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Selbstmord im Dritten Reich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
338 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am18.02.20131. Auflage
Hitler, Goebbels, Bormann und Himmler - sie alle brachten sich um, als »ihr Deutsches Reich« unterging. Die Geschichte des Selbstmords im Dritten Reich zu erzählen bedeutet aber vielmehr, ganz andere Personen in den Blick zu nehmen: Anhänger und Gegner des Regimes, Soldaten und Frauen, verfolgte Gruppen, unter ihnen insbesondere Juden.
Die Motive, die bereits in der Weimarer Republik, verstärkt jedoch während des Zweiten Weltkriegs und nach der Kapitulation zu hohen Selbstmordraten geführt haben, differieren. Diesen unterschiedlichen Motiven nachzugehen, den Menschen hinter den Zahlen ein Gesicht und eine Geschichte zu geben, dieses Verdienst kommt dem Autor dieser bereits mit hoher Aufmerksamkeit bedachten Studie zu.
Christian Goeschels Buch verbindet die sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen mit den Diskursen über Selbstmord und den Einzelschicksalen, die hinter den Selbstmordraten stehen. Der Autor analysiert Presseberichte, Propagandamaterial, Selbstmordstatistiken, Abschiedsbriefe, Polizeiunterlagen, Gerichtsdokumente und wissenschaftliche Abhandlungen aus dem Zeitraum von der Weimarer Republik bis nach der Kapitulation. Er kann zeigen, daß Selbstmord im Dritten Reich eine Option zwischen Selbstbestimmung und Bewahrung der Würde war - und oft die letzte Hoffnung im Angesicht des nationalsozialistischen Schreckens.



Christian Goeschel, geboren 1978, lehrt Europäische Geschichte an der Universität Manchester.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR18,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR17,99

Produkt

KlappentextHitler, Goebbels, Bormann und Himmler - sie alle brachten sich um, als »ihr Deutsches Reich« unterging. Die Geschichte des Selbstmords im Dritten Reich zu erzählen bedeutet aber vielmehr, ganz andere Personen in den Blick zu nehmen: Anhänger und Gegner des Regimes, Soldaten und Frauen, verfolgte Gruppen, unter ihnen insbesondere Juden.
Die Motive, die bereits in der Weimarer Republik, verstärkt jedoch während des Zweiten Weltkriegs und nach der Kapitulation zu hohen Selbstmordraten geführt haben, differieren. Diesen unterschiedlichen Motiven nachzugehen, den Menschen hinter den Zahlen ein Gesicht und eine Geschichte zu geben, dieses Verdienst kommt dem Autor dieser bereits mit hoher Aufmerksamkeit bedachten Studie zu.
Christian Goeschels Buch verbindet die sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen mit den Diskursen über Selbstmord und den Einzelschicksalen, die hinter den Selbstmordraten stehen. Der Autor analysiert Presseberichte, Propagandamaterial, Selbstmordstatistiken, Abschiedsbriefe, Polizeiunterlagen, Gerichtsdokumente und wissenschaftliche Abhandlungen aus dem Zeitraum von der Weimarer Republik bis nach der Kapitulation. Er kann zeigen, daß Selbstmord im Dritten Reich eine Option zwischen Selbstbestimmung und Bewahrung der Würde war - und oft die letzte Hoffnung im Angesicht des nationalsozialistischen Schreckens.



Christian Goeschel, geboren 1978, lehrt Europäische Geschichte an der Universität Manchester.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518761809
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum18.02.2013
Auflage1. Auflage
Seiten338 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1241219
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
1;Cover
;1
2;Informationen zum Buch oder Autor;2
3;Titel;3
4;Impressum
;4
5;Inhalt;5
6;Vorwort zur deutschen Ausgabe;7
7;Hinweis für die Leser;9
8;Einleitung;11
8.1;I;11
8.2;II;18
8.3;III;22
9;1 Hintergrund: Die Weimarer Zeit;24
9.1;I;24
9.2;II;34
9.3;III;39
9.4;IV;44
9.5;V;51
9.6;VI;68
9.7;VII;80
9.8;VIII;87
10;2 Selbstmord unter dem Hakenkreuz, 1933-1939;90
10.1;I;90
10.2;II;97
10.3;III;105
10.4;IV;117
10.5;V;126
10.6;VI;131
10.7;VII;136
10.8;VIII;140
10.9;IX;147
11;3 Selbstmorde deutscher Juden, 1933-1945;149
11.1;I;149
11.2;II;151
11.3;III;163
11.4;IV;167
11.5;V;171
11.6;VI;178
11.7;VII;181
12;4 Selbstmorde im Krieg, 1939-1944;184
12.1;I;184
12.2;II;186
12.3;III;198
12.4;IV;204
12.5;V;210
12.6;VI;215
12.7;VII;218
13;5 Zusammenbruch;230
13.1;I;230
13.2;II;241
13.3;III;247
13.4;IV;253
14;Schluß;256
15;Anmerkungen;265
15.1;Einleitung;265
15.2;1 Hintergrund: Die Weimarer Zeit;266
15.3;2 Selbstmord unter dem Hakenkreuz, 1933-1939;274
15.4;3 Selbstmorde deutscher Juden, 1933-1945;281
15.5;4 Selbstmorde im Krieg, 1939-1944;286
15.6;5 Zusammenbruch;292
15.7;Schluß;296
16;Statistischer Anhang;299
17;Liste der Abkürzungen;314
18;Liste der Tabellen und Statistiken;315
19;Dank;317
20;Bibliographie;319
20.1;I Dokumente;319
20.2;II Gedruckte Primärquellen;320
20.3;III Sekundärliteratur;326
20.4;IV Unveröffentlichte Dissertationen;338
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Leseprobe




11Einleitung







I




Das Dritte Reich endete bekanntlich in einer Orgie von Selbstmorden. Hitler und Eva Braun nahmen sich das Leben, ebenso Goebbels und seine Frau, Himmler, später Göring und andere führende Nationalsozialisten. Weniger bekannt ist, daß diese Ereignisse in ein Muster der Selbstzerstörung paßten, das in NS-Deutschland verbreitet war. Kamen diese zerstörerischen Akte vollkommen unerwartet, oder bildeten sie den Höhepunkt von tieferen Trends in ideologischen Einstellungen und Verhaltensweisen? Das vorliegende Buch sucht eine Antwort auf diese Frage zu geben. Es beruht auf einer Untersuchung des Phänomens Selbstmord in Deutschland zwischen 1918 und 1945, also in der Zeit vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs.

Selbstmord, schreibt der Historiker Richard Cobb, sei der »intimste und unzugänglichste menschliche Akt«.1 Er kann ein letzter Ausweg aus scheinbar unlösbaren emotionalen, sozialen oder ökonomischen Problemen sein. In der modernen Gesellschaft werden Selbstmorde meistens als Folge von Krankheiten betrachtet und ihre Motive pathologisiert. In dieser Betrachtungsweise aber verliert der Selbstmord »die Dimension ethischer Entscheidung und Reflexivität«.2 Mehr noch, eine historische Untersuchung über den Selbstmord, die von dieser Voraussetzung ausginge, wäre im Grunde sinnlos, denn der Entschluß, sich das Leben zu nehmen, erschiene dann ja als Produkt zeitloser Schwächen und Gebrechen. Doch wurde dieser Auffassung des Selbstmords bereits Ende des 19. Jahrhunderts heftig widersprochen.

Der französische Soziologe Émile Durkheim beispielsweise führte den Selbstmord auf bestimmte gesellschaftliche 12Strukturen und auf die mangelhafte Integration eines Individuums in die Gesellschaft zurück. Durkheims Interesse galt vor allem den zerstörerischen und chaotischen Einflüssen der Moderne auf die zivilisierte Gesellschaft.3 Seine Studie über den Selbstmord steht in der Tradition der »Moralstatistik«, einer Denkrichtung des 19. Jahrhunderts, die sich der Untersuchung des Verhaltens und seiner Veränderungen im Lauf der Geschichte widmete. Darin spiegeln sich politische und kulturelle Entwicklungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts an, die Regierungen dazu brachte, sich sozialpolitisch zu engagieren. Und dafür brauchte man Statistiken über Geburten- und Todesraten, Art und Umfang krimineller Handlungen und ähnliche statistische Phänomene. Seit den 1870er Jahren nutzten staatliche Einrichtungen Selbstmordstatistiken zunehmend als Indikatoren für die moralische Gesundheit der Gesellschaft.4 Durkheim unterschied zwischen drei Haupttypen der Selbstzerstörung: dem egoistischen, dem altruistischen und dem anomischen Selbstmord. Die egoistische Selbsttötung hielt er für eine Folge der mangelhaften gesellschaftlichen Integration eines Individuums, die altruistische entspringt seiner Ansicht nach dem Wunsch, sein Leben für ein soziales Anliegen zu geben, und die anomische resultiert aus einem totalen Umsturz geltender Normen und Werte.5 Alle diese Kategorien sind für die vorliegende Studie relevant, wobei »Anomie« besonders hilfreich ist, weil sie Selbstmord als geschichtliches Ereignis erklären kann. Außerdem benutzten Zeitgenossen Begriffe, die dem der Anomie entsprachen (auch wenn sie diesen Begriff selbst nicht gebrauchten), um sich ihre Erfahrungen der Moderne, den Umsturz der Normen und Werte verständlich zu machen, der nach ihrer Ansicht zu suizidalen Handlungen führte. Auch Historiker haben Durkheims Überlegungen aufgegriffen. In einem kurzen, dennoch äußerst anregenden Abschnitt seiner Untersuchung über die vorindustrielle Gesellschaft Englands nutzt Peter Laslett Durkheims Theorie des Selbstmords in einer 13Weise, die typisch ist für die Geschichtsschreibung der 1960er und 70er Jahre. Laslett hat sich der Auffassung angeschlossen, daß die Selbstmordrate »ein deutlicher Indikator sozialer Auflösungserscheinungen« sei, der das Verhältnis zwischen individueller Disziplin und gesellschaftlichem Überleben markiere.6 Die Historikerin Olive Anderson versucht in ihrer Monographie über den Selbstmord im viktorianischen und edwardianischen England, die überwiegend auf statistischem Material und auf Durkheims positivistisch sozialwissenschaftlicher Methode beruht, unterschiedliche Formen des Selbstmords durch Unterschiede nach Generation, Geschlecht und Klassen zu erklären.7

Dagegen wiederum wendet der Mediävist Alexander Murray ein, die Konzepte von Selbstmord und Statistik seien »aus einem bestimmten Blickwinkel so weit voneinander entfernt, wie das zwei Konzepte nur sein können«.8 Nach dem strukturalistischen Modell sind suizidale Handlungen auf gesellschaftliche Faktoren zurückzuführen. Weil es sich jedoch ausschließlich mit der gesellschaftlichen Dimension des Selbstmords beschäftigt, läßt dieses Modell individuelle Motive, die Menschen in den Selbstmord treiben, außer Betracht; die Handlungsfreiheit des Individuums kommt in diesem Ansatz praktisch nicht vor.

Selbstmordstatistiken bieten »eine sichtbare, greifbare Indikation dessen, was ein extremes Ereignis ist«, aber übergehen das Individuum.9 Um also das Phänomen des Selbstmords in der Weimarer Zeit und in NS-Deutschland zu untersuchen, brauchen wir eine facettenreiche Methode, die sowohl individuellen als auch gesellschaftlichen Faktoren gerecht wird und statistische Erhebungen ebenso berücksichtigt wie Dokumente über Selbstmorde Einzelner.

In ihrem Werk über den Selbstmord im frühmodernen England gehen Michael MacDonald und Terence Murphy einen anderen Weg. Sie betonen die kulturellen und subjektiven Aspekte des Selbstmords, auf die Durkheim und Ander14son nicht eingehen. Es erscheint ihnen, um das Phänomen des Selbstmords zu erklären, wenig hilfreich, eine Selbstmordrate zu berechnen und quantitative Methoden anzuwenden. Statt dessen untersuchen sie, wie sich die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Selbstmords im frühmodernen England verändert hat; wenn man so will, nutzen sie den Selbstmord für eine Fallstudie zum kulturellen Wandel.10 Mit ihrer Methode regen uns MacDonald und Murphy dazu an, unsere Aufmerksamkeit auf die textuelle Konstruktion des Selbstmords zu richten, auf die veränderlichen kulturellen Annahmen, die den Selbstmordstatistiken zugrunde liegen. Darum ist ihr Vorgehen so hilfreich. Zumindest versuchsweise läßt sich aus dem jeweiligen Kontext ein Eindruck von Motiven und Rechtfertigungen gewinnen, die einen Selbstmord bestimmen.

Selbstmord ist jedoch nicht nur ein kulturelles Konstrukt, sondern eine reale Handlung. Statistiken bringen das quantitative Ausmaß von Selbstmorden zur Darstellung, und wir müssen sie berücksichtigen, ungeachtet ihrer mangelhaften Darstellung kultureller Faktoren. »Wir sollten Historikern ihre Berufung absprechen, wenn wir glauben, alle berichteten Ereignisse seien losgelöst von irgendeiner objektiven Realität« - so die zugespitzte Formulierung eines Historikers in diesem Zusammenhang.11

1967 zeigte der Soziologe Jack D. Douglas, daß mit der statistischen Methode, mit der Durkheim den Selbstmord untersuchte, entscheidende Leerstellen bleiben. Denn jeder Bestimmung von Selbstmordraten liegen bestimmte Diskurse und Werte zugrunde, die ganz wesentlich sind für die Art und Weise, wie über Selbstmorde berichtet wird.12 So wurden in einigen in NS-Deutschland erstellten Selbstmordstatistiken Motive für den Selbstmord klassifiziert - diese grobe Typologie aber ging direkt auf nationalsozialistische Vorstellungen vom Selbstmord zurück, nach denen Statistiker und Polizisten individuelle Selbstmorde erfaßt haben.

15Außerdem müssen wir davon ausgehen, daß den Ämtern für statistische Erhebungen nicht alle Selbstmorde gemeldet und auch nicht alle Selbstmordversuche statistisch erfaßt wurden. Wie David Lederer, ein Historiker der frühen Neuzeit, gezeigt hat, ist die These, in protestantischen Gebieten seien Selbstmorde häufiger als in katholischen, zum kulturellen Stereotyp geworden. Im Katholizismus ist der Selbstmord tatsächlich ein Tabu und gilt als Todsünde. Ärzte und Polizisten in katholischen Gebieten standen unter beträchtlichem Druck, Selbstmorde als Unfälle erscheinen zu lassen, wie Friedrich Zahn, der Präsident des Bayerischen Amts für Statistik, im Jahr 1932 mißbilligend festgestellt hat.13 So kann sich die Religion auf die Genauigkeit von Statistiken auswirken.

Wie alle historischen Statistiken haben auch die über Selbstmorde unweigerlich eine Fehlermarge; sie sind deswegen aber absolut nicht bedeutungs- oder wertlos. In der Weimarer Republik und in NS-Deutschland korrelierten die Selbstmordraten in verschiedener Hinsicht mit allgemeineren Trends, zum Beispiel mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Man kann davon ausgehen, daß sie nicht völlig ungenau sind. Statistische Erhebungen, die auf nationaler und regionaler Ebene nach Alter und Geschlecht differenzieren, geben die unterschiedlichen Muster in ländlichen und städtischen sowie in protestantischen und katholischen Gebieten nachvollziehbar wieder.

So müssen wir beide Richtungen, die statistische und die kulturwissenschaftliche, miteinander verbinden, um das Phänomen des Selbstmords in NS-Deutschland zu erklären; müssen einerseits die persönliche Dimension des Selbstmords untersuchen, um uns ein Bild von den existentiellen und emotionalen Problemen zu machen, die zum extremen Akt...


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Kritik
»Selbstmord im Dritten Reich - das ist ein vielschichtiges Thema voller Widersprüche. Der in London lehrende Historiker Christian Goeschel hat ihm eine Studie gewidmet, die nicht nur vorzüglich lesbar ist, sondern in ihrer multiperspektivischen Herangehensweise auch beispielhaft.«mehr