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Eine Zierde in ihrem Hause

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
784 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am01.07.20111. Auflage
Die Romanbiografie über eine Frau zwischen Konventionen und Leidenschaft Lebensgier und Weltuntergangssstimmung prägen das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der rauschenden Feste und glänzenden Gesellschaften steht Ottilie von Faber. Zunächst als Debütantin aus dem aufstrebenden Industrieadel, dann - nach dem Tod ihres Großvaters - als Alleinerbin der Bleistiftfabrik A.W. Faber, schließlich an der Seite ihres Mannes Alexander von Castell-Rüdenhausen. Alles könnte perfekt sein, doch die gesellschaftlichen Erwartungen und starren Gepflogenheiten lasten schwer auf der lebenshungrigen jungen Frau. Schließlich muss sie sich entscheiden: Folgt sie ihrem vorbestimmten Weg oder ihrem Herzen?

Asta Scheib, geboren am 27. Juli 1939 in Bergneustadt, ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt in München. Sie arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Frauenzeitschriften und schrieb Drehbücher für das Fernsehen. Ihre literarische Tätigkeit begann sie mit Kurzgeschichten. 1974 verfilmte Rainer Werner Fassbinder ihre Erzählung «Angst vor der Angst». Großen Erfolg hatte Asta Scheib außerdem mit ihrem Roman «Kinder des Ungehorsams», in dem sie die Geschichte der Katharina von Bora, der Ehefrau Martin Luthers, darstellte. 2003 erhielt sie vom Freistaat Bayern die Pro-Meritis-Auszeichnung für besondere Verdienste in Wissenschaft und Kunst.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie Romanbiografie über eine Frau zwischen Konventionen und Leidenschaft Lebensgier und Weltuntergangssstimmung prägen das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der rauschenden Feste und glänzenden Gesellschaften steht Ottilie von Faber. Zunächst als Debütantin aus dem aufstrebenden Industrieadel, dann - nach dem Tod ihres Großvaters - als Alleinerbin der Bleistiftfabrik A.W. Faber, schließlich an der Seite ihres Mannes Alexander von Castell-Rüdenhausen. Alles könnte perfekt sein, doch die gesellschaftlichen Erwartungen und starren Gepflogenheiten lasten schwer auf der lebenshungrigen jungen Frau. Schließlich muss sie sich entscheiden: Folgt sie ihrem vorbestimmten Weg oder ihrem Herzen?

Asta Scheib, geboren am 27. Juli 1939 in Bergneustadt, ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt in München. Sie arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Frauenzeitschriften und schrieb Drehbücher für das Fernsehen. Ihre literarische Tätigkeit begann sie mit Kurzgeschichten. 1974 verfilmte Rainer Werner Fassbinder ihre Erzählung «Angst vor der Angst». Großen Erfolg hatte Asta Scheib außerdem mit ihrem Roman «Kinder des Ungehorsams», in dem sie die Geschichte der Katharina von Bora, der Ehefrau Martin Luthers, darstellte. 2003 erhielt sie vom Freistaat Bayern die Pro-Meritis-Auszeichnung für besondere Verdienste in Wissenschaft und Kunst.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644207219
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum01.07.2011
Auflage1. Auflage
Seiten784 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4446 Kbytes
Artikel-Nr.1249051
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil 1

Kapitel 1

DAS LETZTE, was Anna Vasbender für eine längere Zeit von ihrem Zuhause sah, war eine fette Ratte, die ihr Hinterteil unter den verwitterten Holzbrettern des Abtritts hindurchquetschte. Anna mußte auf den Abort. Sie hatte sich diesen Gang bis zuletzt aufgespart, wie immer, damit der Druck auf ihre Blase schließlich den Ekel überbieten und jeden Aufschub unmöglich machen sollte.

Es war einer der letzten Tage im Juni. Ein langer heißer Sommer stand bevor, und Anna, schon am frühen Morgen verschwitzt, sehnte sich nach dem frischen Wind, den sie am Strand der Nordsee vermutete, an dem sie selber noch nie gewesen war. Wohl aber ihre Lehrerin, die dort unauslöschliche Eindrücke gesammelt haben mußte. In der Erinnerung Annas jedenfalls redete die Lehrerin unablässig vom Seewind und vom sechsten Gebot, und das hörte sich dann ungefähr so an: «Auch damals, in der frischen Brise am Nordseestrand, habe ich nie vergessen, wie scharf es Gott mit der Sünde der Unkeuschheit nimmt. In seinem sechsten Gebot, an das wir uns treu und ernsthaft halten müssen, befiehlt Gott, daß wir keusch und züchtig leben in Worten und Werken. Denn es steht geschrieben, daß Gott alles sieht, was man tut.»

Wenn Gott allem zuschaute, konnte er jetzt sehen, wie Anna mit schnellen, steifen Schritten, die Schenkel eng aneinandergepreßt, die Obere Schmiedgasse hinaufeilte, zum Anwesen ihrer Patin, von deren Abtritt sich Anna Erlösung versprach. Die Wohnung der Patin befand sich im ersten Stock eines großen, düsteren Hauses, das früher einmal stattlich gewesen war, jetzt aber verrottetes Fachwerk und bröckelnden Putz sehen ließ. Im Parterre hatte sich eine Weinhandlung etabliert, und Anna wußte ungefähr, was es mit diesem Geschäft auf sich hatte. Die Männer, die dort Wein kauften oder tranken, hatten noch mehr im Sinn. Und das hing mit den Näherinnen zusammen, von denen nach dem geflüsterten Bericht der Patin derzeit sieben im Haus wohnten. Diese Näherinnen waren Mädchen und Frauen wie das schöne Hannchen oder die priemende Lotte, die vor den Männern ihre Röcke aufhoben. «Unzucht über Unzucht», eiferte die Patin, und an ihrem dünnen Hals blühten rote Flecken auf. Oftmals, so sagte die Patin, sei sie halbtot vor Angst, daß ein Besucher des Hauses sie mit einer dieser Schamlosen verwechseln könne. Darauf hatten alle anwesenden Frauen die Patin beruhigen, ihr klarmachen wollen, daß, wenn sie das Dunkel der Nacht meide, ihr gewiß niemand zu nahe treten werde. Auch Anna hatte in den Chor eingestimmt, bis ihr durch das ungewöhnliche Schweigen der Patin klar wurde, daß es ihr doch nicht paßte, derart nachdrücklich aus dem Gefahrenbereich der Männerwelt gerückt zu werden.

Da die Patin zu den zahlreichen Rätseln gehörte, die das Leben Anna aufgab, verfolgte sie den Gedanken an die seltsame Reaktion der Tante nicht weiter. Schließlich war Annas Blase kurz vor dem Zerplatzen, und in Momenten der Bedrängnis muß man das Wichtigste zuerst tun.

Anna nahm den klobigen Deckel vom Abtritt und versuchte, dabei nicht in die Grube hineinzuschauen. Das war nicht so einfach, denn die Löcher aller Aborte, die Anna kannte, waren groß wie Krater, und mindestens ebenso gefährlich. Feindselig und tückisch schienen formlose Wesen in der Gülle zu paddeln, und Anna wußte, daß die Frauen aus der Weinhandlung, die ihre Röcke vor den Männern hochhoben, manchmal Früchte ihres bösen Tuns in der Gülle begruben. Das hatte die Patin der Mutter zugeflüstert, doch Anna hatte es gehört, und sie machte sich ihre Gedanken.

Seit Anna in der Oberen Schmiedgasse lebte, lernte sie die Abendstunden lieben, wenn langsam das Tageslicht aus den Gassen zurückfloß in die Nacht. Dann wurden die rissigen, grauen Häuser von dürftigen Lampen erhellt, deren zitterndes Licht die schmutzige Obere Schmiedgasse in eine magische Landschaft verwandelte. Fast unter jedem First hingen die Dachstuben wie Vogelbauer hervor, duckten sich eng zusammen, um dem Wind nicht im Wege zu sein. Wenn auch die streitenden, keifenden Stimmen aus den Häusern nicht verstummten, wehmütiger Mundharmonikaklang oder ein kreischendes Grammophon die Ohren marterte, liebte Anna diese Abendstunden, sie schienen ihr heimlicher und traulicher als der Tag. Vor allem der Morgen. Was hatte der für ein kaltes, unbarmherziges Gesicht.

Wenn Anna bei Tagesbeginn um Brot ging, meist gegen fünf Uhr früh, dann begegnete sie auf dem schlüpfrigen feuchten Straßenpflaster den ersten Frauen, die zur Fabrik mußten. Die meisten kamen aus dem Loch. Diese Wohnungen hießen so, weil sie klein waren, feucht und ohne Licht, denn um sie zu erreichen, mußte man von der Straße aus eine Treppe hinuntersteigen. Die «Löcher» mit Gemeinschaftsküche waren trotzdem teuer, daher gingen alle Frauen aus dem Loch zur Fabrik. So wie Maria Brehm, die Anna schon gekannt hatte, als sie noch ein hübsches junges Mädchen war. Heute war sie Anfang Zwanzig, hohlwangig und blaß. Das Haar, früher zu blonden Locken frisiert, hing ihr strähnig und fahl vom Kopf. Im Arm trug Maria den blassen Säugling, an der Hand das Fritzle, das kaum gescheit laufen konnte und vor Müdigkeit die Augen nicht aufbrachte. Am liebsten wäre das Fritzle auf der Stelle wieder eingeschlafen. Doch Maria riß es unbarmherzig mit sich, das tägliche Elend hatte schon ihre mütterliche Weichheit und jede Freude an den Kindern erstickt.

Was für ein Leben. Stellungen als Dienstmädchen. Danach drei Jahre Fabrik und Tanzboden, Jahre scheinbarer Freiheit, Locken und Zwirnshandschuhe am Sonntag. Dann wurde Maria schwanger, der Vater des Kindes war nur ein Jahr älter als die Neunzehnjährige. Sechs Wochen blieben Maria für ihr erstes Kind, für die Ausstattung des Kämmerchens im Dachgeschoß. Marias dicker Bauch ließ den Hauswirt zetern, denn eine Heiratsurkunde war nicht vorhanden. Die klimpernden Geldstücke schließlich beruhigten das Gewissen des Hauswirts, und Marias zweite Freiheit begann. Sie wollte ihr Kind nicht zur Pflegefrau geben, schließlich war sie selber dort jeden Tag abgeliefert und den Wanzen überantwortet worden, und vorher ihre Mutter ebenso. Aber der Kindsvater ging gerne ins Wirtshaus, denn genau wie Maria sehnte er sich nach etwas, das sie beide nicht benennen konnten, das aber keinesfalls ein ständig greinender Säugling und ein stinkender brodelnder Kochtopf voller Windeln in einer Dachkammer im Loch war.

Marias junger Mann begann bald, seine Frau zu hassen, sie duckte sich unter seinen verächtlichen Blicken, die ihrem aufgedunsenen Körper, ihren fettigen Haaren galten. Er sah nicht, wie sie schuftete, wie sie litt, sondern machte sie für seine elende Situation verantwortlich. Auf dem Tanzboden war Marie von vielen Männern begehrt worden. Vor allem ihre üppigen blonden Locken und ihre Keckheit hatten sie zu einem Besitz gemacht, um den er beneidet wurde. Und heute? Fett war sie, bleich und stumpfsinnig. Heulte ständig. Hatte er das verdient?

Maria spürte seine Verachtung, wußte, daß sie vor allem ihrem trostlosen Aussehen galt. Wann hätte sie sich auch Locken brennen können? Sie kam ja nicht einmal zu ein paar Stunden ungestörten Schlafes. Das Essen bestand vor allem aus Zichorienkaffee, Marias Figur blieb aufgedunsen und bleich. Keines ihrer alten Kleider paßte seit der Schwangerschaft, der bald die nächste folgte. Woher hätte sie Geld für neue Garderobe nehmen sollen? Eine gelbe Seidenrose für ihren alten Hut wünschte sie sich, doch sie spürte, daß selbst dieser kleine Traum lächerlich war, wenn man in einer Dachkammer im Loch wohnte und jeden Tag zur Fabrik mußte.

Sah Anna Frauen wie Maria Brehm, und es gab deren im Loch und in der Oberen Schmiedgasse nicht wenige, dann spürte sie mit glühender Dankbarkeit die Kraft ihrer Mutter, die sich dem tiefsten Elend bislang erfolgreich entgegenstemmte, die es nicht zulassen würde, daß Anna, ihre Schwestern und ihr Bruder im Loch enden würden. Keines der Vasbender-Kinder war je zu einer Pflegemutter gegeben worden. Lieber hatte die Mutter sich mit der noch schlechter bezahlten Heimarbeit geplagt.

«Du und deine Kinder», sagte die Patin manchmal vorwurfsvoll zur Mutter, «ihr seht aus wie Leute über eurem Stand.» Die Mutter wagte nicht, der Patin zu widersprechen. Zum einen hatte sie immerhin für die Wohnung gebürgt, zum anderen hoffte Juliane Vasbender im stillen immer noch, daß ihre Kinder, vor allem Anna als Patenkind, das Erbe ihrer Schwägerin antreten würden. Außerdem wußte sie im Grunde, daß die Patin recht hatte. Jeden Tag suchte Juliane in ständig neuem zähen Bemühen, den Geruch der Armut aus ihrer Wohnung zu putzen, Schwamm und Moder mittels scharfer Essiglaugen zu bannen. Bis weit in die Nacht saß sie, um für ihre Kinder aus dem Putz der Tante schlichte Kleider zu nähen, damit sie nicht schon auf den ersten Blick als armer Leute Bälger verachtet wurden.

Zwar war die Obere Schmiedgasse nach Vaters Tod ein Abstieg gewesen, doch sollte es jetzt, da die Kinder mit dem Verdienen an die Reihe kamen, für die Vasbenders wieder aufwärts gehen. Dafür wollte Anna alles riskieren. Und die schrecklichen Abtritte, die in den Armenvierteln gang und gäbe waren, wollte Anna auch für immer hinter sich bringen. Da sie heute in die Fabersche Villa als Küchenmädchen in Dienst gehen würde, begann für sie ein neues Leben. Dazu gehörte zumindest ein Wasserclosett statt des grauenhaften Abtritts in der Oberen Schmiedgasse, und die Familie von Faber, Annas künftige Dienstherren, hatte solche Closetts sogar für die Dienstboten angeschafft. Da mußten auch dünne Dienstmädchen wie Anna keine Sorgen haben, hinterrücks in die Gülle zu...

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Autor

Asta Scheib, geboren am 27. Juli 1939 in Bergneustadt, ist Journalistin und Schriftstellerin und lebt in München. Sie arbeitete als Redakteurin bei verschiedenen Frauenzeitschriften und schrieb Drehbücher für das Fernsehen. Ihre literarische Tätigkeit begann sie mit Kurzgeschichten. 1974 verfilmte Rainer Werner Fassbinder ihre Erzählung «Angst vor der Angst». Großen Erfolg hatte Asta Scheib außerdem mit ihrem Roman «Kinder des Ungehorsams», in dem sie die Geschichte der Katharina von Bora, der Ehefrau Martin Luthers, darstellte. 2003 erhielt sie vom Freistaat Bayern die Pro-Meritis-Auszeichnung für besondere Verdienste in Wissenschaft und Kunst.