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Zähl auf mich

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am10.12.20121. Auflage
Fast zwanzig Jahre sind vergangen, seit Demian, der sympathische Protagonist aus ?Komm, ich erzähl dir eine Geschichte?, das eigene Leben besser verstehen lernte durch Geschichten, die ihm sein Therapeut erzählte. Jetzt steckt er erneut in einer Krise, und in seinem Leben geht es privat wie beruflich drunter und drüber. Was liegt näher, als den Kontakt zum »Dicken« wieder aufzunehmen? Denn der hatte ihm zum Abschied gesagt: »Was auch geschieht: Zähl auf mich!«

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextFast zwanzig Jahre sind vergangen, seit Demian, der sympathische Protagonist aus ?Komm, ich erzähl dir eine Geschichte?, das eigene Leben besser verstehen lernte durch Geschichten, die ihm sein Therapeut erzählte. Jetzt steckt er erneut in einer Krise, und in seinem Leben geht es privat wie beruflich drunter und drüber. Was liegt näher, als den Kontakt zum »Dicken« wieder aufzunehmen? Denn der hatte ihm zum Abschied gesagt: »Was auch geschieht: Zähl auf mich!«

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104026183
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum10.12.2012
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1432 Kbytes
Artikel-Nr.1250132
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Einleitung

Du machst wieder alles so kompliziert, Demian. Man muß nicht immer jede Sache, jede Geste, jedes noch so kleine Detail durchanalysieren. Wenn dir was nicht in den Kram paßt, wird das endlos ausdiskutiert. Das nervt, findest du nicht? Entschuldige, wenn ich das sage, aber es ödet mich einfach an, daß du jedes meiner Worte auf die Goldwaage legst und sogar auch noch an dem heruminterpretierst, was ich für mich behalte. Es ist doch alles in Ordnung, oder? Können wir es nicht mal dabei belassen?

Das war mehr oder weniger das, was Ludmila mir sagte.

Ludmila ... Eine Schönheit sondergleichen, von ihrem Gang bis hin zu ihrem Parfüm - allem voran ihr Name.

Zart und zerbrechlich hatte sie eines Morgens vor etwa sechs Monaten während der Visite mit hängenden Armen vor mir gestanden, den Mund leicht geöffnet, den Kittel nicht zugeknöpft, das Haar fiel ihr übers Gesicht.

»Ich versteh das nicht«, sagte sie schulterzuckend, vor dem erstaunten Blick des Patienten.

»Was verstehen Sie nicht, Frau Doktor?« versuchte ich ihre Bemerkung der Krankenhaussituation anzupassen und erhob sie mit einem Handstreich von der Studentin zur ausgebildeten Fachärztin.

»Gar nichts«, sagte sie unverfroren. »Eigentlich verstehe ich von dieser ganzen Sache rein gar nichts.«

»Wie heißen Sie?« fragte ich mit gewollt drohendem Unterton.

»Ludmila«, antwortete sie und hielt meinem Blick stand. »Und du?«

Und es geschah, was sich kein Dozent je erlauben dürfte, was aber oft genug passiert: Mit meinen fast vierzig Jahren verliebte ich mich in eine Studentin. Ich verliebte mich in ihre zwanzig Lenze, in ihre Zerbrechlichkeit, in ihren müde abwesenden Blick, ihre widersprüchliche jugendliche Reife, in diese sonderbar faszinierende Mischung aus unerreichbarer Videospielheldin und Milan-Kundera-Figur. Ich verliebte mich in sie und sicherlich auch in ihren Namen: Ludmila.

Vielleicht sollte ich sagen, vor allem in ihren Namen, denn sie selbst war nahezu ungreifbar. Es war mir fast unmöglich, ein paar Stunden bei ihr zu sein, ohne an die abwesende Frau bei Neruda zu denken (»du gefällst mir, wenn du schweigst, als wärst du in der Ferne«); denn wenn es etwas gab, was Ludmila perfekt beherrschte, dann war es das Schweigen. Schweigen und ihren rätselhaften Blick ins Leere schweifen lassen, als wäre sie außerhalb der Welt, weitab des Universums, und überließe mich ganz meiner Passion, hinter das Geheimnis ihrer Gedanken zu kommen.

 

Wenn ich heute daran zurückdenke, finde ich es fast verzeihlich. Diese junge Frau und ihr Verhalten waren mir völlig neu, und doch erinnerte sie mich, was vielleicht noch entscheidender war, vage an einen früheren, einen beinahe vergessenen Demian.

Außerdem hatte ich sie zu einem Zeitpunkt kennengelernt, als ich gerade den Strapazen von Gabys pausenloser Lamentiererei entkommen war. Seit unserer Heirat hatte meine Exfrau immerzu gefordert, protestiert, gefleht und um etwas gekämpft, was sie ein wenig hochtrabend »ihr Recht« nannte. Sie hatte von mir verlangt, ich solle meine »Verantwortung ernster nehmen«.

Natürlich war Ludmila das genaue Gegenteil. Sie war einfach nur da, als ginge sie alles andere nichts an ... Und das war verständlicherweise sehr verlockend.

Trotzdem sage ich mir bisweilen, als Arzt hätte ich ein Stück weit mehr über mein Trotzverhalten und meine kompensatorischen Bedürfnisse hinaussehen müssen. Ich verwechselte ihre jugendliche Gleichmut mit einer »quasi Zen-Haltung«, ihre absolute Gleichgültigkeit mit »frühzeitiger Weisheit« und ihre nervöse Magersucht mit der Schwerelosigkeit des spirituellen Lebens.

Irgendwann fand ich heraus, daß sie ihr frisches und natürliches Aussehen Dutzenden von Cremes und teuerstem Make-up verdankte, erstanden bei ihren unzähligen Gängen durch die Einkaufszentren der Welt. Tuben, Fläschchen und Tiegelchen (bezahlt vom Papa), alle eigens dafür entworfen, unbemerkt zu bleiben.

Und dann kam ich dahinter, daß auch die Kleidung, die gedankenlos ausgewählt und ihr immer gleich vom Leib zu fallen schien, Teil einer ausgeklügelten Verführungsstrategie war.

Beim Nachhausekommen klang mir ihr »Dochallesinordnung ...« noch im Ohr.

Im besten Fall hatte dieses dreiste Gör einfach recht, und ich versteifte mich zu sehr darauf, alles zu verkomplizieren, suchte immer nach dem Haar in der Suppe ...

Da fiel mir der Dicke ein. An einem Nachmittag vor mehr als fünfzehn Jahren hatte er mir die Geschichte vom »Kreis der neunundneunzig« erzählt ...

Vielleicht war es das.

Wieder mal meine Unfähigkeit, das Leben so zu genießen, wie es war?

Warum konnte ich mich verflixt noch mal nicht mit dem zufriedengeben, was ich hatte?

Denn das war ja nicht einmal wenig: Ich arbeitete in einem Beruf, der mir Freude machte, war gesund, hatte Freunde auf der ganzen Welt ... Und ein bißchen Kleingeld in der Tasche, um sie überall besuchen zu können.

Worüber zerbrach ich mir eigentlich den Kopf?

Vielleicht, um mir nicht doch am Ende noch eingestehen zu müssen ...

Was einzugestehen?

Die Wahrheit natürlich.

Und die Wahrheit war: Das Mädchen, Ludmila, hatte mich verlassen.

Während ich mit dem Finger den Eiswürfel in meinem zweiten Martini rosso herumwirbelte, entdeckte ich, daß diese traurige Tatsache auch einen unverkennbar positiven Beiklang hatte. Es war ein wahrer Leidensgrund. Eine gewisse Zeit lang zumindest konnte ich mir einreden, es sei ihr Verlust, der mich schmerzte, und mich so von diesem schrecklichen Gefühl der Unruhe befreien, das mich seit einiger Zeit umtrieb. Aber sosehr ich es mir auch wünschte, die Selbsttäuschung hielt nicht länger an, als bis der Drink ausgetrunken war. Die narzißtische Kränkung, von Ludmila verlassen worden zu sein, reichte allein nicht aus, um das gewaltige Loch zu erklären, das ich in mir spürte. Eine seltsame innere Leere hatte in den vergangenen Monaten meinen Gemütszustand bestimmt und in vielerlei Hinsicht auch die letzte Phase meiner Ehe.

Mich bedrückte noch etwas anderes, und ich würde mit Sicherheit nicht zur Ruhe kommen, bevor ich herausgefunden hatte, was.

 

Wieder kam mir Jorge in den Sinn.

Wie war das doch gleich mit dem Schüler und der Teetasse? Fast stürzte ich in meine Bibliothek. Ich öffnete die obere linke Schranktür. Auf der Suche nach den Aufzeichnungen, die ich während meiner Therapie gemacht hatte (ich hatte die Geschichten, die mir der Dicke in den Sitzungen erzählt hatte, meistens gleich aufgeschrieben), durchblätterte ich meine Uninotizen, schob ein paar alte Fotos beiseite und glättete mein verknittertes Doktordiplom. Da waren sie endlich! Ich durchforstete die Papiere, bis ich die Geschichte fand, und war gleich wieder von ihr gebannt.


Ein Mann kam an den Stand des Weisen Badwin und sagte:

»Ich habe viele Bücher gelesen und hatte das Glück, zahlreiche weise, erleuchtete Männer kennenzulernen. Ich habe all das Wissen aufgesogen, dessen ich habhaft werden konnte und das die anderen Meister mir vermittelt haben. Alles übrige, so glaube ich, kannst allein du mich jetzt lehren. Wenn du mich als deinen Schüler annimmst, kann ich mein Wissen mit Sicherheit um all das ergänzen, was mir noch fehlt.«

Meister Badwin sagte:

»Ich bin immer gern bereit, mein Wissen zu teilen. Trinken wir einen Tee, bevor wir mit der ersten Lektion beginnen.«

Der Meister stand auf und brachte zwei hübsche Porzellantassen und eine Kupferkanne herbei, aus der es köstlich nach Tee duftete.

Der Schüler nahm eine der Tassen entgegen, und der Meister neigte die Kanne, um Tee einzuschenken.

Die Flüssigkeit erreichte bald den Tassenrand, doch der Meister schien es nicht wahrzunehmen. Badwin goß auch weiterhin Tee hinein, nachdem der schon längst über den Rand getreten war, den Teller in den Händen des Schülers überschwemmte und den Teppich zu durchnässen begann.

Erst da machte der Schüler den Meister darauf aufmerksam:

»Badwin«, sagte er, »schenk nicht weiter ein, die Tasse ist voll, sie kann keinen Tee mehr fassen ...«

»Es freut mich, daß du das bemerkst«, sagte der Meister, »in der Tasse ist kein Platz für mehr Tee. Ist in dir noch Platz für das, was du von mir zu lernen hoffst?« Und er fuhr fort: »Um das Erlernte wirklich in dir verankern zu können, mußt du gelegentlich den Mut haben und deine Tasse leeren, du mußt das aufgeben, was deinen Geist anfüllt, und bereit sein, alles Bekannte zurückzulassen, ohne zu wissen, was an seine Stelle treten könnte.«


»Lernen«, hatte der Dicke gesagt und war zu den Sufis übergegangen, »ist, wie wenn man einen Pfirsich vor sich hat. Am Anfang sieht man nur die faltige rauhe Oberfläche. Die Frucht scheint nicht sehr verlockend, aber nach der ersten Etappe gelangt man ans Fruchtfleisch, und das Lernen wird saftig, süß und nahrhaft. Manche möchten am liebsten gleich dort verweilen, aber der Lernprozeß hört hier noch nicht auf. Ein Stückchen weiter treffen wir auf den harten hölzernen Kern. Das ist der Moment, an dem wir alles Bisherige hinterfragen, der schwierigste Augenblick. Erst wenn wir den Mut fassen, die zähe dünne Haut zu durchstoßen, um zum saftig zarten Inneren zu gelangen, wenn wir es schaffen, das Neue zum Alten zu fügen, um von beidem zu profitieren, dann kommen wir zum eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen. Dem Inbegriff aller Möglichkeiten. Dem Samen künftiger Früchte. Hier beginnt ein neuer Ausbildungszyklus, den wir erst antreten können, wenn wir die Leere durchschritten haben, von der aus alles möglich ist.«

Mag sein, daß mir das...
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Autor

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.Stephanie von Harrach, geb. 1967, war viele Jahre als Lektorin für deutschsprachige und internationale Literatur bei verschiedenen Verlagen tätig. Sie übersetzte u.a. Jorge Bucays »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte«, sowie »Die Kinder der Massai« von Javier Salinas aus dem Spanischen und »Im Schatten des Banyanbaums« von Vaddey Ratner aus dem Englischen.