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Die Kunst zu fliehen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am16.02.20121. Auflage
Freiheit beginnt, wenn man einen Schritt zur Seite tritt.Letzter Band der Trilogie nach Die Fliegenfalle und Der Rosinenkönig. Was haben der Puzzlerausch zur Weltwirtschaftskrise, der Kaugummi-Magnat Wrigley und die Idee der Kameltruppen gemeinsam? Im Grunde gar nichts. Außer dass sie in die Kategorie des bezaubernd Abseitigen fallen, von dem der neugierige Forscher und Sammler Fredrik Sjöberg magisch angezogen wird. In diesem Fall findet er solche und andere kuriose Geschichten am Wegesrand einer Reise auf den Spuren des 1934 verstorbenen schwedischen Aquarellmalers Gunnar Widforss. Dessen spannendes und turbulentes Leben setzt er in Die Kunst zu fliehen wie ein Puzzle zusammen: seine Herkunft aus einer Familie, als hätte Ingmar Bergman sie in Fanny und Alexander nachgeahmt; seine zur Perfektion getriebene Unfähigkeit, mit Geld umzugehen; sein Scheitern in der europäischen Kunstwelt, die gerade de Chirico und andere Modernisten feierte. Und: sein dramatisches Geheimnis, das Widforss in die USA f liehen ließ, wo er am Ende doch zu Ruhm gelangte. Sjöberg selbst übt sich dabei schreibend in der Kunst der Eskapade und entführt seine Leser immer wieder auf Nebenwege, in fremde Länder und ferne Zeiten. Man folgt ihm staunend und glücklich nur zu gern - wohin auch immer.

Fredrik Sjöberg ist schwedischer Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Schwebfliegensammler. Seine Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt, seine Schwebfliegensammlung war in Venedig auf der Biennale im schwedischen Pavillon als Kunstobjekt über das Sammeln ausgestellt. Bei Galiani erschienen von ihm Der Rosinenkönig. Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen (2011), Die Kunst zu fliehen. Vom Glück sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken (2012) und Vom Aufhören. Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern (2018).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextFreiheit beginnt, wenn man einen Schritt zur Seite tritt.Letzter Band der Trilogie nach Die Fliegenfalle und Der Rosinenkönig. Was haben der Puzzlerausch zur Weltwirtschaftskrise, der Kaugummi-Magnat Wrigley und die Idee der Kameltruppen gemeinsam? Im Grunde gar nichts. Außer dass sie in die Kategorie des bezaubernd Abseitigen fallen, von dem der neugierige Forscher und Sammler Fredrik Sjöberg magisch angezogen wird. In diesem Fall findet er solche und andere kuriose Geschichten am Wegesrand einer Reise auf den Spuren des 1934 verstorbenen schwedischen Aquarellmalers Gunnar Widforss. Dessen spannendes und turbulentes Leben setzt er in Die Kunst zu fliehen wie ein Puzzle zusammen: seine Herkunft aus einer Familie, als hätte Ingmar Bergman sie in Fanny und Alexander nachgeahmt; seine zur Perfektion getriebene Unfähigkeit, mit Geld umzugehen; sein Scheitern in der europäischen Kunstwelt, die gerade de Chirico und andere Modernisten feierte. Und: sein dramatisches Geheimnis, das Widforss in die USA f liehen ließ, wo er am Ende doch zu Ruhm gelangte. Sjöberg selbst übt sich dabei schreibend in der Kunst der Eskapade und entführt seine Leser immer wieder auf Nebenwege, in fremde Länder und ferne Zeiten. Man folgt ihm staunend und glücklich nur zu gern - wohin auch immer.

Fredrik Sjöberg ist schwedischer Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Schwebfliegensammler. Seine Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt, seine Schwebfliegensammlung war in Venedig auf der Biennale im schwedischen Pavillon als Kunstobjekt über das Sammeln ausgestellt. Bei Galiani erschienen von ihm Der Rosinenkönig. Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen (2011), Die Kunst zu fliehen. Vom Glück sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken (2012) und Vom Aufhören. Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern (2018).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462305814
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum16.02.2012
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1464 Kbytes
Artikel-Nr.1216200
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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1 Waldleben nahe Nammavarejauratjah


Geschichten fangen einfach an. Man weiß nur selten, wo, und fast nie, warum. Es spielt keine Rolle. Nichts ist mehr gegeben. Ich möchte bloß die Augen schließen, blindlings zeigen und gleichsam versuchsweise sagen - dass ich einmal, als Sechzehnjähriger, eine ganze Nacht im Wipfel einer Kiefer saß und romantische Weisen sang. Dort könnte es begonnen haben.

Der Baum war alt und stand auf einem Hügel in der Nähe eines winzig kleinen Sees namens Nammavarejauratjah, nach mehrtägiger Wanderung durch unwegsames Gelände, im Muddus-Nationalpark, mitten in der Wildnis zwischen Jokkmokk und Gällivare. So weit das Auge reichte Wälder und Hochmoore; und es war Sommer, die Nächte in Lappland sind dann heller als alle Tage des Mittwinters zusammen. Im Winter hält man sich generell nicht im Muddus auf, und hält man sich aus irgendeinem Grund trotzdem dort auf, sitzt man nicht in Bäumen und singt von Kränzen aus Gemeinem Schneeball in den Haaren junger Mädchen. Jedenfalls nicht stundenlang.

Diese Erinnerung, die mir gänzlich unerwartet eines Nachmittags vor dem La Posada Hotel in Winslow, Arizona, in den Sinn kam, ist aus mehreren Gründen bedeutsam, aber fürs Erste wollen wir uns auf den Baum konzentrieren. Die Kiefer.

Wenn es etwas gibt auf dieser Welt, wovon ich wirklich etwas verstehe, dann sind es Kiefern. Gewöhnliche Kiefern mit Zapfen und Nadeln und dem ganzen Paket an Nuancen: Farben, Düfte, das Säuseln im Wind bei Wetter aller Art und die Rufe der ziehenden Wintergoldhähnchen, im Wald, im Herbst. Kiefern. Ich weiß alles darüber, wie sich das Sonnenlicht in einer Kiefer verhält, und in den Schatten darunter, unabhängig vom Alter und davon, wo sie wächst und wie. Tau und Nebel, Schnee, Regen, was auch immer, Hauptsache der Niederschlag fällt im Verhältnis zu einer Kiefer.

Wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht von Wissen. Die rein prosaischen Abschnitte in der Naturgeschichte der Kiefer beherrsche ich ganz und gar nicht, sie interessieren mich nicht einmal. Ein Wissenschaftler bin ich nie gewesen. Nein, lassen Sie uns lieber von der ganzen Erscheinung der Kiefer sprechen, ihrer Persönlichkeit, so dunkel dieses Wissen sich auch anhören mag. Das ist mein Thema, und zwar mit einem gewissen Schwerpunkt darauf, wie Kiefern in der akademischen Malerei des frühen 20. Jahrhunderts aussehen. Jahrelang hatte ich mich an dieses Thema angepirscht, späterhin in der Absicht, eine Geschichte über den heute so verachteten Maler Gottfrid Kallstenius (1861-1943) zu erzählen, den unumstrittenen Meister der schwedischen Kiefernmalerei. Wir wuchsen in derselben Stadt auf, Gottfrid und ich, und wurden für alle Zeit von der gleichen Landschaft geprägt. In meiner Schulzeit hing in unserer Aula eines seiner großartigsten Gemälde, signiert 1934, das eine einsame Kiefer am Meer zeigte - im Sonnenuntergang. Das war Kunst!

Erst viel später begriff ich, dass Kallstenius im Allgemeinen und seine lohenden Sonnenuntergänge aus der Zwischenkriegszeit im Besonderen das mit Abstand Dämlichste waren, wozu man sich auf dem Terrain der Kunst bekennen konnte. Wen die Furcht umtrieb, als Außenseiter abgestempelt zu werden, der war gut beraten, seinen Namen nicht in den Mund zu nehmen, außer vielleicht als Beispiel für all die stickige Schalheit, die der modernistische Durchzug ein für alle Mal auslüften sollte. Also hielt ich mich fortan, wie alle anderen, an dekorative Matisserien.

Der arme Gottfrid, ich glaube, er lebte ein bisschen zu lange. Hätte er sich um die Jahrhundertwende zu Tode gesoffen oder die zweite Hälfte seines Lebens wenigstens im Irrenhaus verbracht und dort die Befreiung seiner Seele hingekrakelt, wie ein Kind, auf Papier von schlechtester Qualität, hätte man ihn in späteren Zeiten als einen der ganz Großen gefeiert. Aber es kam anders. Als er den Zenit erreicht hatte, auf Augenhöhe mit Anders Zorn und Bruno Liljefors, und in die Akademie der Künste gewählt worden war, kaufte er sich in Källvik ein Haus am Meer und begann, Kiefern im Abendlicht zu malen. Vierzig Jahre widmete er sich dieser Aufgabe. Das meiste ist schlecht, aber manches ist gut. Einzelne Bilder sind magisch.

Deshalb beschloss ich schließlich, eine Expedition zu wagen. Geplant war eine Studie zur Morphologie des Scheiterns und ich beabsichtigte, nach all den Jahren auf dieser Insel im Meer, die ich so selten verlasse, wieder zu reisen - nach Helsinki, München, Budapest, Boston, Indianapolis, Buenos Aires und zu all den anderen Orten unserer Welt, an denen die großen Museen in ihren finstersten Kellerverschlägen Gemälde von Gottfrid Kallstenius verwahren.

Auf geht´s, dachte ich.

Der Gedanke machte natürlich nicht viel her, aber egal, was zählt, ist das Gefühl. Es ging um Gottfrid und mich, und tausend Kiefern.

Meine Niederlage wog umso schwerer. Verdutzt und enttäuscht zog ich mich zurück. Schweden ist ein kleines Land und so dauerte es nicht lange, bis ich erkennen musste, dass das Revier bereits sorgsam von einem Kunstkenner abgesteckt worden war, dessen Kenntnisse weitaus weiter reichten als meine und der über gute Kontakte zu den Nachfahren des Malers verfügte, mit allem, was an Tagebüchern, Briefen und anderen Schätzen, über denen man so gerne in Abgeschiedenheit brütet, dazugehört. Der Verlust des Reisegefährten, den ich gesucht hatte, traf mich schwer, und ich möchte nur ungern den einen oder anderen dahingeworfenen, beiläufig fallen gelassenen Kommentar leugnen - über die alten, sterilen Seeadlerweibchen, die in den Achtzigerjahren, rettungslos geschädigt von DDT, in unseren Schären in den besten Revieren hockten und somit die Nistmöglichkeiten für die jüngeren blockierten, die mit weniger Gift im Körper aufgewachsen waren.

Die stattlichsten Nistbäume wurden als Alterssitz zweckentfremdet, während die Jungvögel, so gut es eben ging, in klapperdürren Jungkiefern auf windgepeitschten Kahlschlägen brüteten. Wenn wir Ende Mai dorthin kamen, um die frisch geschlüpften Vögel zu beringen, lag das Nest nicht selten auf der Erde, ein Haufen Reisig ohne die geringste Spur von Leben. Anfangs bauen sie schlecht, die jungen Adler, und die besten Ergebnisse erzielen sie in geerbten Horsten.

So etwas kommt zuweilen vor. Man beschafft sich einen Maler. Übernimmt die Kontrolle über das Terrain, schließt die einzigartigen Dokumente ein - und wartet den richtigen Augenblick ab. Der Ehrlichkeit halber muss jedoch gesagt werden, dass ich im Fall Kallstenius selbst schuld war. Ich traute mich nicht. Als ich noch freie Bahn hatte, als der Mann keinen anderen interessierte, redete ich jahrelang nur herum und beließ es bei unausgegorenen Gedanken. Und als ich mich schließlich entschied, war es bereits zu spät. Glück für Gottfrid, vielleicht. Wie auch immer; ich erwähne dies alles lediglich als Erklärung für die Anfangsgeschwindigkeit im Fall Widforss und meinen überstürzten Entschluss, vor dem ich mich nach eingehenderem Nachdenken womöglich gehütet hätte.

So spielte es sich ab:

Am Samstag, dem 29. Januar 2005, befand sich unsere ganze Familie auf dem Festland. Wir hatten einen Fenstertisch im Restaurant des Moderna Museet reserviert. Malewitsch lockte uns, sein berühmtes Gemälde »Suprematistische Komposition - schwarz mit weißem Rechteck« aus dem Jahre 1915. Es hatte sich damals schon seit fast einem Jahr im Besitz des Museums befunden, da sich die Restaurierung des lange zusammengerollten und arg mitgenommenen Bildes jedoch hingezogen hatte, hing es erst jetzt, im Januar, in der Dauerausstellung. Ein Mysterium. Eine infizierte Wunde. Nicht das Gemälde an sich - das russische Avantgarde ist, aber auch nicht mehr -, sondern seine Geschichte, die Legenden, die gemunkelten Gerüchte und der Streit unter den Kunsthistorikern. Das bisschen, was ich wusste, klang wie die Handlung eines Romans. War es wirklich Diebesgut? Insgeheim hoffte ich das.

Wir hatten uns mit den Kindern im Museum verabredet; am späten Nachmittag würden wir uns treffen, uns das Bild anschauen und anschließend essen gehen. Wir hatten deshalb reichlich Zeit, Johanna und ich, und beschlossen, auf dem Weg nach Skeppsholmen beim Auktionshaus Bukowskis am Berzelii Park vorbeizugehen, wo wir uns ein frühes Gemälde ansehen und eventuell ersteigern wollten, das Mollie Faustman (1883-1966) gemalt hatte, die abgesehen davon, dass sie im hohen Alter die Patin meiner Ehefrau war, zu den ersten schwedischen Schülern von Matisse in Paris gehörte. Schon 1909 begab sie sich dorthin, nach einer bizarren Kindheit mit einem unglücklichen Vater, der die Leibesfrucht einer außerehelichen Romanze des Zeitungsverlegers Lars Johan Hierta und der Autorin Vendela Hebbe war, auch das eine Geschichte, die viele fiktive Tragödien übertrifft.

Hierta, heute vor allem als Gründer der Tageszeitung Aftonbladet bekannt, war ein prächtiger Mann mit Frau und Kind und Haus in der Stockholmer Altstadt. Als dann seine Geliebte Hebbe, die erste schwedische Journalistin, ein Kind erwartete, wurde sie mit einem unklaren Auftrag nach Berlin geschickt, wo das Kind geboren und sofort von einer Familie mit dem Namen Faustman adoptiert wurde. So machte man das damals. Man vertuschte. Unglücklicherweise zeigte sich jedoch, dass Hebbe, die, kaum zu glauben, aber wahr, als Untermieterin bei Familie Hierta wohnte, es sich nach ein paar Jahren anders überlegte und ihren Sohn zurückhaben wollte. Das kann man ja durchaus verstehen. Seltsam ist allerdings, was danach passierte - Hierta adoptierte seinen eigenen Sohn, den Buben...
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Autor

Fredrik Sjöberg ist schwedischer Schriftsteller, Journalist, Übersetzer und Schwebfliegensammler. Seine Bücher sind in mehrere Sprachen übersetzt, seine Schwebfliegensammlung war in Venedig auf der Biennale im schwedischen Pavillon als Kunstobjekt über das Sammeln ausgestellt. Bei Galiani erschienen von ihm Der Rosinenkönig. Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen (2011), Die Kunst zu fliehen. Vom Glück sich in kleine Dinge zu versenken und große Kontinente zu entdecken (2012) und Vom Aufhören. Über die Flüchtigkeit des Ruhms und den Umgang mit dem Scheitern (2018).Paul Berf, 1963 in Frechen geboren, studierte Skandinavistik und lebt als freier Übersetzer in Köln. Er übersetzt aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen ins Deutsche, u.a. Werke von Selma Lagerlöf, Henning Mankell und Kjell Westö. Er ist der Übersetzer des sechsbändigen Romanzyklus Min Kamp von Karl Ove Knausgård, wofür er 2014 mit dem Jane-Scatcherd-Preis ausgezeichnet wurde. Bei Galiani erschienen von ihm die Übersetzungen von Fredrik Sjöbergs Der Rosinenkönig (2011), Die Kunst zu fliehen (2012) und Vom Aufhören (2018).