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Wie Sonne und Mond

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am28.08.20131. Auflage
Birgit lebt glücklich und zufrieden mit ihrem Mann Tom und den beiden Kindern in einem Haus am Starnberger See. Dort taucht plötzlich ihre Schwester Kira wieder auf - Kira, die Rebellin, die Weltenbummlerin, die auf Ibiza lebt und die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat. Auf einmal beginnt Birgit ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen: Hat sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen, als sie eine bürgerliche Existenz mit Familie und Wohlstand wählte? Gibt es da nicht auch noch etwas anderes? Kira dagegen kann nicht vergessen, was in jener Nacht vor zwanzig Jahren geschah, als sie den Geliebten verlor und ihr Leben zerstört wurde - von ihrer Schwester ...

Nicole Walter hat Sprachen in München studiert und dann als Werbetexterin und freie Journalistin gearbeitet. Seit 1994 schreibt sie überaus erfolgreich Drehbücher für Fernsehserien und -filme und zählt heute zu den erfolgreichsten und gefragtesten Drehbuchautorinnen Deutschlands. Ihr Debütroman 'Das Leben drehen' war ein Bestseller.
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Produkt

KlappentextBirgit lebt glücklich und zufrieden mit ihrem Mann Tom und den beiden Kindern in einem Haus am Starnberger See. Dort taucht plötzlich ihre Schwester Kira wieder auf - Kira, die Rebellin, die Weltenbummlerin, die auf Ibiza lebt und die sie seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat. Auf einmal beginnt Birgit ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen: Hat sie wirklich die richtige Entscheidung getroffen, als sie eine bürgerliche Existenz mit Familie und Wohlstand wählte? Gibt es da nicht auch noch etwas anderes? Kira dagegen kann nicht vergessen, was in jener Nacht vor zwanzig Jahren geschah, als sie den Geliebten verlor und ihr Leben zerstört wurde - von ihrer Schwester ...

Nicole Walter hat Sprachen in München studiert und dann als Werbetexterin und freie Journalistin gearbeitet. Seit 1994 schreibt sie überaus erfolgreich Drehbücher für Fernsehserien und -filme und zählt heute zu den erfolgreichsten und gefragtesten Drehbuchautorinnen Deutschlands. Ihr Debütroman 'Das Leben drehen' war ein Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426418833
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum28.08.2013
Auflage1. Auflage
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1744 Kbytes
Artikel-Nr.1287964
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Einfach verschwinden. Zwischen blühenden Kräutern, Rosmarin und den Sternen der Cistaceen. Aufgehen im weiß glühenden Licht der Morgensonne oder untergehen mit dem Abendlicht. Zuerst langsam, dann schnell. Versinken im Meer. Irgendwo am Horizont. Vergehen. Ein gutes Gefühl.

Das Stimmengewirr auf dem Hippiemarkt von Las Dalias wurde zum monotonen Sound. Wie das rhythmische Trommeln am Strand. Jeden Sonntag bei Vollmond.

Kira betrachtete das sich leicht bewegende Weinlaub. Wie eine grüne Plane über den Markt gespannt, über bunte Stände mit selbstgefertigtem Schmuck, Keramik, Lederwaren und Flower-Power-Klamotten, selbstgeschneidert, unter freiem Himmel, auf ratternden Nähmaschinen. Auch Kira hatte selbst genäht, was sie trug. Das Trägertop und die Lammfellweste. Die Jeans war von Sascha. Enger gemacht. Dazu viel Silberschmuck um Hals und Handgelenke. Kira nähte leidenschaftlich gern. Liebte den Augenblick, in dem sie ganz in dem ratternden Auf und Ab der Nadel versank, im leisen Knistern des Stoffes, dem meditativen Treten des Fußpedals der uralten Singer-Nähmaschine. Vor allem im Winter. Wenn es ganz still war auf Ibiza. Dann wurde ihr Haar, das sie schon lange nicht mehr geschnitten hatte, zum dunklen Vorhang, schützte sie vor dem Rest und dem trostlosen Raum, in dem kein Feuer im Kamin brannte. Gemeinschaftstoilette auf dem Flur, keine Dusche, nur eine Kochnische, der Strom schon lange abgestellt, weil sie ihn nicht mehr bezahlen konnte. Wenn es besonders kalt war, trank sie einen Schluck Hierbas, Miguels selbstgebrannten Kräuterlikör. Doch meist war es tagsüber barfußwarm, und abends genügte ein Pullover.

Jetzt war es Ende Mai, und die Inselparty hatte begonnen. Seit Ostern. Zunächst während der Semana Santa mit Prozessionen reich geschmückter Heiligenfiguren, getragen von meist barfüßigen, maskierten Männern. Dann auf den Stränden und in den unzähligen Clubs.

Ein Tourist ging an ihrem Stand vorbei. »Vorsicht vor Ibiza!« stand bunt bedruckt auf seinem T-Shirt. »Zu viel davon schadet der Gesundheit.« Sein Blick glitt wie beiläufig über Kiras Gesicht. Glitt über die feine Haut, die fast schwarzen Augen, die selbst dann noch von einer eigenartigen Wehmut waren, wenn sie lachte. Diese Urgewalt von Lachen. Das ganz plötzlich kam, Kira zum Mittelpunkt machte, nur diesen einen Moment, ehe es irritiert abbrach, so als habe es sich verlaufen. Die Augen des Touristen blieben auch nicht an Kiras Mund hängen. Der groß war und mit einem kleinen Zucken mehr ausdrücken konnte als jemand, der auch noch Hände, Füße und Sprache zu Hilfe nahm. Nein, der Blick des Mannes blieb an Kiras Körper haften. Diesem festen, biegsamen, leicht gebräunten, noch fast mädchenhaften, aber sehr erotischen Körper. Dabei war Kira achtunddreißig, und das Leben hatte sich tief in sie eingegraben. Kiras Augen scheuchten den Touristen und seinen gierigen, herausfordernden Blick weg, und sie verkaufte wieder nichts von den Überbleibseln aus Saschas Leben. Keines seiner letzten Bilder und keine Bleistiftskizzen. Staffeleien, rohe Rahmen und helle Leinwände war sie längst an andere Künstler losgeworden.

Der Tourist zog weiter über den Markt, auf dem die Hippies nicht nur ihre Waren, sondern vor allem sich selbst ausstellten. Die Köpfe waren grau geworden, aber noch immer schwebten Schwaden von Räucherstäbchen über den Ständen - und mit ihnen die Sehnsucht nach Freiheit, grenzenloser Liebe und Lebenslust.

Tanit, die kleine schwarz-weiße Zottelhündin mit dem stolzen Namen der punischen Fruchtbarkeitsgöttin, leckte Kiras Hand. Sogar die wilden Hunde auf Ibiza waren friedlich. Man durfte sie nur nicht streicheln. Denn dann wurde man sie nie wieder los. So wie Sascha sie nicht wieder losgeworden war. Sascha, dieser lebenspralle Mann. Groß. Breit. Kein Hippie, trotzdem schulterlanges, graumeliertes Haar, Vollbart und zwingender Blick. Sechzehn Jahre älter als sie. Leidenschaftlich in allem, was er tat. Malen. Lieben. Sascha kochte und aß nicht nur. Er zelebrierte Sinnlichkeit, damals noch auf der Kochstelle vor seiner Finca, die Hosenbeine aufgerollt, mit den Füßen im Meer. Wie Winnetou war er über der Bucht von Cala d´Hort aufgetaucht. Nicht auf einem Pferd. Auf seiner Harley. Kira hatte im heißen Sand gelegen wie Strandgut, das zufällig genau hier an Land gespült worden war. Vor der magischen Felseninsel Es Vedrà. Sascha hatte Kira gepackt und damit den Sirenen Odysseus´ entrissen. Schon den ganzen Morgen hatten sie versucht, Kira mit ihrem Gesang in die Tiefe zu locken. An den Ort, an dem nicht nur Brieftauben ihre Orientierung verloren, sondern auch Flugzeuge und Schiffe spurlos verschwanden.

Er hatte sie auf seine Harley gesetzt und in sein Leben mitgenommen. Das nie ruhig, immer aufregend und oft exzentrisch war. Und in sein Bett. Nicht im Schlafzimmer seiner Finca, sondern unter dem zwischen Pinien gespannten Moskitonetz. Er brauchte den Himmel über sich. Mehr als jeder andere. Sonst erstickte er. Die Lichtorgie der untergehenden Sonne. Mit dem Duft von Thymian, Rosmarin, Myrte und Minze schliefen sie ein. Das war jetzt fast zwanzig Jahre her.

Nie wieder war sie so geborgen und beschützt gewesen. Drogen? Nein. Sascha hatte seine farbgewaltige Kunst und Kira Angst, noch einmal so ausgeliefert zu sein. Mit aller Macht, auf Schiffsplanken, von Männerhänden wie festgenagelt. Aber sie und Sascha tranken viel Rotwein und Hierbas bei Anita, dem legendären Hippietreff, mit seiner alten Telefonzelle und seinen in eine Holzwand eingelassenen Postfächern. Auch Sascha hatte dort immer seine Post abgeholt. Kira nicht. Sie bekam keine Post. Bis heute nicht. Auch wenn sie jetzt eine Adresse und einen eigenen Briefkasten hatte.

 

Kira öffnete eine Dose mit Hundefutter, stellte sie Tanit hin. Doch eine alte Frau war schneller. »Sorry«, murmelte sie, schnappte sich die Dose und tauchte unter.

»Sorry«, sagte Kira zu Tanit und kraulte sie. Hinter dem Ohr, wie sie es mochte. Gleich darauf sah sie die Engländerin wieder. Vor dem marokkanischen Teezelt. Mit ihren dicken, langen Strümpfen. Dem zerfransten, weißen Federhaar, das bis zur Hüfte reichte. Dem bunten, zerschlissenen Rock. Sie aß das Hundefutter gierig mit den Fingern, bemerkte Kira und zog den Kopf blitzartig so tief ein, dass er zwischen ihren Schultern zu verschwinden schien.

»It´s okay, Jenny, my dear«, versuchte Kira die alte Frau zu beruhigen, hielt ihr ein paar Münzen hin. Die alte Frau rührte sich nicht. Kira legte ihr das Geld behutsam in den Schoß, wandte sich ab. Ging ein paar Schritte, drehte sich noch einmal um. Genau in dem Augenblick, in dem sich der Kopf der Alten ganz langsam zwischen den Schultern hervorschraubte wie der Kopf einer Schildkröte aus ihrem Panzer. Sie steckte die Münzen schnell in ihre Rocktasche und fingerte das Hundefutter weiter hastig in sich hinein. Kira nickte leicht, als wolle sie sich selbst bestätigen. Ja, die Entscheidung, die sie heute Morgen getroffen hatte, war richtig gewesen.

Vor dem Restaurant Las Dalias hielt ein klappriger Lieferwagen. Ein junger Mann stieg aus. Offenes kariertes Hemd, Jeans, die ihm halb in den Hüften hingen und den Rand seiner weißen Unterhose freigaben.

Kira winkte ihm zu und packte zusammen, was sie auch an diesem Tag wieder nicht losgeworden war. »Hola.« Miguel küsste sie links und rechts auf die Wange. Er roch nach Salz, Wind und Zigaretten. Der rechte Schneidezahn war abgebrochen, was ihm etwas jungenhaft Verwegenes verlieh. Von der Feldarbeit muskulöse Arme. Tiefblaue Augen, kantiges Gesicht. Wie eine Schildmütze tief in die Stirn gezogenes schwarzes Haar, das sich im Nacken kräuselte. »Erst zu mir?« Sie nickte, er half ihr beim Tragen, und gleich darauf fuhren sie los.

In Sant Carles, einem Ruhe und Gelassenheit ausstrahlenden Dorf - noch immer gab es hier Anitas Bar -, bogen sie ab, wurden auf einer mit Schlaglöchern übersäten Sandpiste durchgeschüttelt und erreichten nach fünfundzwanzig Minuten Miguels Finca.

Sie hatten Sex. Wortlosen, leidenschaftlichen Sex. Miguel hatte wortlosen leidenschaftlichen Sex. Kira holte sich dabei ein schönes Bild vor Augen. Wie immer. Diesmal das Tal der Mandelbäume. Bei Vollmond. Von Blütenduft erfüllte Nachtluft. Und die Mandelbäume sahen aus, als trügen sie Schnee auf den Wipfeln.

Miguel stöhnte. Kira fühlte nichts. Wie immer. Doch es lohnte sich. Wie immer. Miguel gab ihr frisch gebackenes Brot mit, Tomaten, Gurken, ein paar frisch gelegte Eier und ein herrliches Stück Schinken. Sie musste los. Sascha wartete auf sie.

Sie wollte schon zu Miguel in den Wagen steigen, damit er sie zu Sascha zurückbrachte, doch da war sie wieder, diese innere Starre. Ich kann nicht mehr! Gott, Universum oder wer auch immer, lass es bitte endlich vorbei sein. Sascha hatte es lange verhindert, doch jetzt waren die Lockrufe der Sirenen wieder unerträglich laut.

»Kann ich bleiben, Miguel?« Er sah sie überrascht an. Darum hatte sie ihn noch nie gebeten. »Nur heute Nacht.« Ihre Stimme wurde eindringlich.

»Und Sascha?«

»Er kommt klar.« In seinen Augen blitzte es auf. Vorfreude auf noch mehr Sex.

»Ich schlafe draußen«, korrigierte sie ihn. »In der Hängematte, wenn es für dich okay ist.«

Sein Blick wurde gleichgültig. Da nichts mehr lief, schien es ihm egal zu sein, ob sie ging oder blieb. Es machte ihr nichts aus. Hauptsache, er war da, wenn sie ihn brauchte.

Sie atmete tief durch, legte sich in die Hängematte vor dem Haus, stellte sich vor, wie sie sich mit ihr immer weiter hineinschwang in den weiten Himmel mit all seinen...
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