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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am18.06.20131. Auflage
Verena alias Venus beugt sich über die sehr blutige Leiche eines Mannes. Wie unter Schock läuft sie barfuß in ihrem roten Kleid durch New York, bis sie in God's Motel, einer skurrilen Mischung aus Touristenlager und Tempelkirche, Zuflucht findet. Hier beginnt die ungewöhnlichste Liebesgeschichte, die man sich denken kann: zwischen einer mutmaßlichen Mörderin ohne Gedächtnis und einem Mönch ohne Vergangenheit ...


Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für 'Spiegel', 'Süddeutsche' und 'Tagesspiegel'. Ihre Romane 'Ruf! Mich! An!' (2000), 'Masserberg' (2001), 'Venus' (2005) und 'Der Koffer' (2006) waren Bestseller.
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Produkt

KlappentextVerena alias Venus beugt sich über die sehr blutige Leiche eines Mannes. Wie unter Schock läuft sie barfuß in ihrem roten Kleid durch New York, bis sie in God's Motel, einer skurrilen Mischung aus Touristenlager und Tempelkirche, Zuflucht findet. Hier beginnt die ungewöhnlichste Liebesgeschichte, die man sich denken kann: zwischen einer mutmaßlichen Mörderin ohne Gedächtnis und einem Mönch ohne Vergangenheit ...


Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für 'Spiegel', 'Süddeutsche' und 'Tagesspiegel'. Ihre Romane 'Ruf! Mich! An!' (2000), 'Masserberg' (2001), 'Venus' (2005) und 'Der Koffer' (2006) waren Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841206398
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum18.06.2013
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1279898
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1   Verliebung

Eine halbe Stunde später ist die Protagonistin unserer Sommergeschichte schon fünfundzwanzig Blocks downtown gelaufen, und uns beruhigt die Vorstellung, dass kein Mensch New York zu Fuß verlassen kann, weil das Wasser ihn früher oder später aufhalten wird, in welche Himmelsrichtung er auch immer zu fliehen versucht.

Die Venus wird über kurz oder lang den Südzipfel der Insel erreichen, und dann ist nämlich Sense.

Aber das scheint sie nicht zu stören. Sie läuft. Sie läuft. Sie läuft wie jemand, dessen Ziel es ist, zu laufen, den steinharten Boden Manhattans mit sorgsam manikürten Zehen abzumessen, wie jemand, der kapriziös ist oder wütend oder ganz und gar gedankenversunken. Wir sind fest davon überzeugt, dass es nicht zum Tagesgeschäft dieser Frau gehört, mit nackten Füßen über New Yorks heißen Asphalt zu laufen, dazu sieht sie zu elegant aus und die Füße zu verhätschelt, aber wir begegnen ihr ja im Moment ihrer Lebenswende, das allein macht sie für uns interessant, also folgen wir ihr weiter.

Doch weil dieser New Yorker Sommer sich besonders schwül anfühlt, so wie jedes Jahr, weil sie erschöpft ist, weil sie keinen Hitzschlag erleiden soll, schicken wir ihr Angebote entgegen. Wir schicken einen Polizisten, einen Feuerwehrmann, einen Soldaten, einen Bodybuilder, einen Skilehrer, starke, potente Männer. Sie kommen in kurzen Abständen auf sie zugelaufen, lächeln, sagen hi, suchen ihren Blick, aber sie sieht sie nicht, sie sieht sie nicht, sie läuft weiter. Also schicken wir ihr einen Akademiker, einen Dichter, einen Studenten, aber auch diese Männer sind offenbar unsichtbar für sie.

Etwa zehn Blocks vor der Houston Street biegt sie urplötzlich nach links ab, läuft ostwärts, zwei Blocks weiter, dann wieder downtown, vorbei an Paolo's Deli, Laptop Repair, Dolphin Gym, Ugly Coyote Thrift Shop, King's Pharmacy, Theodoro Grocery, Dry Cleaner and Landromat, Hairdresser unisex. Vor Paolo's Car Repair jedoch strauchelt sie und fällt. Wir sehen, dass ihre Fußsohlen bluten. Wir sehen, wie ein kahl rasierter Riese in einer orangen Kutte sie aufhebt, auf sie einredet. Wir sehen, wie sie kurz Gegenwehr leistet, wie ihr Gesicht sich höhnisch verzieht, wie sie aber dann aufgibt und nachgibt und sich auf seine starken Arme heben und wegtragen lässt. Wir frohlocken. Eine gefallene Prinzessin und ein Bettelmönch. Eine Mörderin und ein Heiliger. Ihr Anblick und wie sie gemeinsam in einer kleinen Barockkirche auf der Avenue B verschwinden, hat unsere Phantasie angeregt, so sehr angeregt, dass wir alle Termine absagen, dass wir es als unumstößlich betrachten, diesem Paar weiter zu folgen, in ein Treppenhaus, in einen Fahrstuhl, in ein mit Goldbrokat und rotem Samt ausgeschlagenes Zimmer mit niedriger Decke, voll gestopft mit Buddhastatuen, Kruzifixen und kitschigen indischen Göttergemälden.

Schon sitzt sie auf einem Stuhl, der Kopf hängt nach unten, das weißblonde Spaghettihaar hat sich wie ein Schleier vor ihrem Gesicht geschlossen. Sie bietet ein Bild des Jammers, das muss man schon sagen, aber selbst im Jammer ist sie noch anmutig. Jetzt, langsam, hebt sie den Kopf, der etwas Gläsernes hat, der Vorhang öffnet sich, mit flaschengrünen Augen unter dichten weißen Wimpern sieht sie sich unwillig um. Was soll man sagen, wenn man aufwacht und sich alles wie ein Traum anfühlt, in diesen Dingen ist selten einer originell.

»Wo bin ich?«, fragt sie da auch schon.

»In God's Motel«, säuselt ein Stimmchen. »Willkommen!«

Wir werfen nun einen Blick hinter ihre helle Stirn, in das Chaos in ihrem Kopf. Eben denkt sie, sie sei tot und im Himmel. Eine Vorstellung, die ihr gefällt.

»Was ist passiert?« Sie kräuselt ihre perfekte Nase, findet sich umringt von Aschenputteln. Das ist ja ekelhaft, denkt sie. Das kann unmöglich der Himmel sein.

Man kann sich vorstellen, wie fremd sich jemand fühlt, der sonst auf der Upper East Side verkehrt, in Penthäusern mit spiegelblanken Fenstern, die diese Menschen vermutlich niemals betreten werden, es sei denn, sie putzen sie, die Fenster und die Penthäuser.

Neben ihr sitzt ein indisch aussehendes Mädchen, das fast aus seinem Sari platzt, mit hüftlangem schwarzem Haar, glänzend wie Rabengefieder. Sie tätschelt Venus' Wangen, knetet ihre zarten hellen Hände, stellt ihr mit schwarzem Mund irgendeine Frage, die sie aber nicht beantwortet. Eine Asiatin mit Kopftuch ums ungeschminkte Gesicht bringt eine Tasse Tee, die die Venus aber nicht trinkt. Das wäre ja noch schöner. »Ich trinke einen doppelten Espresso«, lässt sie die Anwesenden wissen, da sie ein verwöhntes Zicklein ist. Die Asiatin schüttelt stumm den Kopf, geht wieder weg, kommt mit einem Glas Wasser zurück.

Ein feister Indianer mit einer dicken dunklen Hornbrille wäscht Venus' Füße und reinigt sie mit Jod. »Aua!«, schreit sie und zieht die Füße weg. Die Sätze des Indianers beginnen mit »Anyway«. Er macht aufmunternde Scherze, über die nur er selbst lacht, im Falsett, während er geziert abwinkt. Ein Orientale mit einem hohen Korkhut und einem bunten Flickenmantel steht an der Tür, die schmutzigen Hände über der Brust gekreuzt, unwirklich wie eine Märchenfigur. Oder ist das ein Traum, denkt unsere Venus. Bin ich etwa auf Drogen?

Noch mehr Menschen sind da, aber sie bleiben schemenhaft. Nur dass ein haariger Zwerg in weißer Toga ihr immer wieder das Wasserglas hinschiebt, es ihr sogar an die Lippen hebt, nimmt sie wahr. Sie trinkt. Sie verzieht das Gesicht. Das Wasser schmeckt nach Chlor. Das Zimmer riecht nach Räucherstäbchen. Der Magen des Toga-Zwergs knurrt vernehmlich.

Sie muss raus aus diesem Kostümfundus, raus aus dieser Gesindekammer, in der man ihr sogar den Espresso verweigert.

»Wo kann ich telefonieren?«, fragt sie und sieht sich um. Natürlich ist es pikiert, unser Uptown-Girl mit seinem Marc-Jacobs-Kleidchen aus der neuen Kollektion. Noch greifen wir nicht ein. Im Gegenteil. Wir sind sehr gespannt, wen sie nun anrufen wird. Sie sieht blass aus, vielleicht ist es das sie umspülende Rot des Kleides, vielleicht ist es der unsortierte Farbenwust des multireligiösen Zimmers, aber unsere Venus wirkt durchsichtig, als hätte der Tod des nackten Mannes alle Farbe aus ihr herausgewaschen, als hätte sie gleichsam mit ihm alles Blut verloren, als hätte die Sonne sie gebleicht, anstatt sie zu bräunen.

Der Haarzwerg reißt ein schnurloses Telefon aus dem Holster und reicht es ihr. Sie nimmt es huldvoll in ihre spillerigen Klavierfinger, hält aber inne.

»Neun vorwählen«, sagt Toga mit leiser, eingecremter Stimme und immer noch penetrant knurrendem Magen. Der feiste Indianer, der rote Kriegsbemalung im Gesicht hat, tupft immer noch an ihren Füßen herum. Sie zieht sie weg, woraufhin er eingeschnappt zischt.

»Neun vorwählen«, haucht das Männchen noch mal. Sie tippt mit ihrem perfekt geformten perlmuttlackierten Zeigefingernagel die Neun vor. Aber es ist nicht die Neun, um die es hier geht. Die Neun ist es nicht. Es ist der Rest. Sie kann sich nicht erinnern, was dann kommt. Nicht an die Nummer. Nicht einmal daran, wenn sie anrufen will.

»Wo bin ich hier eigentlich? In einer Klapsmühle?«, ruft sie. Die hektischen Mohnblumen wachsen wieder auf ihrem Hals. Unsere Venus will aufstehen, aber sie schwankt, sie fällt.

Hände, dunkle, raue, abgearbeitete, kräftige Hände, fangen sie auf, kurz sind wir besorgt, man könne unser neues Spielzeug zerbrechen, aber nein, sehr sorgfältig wird es auf ein Sofa gelegt.

»Es sind über vierzig Grad draußen«, haucht Toga, von dem wir annehmen, dass seine Sanftheit gespielt ist. »Da sind Kreislaufprobleme ganz normal.« Sie sieht aus, als wäre sie empört, wenn sie nicht so schwach wäre. Man hat ihr vielleicht Drogen gegeben, sie gekidnappt und bestohlen. Sie muss weg. Sie muss ihre Sachen nehmen und weg.

»Meine Tasche«, ruft sie wie ein König, fehlt nur noch, dass sie ungeduldig in die Hände klatscht.

»Da war keine Tasche«, sagt der Orange Riese.

»Du lügst«, sagt sie. »Du hast mich beklaut! Du hast mich gekidnappt! Ich will nach Hause! Was grinst du so?«

Uns gefällt die Idee, sie hier zu behalten, die Prinzessin auf der Erbse, uns gefällt die Idee immer besser, je weniger sie ihr gefällt. Sie will telefonieren, aber sie weiß nicht, wen anrufen. Sie will nach Hause, aber sie weiß nicht, wo das ist. Was sie nicht zu vergessen haben scheint, sind die kleinen Dinge, die das Leben angenehmer machen.

»Hat jemand eine Zigarette?«

»Wir rauchen hier nicht«, sagt Toga sanft. Sie sieht sich zornig um. Niemand erhebt Protest. »Ich sagte nicht, dass ihr rauchen sollt, sondern dass ich rauchen will.«

»Du rauchst auch nicht, du hast es nur vergessen«, predigt sein kleiner Mund, ein sprudelndes Brünnlein im Dschungel seines Vollbarts. Ich werde gleich aufwachen, denkt sie. Und dann ist es vorbei. Und dann rauch ich eine. Aber sie wacht nicht auf. Und es ist nicht vorbei. Und geraucht wird hier nicht.

»Du kannst heute Nacht hier bleiben«, sagt Toga, und wir können nicht fassen, wie dieses Sahnestimmchen zu den wolligen Unterarmen, zu dem wütenden Verdauungsrumpeln in seinem Leib passen soll. »Morgen wird es dir besser gehen.« Unsere Venus ist plötzlich sehr müde. Sie wirft dem Orangen Riesen, der im Weg steht, einen Blick zu und humpelt Toga nach. Schwer, sehr schwer fühlen sich ihre Beine an, ihr ganzes zartes Knochengerüst scheint aus Blei zu sein. Wir können in sie hineinsehen. Ihr Kopf ist leer, das ist der Schock, aber auch ihr Herz ist leer, das wundert uns.
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Autor

Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für "Spiegel", "Süddeutsche" und "Tagesspiegel". Ihre Romane "Ruf! Mich! An!" (2000), "Masserberg" (2001), "Venus" (2005) und "Der Koffer" (2006) waren Bestseller.