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Süden und das heimliche Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
190 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am02.11.20121. Auflage
Eine verschwundene Kellnerin und jede Menge rätselhafte Hintergründe - Tabor Süden ermittelt wieder! Als die fleißige, zuverlässige Kellnerin Ilka Senner verschwindet, glaubt jeder an ein Gewaltverbrechen. Bei seinen Ermittlungen stellt Tabor Süden fest, dass keiner wirklich etwas über sie weiß. Auch ihre Familie nicht, die auf das Verschwinden mit Desinteresse und Herzlosigkeit reagiert. Erst ein Gespräch mit der Schwester lässt Süden erahnen, was Ilka aus Scham vor aller Welt verbirgt ...

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
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Produkt

KlappentextEine verschwundene Kellnerin und jede Menge rätselhafte Hintergründe - Tabor Süden ermittelt wieder! Als die fleißige, zuverlässige Kellnerin Ilka Senner verschwindet, glaubt jeder an ein Gewaltverbrechen. Bei seinen Ermittlungen stellt Tabor Süden fest, dass keiner wirklich etwas über sie weiß. Auch ihre Familie nicht, die auf das Verschwinden mit Desinteresse und Herzlosigkeit reagiert. Erst ein Gespräch mit der Schwester lässt Süden erahnen, was Ilka aus Scham vor aller Welt verbirgt ...

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426415139
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum02.11.2012
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.18
Seiten190 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse699 Kbytes
Artikel-Nr.1247546
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Regen prasselte auf die Gartentische vor der offenen Tür. Kirchenglocken läuteten. Sonntagvormittag. Tabor Süden saß in einer Kneipe und fragte sich, wieso.

Weder die fünf Männer an seinem Tisch noch die Frau hinterm Tresen hatten in der vergangenen Stunde Wesentliches zur Aufwertung seiner Anwesenheit beigetragen. Seine Chefin hatte ihm gestern den Auftrag erteilt, und er, ohne Not nüchtern, hatte zugestimmt, gleich am nächsten Tag ein Treffen zu arrangieren.

Der nächste Tag war schneller heute, als Süden erwartet hatte. Und seit dem Aufstehen haderte er nicht nur mit sich, weil er an seinem freien Tag einen Termin vereinbart hatte. Er verzweifelte nicht nur fast an den ineinandertrudelnden Monologen, die er sich anhören musste. Was ihm am meisten zu schaffen machte, war der Anblick des Kaffeekännchens und der Tasse, die vor ihm standen wie das Geschirr eines gemeinen Gottes.

In einem Gasthaus mit dem Namen »Charly´s Tante« zu sitzen und kein Bier zu trinken, erschien Süden wie die Vorstellung, er hätte damals als Ministrant in Unterhose und Unterhemd vor dem Altar knien müssen.

Mehrmals hatte die Wirtin, deren blonde, kurios hochgesteckte Haare ihm - vermutlich als Folge seiner Abstinenz - wie ein verrutschter Zwiebelturm vorkamen, die Frage gestellt, ob er nicht, wie die anderen Männer, ein Helles oder ein Weißbier wolle. Er schüttelte jedes Mal den Kopf. Und er fragte sich, wieso.

Welcher Anfall von Berufsethos zwang ihn, einen Kaffee zu trinken, der erst seinen Magen und dann seinen Darm ruinierte und anderswo wahrscheinlich zur Bekämpfung von Ehec-Bakterien eingesetzt wurde? Noch nicht einmal seinen kleinen karierten Schreibblock hatte er aus der Tasche gezogen. Das meiste, was er bisher an diesem Tisch über das Verschwinden der sechsundvierzigjährigen Kellnerin Ilka Senner erfahren hatte, stand in den Protokollen der Polizei. Den Rest hielt Süden für das übliche Getrommel von Zeugen, die sich aus der Savanne ihrer Phantasie zu Wort meldeten, in der Überzeugung, Geheimnisse und Wahrheiten zu verkünden.

Zwölf Jahre bei der Vermisstenstelle der Kripo und vier in der Mordkommission hatten ihn das Zuhören gelehrt, das Weghören und das Doppelthören. Er kannte den Unterschied zwischen Lügen und Schwindeln, Lamentieren und Leiden und den zwischen Rhabarberkompott und Rhabarberkomplott. Vom selbstgemachten Nachtisch seiner Mutter hatte er als kleiner Junge nie genug bekommen, vom selbstgemachten Laberzeug, mit dem ihn manche Leute einzulullen versuchten, wurde ihm übel.

»Sie sehen blass aus«, sagte Charlotte Nickl, genannt Charly, die Frau des Wirts. »Wollen Sie einen Schnaps?«

Kurz vor einem erneuten Kopfschütteln sagte Süden: »Ein Bier.«

»Na also.« Der Zwiebelturm neigte sich vor und zurück, und die Wirtin ging zum Tresen.

Die fünf Männer sahen ihn an, wieder einmal. Im Grunde sahen sie ihn die ganze Zeit an, als wäre er ein Riesenspiegel und sie Balletttänzer auf der Probe. Alles, was er möglicherweise spiegelte, war blanke Ratlosigkeit, und alles, was sie verkörperten, waren die Gesetze der Schwerkraft. Vielleicht, dachte Süden, sollte er sich vor der Tür unter die grüne Markise stellen, die kühle Luft einatmen und an eine Frau denken oder zumindest an ein anderes Lokal. Vielleicht passten die Menschen und er heute einfach nicht zusammen. Abstand, hatte er einmal gelesen, sei die Seele des Schönen.

»Sehr zum Wohl.« Die Worte hagelten auf seine Gedanken. Charlotte Nickl stellte ein blendend aussehendes helles Bier vor ihn hin und lächelte, wie Jesus gelächelt hätte, wenn die Kreuzigung abgesagt worden wäre. Sie schien erlöst zu sein. Süden war es auch.

»Möge es nützen!« Er hob sein Glas. Alle hoben ihre Gläser. Die Wirtin eilte zum Tresen, holte ihre Weißweinschorle, und dann tranken sie und stellten ihre Gläser ab, und nur Charlotte behielt ihres in der Hand. Süden leckte sich die Lippen und hob den Kopf. Wie rauchende Apostel umringten ihn zwölf Augen.

Er wusste nicht, was er sagen sollte, also breitete er die Arme aus, lehnte sich zurück, rief sein inzwischen perfekt eingeübtes Nicken ab, faltete die Hände im Schoß, schwieg eine Weile und beugte sich wieder zum Tisch, soweit sein Bauch es ermöglichte.

Der Regen prasselte immer noch auf die Gartenmöbel und den Asphalt. Vögel zwitscherten sommerlich. Süden bildete sich ein, die Freude seines Blutes über das Bier wahrzunehmen.

Momente unendlicher Erwartung.

Dann sagte Dieter Nickl, den jeder Dieda nannte: »Ich geh jetzt schiffen, und dann wird Klartext geredet, habt´s mich?«

Süden zog seinen Spiralblock und den Kugelschreiber aus der Tasche. Klartext, dachte er, den wollte er notieren, zumal ein Mann ihn angekündigt hatte, der am Sonntagvormittag gegen elf Uhr bei seinem vierten Weißbier angelangt war und gegen dessen bisheriges Aussagenkonglomerat die babylonische Sprachverwirrung von Hemingwayscher Klarheit gewesen sein musste.

»Da bin ich wieder.« Nickl setzte sich, wie vorher, Süden gegenüber und rieb sich die Hände. Vielleicht, dachte Süden, hatte er sie sich auf dem Lokus zumindest in Unschuld gewaschen. »Jetzt pass mal auf, die Ilka ist seit achtzehn Jahren bei mir ...«

Für Süden eine Neuigkeit, als hätte ein verschwitzter Bote ihm zugeflüstert, der Papst sei katholisch.

»... Achtzehn Jahre, das ist eine Ewigkeit. Ist dir das klar? Entschuldigung, wenn ich du sag, das passt schon, oder?«

»Unbedingt«, sagte Süden.

»Ich bin der Dieda.«

Und der Bote flüsterte weiter: Der Jesus auf dem Bild ist der mit den Wundmalen.

»Und weil das so ist, ist es vollkommen ausgeschlossen, dass die Ilka einfach abgehauen ist. Ist das jetzt mal nachvollziehbar? Begreifen Sie, begreifst du, was ich dir damit sagen will, als Mensch und Freund und Wirt. Der Ilka ist was zugestoßen, ein Verbrechen. Und das muss aufgeklärt werden. Und zwar zügig. Und zwar von dir.«

Süden sagte: »Ich bin kein Polizist.« Eine Wahrheit so wahr wie ein leeres Bierglas.

»Das weiß ich doch«, brüllte Nickl ihm ins Gesicht.

»Ganz ruhig, Dieda«, sagte Claus Viebel, der auf der Bank neben Süden saß. »Der Detektiv hat dich schon verstanden.« Er wandte sich an Süden. »Sie haben das verstanden, was der Dieda meint? Er meint, die Ilka ist womöglich ermordet worden, verschleppt, man weiß nichts. Die Polizei war hier, hat uns alle befragt, auch die Angehörigen, Spuren gesichert angeblich. Sie sagen ...«

»Sie sagen ...«, sagte Nickl und richtete den ausgestreckten Zeigefinger auf Süden, und Viebel schloss allmählich seinen Mund. »... Die Ilka ist erwachsen, sie ist sechsundvierzig, das kommt ja noch dazu, sie weiß, was sie tut. Das ist das Problem, polizeilich gedacht. Sie kann machen, was sie will. Sagt die Polizei. Hinweise auf ein konkretes Verbrechen ... keine da. Angenommen, du verschwindest plötzlich ...« Er meinte, schätzte Süden, seinen Freund neben sich, Johann Baumann, falls Süden ihn nicht mit einem der anderen verwechselte.

»Stell dir vor, wir sitzen hier, und du kommst nicht. Am nächsten Tag auch nicht, das ist doch ... Polizei her. Ja, der Mann, der ist erwachsen, wie alt bist du, Johann? Wie alt genau?«

»Genau fünfundsechzig«, sagte Johann, und es klang nicht nach einer Ode an die Freude.

»Genau. Mehr erwachsen kann man nicht werden als fünfundsechzig. Was ist dann?«

Wovon redet er?, dachte Süden und betrachtete sein leeres Glas, wagte aber nicht, an der unerhörtesten Stelle des Monologs einen dürstenden Blick zum Tresen zu werfen.

»Dann ist«, sagte Nickl, ohne seinen Nachbarn anzusehen, »nichts. Da ist nichts. Du liegst in einer Odelgrube in Unterzeismering ...«

»Was für eine Odelgrube?«, sagte Viebel.

»Was?«

»Ich war noch nie in Unterzeismering«, sagte Johann Baumann. Außer Nickl war er der einzige Weißbiertrinker am Tisch. Er trank einen Schluck und starrte vor sich hin. Süden hoffte, der Mann versetzte sich nicht in die Lage einer Leiche in einer Odelgrube, nicht an einem heiligen Sonntag.

»Das ist doch vollkommen egal«, sagte Nickl. »Ich sprech hier allgemein, von der Natur der Polizei. Verschwunden heißt: Niemand sucht nach dir. Nach einem Kind würden sie suchen, das ist klar. Aber nach dir nicht, nach mir auch nicht. Und nach der Ilka auch nicht. Und sogar wenn du verschwindest, Süden, sucht niemand nach dir, jedenfalls nicht die Polizei. Die Charly war mal in Helsinki verschwunden, ich hab mir Sorgen gemacht, weißt du das noch, Charly?«

Die Frau am Tresen unterbrach das Polieren der Gläser. Seit zwanzig Minuten polierte sie ein Glas nach dem anderen und sah dabei aus, als dächte sie über Dinge nach, die Süden wissen sollte. Vielleicht wirkte auch nur der Weißwein und löste ein philosophisches Schauen bei ihr aus.

»Hörst du zu?« Nickl beugte sich über den Tisch. Interessanter Atem umwaberte den Detektiv. »Das ist ja der Grund, warum wir dich herbestellt haben. Damit du die Ilka findest.«

Zum Abschied flüsterte der Bote Süden zu: Und am Jüngsten Tag findet übrigens eine Auferstehung statt.

»Die Ilka muss gefunden werden«, sagte ein Mann, der, glaubte Süden, Olaf Schütze hieß. »Deswegen haben wir zusammengelegt, damit wir uns einen fähigen Detektiv leisten können. Wir alle hier am Tisch. Der Dieda, der Claus, der Werner, der Johann und die Charly natürlich auch. Tausend Euro. Ist nicht viel, aber Sie werden schon was rausfinden. Die Frau Liebergesell hat gesagt, Sie können was, Sie haben ein Gespür, Sie sind unbestechlich.«

»Im übertragenen Sinn«, sagte Nickl,...
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Autor

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.