzstrafe

von
Yan, MoBetz, KarinÜbersetzung
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
651 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am22.10.20121. Auflage
In seinem großen historischen Epos inszeniert Mo Yan eine farbenprächtige Pekingoper aus der deutschen Kolonialgeschichte seines Heimatlands. Vor der Kulisse einer untergehenden Epoche treten fünf Figuren auf die Bühne der Geschichte und kämpfen für das, was sie bewahren wollen, und für die, die sie lieben. Viel Neues geschieht im China des Jahres 1899: Von überall her drängen fremde Menschen in das zuvor verschlossene Reich. Sie bringen etwa die Eisenbahn, die bei der Provinzstadt Gaomi über die Gräber der Ahnen verlaufen soll. Vieles geht aber auch zu Ende in diesen letzten Tagen des Jahrhunderts: Das Kaiserreich liegt in Agonie, ebenso wie Sun Bing, der Opernsänger und Anführer des Aufstands gegen die Trasse und deren Erbauer. Um seinen Ungehorsam zu ahnden, bündelt die Staatsmacht all ihre Kräfte und verordnet ein letztes Mal die Sandelholzstrafe, die grausamste und zugleich kunstvollste der überkommenen Foltermethoden. Leib und Leben nicht allein des Opfers, sondern auch seiner Tochter, ihres Ehemanns, ja selbst des Henkers und des Richters stehen mit diesem Urteilsspruch auf dem Richtplatz der Geschichte. In einem der bedeutendsten chinesischen Romane der jüngsten Zeit spielt Mo Yan virtuos das Spiel der Masken, Perspektiven und Kontraste. Gewalt und Poesie, Empathie und schwarzer Humor, Derbheit und Feinsinn, die Fülle des westlichen Romans und die Eleganz der chinesischen Oper gehen in seiner bilderreichen und suggestiven Sprache Hand in Hand.


Mo Yan, 1955 in Gaomi geboren, schrieb seit den achtziger Jahren zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher für international bekannte Filme wie Das rote Kornfeld, Judou und Happy Times. Sein Werk wurde mittlerweile in knapp 20 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen aus Ost und West geehrt.
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Produkt

KlappentextIn seinem großen historischen Epos inszeniert Mo Yan eine farbenprächtige Pekingoper aus der deutschen Kolonialgeschichte seines Heimatlands. Vor der Kulisse einer untergehenden Epoche treten fünf Figuren auf die Bühne der Geschichte und kämpfen für das, was sie bewahren wollen, und für die, die sie lieben. Viel Neues geschieht im China des Jahres 1899: Von überall her drängen fremde Menschen in das zuvor verschlossene Reich. Sie bringen etwa die Eisenbahn, die bei der Provinzstadt Gaomi über die Gräber der Ahnen verlaufen soll. Vieles geht aber auch zu Ende in diesen letzten Tagen des Jahrhunderts: Das Kaiserreich liegt in Agonie, ebenso wie Sun Bing, der Opernsänger und Anführer des Aufstands gegen die Trasse und deren Erbauer. Um seinen Ungehorsam zu ahnden, bündelt die Staatsmacht all ihre Kräfte und verordnet ein letztes Mal die Sandelholzstrafe, die grausamste und zugleich kunstvollste der überkommenen Foltermethoden. Leib und Leben nicht allein des Opfers, sondern auch seiner Tochter, ihres Ehemanns, ja selbst des Henkers und des Richters stehen mit diesem Urteilsspruch auf dem Richtplatz der Geschichte. In einem der bedeutendsten chinesischen Romane der jüngsten Zeit spielt Mo Yan virtuos das Spiel der Masken, Perspektiven und Kontraste. Gewalt und Poesie, Empathie und schwarzer Humor, Derbheit und Feinsinn, die Fülle des westlichen Romans und die Eleganz der chinesischen Oper gehen in seiner bilderreichen und suggestiven Sprache Hand in Hand.


Mo Yan, 1955 in Gaomi geboren, schrieb seit den achtziger Jahren zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher für international bekannte Filme wie Das rote Kornfeld, Judou und Happy Times. Sein Werk wurde mittlerweile in knapp 20 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen aus Ost und West geehrt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458740261
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum22.10.2012
Auflage1. Auflage
Seiten651 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1215923
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Kapitel 1:
Meiniangs zügellose Rede




»Glühendrot geht die Sonne auf
(Der Osten verbrennt im Feuersturm)
Deutsche Soldaten stehen an der Jiaozhou-Bucht
(Alle von rotem Haar und grünen Augen),
Auf den Getreidefeldern werden Eisenbahnschienen verlegt,
Die Gräber unserer Ahnen reißen sie auf
(Das kann einen wirklich wütend machen!)
Mein Vater führt die Revolte gegen die Deutschen an,
Inmitten des fortwährenden Kanonendonners.
(Ein ohrenbetäubendes Beben)
Wenn die Feinde aufeinandertreffen, ist alles rot,
Säbel enthaupten, Äxte spalten, Gabeln spießen auf.
Das blutige Gemetzel dauert einen ganzen Tag,
Bis man die überall verstreuten Leichen nicht mehr zählen kann.
(Wie ängstigt das Eure ergebene Dienerin!)
Schließlich wird mein Vater gefangengenommen
Und mein Schwiegervater führt an ihm die Sandelholzstrafe aus.
(O Gott, mein armer Vater!)«

Arie »Die große Trauer«
aus der Katzenoper Die Sandelholzstrafe




1.




An jenem Morgen hätte mein Schwiegervater Zhao Jia nicht im Traum daran gedacht, daß er innerhalb von sieben Tagen durch meine Hand sterben würde?- ein Tod, elender als der eines alten Hundes, der seinem Herrn immer treu diente. Auch mir wäre es nie eingefallen, daß ich, als schwache Frau und selbst voller Entsetzen, mit dem Dolch in der Hand vor meinem eigenen Schwiegervater stehen könnte. Noch weniger hätte ich gedacht, daß mein Schwiegervater, der vor wenigen Monaten aus dem Nichts aufgetaucht war, sich als ein kaltblütiger Henker erweisen würde. Wenn mein Schwiegervater im langen Gewand mit kurzer Beamtenjacke darüber, die Kappe mit der roten Quaste auf dem Kopf und in der Hand die Gebetskette, den Hof auf und ab lief, hätte man ihn für einen Beamten halten können, der seinen Dienst quittiert hatte und in die Heimat zurückgekehrt war, noch eher für einen mit zahlreichen Kindern und Enkelkindern gesegneten freundlichen Großvater. Aber er war weder das eine noch das andere. Er war der Erste Scharfrichter der obersten Kammer des Justizministeriums der Hauptstadt, war das Henkersbeil der großen Qing-Dynastie, Experte im Köpfeabschlagen und in der Anwendung der grausamsten Foltermethoden der Geschichte, die er durch eigene Erfindungen kreativ bereicherte. Seit vierzig Jahren diente er dem Justizministerium, und die Zahl der Köpfe, die er hatte rollen lassen, überstieg nach seinen eigenen Worten die Zahl der Wassermelonen, die im Landkreis Gaomi in einer Saison geerntet werden.

In jener Nacht warf ich mich so ruhelos auf meinem Kang hin und her, als wollte ich Pfannkuchen platt wälzen. Mein Vater Sun Bing war vom Präfekten des Landkreises, Qian Ding, diesem herzlosen Schuft, ins Gefängnis geworfen worden. Was immer er auch verbrochen haben sollte, war er doch mein Vater, und ich konnte vor Verwirrung und Nervosität nicht schlafen. Ich vernahm das Jaulen der zum Schlachten bestimmten Hunde hinter dem Zaun und das ängstliche Quieken der fetten Schweine im Koben. Die Hunde machten das Schweinegrunzen nach und die Schweine imitierten das Hundegebell, gerade so, als probten sie noch kurz vor ihrem Ende ein Theaterstück. Doch ein jaulender Hund ist und bleibt ein Hund, und ein quiekendes Schwein ist und bleibt ein Schwein. Und auch ein ungeliebter Vater ist und bleibt ein Vater! Wau, Wau! Quiek, quiek! Ein mörderischer Lärm, der mir mörderische Unruhe bescherte. Sie wußten, daß ihnen der Tod bevorstand. Auch die Stunde des Todes meines Vaters nahte. Tiere haben einen viel sichereren Instinkt als wir Menschen: Sie hatten längst den Blutgeruch im Hof unseres Hauses gewittert und die im Mondlicht tanzenden Seelen all der toten Hunde und Schweine erblickt, die vor ihnen gestorben waren. Sie wußten, daß sie am nächsten Morgen bei Tagesanbruch ihrem Schlächter begegnen würden. Davon zeugte ihr unablässiges Geschrei.

Und dir, mein Vater, wie geht es dir in deiner Todeszelle? Heulst du? Quiekst du? Oder singst du noch immer die Arien der Katzenoper? Ein paar Knastbrüder haben mir einmal erzählt, daß man in der Todeszelle händevollweise Flöhe fangen könne und daß die Wanzen dort rund und fett werden wie Erbsen. Ach, mein Vater, du hattest dich doch bereits für ein geordnetes Leben entschieden, und nun fällt das Schicksal wie ein schwerer Stein auf dich herab und stößt dich in die Todeszelle. Vater!

Der Dolch blendendweiß, wenn er ihn hineinstößt, und blutrot, wie er ihn herauszieht, das ist mein Ehemann Zhao Xiaojia, der berühmteste Hunde- und Schweineschlächter im Landkreis Gaomi. Groß und stark ist er, der Schädel halb kahl und bartlos das Kinn, am Tage döst er vor sich hin und am Abend redet er ohne Sinn. Seit wir verheiratet waren, erzählte er mir immer wieder die Geschichte vom Tigerbart, die er angeblich von seiner Mutter hatte. Ich weiß nicht, welcher Taugenichts ihm diese Flausen tatsächlich in den Kopf setzte, doch nachts hörte er nicht auf, mir wegen dieses goldfarbenen Tigerbarts in den Ohren zu liegen. Er soll einem die Fähigkeit verleihen, das wahre Wesen eines Menschen zu erkennen. Weil der Idiot nicht locker ließ, mußte ich ihm schließlich den verdammten Tigerbart besorgen. Dieser Armleuchter, wie er sich in der Ecke unseres Kang zusammenrollte und laut schnarchend und mit den Zähnen knirschend im Traum redete: »Vater, Vater, Vater, sieh her, sieh an! Schlag die Eier auf und mach die Nudeln lang.« Nicht auszuhalten! Ich stieß ihn mit den Füßen weg, worauf er sich auf die andere Seite drehte, laut schmatzte, als hätte er gerade etwas Köstliches verspeist und weiterredete, schnarchte und mit den Zähnen knirschte. Aber genug damit, sollte er doch schlafen, der Einfaltspinsel!

Ich drehte mich um und setzte mich auf. Die Wand war eiskalt. Das Mondlicht verbreitete ringsum seinen wäßrigen Glanz. Die Augen der Hunde hinter dem Zaun leuchteten wie jadegrüne Lämpchen, eins, zwei, drei ... ein Funkeln weit und breit. Die letzten Insekten des Herbstes stießen jämmerliche Laute aus. Der Nachtwächter ging mit klappernden Holzschuhen über das blaue Straßenpflaster. Nach dem hohlen Klang des Holzes hörte ich den lauten Schall des Gongs. Es war Mitternacht. Still und dunkel, alles lag in tiefem Schlaf. Nur ich und die Schweine und die Hunde schliefen nicht. Und auch mein Vater fand keinen Schlaf.

Da war das nagende Geräusch der Mäuse unter der hölzernen Truhe. Ich warf einen Besenstiel nach ihnen, und die Mäuse huschten davon. In diesem Moment vernahm ich ein winziges Geräusch aus dem Zimmer meines Schwiegervaters, als ob kleine Kügelchen über einen Tisch rollten. Aber der Alte zählte nicht etwa Erbsen, sondern Köpfe. Für jeden Kopf ließ er eine Erbse rollen. Dieser Dreckskerl, selbst im Traum zählte er seine abgeschlagenen Köpfe. Ich sah es vor mir, wie er sein Henkersbeil über dem Nacken meines Vaters hochreißen und ihm den Kopf abhacken würde, sah den Kopf meines Vaters hüpfend die Straße hinunterrollen. Eine Schar von Kindern rannte ihm hinterher. Um den Tritten der Kinder zu entkommen, sprang der Kopf meines Vaters kreuz und quer durch alle Straßen und landete am Treppenaufgang zu unserem Haus und rollte in unseren Hof. Die Hunde schnappten nach ihm. Doch meines Vaters Kopf war gewieft. Sein langer Zopf verwandelte sich in eine Peitsche, mit der er den Hunden ins Auge schlug, so daß sie erschrocken aufjaulend von ihm abließen. Nachdem er seine Verfolger losgeworden war, kullerte der Kopf meines Vaters durch den Hof wie eine Riesenkaulquappe im Wasser, mit dem Zopf als Schwanz ...

Der Klang des Holzstocks und des Gongs verkündete die vierte Doppelstunde der Nacht und ließ mich aus meinem Alptraum aufschrecken. Ich war schweißgebadet. Nicht nur ein kleines Herz, nein eine ganze Batterie von Herzen hämmerte wie wild in meiner Brust. Mein Schwiegervater nebenan zählte immer noch seine Erbsen. Erst jetzt begriff ich, warum der Alte so furchterregend war. Sein ganzer Körper verströmte eine Aura der Kälte, die selbst von weitem spürbar war. Auch sein Zimmer, obwohl auf der Sonnenseite gelegen, war kalt wie ein Grab, nachdem er kaum ein halbes Jahr darin gewohnt hatte. Nicht einmal die Katzen wagten sich zum Mäusejagen hinein, so klamm und düster war es darin, und ich bekam sofort eine Gänsehaut, sobald ich es betrat. Doch wenn Xiaojia, mein Mann, nichts zu tun hatte, trieb er sich darin herum, klebte an seinem Vater wie ein dreijähriges Kind und ließ sich von ihm Geschichten erzählen. In den letzten heißen Tagen des Sommers dachte er nicht einmal mehr daran, bei mir zu schlafen. Er betrachtete seinen Vater als seine Frau und seine Frau als seinen Vater. Damit das am Tag nicht verkaufte Fleisch nicht anfing zu stinken, hängte er es am Dachbalken des kühlen Zimmers seines Vaters auf. Wer kann behaupten, daß er dumm ist? Und wer kann behaupten, daß er nicht dumm ist? Wenn mein Schwiegervater gelegentlich aus dem Haus ging, zogen sich selbst die bissigsten Hunde in die Ecken zurück und fingen an zu winseln. Düstere Gerüchte wollten wissen, daß selbst die Pappeln, die mein Schwiegervater auf der Straße berührte, mit rauschenden Blättern zu zittern begannen. Und wieder kam mir mein eigener Vater Sun Bing in den Sinn. Ach Vater, diesmal hast du den Bogen wirklich überspannt! Du gleichst dem General An Lushan, der die Gunst der kaiserlichen Lieblingskonkubine Guifei verwirkte, oder dem Banditen Cheng Yaojin, der sich erdreistete, den Geldtransport des Sui-Kaisers auszurauben. Mehr Leid als Glück bringt dein Streben, unrettbar verloren scheint dein Leben! Und ich dachte an Qian Ding, Seine Exzellenz Qian, Absolvent der höchsten Beamtenprüfungen, Kreispräfekt und Staatsbeamter fünften...


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Autor

Yan, MoBetz, KarinÜbersetzung
Mo Yan, 1955 in Gaomi geboren, schrieb seit den achtziger Jahren zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher für international bekannte Filme wie Das rote Kornfeld, Judou und Happy Times. Sein Werk wurde mittlerweile in knapp 20 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen aus Ost und West geehrt.