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Unter Ärzten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am15.09.20111. Auflage
Furios: ein Stadtneurotiker auf der Suche nach dem Arzt fürs Leben! Ein junger, etwas zwanghafter deutscher Schriftsteller folgt dem Rat seiner Freundin, »mal zum Therapeuten« zu gehen. Doch wie in vielen modernen Paarbeziehungen reicht auch ein einziger Psychiater nicht mehr für die Ewigkeit: Wie wild wechselt der Romanheld fortan Ärzte und Methoden und erprobt die schier unerschöpflichen Möglichkeiten des Psycho- und Erleuchtungsmarktes. Er jagt vom Seelenklempner der kassenärztlichen Vereinigung zum Familienaufsteller, gerät an einen Klaus-Kinski-Nervenarzt, an Quacksalber, Nazi-Hypnotiseure und Transaktionsanalytiker, die ihn über Jahre mit Einzel-, Paar- und Gruppentherapie behandeln. Scheinbar erfolgreich. Genauer: Erfolge und Misserfolge wechseln sich ab, bis eines Tages »der Richtige« (Arzt) kommt. Ein älterer Herr, der leider nach wenigen Jahren stirbt. Die langjährige Freundin verlässt ihn erneut, diesmal nach Indien, und im Ashram, wohin er ihr folgt und sich in eine junge Inderin verliebt, kulminiert der Horror: seine neue Geliebte stirbt, ausgezehrt von den kriminellen Methoden eines leider hochkriminellen Gurus. In der Sinnkrise ist nur eins gewiss: Das Alter kommt, die Freundin geht, die Therapie bleibt! Joachim Lottmanns bislang bester Roman ist eine hochkomische seelische Achterbahnfahrt und ein Schrei nach Liebe, die den Helden und den Leser in den lakonischen Irrwitz treiben!

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextFurios: ein Stadtneurotiker auf der Suche nach dem Arzt fürs Leben! Ein junger, etwas zwanghafter deutscher Schriftsteller folgt dem Rat seiner Freundin, »mal zum Therapeuten« zu gehen. Doch wie in vielen modernen Paarbeziehungen reicht auch ein einziger Psychiater nicht mehr für die Ewigkeit: Wie wild wechselt der Romanheld fortan Ärzte und Methoden und erprobt die schier unerschöpflichen Möglichkeiten des Psycho- und Erleuchtungsmarktes. Er jagt vom Seelenklempner der kassenärztlichen Vereinigung zum Familienaufsteller, gerät an einen Klaus-Kinski-Nervenarzt, an Quacksalber, Nazi-Hypnotiseure und Transaktionsanalytiker, die ihn über Jahre mit Einzel-, Paar- und Gruppentherapie behandeln. Scheinbar erfolgreich. Genauer: Erfolge und Misserfolge wechseln sich ab, bis eines Tages »der Richtige« (Arzt) kommt. Ein älterer Herr, der leider nach wenigen Jahren stirbt. Die langjährige Freundin verlässt ihn erneut, diesmal nach Indien, und im Ashram, wohin er ihr folgt und sich in eine junge Inderin verliebt, kulminiert der Horror: seine neue Geliebte stirbt, ausgezehrt von den kriminellen Methoden eines leider hochkriminellen Gurus. In der Sinnkrise ist nur eins gewiss: Das Alter kommt, die Freundin geht, die Therapie bleibt! Joachim Lottmanns bislang bester Roman ist eine hochkomische seelische Achterbahnfahrt und ein Schrei nach Liebe, die den Helden und den Leser in den lakonischen Irrwitz treiben!

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462304763
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum15.09.2011
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1967 Kbytes
Artikel-Nr.1216310
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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Teil 2


Voilà, und hier ist es schon, das neue Kapitel! Die Zeit, auf den Tag genau fünf Jahre, verging. Lange Jahre im Leben eines Menschen, das muß ich ja wohl nicht betonen. Die Deutsche Einheit wurde vollendet, Kohl als Kanzler abgewählt, seine arme Frau beerdigt, das dritte Jahrtausend begrüßt, Berlin zur neuen Hauptstadt ausgerufen. Auch ich war nach Berlin gezogen und immer noch mit Daphne Blücher zusammen, die sich kein bißchen verändert hatte. Ich mich ja auch nicht.

Gute Voraussetzungen also für die Therapie, und eines Tages nahm ich meine Patiententätigkeit tatsächlich wieder auf. Als erstes im Berliner Stadtteil Friedenau, der lag dicht unter Schöneberg, also südlich. Ich fuhr mit einer alten S-Bahn-Linie direkt von meiner Wohnung in der jüdischen Oranienburger Straße bis zur Station Friedenau, das ging ganz flott. In nur elf Minuten durchfuhr ich die halbe Hauptstadt und erreichte in einer Art Zeitreise eine Gegend, die ich nur aus alten Ufa-Filmen kannte. Leider hatte ich den Namen der Therapeutin vergessen. In Berlin kannte mich die Ärzteschaft noch nicht, ich konnte ganz von vorn anfangen, alles ganz anders machen, und so hatte ich beschlossen, den Faktor »Sex mit der Therapeutin« einzukalkulieren. Ich suchte mit Vorliebe weibliche Therapeuten aus den Gelben Seiten heraus. Meine Überlegung dabei war: Ich war nun fünf Jahre älter und konnte mich auch in ältere Frauen verlieben. War ich in eine Therapeutin erst mal verliebt, würde es rasche Heilungsfortschritte geben. Ich wollte diesmal länger und ausdauernder suchen als in Hamburg.

Ich selektierte zunächst wieder nach der Stimme. Fast alle Therapeutinnen hatten kränkelnde Alt-Stimmen und hörten sich am Telefon an wie weißgelockte Kummerkasten-Omas vom Zweiten Arbeitsmarkt, abgestorbene Muttchen aus der Zeit des Kalten Krieges, der in der Mauerstadt Berlin ja besonders stark getobt hatte. Sie klangen wie Hausfrauen ohne Haushalt, deren Enkel sich auf und davon gemacht hatten in den Goldenen Westen. Dennoch machte ich erst mal Verabredungen mit diesen vermeintlichen Berufströsterinnen. Vor dem Haus einer solchen las ich das Schild »Gemeinschaftspraxis«. Das klang immerhin nach 70er Jahren, vielleicht sogar nach Ally McBeal. Ich wollte mich noch ein bißchen sammeln und im Hauseingang warten, aber alle möglichen furchtbar mediokren Hängertypen schlichen dort herum, ehemalige Nachbarn wohl, Leute, die einst unter Diepgen ihr Studium abgebrochen hatten. Inzwischen regierte hier Wowereit, und der Gysi ging um. Ich klingelte. Als hätte man nur darauf gewartet, riß jemand sofort die Tür auf, die Therapeutin wohl. Sie mußte es einfach sein, auch wenn ich es noch nicht wahrhaben wollte. Helge-Schneider-Frisur, Kassenbrille, unförmiger Strampelanzug. Die Frau machte sicher auch Schwangerschaftsberatung für Frauen im neunten Monat. Will sagen, sie sah auch ohne Kind hochschwanger aus. Alles in Übergröße, alle Bewegungen vorsichtig. Ihr Gesicht war nicht einmal häßlich, aber wer konnte bei Helge Schneider noch vorurteilslos das Gesicht beurteilen? Sie bat mich, Platz zu nehmen - wir waren bereits im Therapiezimmer. Statt einer ordentlichen Couch gab es die billigsten Sessel, die Ikea überhaupt im Ikeakatalog hatte und die auch ich in meiner neuen Berliner Wohnung verwendete. Diese Sessel waren dann auch das Beste der Therapie. Nun, man soll nicht voreilig sein. Nie ließ sich im Vorfeld sagen, was und wer wirken würde; das wußte ich ja noch aus meiner Hamburger Zeit UNTER ÄRZTEN. Ich mußte es einfach ausprobieren. Schließlich sah Dierk Kinski Schleyden nicht weniger lächerlich aus als diese Gestalttherapeutin. Sie mochte keine 35 Jahre alt sein. Schleyden war sicher längst tot. Auch meine Eltern waren unterdes gestorben. Mein Bruder, Ekkehardt, hatte graue Schläfen bekommen. In diesen fünf Jahren war ich und mit mir die Welt um eine ganze Generation älter geworden. Zum ersten Mal war ich dem Ende näher als dem Anfang. Mein Leben lang hatte ich gedacht, bald geht es erst richtig los, ich sitze noch in den Startlöchern. Nun dachte ich, daß alles Wesentliche bereits vorbei sei. Bloß gut, daß ich die Therapie wieder aufnahm! Die würde mein gerade ausrollendes Leben wieder richtig auf Touren bringen.

Es mußte wirklich etwas geschehen, denn das triste Berlin hatte mich an den Rand einer waschechten Depression getrieben. Noch war es nicht soweit. Ich war ja ohnehin kein depressiver Typ. Aber ich mußte mich gegen immer stärkere Lähmungen wehren, gegen eine berlinbedingte Antriebsarmut, die seit Monaten zunahm. Zuletzt hatte ich nur noch alle vierzehn Tage einmal gearbeitet, mein Einkommen war versandet. Das alles erzählte ich der Therapeutin natürlich nicht. Sie mußte ja nicht gleich wissen, daß es mir so schlecht ging. Leider verhielt sie sich auch sonst recht passiv. Ich fragte sie, ob ich eine Cola trinken dürfe, und holte eine gekühlte Dose aus meinem Diplomatenkoffer. Ich verlegte mich aufs Angeben, weil ich plötzlich merkte, daß mir das Spaß machte. Ich sagte also, ich hätte viel Geld geerbt, und da ich aber strukturell zur pathologischen Selbstbestrafung neige, fürchtete ich nun um das Geld. Aha , sagte sie ratlos. Ich hätte Schuldkomplexe, die von meinem Bruder kämen, und ich würde schlecht von mir denken, mich bestrafen, mir nichts gönnen. So hätte ich die schönste Wohnung in Berlin, würde mir aber nicht erlauben, darin zu wohnen. Das schönste Auto, aber ich führe es nicht. Die nettesten Frauen, aber ich wiese sie ab. Das weicheste Bett, doch ich schliefe auf einer unbequemen Feldpritsche in der Besenkammer, schwitzend, leidend, mich beschimpfend. Ich zahlte keine Steuern, zeigte mich aber selbst an, damit das Finanzamt mich absurd hoch schätzte und ich ein Vermögen verlor, und so weiter. Ich würde nicht mehr schreiben, weil mir Schreiben viel zu viel Spaß machte.

»Liebe Frau Doktor«, frage ich rundheraus: »Bin ich womöglich latent masochistisch veranlagt? Bitte sagen Sie mir die Wahrheit!«

Sie wollte nun wissen, seit wann ich dieses Verhalten zeige. Ich erzählte die Geschichte meiner Ex-Freundin Nina Ruege. Ich hatte sie einst aus der geschlossenen Anstalt geholt und dann ihre Schizophrenie in einem jahrelangen Prozeß geheilt. Danach verließ sie mich, und ich hatte dann Formen des Irrsinns am Hals, als hätte sie mir ihr Irresein vermacht. Freilich hinterließ sie mir nicht Schizophrenie, sondern - ja, was? Masochismus? Selbsthaß? Zerstörtes Selbstbewußtsein?

»Das müssen doch SIE sagen, Frau Doktor!«

Leider sagte Frau Doktor wenig. Und dann fiel ihr natürlich nichts Besseres ein, als nach Vater und Mutter zu fragen. Sie merkte aber auch, daß das irgendwie nicht mehr so aktuell war, Vater und Mutter. Sie fragte daher, was denn meine dringendste Frage an sie sei. Ich wußte es:

»Glauben Sie als Fachmann, daß es so etwas wie Masochismus gibt, oder ist das nur ein blödes Wort?«

Sie eierte herum. Ich interpretierte es so, daß sie es eher für ein blödes Wort hielt. Sie sei gegen Schubladendenken, sagte sie und bediente damit die gängigste aller Schubladen. Dann fragte sie, wieso sie denn noch nichts von mir gelesen habe. Ich gab mich leutselig:

»Ach, wissen Sie, gnädige Frau, selbst ich weiß heute nicht mehr, was ich alles einmal gelesen habe!«

Ich lachte herzlich , bis sie mitlachte. Versöhnlich und leise fügte ich an, gewiß habe sie mich mal gelesen. Im neuen SPIEGEL habe Reich-Ranicki mich in seinen Kanon aufgenommen. Sie nickte plötzlich ganz eifrig; den SPIEGEL kannte sie, Reich-Ranicki, davon hatte sie einmal gehört.

Ich beantwortete nun aber doch die Vater- und Mutterfragen, nahm den Bruder hinzu. Von Ekkehardt hatte ich die Schuldgefühle, das war klar. Aber welche Rolle spielte die zeitweise schizoide Ex-Freundin? Immer hatte ich Daphne Blücher als ihre direkte Nachfolgerin gesehen. Ich hatte eine Mutter, die mich abgöttisch geliebt und sexuell bedrängt hatte, einen Vater, der von mir und dem Leben tödlich enttäuscht gewesen war, einen Bruder, der ebenso von mir enttäuscht war, heute noch, und der mich für den Tod der Eltern verantwortlich machte. Frauen, die mich liebten, stieß ich von mir, sie erinnerten mich an die Mutter, und so kamen eigentlich nur noch Frauen in Frage, die mich für die ganze angestaute Schuld büßen ließen. So weit, so grau die Theorie. Das half mir nun auch nicht weiter. Was ich brauchte, war ein Freispruch. Ich wollte sehen, ob die zentnerschwere Schuld nach der Therapeutenstunde schon etwas von meinen Schultern rutschte. Und so war es wohl - zunächst! Irgendwie erleichtert ging ich von dannen.

Ein paar Tage später war ich dann schon richtiggehend »glücklich«. Gleichwohl mußte ich meine getroffenen Verabredungen mit den hiesigen Ärzten natürlich einhalten. Wer hätte gedacht, daß ich schon beim allernächsten Mal auf die Berliner Ausgabe von Dierk Kinski Schleyden stoßen sollte! Ich erkannte die Type Mensch sofort. Freilich schien er nicht viel Geld zu verdienen und wohnte im Osten der Stadt in einer winzigen Zwei-Zimmer-Rumpelwohnung ohne Möbel oder Statussymbole. Eine verhärmte alte Sprechstundenhilfe öffnete und sagte nicht guten Tag. Der Arzt, ein »Doktor« Schmerz-Schulten, sprang hinter ihr auf und ab. Er trug Halblederschuhe ohne Socken und schien sich aus der Altkleidersammlung zu bedienen. Ein bißchen sah er aus wie Art Garfunkel, lächelte mal süßlich, blickte dann wieder übergangslos wie ein Herbstgewitter. Die Locken waren schon grau, die Haut rot und das Mündchen wirkte klein und freudlos, oft beleidigt. Diese Miene des Herbstgewitters...
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Autor

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.