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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Berlin Verlagerschienen am06.08.20111. Auflage
Elisabeth Plessen führt uns in die Kindheit des Kohlhaas, berichtet von seinen Reisen mit dem Vater und von Kohlhaas' Frau Margarete; wir erfahren, was in ihm vorgeht, als er Stück um Stück den Glauben an die gerechte Gewalt' verliert, bis er sich zuletzt gegen die obrigkeitliche Willkür mit Rauben, Brennen, Hinwegführen und Schatzen' zur Wehr setzt. In Kohlhaas taucht der Leser tief in die Wirren der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts und in das Leben der historischen Figur Hans Kohlhase ein. Wie Kleist mit diesem Stoff auf seine eigene Epoche napoleonischer Eroberungen verwies, formuliert auch Elisabeth Plessen in ihrem ungewöhnlichen und literarisch brillanten Roman unsere zeitgenössischen Forderungen nach freier Persönlichkeitsentfaltung. Ein Roman, der bei seinem Erscheinen nicht nur Lob und Anerkennung bei der Presse fand, sondern auch ein Bestseller war, der eine Generation prägte.

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.
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Produkt

KlappentextElisabeth Plessen führt uns in die Kindheit des Kohlhaas, berichtet von seinen Reisen mit dem Vater und von Kohlhaas' Frau Margarete; wir erfahren, was in ihm vorgeht, als er Stück um Stück den Glauben an die gerechte Gewalt' verliert, bis er sich zuletzt gegen die obrigkeitliche Willkür mit Rauben, Brennen, Hinwegführen und Schatzen' zur Wehr setzt. In Kohlhaas taucht der Leser tief in die Wirren der Bauernkriege des 16. Jahrhunderts und in das Leben der historischen Figur Hans Kohlhase ein. Wie Kleist mit diesem Stoff auf seine eigene Epoche napoleonischer Eroberungen verwies, formuliert auch Elisabeth Plessen in ihrem ungewöhnlichen und literarisch brillanten Roman unsere zeitgenössischen Forderungen nach freier Persönlichkeitsentfaltung. Ein Roman, der bei seinem Erscheinen nicht nur Lob und Anerkennung bei der Presse fand, sondern auch ein Bestseller war, der eine Generation prägte.

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783827075192
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum06.08.2011
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse930 Kbytes
Artikel-Nr.1219016
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



KOHLHAAS´ KINDHEIT

Einen Mann aus den Wörtern pellen wie ein Ei aus der Schale; ihn freilegen. Kohlhaas zum Beispiel.

Sein Vater war ein Krämer, Detaillist und Zwischenhändler, der hauptsächlich mit Honig, Speck und Heringen handelte, nebenher mit Salz, Butter, Schmalz, Käse, Teer und Lichten und allerhand getrocknetem, gesalzenem und geräuchertem Fisch. Er war ein Cöllner Halbbürger, ein civis minoris, der mit der Familie in einer städtischen Zinsbude zur Miete wohnte. Er war zu arm, um sich ein eigenes Haus zu kaufen oder zu bauen und damit das volle Bürgerrecht zu erwerben, wofür er, für den bürokratischen Akt der Eintragung in die Liste der cives majores, nochmals eine Summe hätte zahlen müssen. Die Bude, keine von den Bretterverschlägen übrigens, die der Rat neben den einstöckigen Fachwerkhäusern auch freihielt - unterhielt ließ sich nicht sagen, denn es waren dreckige, verwohnte Löcher, an Zuwanderer vergeben oder an Leute, die wie die jüdischen Einwohner nicht die Erlaubnis für ein eigenes Haus bekamen -, die städtische Zinsbude also war Vater Kohlhaas zugewiesen worden, als er mit seiner Frau die Tore der Stadt passierte und sich entschloß zu bleiben. Unten im Haus war auch der Laden.

Vater Kohlhaas lebte wortkarg und zurückgezogen; ausgeschlossen wäre es nicht, daß er sich auf die Art abschirmte, weil er einmal ein Fremder gewesen und als ein Neuankömmling von irgendwo unter den Kiefern des Landes hergekommen war. Er besaß eine Menge kramender Fähigkeiten. Er war kein Händler mit eingezogenem Kopf. Die Residenzstadt mit einem sich ständig vergrößernden Hof und einem Beamtenapparat, dessen Ansprüche, gewiß im Gefälle zum Hof, immer breiter, differenzierter und spezieller wurden, war für einen Händler ein günstiges Pflaster, trotz der Konkurrenz nach unten und nach oben. Die Großkaufleute drückten und breiteten sich im Kauf- und Kramhaus aus, in das sie jemanden wie Vater Kohlhaas nicht einließen, und die Höker mit ihren fliegenden Verkaufsständen oder Bauchläden waren schnell, auf den Wochenmärkten, während der Jahrmarkttage, täglich an den Straßenecken.

Vielerlei war es, was der Vater dem Sohn beibrachte: obenan das Rechnen, wenngleich Kohlhaas es auf der Lateinschule weit besser lernte. Der Vater bewegte die Lippen, wenn er rechnete. Der Sohn konnte es so, unbesehen im Kopf. Der Vater addierte auch meistens laut, und falls er sogar dann nicht zu Rande kam, fluchte er, über die Zahlenkolonnen gebeugt, als hätte ihn der Zorn Gottes zu Fall gebracht, dann schob er dem Sohn die Posten zu oder sagte ihm die Zahlen an, zum Beweis, daß die bessere Bildung auch anschlage, und Kohlhaas führte zu Ende, was der Vater, ungeduldig und an die Grenzen seines Verstandes genötigt, im Moment nicht schaffte, aber fleißig und störrisch auch nicht aufgeschoben haben wollte.

Im Laden war es dunkel. Alter, vertrauter Geruch! Neben den Käserädern leuchteten die gelben Zähne des Vaters, Stumpen, ein Vorderzahn war ihm halb weggeschlagen, schon auf dem Dorf. Da gehe der Wind durch, sagte der Vater, und er verkühle sich die Zunge und den Rachen. Regungslos in den Winkeln saßen große Kellerasseln, und wenn einer dieser platten kopflosen Rümpfe plötzlich zu rennen anfing mit Beinchen wie über ein Luftkissen hin und sich ebenso plötzlich zusammenrollte, zur Seite gekippt oder auf dem Rücken, erstarrt zu einem Kiesel, einem Panzer -. Die Ratten, die es anfangs gegeben hatte, waren vertrieben. Die Asseln ließen sich nicht verjagen. Sie gehörten wie die Spinnen, die Regale an den Wänden, die Fässer, großen Bottiche und Säcke zum Inventar eines solchen Ladens. Jeder Schritt trug der Nase einen anderen Geruch zu, streng, scharf, ein wenig säuerlich, ein wenig muffig nach Holz und Fisch und Käse, frisch, wo die Butterfässer standen, nach Wachs roch es, wo der Honig stand, und verräuchert roch es bei den Aalen, Hechten, Sprotten, Lachsen.

Ich denke mir Sätze aus.

Der Vater sagte gern von sich, daß er bienenfleißig sei. Weshalb, für wen, kam es ihm nur auf die Lebensweisheit an? Darüber äußerte er sich nicht.

Klar dieser Satz: Kohlhaas´ Mutter strich nach der Mode der Zeit alle Möbel im Haus grün. Klar auch dieser, der ihre Angst betrifft in den ersten Jahren, wenn - gut, es geschah nicht oft, aber doch manchmal - der Mann mit roten Augenlidern von einem Trinkgelage zurückkam und dann mit Kohlhaas und seiner Schwester im Arm schlafen wollte. Du wirst sie erdrücken, sagte die Mutter, wie - aber nie fiel ihr der Name der Frau aus der Bibel ein, die eines ihrer Kinder erdrückt hatte. Vater Kohlhaas ließ sich von ihr nicht abhalten. Er schlief mit den Kindern im Arm, blies seinen Bieratem über ihre Gesichter, sie drängten sich an ihn, zweijährig, dreijährig, schliefen. Wahrscheinlich machte es ihnen nichts aus. Die Mutter saß vorm Bett, oder sie legte sich vors Bett, weinte und versuchte wachzubleiben und mit den Augen im Dunkeln zu sehen.

Sätze, die Kohlhaas als Kind mit anhörte:

1. »Nein« sagen ist das eine, sagte die Mutter, aber »ja« sagen ist nicht das andere. »Ich« sagen ist das andere. Dann klagte sie: als hörten die Schwierigkeiten, »ich« zu sagen, irgendwann mal auf.

2. Der Vater über sentimentale Leute. Er sagte: Es sind Leute, die immer zu spät dran sind, zu spät etwas verlassen oder aufgeben, zu spät Angst erfahren, kurz, alles zu spät kennengelernt haben. Und »zu spät« ist ein anderer Ausdruck für »zu lange«. Leute also, die zu lange an etwas gehangen haben oder sich zu lange an wen gehängt, die immer zu lange geblieben sind, die den Zeitpunkt zum Auf- und Abbruch immer verpaßt haben. Zu lange haben sie gehofft, gewartet, sich in Unbeweglichkeit stille gehalten. Der Vater sagte: Nimm dein Bett und geh, und du bist König.

3. Der Vater sagte von irgendwem: Er kommt nicht aus seinen vier Wänden, wie eine Frau. Er setzt nicht sein Leben aufs Spiel.

Sondern? fragte die Mutter, wessen Leben?

Er wirft sein Leben weg, ohne etwas mit ihm angestellt zu haben.

Das kannst du so nicht sagen, sagte die Mutter, er hat eine Vergangenheit, du hast doch auch eine.

Was hat das damit zu tun?

4. Margaretes Mutter klagte, daß sie ihr Leben versäße.

Was meint sie damit, fragte sich Kohlhaas. Sie steht doch viel mehr, als daß sie sitzt, sie steht, wenn sie mit ihrem Mann oder mit Margarete die Flachsbündel riffelt, steht, wenn sie die Stengel wässert, nach dem Wässern steht sie, wenn sie die Stengel in der Sonne auslegt, auch beim Brechen und Schwingen steht sie, sie sitzt doch nur beim Hecheln und wenn sie die langen Fasern bürstet und zur Docke dreht. Soll ich sie fragen?

5. Wir pfeifen auf dem letzten Loch, sagte die Mutter zum Vater. Wir pfeifen auf dem letzten Loch, sagte Margaretes Mutter zu ihrem Mann.

Margarete glaubte ihnen, nur hörte sie sie nicht pfeifen. Kohlhaas hörte auch nichts, er sah auch nicht das Loch, und da der Satz sich wiederholte, ohne daß sich etwas änderte, sagte er sich bald: Alle Tage sind die Eltern am Verhungern, Erwachsene verhungern jeden Tag, liegen jeden Tag im Sterben, alle Tage sind sie tot, selbst die Fliegen sterben zäher. Wann stirbst du? Er hielt eine Eschenrispe in der Hand und zählte ab: Vater, Mutter, die Schwester, ich, Vater, Mutter, ich-ich-ich. Ich will es anders machen, dachte er, nichts will ich machen, was es schon gibt, ich will etwas Neues machen und rede nicht davon.

Kohlhaas und Margarete kannten sich schon als Kinder. Ich denke über den Satz nach, da erschreckt er mich fast. Er klingt traurig. Es liegt am schon. Als wäre damit bereits alles vorbei und zwischen ihnen entdeckt: Margarete und Kohlhaas hätten sich für alle Zukunft auskundschaftet und könnten nur noch gewohnt und reizlos nebeneinanderher leben. Schon: die Vorwegnahme.

Margarete war die Tochter eines Cöllner Leinewebers. Sie wurde ernst geboren wie andere mit einem zu kurzen Arm. Sie zwirbelte in ihren Haaren, dünnen, verklebten, schwarzen Strähnen, vom vielen Zwirbeln ständig verfilzt. Ihre Mutter kämmte und kämmte, gab es auf, dann zog sie den Kopf der Tochter wieder zu sich heran, und Margarete schrie und drängelte. Zwei nackte Füße im Sommer, gekrümmt und gegeneinander gerieben, als sollte der eine den anderen verstecken. Das Auffallendste an ihr waren die Augen. Sie standen weit auseinander und waren grün, wie Mandeln geschnitten. Sie hatte ein Steppengesicht, Gesicht von weit her mit hohen Jochbeinen.

Hüte dich vor grünen Augen - eine Lebensweisheit des Vaters. Grün wie Schilf, das Meer, ein Apfel, grün wie die Dämmerung, ein Gesicht im Nebel, wie die Seele, grün vor Zorn, krank, was hast du gegen grüne Augen - die stumme Frage des Sohnes.

Hüte dich vor grünen Augen, wird Kohlhaas´ Vater sagen, Frauen, die grüne Augen haben - und eine Handbewegung machen, die andeutete, wie nicht geheuer ihm bei dem Gedanken war. Der Vater war bestrickt.

Die Fischgeschichte. Boden unter die Füße.

Kohlhaas warf Margarete die Heringe seines Vaters nach. Achtundvierzig Heringe klatschten in den enkeltiefen Straßendreck und lagen da und glotzten sie an. Sie hob ein paar auf und warf sie zurück. Sie traf besser als er. Den Rest klaubte er wieder auf und sagte, er habe die Heringe alle gefangen. Sie lachte: Heringe in der Spree. Dann tauchte er alle Fische ins Wasser, wusch...


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Autor

Elisabeth Plessen, 1944 in Neustadt in Holstein geboren, studierte Geschichte, Philosophie und Germanistik in Paris und Berlin und promovierte bei Walter Höllerer zur »zeitgenössischen Epik im Grenzgebiet von fiction und nonfiction«. Sie debütierte 1976 mit dem Roman »Mitteilung an den Adel« und veröffentlichte seitdem fünf weitere Romane, drei Erzählbände, einen Gedichtband sowie die Memoiren ihres langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährten Peter Zadek. Bekannt wurde sie auch als Übersetzerin von Theaterstücken von William Shakespeare, Henrik Ibsen und Sarah Kane. Für ihr Werk wurde sie u.a. mit dem Deutschen Kritikerpreis und dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Sie lebt wechselnd in der Toskana und in Berlin. Im Berlin Verlag sind bisher der Roman »Ida« (2010), eine Neuauflage von »Kohlhaas« (2011), der Gedichtband »An den fernen Geliebten« (2014) sowie zuletzt der breit rezipierte Roman »Die Unerwünschte« (2019) erschienen.