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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am01.08.20131. Auflage
Joachim Fests andere Seite - «das Beste und Schönste, was er geschrieben hat» Mit Büchern über das «Dritte Reich» ist Joachim Fest weltberühmt geworden. Doch seine persönliche Vorliebe galt anderen Themen: Literatur, Architektur und Malerei. Sie begeisterten ihn bereits in seiner Jugend, später setzte er sich mit ihnen in kenntnisreichen Beiträgen auseinander - «das Beste und Schönste, was er geschrieben hat», findet die Süddeutsche Zeitung. Diese weniger bekannte Seite Fests stellt der zweite Band seiner Gesammelten Essays vor: geistreiche Porträts von Schriftstellern wie Graham Greene und Ernst Jünger, Malern wie Bernhard Heisig und Horst Janssen oder Baumeistern wie Palladio und Schinkel, dazu Überlegungen zur heutigen Bedeutung Goethes, eine scharfsinnige Analyse der ideologischen Wirkungen Richard Wagners, Wegweisendes über den unpolitischen Charakter der Brüder Mann, nicht zuletzt kritische Einwürfe zum zeitgenössischen Theater und zur staatlichen Kulturpolitik. Einmal mehr erweist Fest sich als ein Grenzgänger, der die meisten Fachgelehrten an gedanklicher Originalität und stilistischer Eleganz weit übertrifft.

Joachim Fest (1926 - 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
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Produkt

KlappentextJoachim Fests andere Seite - «das Beste und Schönste, was er geschrieben hat» Mit Büchern über das «Dritte Reich» ist Joachim Fest weltberühmt geworden. Doch seine persönliche Vorliebe galt anderen Themen: Literatur, Architektur und Malerei. Sie begeisterten ihn bereits in seiner Jugend, später setzte er sich mit ihnen in kenntnisreichen Beiträgen auseinander - «das Beste und Schönste, was er geschrieben hat», findet die Süddeutsche Zeitung. Diese weniger bekannte Seite Fests stellt der zweite Band seiner Gesammelten Essays vor: geistreiche Porträts von Schriftstellern wie Graham Greene und Ernst Jünger, Malern wie Bernhard Heisig und Horst Janssen oder Baumeistern wie Palladio und Schinkel, dazu Überlegungen zur heutigen Bedeutung Goethes, eine scharfsinnige Analyse der ideologischen Wirkungen Richard Wagners, Wegweisendes über den unpolitischen Charakter der Brüder Mann, nicht zuletzt kritische Einwürfe zum zeitgenössischen Theater und zur staatlichen Kulturpolitik. Einmal mehr erweist Fest sich als ein Grenzgänger, der die meisten Fachgelehrten an gedanklicher Originalität und stilistischer Eleganz weit übertrifft.

Joachim Fest (1926 - 2006) war einer der bedeutendsten Autoren und Historiker der Bundesrepublik. Ab 1963 arbeitete er als Chefredakteur des NDR und von 1973 bis 1993 als Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Seine Hitler-Biographie wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Weitere Werke: «Speer» (1999), «Der Untergang» (2002), «Begegnungen» (2004), «Ich nicht» (2006), «Bürgerlichkeit als Lebensform» (2007).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644035713
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum01.08.2013
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1287431
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Goethes Fremdheit und Nähe


Eine Rede in Weimar

 

Wer spräche über Goethe - wenn hier nicht Weimar wäre? Ein paar Philologen sicherlich und die wenigen unbeirrbaren Liebhaber seines Werkes auch. Aber wer sonst? Goethe ist, mitsamt der Klassik, während der zurückliegenden Jahrzehnte in mehrere Abgründe des Vergessens gefallen, Mal um Mal tiefer. Vermutlich ist auch jetzt nicht der Augenblick, von ihm zu reden. Zeiten politischer Erregung, der Vorherrschaft des Geschichtlichen, gehen immer mit einer Krise des Klassischen einher. Die Turbulenz der Ereignisse macht die Klassik als das In-Sich-Ruhende oder ruhend Scheinende geradezu zum Widerspruch des eigenen Erlebens, alle Gedanken sind auf Gegenwart und nahe Zukunft gerichtet. Das Vergangene gerät aus dem Blick und wird nicht, wie in Zeiten gesicherter Tradition, als Fluchtpunkt im Durcheinander der Erscheinungen empfunden. Es kommt einfach abhanden. Aber manchmal fragen wir uns doch, ob es mit Gegenwart und Zukunft nicht stärker zusammenhängt, als den meisten jeden Tag bewußt ist.

Zweifellos war Goethe das herausragende Ereignis unserer kulturellen Geschichte, es gibt kein größeres: ein langer Augenblick, in dem die Nation, mehr als je zuvor und irgendwann später, auf inspirierende Weise an der zivilisierten Weltgesellschaft teilhatte. Und dieses Ereignis kam wie aus dem Nichts. Den einen Lessing ausgenommen, der aber eine national begrenzte Erscheinung war, lag dieses Deutschland am unbeachteten Rande der Welt. Und auch das herzogliche Residenznest von damals, mit seinen paar tausend Einwohnern, war in seiner kulturellen Bedeutung ein Abbild des Reiches: seiner freundlichen Enge, seiner Verschlafenheit und paternalistischen Provinzialität. Zwar war Wieland da. Aber niemand anders als Goethe hat es aus seiner Anonymität in den Rang einer Metropole erhoben und zum Begriff der europäischen Geistesgeschichte gemacht. Wir leben bis heute davon.

Auch wenn das kaum noch im allgemeinen Bewußtsein ist. Man kann sogar fragen, wie stark es je darin war. Denn aufs Ganze gesehen ist Goethe, ganz anders als der schon von den Zeitgenossen und dann bis dicht an die Gegenwart heran enthusiastisch in Besitz genommene Schiller, dem eigenen Land immer seltsam fremd geblieben. Schon zu seinen Lebzeiten, an Goethes 74. Geburtstag, versammelten sich in Jena auf dem Marktplatz die Studenten, die auch damals dem Geist der Zeit den unverbildetsten Ausdruck gaben, und brachen in skandierende «Nieder»-Rufe und «Weg mit ihm!» gegen den Abwesenden aus. Sein Tod, 1832, blieb von der führenden literarischen Zeitschrift, dem Stuttgarter Literaturblatt, unbeachtet, obwohl sie im gleichen Verlag erschien wie die Werke des Dichters. Das Junge Deutschland überbot sich im Spott auf Goethe, und mit Heine, Börne und anderen als den Stichwortgebern blieb er lange Zeit den Philologen und kleinen Zirkeln der Gebildeten überlassen. Der Wilhelminischen Epoche, die ihr Glück und ihren Anschluß an die Welt im Maßlosen suchte, blieb er ohnehin fremd, trotz der Sophienausgabe, die alles je von ihm Geschriebene in 143 Bänden vereinte und an der sich von 1887 bis 1919 zwei Gelehrtengenerationen abmühten. Allenfalls im «Faust» oder doch in dem Bild, das sich die Zeit davon zurechtmachte, glaubte sie sich und ihr Getriebensein wiederzuerkennen. Für das ganze Jahrhundert galt, was Varnhagen schon am zehnten Todestag des Dichters ahnungsvoll in seinem Tagebuch vermerkt hatte: «Mich dünkt, die Zeit von Goethe ist schon weit von uns ab; die Welt hat seitdem eine andere Wendung genommen, sie sieht wenig zurück, sie kann nicht viel zurücksehen, sie hat so viel vor sich.»

Gewiß gab es Schwankungen in der Beziehung, und um die Jahrhundertwende oder einige Zeit danach war sogar die Wendung «Unser Goethe» verbreitet, jedenfalls war das der Titel eines populären Lesebuchs im Bücherschrank vieler Bürgerhäuser. Doch schwer zu sagen, worauf das zielte: mehr auf den Dichter selbst und die Aneignung seines Werkes, oder auf die patriotischen und womöglich sogar «faustischen» Empfindungen, die sich davon herleiten ließen. Auffallend jedenfalls war immer der große Abstand zwischen ihm und der Nation, als habe sie ihm das Wort von den Barbaren, unter denen er leben müsse, von der Achtbarkeit der Deutschen im einzelnen und ihrem miserablen Charakter im ganzen sowie anderes dieser Art, nie verziehen. «Sie lassen mich alle grüßen, und hassen mich bis in Tod», hat Goethe im «Westöstlichen Divan» über seine Landsleute bemerkt.

Sicherlich aber vereinfacht man das Problem, wenn man es, wie häufig, auf eine bloße Heimzahlungsgeschichte verkürzt. Vielfach und jedenfalls stärker, als es der Gegenwart bewußt ist, hat das bürgerliche Jahrhundert Anstoß genommen am Libertinismus des Dichters, den erotischen Eskapaden und Daueraffären mit den «Misels». Nicht ohne spitze Mißbilligung vermerkte Frau v. Stein, der Herr v. Goethe sei in Italien «sinnlich» geworden, und die bald darauf einsetzende Verbindung mit Christiane Vulpius, der «Vulpia», wie sie abfällig genannt wurde, sowie die unverheimlichte Menage im Gartenhaus an der Ilm waren in der bigotten Kleinstadt Gegenstand entrüsteten Klatsches. Als Goethe seine «dicke Hälfte» ausgerechnet in den Tagen der Schlacht von Jena und der Plünderung Weimars heimführte und der Gesellschaft als Frau Geheimrat v. Goethe vorstellte, war alle Welt außer sich. Auch in seinem Werk geriet man zu oft an Anstößiges, von den «Römischen Elegien» bis hin zu den Blocksberg- und Hexensabbatszenen des «Faust» mit dem Hohen Lied auf die Dreieinigkeit von Gold, Schwanz und Schoß. Zwar hatte er diese Stellen den Zeitgenossen nicht zugemutet und in den «infernalischen Walpurgissack» verstaut, aber ins Gerede war er damit und mit manchem anderen doch gekommen. Frau v. Stein nannte den Freund aus früheren Tagen unterdessen den «dickmürrischen Mann» mit den «dummen häuslichen Verhältnissen», Schiller, äußerte sie, nehme sich neben ihm «wie ein himmlischer Genius» aus, und ganz ähnlich war das Bild, das generationenlang vorherrschte. Ein bis in die dreißiger Jahre verbreiteter Zweizeiler, woher auch immer stammend, hat die Mischung aus Respekt und Befremden, auf die Goethe stieß, auf den Reim gebracht: «Reicht v. Goethens Gedankenflug auch höher,/âSteht v. Schillern uns doch sittlich näher.»

Doch gewiß mehr noch hatte die Fremdheit Goethes mit dem inkommensurablen Zug zu tun, der ihm eigen ist, mit seiner Größe und seinen Rätselhaftigkeiten. Auch sieht man sich immer wieder einer Neigung zu Parabel und Gleichnis gegenüber, die dem raschen Begreifen im Wege steht, und strenggenommen beginnen die Schwierigkeiten schon, bevor man sich dem Werk selber nähert. Es gibt ganze Bibliotheken gelehrter Deutungen über ihn, Generationen bewanderter Verehrer haben sich mit ihm beschäftigt, und vieles davon stammt aus genauer und vertrauter Kenntnis des Dichters. Zugleich aber hat die babylonische Goethe-Philologie immer auch ihre einschüchternden Wirkungen gehabt und nicht nur alle Annäherungen erschwert, sondern auch ein Empfinden ungeheurer Distanz und Unnahbarkeit erzeugt.

Diesem Empfinden hat das erratische, nicht nur im Sinn der «großen Konfession» aus zahlreichen Bruchstücken bestehende Werk weiter Vorschub geleistet. Ich erinnere mich eines Lehrers, der, sooft die Rede auf Goethe kam, auf einen der Widersprüche im Leben und Denken des Dichters oder auf ein neues, anderes Kapitel, seinen Stupor in einer richtigen Lehrer-Metapher ausdrückte: Goethe stehe da wie ein Berg, gewaltig und manchmal sogar entmutigend, mit Höhenzügen und Abstürzen, und von wo man sich ihm nähere, nähme er sich anders aus. Goethe selber hat in einem jener verräterisch glättenden Bilder, hinter denen er die mehrdeutigen Seiten seines Wesens zu verbergen liebte, ein ähnliches Motiv verwandt und von der Pyramide seines Daseins gesprochen, die er sich «so hoch als möglich in die Luft zu spitzen» bemüht habe.

Das alles hat den Zugang zu ihm leicht gemacht und zugleich verbaut. Einiges liegt ganz offen und einladend da, die frühe Lyrik vor allem, die in der Verbindung aus impulsiver Wärme und formaler Vollkommenheit, aus Naturlaut und Kunstschönheit, Wahrnehmung und Vergeistigung nie wieder ihresgleichen hatte. Einige Partien aus dem «Faust» kann man nennen, aus dem «Egmont» vor allem die ganz unklassische Figur des Klärchen, kaum noch den «Werther» oder den Geniestreich des «Reineke Fuchs» mit seinen leichten, nie wieder so frei dahinlaufend exerzierten Hexametern. Früher hätte man vielleicht noch den «Tasso» genannt, auch die «Iphigenie», obwohl sich die beiden Werke schon zu Lebzeiten des Dichters beim Publikum schwertaten. Immerhin versorgten sie die Zitierfreudigen mit einem reichen Vorrat gereimter Lebensregeln.

Anderes wiederum blieb immer nur den wenigen Eingeweihten bekannt, mythologisch verschlüsselt und schwer zugänglich: vom zweiten Teil des «Faust» bis zu den «Urworten orphisch». Entfremdend wirkte aber auch Goethes Neigung, sich nicht festzulegen, ein Leben lang mit seinen überwältigend reichen Möglichkeiten zu spielen und sich, wie er selber bemerkt hat, «hinter ein Bild» zu flüchten. Seine ganze Biographie wirkt wie eine Folge wechselnder Launen, er ist Dichter und Minister, malt, forscht und verwaltet, und erst in Italien erkennt er, daß er «eigentlich ... zum Schriftsteller geboren» sei. Aber auch das stellt er sogleich wieder in Frage und wechselt unvermittelt und auf Jahre ins Naturwissenschaftliche, zu der bis zum Marottenhaften verteidigten Farbenlehre, mit der er gegen die...

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