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Lieblingskinder

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am12.03.20121. Auflage
Noch mal schnell die Welt retten Rosalie ist Mitte dreißig, Staatsanwältin und hat die Welt, das Leben und ihre Neurosen im Griff - denkt sie. Als ihr Vater plötzlich verschwindet, führt ihre Suche sie an jenen Ort, der für sie gefährlicher ist als jeder andere: ihre Kindheit. Als Rosalie fünf war, war alles ganz einfach: Die Welt war böse und ihr Vater angetreten, sie zu retten, Rosalie als Assistentin immer an seiner Seite.Dreißig Jahre später ist die Welt nicht besser geworden, aber Rosalie weiß, dass sie nicht mit Privatermittlungen gegen Nachbarn, Lokalpolitiker und die US-Regierung gerettet werden kann. Aber als Rosalie nach dem Verschwinden ihres Vaters wieder in ihrem Elternhaus steht, umgeben von Aktenordnern mit vermeintlich stichhaltigen Beweisführungen, muss sie sich fragen, ob ihr Vater dieses eine Mal nicht eine wirklich heiße Spur verfolgt - und wie aus dem nervigen Nachbarsjungen von damals ein so attraktiver und zupackender Mann werden konnte ...In Traudl Büngers temporeichem, vielschichtigem und pointiertem Debüt geht es um unsere Sehnsucht, die Welt zu verstehen und zu verändern. Es geht um einen Vater, der seine Familie an dieser Sehnsucht zerbrechen lässt. Es geht um eine Tochter, die um seine Liebe kämpft und zu spät erkennt, dass Väter keine Helden sind. Es geht um eine Staats anwältin, die Dienstvorschriften vergisst, um vielleicht sogar die Welt, zumindest aber die Glühbirne zu retten.

Traudl Bünger konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, u.a. als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals »Wege durch das Land«. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Gemeinsam mit Roger Willemsen schrieb sie den Bestseller »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge«. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt von ihr der Roman »Lieblingskinder«. Für die Arbeit an »Eisernes Schweigen« wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Au- tor:innenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.
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Produkt

KlappentextNoch mal schnell die Welt retten Rosalie ist Mitte dreißig, Staatsanwältin und hat die Welt, das Leben und ihre Neurosen im Griff - denkt sie. Als ihr Vater plötzlich verschwindet, führt ihre Suche sie an jenen Ort, der für sie gefährlicher ist als jeder andere: ihre Kindheit. Als Rosalie fünf war, war alles ganz einfach: Die Welt war böse und ihr Vater angetreten, sie zu retten, Rosalie als Assistentin immer an seiner Seite.Dreißig Jahre später ist die Welt nicht besser geworden, aber Rosalie weiß, dass sie nicht mit Privatermittlungen gegen Nachbarn, Lokalpolitiker und die US-Regierung gerettet werden kann. Aber als Rosalie nach dem Verschwinden ihres Vaters wieder in ihrem Elternhaus steht, umgeben von Aktenordnern mit vermeintlich stichhaltigen Beweisführungen, muss sie sich fragen, ob ihr Vater dieses eine Mal nicht eine wirklich heiße Spur verfolgt - und wie aus dem nervigen Nachbarsjungen von damals ein so attraktiver und zupackender Mann werden konnte ...In Traudl Büngers temporeichem, vielschichtigem und pointiertem Debüt geht es um unsere Sehnsucht, die Welt zu verstehen und zu verändern. Es geht um einen Vater, der seine Familie an dieser Sehnsucht zerbrechen lässt. Es geht um eine Tochter, die um seine Liebe kämpft und zu spät erkennt, dass Väter keine Helden sind. Es geht um eine Staats anwältin, die Dienstvorschriften vergisst, um vielleicht sogar die Welt, zumindest aber die Glühbirne zu retten.

Traudl Bünger konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, u.a. als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals »Wege durch das Land«. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Gemeinsam mit Roger Willemsen schrieb sie den Bestseller »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge«. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt von ihr der Roman »Lieblingskinder«. Für die Arbeit an »Eisernes Schweigen« wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Au- tor:innenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462305630
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum12.03.2012
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse4058 Kbytes
Artikel-Nr.1216265
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis 1978

Bianca hat Angst, Rosalie nicht. Höher und höher klettert sie, je dünner die Zweige werden, desto leichter fühlt sie sich. Auch die ganz kleinen, dünnen können tragen, wenn man sie dicht am Stamm betritt. Ein Vogel fliegt auf, erschreckt. Rosalie erschrickt auch, zum Glück lässt sie nicht los.

Sie ist ganz schön hoch, vielleicht sollte sie zurückklettern. Fuß, Hand, anderer Fuß, andere Hand. Als die Äste wieder dicker werden und die Erde nah ist, kommt der Stolz. Sie war sehr hoch.

»Ich war höher als das Kreuz«, ruft sie Bianca zu, und, als sie sicher ist, dass Bianca guckt, lässt sie sich ein Stück fallen. Lässig fängt sie sich an einem dicken Ast wieder auf und schwingt hin und her. »Was denn?«, fragt sie, als Bianca aufschreit, »ich mach das immer so.«

Sie springt den letzten Meter, fällt auf die Hände. Das Triumphgefühl verschwindet in brennenden Handflächen.

Rosalies Vater steht an der Mauer und betrachtet einen Rechen. Die Mädchen laufen zu ihm.

»Na, ihr zwei? Habt ihr auch keinen Fußpilz?«, fragt er. »Zieht mal eure Schuhe und Strümpfe aus und zeigt mir eure Zehen.« Rosalie und Bianca setzen sich auf den Boden, der Vater geht vor ihnen in die Hocke. Rosalie zieht ihre weißen Lochsandalen aus und hat ein schlechtes Gewissen wegen der grünen Streifen auf dem Leder. Sie legt ihre Söckchen ordentlich auf die Schuhe und spreizt die Zehen. Das kann sie gut. Ihr Vater nickt. Bianca zieht ihre schwarzen Strümpfe aus, einer ist zu groß und wirft an der Ferse eine Falte. Sie muss die Hände zu Hilfe nehmen, um die Zehen zu spreizen, und schaut Rosalie Hilfe suchend an. Rosalie nickt.

»Da!«, ihr Vater zeigt auf Biancas Zehen, ein paar schwarze Flusen kleben in den Zwischenräumen. »Fußpilz!«

Bianca schiebt die Unterlippe vor und reibt mit dem Finger zwischen ihren Zehen, die Flusen formen sich zu einem schwarzen Popel.

»Das sind Fusseln«, protestiert Rosalie, »von den Strümpfen.« Sie zeigt auf Biancas Strümpfe und ist froh über diese Erklärung. Aber ihr Vater wirft ihr nur einen abwesenden Blick zu, steht auf und sagt: »Ihr müsst euch immer ganz gründlich zwischen den Zehen abtrocknen. Das Handtuch falten und mehrfach zwischen den Zehen durchziehen.« Er macht eine demonstrierende Bewegung mit den Händen und wendet sich ab. Dann dreht er sich noch einmal um und sagt zu Bianca:

»Und du lässt bitte die Strümpfe an, wenn ihr reingeht. In meinem Haus läufst du nicht barfuß.«

Rosalie und Bianca gehen zur Sickergrube und schieben den Holzdeckel zur Seite. Das schwarze Wasser glänzt geheimnisvoll und sie stellen sich vor, in der Grube wäre eine Schatztruhe versteckt.

»Ihr sollt doch nicht an der Grube spielen«, ruft Rosalies Mutter aus dem Küchenfenster. »Rosalie, bitte mach die Grube zu, stell dir vor, Muckel fällt hinein.« Rosalie erschreckt, die Vorstellung ist zu schrecklich. Aber ist Muckel so blöd? Er kann noch besser klettern und balancieren als Rosalie selbst.

»Sollen wir noch Playmobil spielen?«

Sie gehen durch den Kellereingang ins Spielzimmer. Schuhe und Strümpfe lassen sie an.

Rosalie muss aufs Klo und lässt Bianca und den Playmobil-Bauernhof alleine. Leise schleicht sie sich die Treppe hoch. Die Tür lässt sie einen Spalt offen. Sie lauscht auf ihren Strahl, wird aber bald von Stimmen aus der Galerie gestört. Sie steht auf, wischt, zieht aber nicht ab. Schnell schleicht sie in den Flur, mit einer klumpigen Gewissheit im Bauch: Sie streiten sich.

»Carla«, sagt ihr Vater, mit Betonung auf beiden Silben, »du weißt doch, wie wichtig das ist. Ich habe es dir hundert Mal erklärt und ich dachte, du seiest meiner Meinung oder wärst zumindest ausreichend interessiert am Schicksal der Welt, um mich nicht zu boykottieren. Aber offenbar war das ein Irrtum, deine persönliche Bequemlichkeit ...«

»Meine Güte, Ernst, jetzt mach mal einen Punkt und werd nicht pathetisch. Das hier ist ein Haus, in dem Menschen wohnen, und kein Laboratorium für deine verrückten Versuche. Und in einem Haus braucht man Licht. Wenn eine Glühbirne kaputt ist, wechselt man sie aus. Das ist völlig normal und ich habe keine Lust, mich deswegen anschnauzen zu lassen.«

Bei »verrückte Versuche« zuckt Rosalie zusammen. Das mag Papa gar nicht. Sicher wird er böse.

»Ist es denn zu viel verlangt, dass du mich einfach informierst? Du weißt doch, dass ich genau Buch führe über Lebens- und Brenndauer, über die Häufigkeit des Ein- und Ausschaltens, über die Beschaffenheit des elektrostatischen Feldes, in dem sie eingesetzt wurden ...«

»Ja, das ist zu viel verlangt! Das ganze Haus ist voll von deinen Tabellen, Statistiken, Akten. Das Giebelzimmer kann man wegen der tausend Glühbirnen gar nicht mehr betreten ...«

»Ich bin mit dem Katalogisieren ein wenig im Rückstand, aber es kleben auf allen Glühbirnen Etiketten, die alle nötigen Informationen enthalten. Und wenn ich erst den programmierbaren Taschenrechner habe, geht das alles ratzfatz, du wirst schon sehen.«

Bianca kommt aus dem Keller, Rosalie wendet ihr den Rücken zu. Sie ist erleichtert, als ihr das Klicken der Haustür verkündet, dass die Freundin gegangen ist.

Die Mutter redet, eigentlich schreit sie, einfach weiter:

»Du verdächtigst die Nachbarn, gegen uns zu intrigieren, und wenn ich dich zufällig um 23 nach irgendwas bei der Arbeit anrufe, drehst du komplett durch. Ernst, wirklich, das wird zur fixen Idee bei dir.«

»Hast du die Glühbirne noch?«

»Verdammt noch mal, ja, die ist noch da. Liegt da hinten.«

»Du lieber Himmel, auf der Fensterbank?«

Mama sagt lange nichts, und als sie endlich spricht, klingt sie müde:

»Ja, auf der Fensterbank.«

»Carla, wie oft habe ich dir gesagt, dass man die kaputten Glühbirnen keinen extremen Bedingungen aussetzen darf, wenn sie noch nicht interpretiert sind? Wie soll ich sie überführen, wenn ich die Glühbirnen nicht interpretieren kann? Die hier ist erst vor 14 Monaten eingewechselt worden! Wir nutzen diesen Raum durchschnittlich an zwei Abenden in der Woche für zirka vier Stunden, betreten wird er, großzügig gerechnet, vielleicht zehnmal die Woche für zirka zehn Minuten. Oder hat sich an deiner Nutzung etwas geändert? Warte mal, zwei mal vier mal vier mal 14 sind 448 Stunden, plus zehn mal zehn mal vier mal 14 sind 5600, geteilt durch 60, macht, äh, ungefähr 90 Stunden. Sind zusammen 540 Stunden, großzügig gerechnet! Das ist noch nicht mal die durchschnittliche Brenndauer, die mir die International Electrical Association auf mehrfaches Nachfragen angegeben hat. Das sind 300 Stunden darunter! Und wenn du jetzt bedenkst, dass eine Brenndauer von 5000 Stunden technisch problemlos machbar ist, dann hat diese Glühbirne nur 1/10 ihrer möglichen Brenndauer erreicht! Carla, schockiert dich das nicht?«

Wieder antwortet Mama lange nicht, so lange, dass Rosalie überlegt, ob sie gegangen ist. Aber dann antwortet sie, und zwar sehr böse:

»Nein, mich schockiert etwas ganz anderes: dass ein intelligenter Mann seine Zeit damit verbringt, die Lebensdauer ...«

»Brenndauer! Mit Lebensdauer bezeichne ich die gesamte Spanne, also die Leucht- und die Ruhephasen.«

Jetzt schreit Mama: »... damit verbringt, die LEBENSDAUER einer Glühbirne auszurechnen, statt eine Alternative zur Atomenergie zu finden oder wenigstens einen Videorekorder richtig zu programmieren.«

Mama knallt die Tür und kommt sehr schnell in den Flur.

»Was stehst du hier rum?«, schreit sie Rosalie an. »Na los, geh schon zu ihm, ich bin sicher, er erklärt dir gerne, was für schreckliche Gefahren der Menschheit drohen. Und du wirst es sicher verstehen und ihm helfen, die Brenndauer einer Glühbirne in eine Tabelle einzutragen.«

Rosalie spürt, wie sich ihre Blase öffnet. Zum Glück war sie eben auf dem Klo, deswegen kommt nur ganz wenig warmes Pipi. Sie sieht der Mutter nach und geht in die Galerie.

Ihr Vater hält eine Glühbirne gegen das Fenster und klopft mit einem Finger sanft dagegen. Rosalie weiß, dass es eine matte Glühbirne ist. Die sind aus milchig weißem Glas, deswegen blenden sie nicht. Zum Glück ist es keine von den teuren verspiegelten.

»Was ist denn mit der Glühbirne?«, fragt sie.

»Sie ist viel zu schnell kaputtgegangen«, sagt ihr Vater. »Sie hat nur 400 Stunden gebrannt. Ich hab dir doch von Phöbus erzählt, erinnerst du dich?«

»Das sind die Bösen, die extra machen, dass die Glühbirnen schnell kaputtgehen.«

»Genau. 1924 haben sie sich das ausgedacht, und zwar bei einer großen Versammlung in einer Stadt in der Schweiz namens Genf, merk dir das. Freie Marktwirtschaft, den Motor für Innovation und Fortschritt, gab es auf dem Glühbirnenmarkt nie. Vertreter aller führenden Glühbirnenhersteller waren dabei, weißt du noch, welche es waren?«

»Ossram aus Deutschland, Internäschonell aus Amerika, Kompänje der Lampen aus Frankreich und Tunzram aus ...«, Rosalie fällt nicht mehr ein, aus welchem Land Tungsram kommt. Der Vater sieht trotzdem zufrieden aus.

»... aus Ungarn. Klasse! Du hast ein gutes Gedächtnis. Wollen wir die Glühbirne zu den anderen bringen?«

Rosalie darf die Glühbirne tragen. Sie legt sie auf ihre ausgestreckten Handflächen und hält die Hände ganz ruhig. Sie lässt die Birne nicht aus den Augen, während sie die Treppe hochsteigt, und nimmt pro Schritt nur eine Stufe.

Im Giebelzimmer angekommen, ist Rosalie froh, dass sie die Verantwortung an ihren Vater abgeben kann. Der Vater nimmt ihr die Birne vorsichtig ab, legt sie auf den...
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Autor

Traudl Bünger, geboren 1975 in Siegburg, studierte in Köln Literaturwissenschaften und Mathematik und promovierte über »Narrative Computerspiele«. Sie ist Programmredakteurin des internationalen Literaturfestivals lit.COLOGNE, Kritikerin im »Literaturclub« des Schweizer Fernsehens und schrieb gemeinsam mit Roger Willemsen den Bestseller »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge«. Für die Arbeit an »Lieblingskinder« erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium der Villa Sträuli, Winterthur. Traudl Bünger lebt in Köln.