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Süden und die Stimme der Angst

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am26.07.20131. Auflage
Ariane, 36 Jahre, eine ehemalige Prostituierte, eröffnet ein Lokal. Kaum hat sie sich in ihrer bürgerlichen Existenz eingelebt, erfährt sie, dass sie HIV-positiv ist. Niklas Schilff, 39 Jahre, ist Reporter und zählt zu den begehrtesten Berichterstattern in Los Angeles. So lange, bis er beginnt, Fakten und Fiktion zu vermischen. Desillusioniert und psychisch krank, kehrt er nach Deutschland zurück. In einer Nacht treffen sie aufeinander. Friedrich Anis Roman 'Verzeihen' - erstmals im Knaur Taschenbuch

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
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Produkt

KlappentextAriane, 36 Jahre, eine ehemalige Prostituierte, eröffnet ein Lokal. Kaum hat sie sich in ihrer bürgerlichen Existenz eingelebt, erfährt sie, dass sie HIV-positiv ist. Niklas Schilff, 39 Jahre, ist Reporter und zählt zu den begehrtesten Berichterstattern in Los Angeles. So lange, bis er beginnt, Fakten und Fiktion zu vermischen. Desillusioniert und psychisch krank, kehrt er nach Deutschland zurück. In einer Nacht treffen sie aufeinander. Friedrich Anis Roman 'Verzeihen' - erstmals im Knaur Taschenbuch

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426419007
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum26.07.2013
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.3
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse929 Kbytes
Artikel-Nr.1287973
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Ich habe den Mann nicht hereingebeten. Er hat sich nicht abwimmeln lassen. Er war schmutzig. Seine Jacke stank nach Rauch. Ich weiß nicht, was er von mir wollte. Er kam von einer Reise zurück, ich habe ihn nicht danach gefragt. Wir saßen beide auf dem Rücksitz des Taxis. Er setzte sich neben mich, ohne zu fragen.

Wenn er mich nicht gezwungen hätte einzusteigen, wäre ich zu Fuß nach Hause gegangen. Das hätte ich geschafft. Es regnete. Ich habe mir vorgestellt, dass ich nüchtern und wach bin, wenn ich die Wohnungstür aufsperre. Und dass ich mir die Haare föhne und mich dann ins Bett lege und tief schlafe. Stattdessen überredete mich der Mann, mit ihm im Taxi zu fahren.

Ich bin so müde. So viel getrunken und nichts gegessen. Nur dagesessen. Drei Stunden. Vier Stunden. Erst im »Blaubart«, wo Lissi mich fragte, ob ich frei habe. Ja klar, habe ich zu ihr gesagt. Ich mag sie nicht. Sie ist eine Trickserin. Das war sie schon bei Enzo. Mir hat er nie geglaubt. Immer nur ihr. Und sie bildete sich was drauf ein. Wenigstens hat sie mir Champagner ausgegeben, billige Marke. Ich habe drei Gläser getrunken. Und zwei Wodka, die mir Roland spendiert hat. Er arbeitet in einer Walzfabrik, seine Frau ist Kleptomanin. Sagt er. Brille und Vollbart. Ehering trug er keinen. Er hat ihn vor der Tür abgenommen. Was denken solche Männer? Dass wir das persönlich nehmen, wenn sie eine Ehefrau haben?

Jetzt habe ich schon wieder »wir« geschrieben. Ich bin nicht mehr wir. Seit dreiundzwanzig Monaten nicht mehr. Nächsten Monat werden es zwei Jahre. Genau zwei Jahre. Genau zwei Jahre, und ich schreibe immer noch »wir«, verflucht. Immer wieder schreibe ich das. Gestern auch. Ich hasse mich dafür. Ich bin nicht mehr wir. Ich bin nicht mehr ihr!

Ich will jetzt nicht schon wieder ausflippen. Ich darf das nicht. Ich habe mir vorgenommen, ruhig zu bleiben. Ich mache mich lächerlich. Nein, das stimmt nicht. Ich mache mich nicht lächerlich. Jetzt fange ich schon wieder zu heulen an. Das ist der Kater, ich werde sentimental, wenn der Alkohol weggeht am nächsten Tag. Das war früher schon so. Da haben mich die anderen gehänselt. Na und? Die haben auch alle ihre Macken. Jetzt schreibe ich schon wieder von denen. Ich muss über mich schreiben. Nur über mich. Das ist wichtig. Ich weiß nicht, vielleicht mache ich mir bloß was vor. Vielleicht rede ich mir ja nur ein, dass ich, wenn ich etwas aufschreibe, hinterher eine Kraft habe in mir. Wo soll die denn herkommen? Aus den Wörtern? Aber wenn ich nichts aufschreibe, zerreißt es mich.

Zuerst habe ich den Typ gar nicht bemerkt. Er glotzte mich an. Er hörte nicht mehr auf zu glotzen. Ich hätte ihn gleich wegschicken sollen. Er war aufdringlich, und niemand hat was unternommen. Die haben gedacht, die besoffene Tussi merkt eh nichts. Oder die wollten sehen, ob er mich rumkriegt und abschleppt, der stinkende Kerl.

Hat er nicht geschafft.

Ich frage mich immer noch, wie er in meine Wohnung gekommen ist. Ich muss ihn reingelassen haben. Ich lasse also einen wildfremden Kerl in meine Wohnung und bin auch noch besoffen. Ich bin enthirnt. Und er glotzt ständig meinen Busen an. Das hat er schon in dem Bahnhofsbistro gemacht. Gibt´s da, wo er herkommt, keine Busen? Oder nur welche aus Silikon? Meiner ist echt. Er hat tatsächlich gesagt, ich soll mich ins Bett legen und er geht dann.

Für wie enthirnt hält der mich?

Parkt seinen Koffer mitten im Flur und legt den Arm um mich. Habe ich ihm das erlaubt? Ich habe einfach meinen Mantel fallen lassen, und da fiel sein Arm mit runter. Angeber. Vielleicht hat er gewartet, dass ich ihm was anbiete. Solche Typen erwarten ja immer was. Ich habe mich umgedreht und gesagt: Und jetzt? Und er hat nicht gewusst, was er sagen soll. Bei der ersten falschen Bewegung hätte ich die Pistole in der Hand gehabt. Ich war nicht weit von der Schublade weg, wo ich sie aufbewahre. Ich bin schnell. Ich habe das geübt. Blitzschnelle Drehung, Schublade auf, Knarre raus und Feuer. Sie ist geladen. Ich kann sofort abdrücken, wenn´s gefordert ist. Ich hätte da keine Skrupel.

Nett war, dass er mich gefragt hat, ob ich allein zurechtkomme, wenn er jetzt geht. Das gefiel mir. Er hat das ganz ernst gesagt, ohne blöden Unterton. Ich habe das gehört. Ich erkenne das an der Stimme eines Kerls. Das war nett von ihm, und ich hab es ihm geglaubt. Und es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte gesagt, er kann noch einen Tee trinken, wenn er will.

Auf einmal war es so dunkel hier. Es war vorher auch dunkel, nur das Licht im Flur war an, wo sein Koffer stand. Hier im Zimmer hatte ich kein Licht angemacht. Das Licht der Straßenlampe schien herein, wie immer. Ich weiß nicht, warum ich die Schreibtischlampe nicht angemacht habe. Das war ja riskant, mit einem Fremden in die Wohnung zu gehen, und dann ist es auch noch finster. Ich war betrunken. Ich war ja so betrunken.

Nicht jetzt wieder! Ich könnte grünen Tee trinken. Nein, ich mag nicht aufstehen, besser hier sitzen und schreiben. Gemein ist das, weil Iris heute allein im Laden ist. Ich habe sie angelogen. Aber sie schafft das. Anders war es nicht möglich. Ich würde mich ja selber anlügen, wenn ich´s könnte. Aber das geht nicht, verflucht.

Ich darf nicht dauernd fluchen. Ich darf mich nicht in so eine Stimmung bringen, da bin ich verloren. Dann fange ich wieder an zu trinken. Das war immer schon so: Wenn ich mies drauf bin und was trinke, dann bin ich hinterher dreimal so mies drauf. Und wenn´s mir gutgeht und ich trinke, dann fühle ich mich dreimal so gut. Und das ist dann auch Unsinn.

Ich hätte gern ein Gleichgewicht im Leben. Das habe ich mir immer gewünscht, so sein wie andere, die dastehen und nicht bei jedem Windhauch oder wenn´s mal ruckelt umfallen. Diese Leute haben eine Balance, und ich habe keine. Und ich werde vielleicht nie wieder eine Balance haben.

Gestern Abend, in dem scheußlichen Bistro, habe ich gedacht, jetzt gehe ich zum Telefon und rufe meine Mutter an. So weit war ich. Seit zwei Jahren habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Nicht mehr, seit ich ihr erzählt habe, dass ich mit Iris das Lokal eröffne. Das hat sie einen Dreck interessiert. Sie hat gedacht, im Hinterzimmer wird gefickt. Da habe ich sie so gehasst, und ich hasse sie immer noch. Aber gestern war ich fast so weit, sie anzurufen und ihr zu sagen, was passiert ist.

Wenn der Typ nicht plötzlich dagestanden hätte, hätte ich´s womöglich getan. Ich hätte sie angerufen, ich hätte ihr alles erzählt. Der Typ hat mich gerettet. Der hat mich vor diesem Dummtum bewahrt. Niemals, das schwöre ich hiermit hoch und heilig, niemals werde ich ihr erzählen, was passiert ist, auch nicht, wenn ich weder ein noch aus weiß. Niemals.

Mir ist schlecht. Ich kann nicht weiterschreiben, ich trinke erst was. Nein, ich trinke nichts. Es war falsch, heute nicht zu arbeiten, blöd war das. Aber jetzt kann ich nicht mehr ins Lokal gehen. Ich muss was machen. Was? Schon wieder die Sirene des Sankas draußen, ich kann das nicht mehr hören. Iris sagt immer, wer neben einem Krankenhaus wohnt, der bleibt gesund. Stimmt gar nicht.

Stimmt ja gar nicht.

 

Er saß da. Und tat nichts. Er war allein in dem Zimmer mit den Computern und den Telefonen und niedrigen Aktenschränken und Grünpflanzen. Zwei Schreibtischlampen brannten. Sonst kein Licht. Er hatte die Hände flach auf den Tisch gelegt. Und horchte mit geschlossenen Augen auf das Rauschen von der Straße.

Für eine Schallisolierung der Fenster fehlte das Geld. Er machte die Augen auf. Wieso musste er jetzt daran denken? Ist das wichtig?

Und doch stritten sie jeden Sommer darüber, wieso es ihrem Chef nicht gelang, einen Antrag ans Ministerium zu stellen, in dem er ein für alle Mal auf einem Umbau bestand. Andernfalls müssten sie sich neue Räume suchen, da Dienstbesprechungen oder Vernehmungen bei offenen Fenstern wegen des Krachs unmöglich waren, genauso in der stickigen Luft an heißen Tagen.

Jetzt war November. Aber es war warm hier. Und still. Abgesehen von den gedämpften Geräuschen der Autos und Straßenbahnen vor dem Hauptbahnhof.

Wenn alles so blieb, war die Nacht kein Problem.

Er ahnte, dass es so nicht bleiben würde. Bis etwas passierte, wollte er nur dasitzen. An nichts Wichtiges denken. Kaffee trinken. Ein wenig summen. Und gelegentlich lächeln wegen Sonja.

Im Laufe dieses Samstags waren bisher drei Jugendliche und ein erwachsener Mann als vermisst gemeldet worden. Für die Kommissare der Vermisstenstelle kein Grund zur Sorge. Die Jugendlichen, drei Mädchen aus einer Trabantenstadt, waren Dauerläufer. Was bedeutete, sie verschwanden ungefähr jeden dritten Monat und kehrten nach einem weiteren Monat zurück. Unversehrt und missmutig. Obwohl die Polizei den Eltern jedes Mal erklärte, dass eine Suche sinnlos sei, bestanden diese auf einer Anzeige.

Was den Mann betraf, den seine Lebensgefährtin heute Morgen als vermisst gemeldet hatte, ein Maler und Kleingalerist, so zog er vermutlich nicht zum ersten Mal, wie die Frau schließlich zugab, mit einem Freund um die Häuser. Und würde spätestens am Dienstag wieder zurück sein.

Diesmal ist es anders, hatte die Frau gesagt. Das kommt doch oft vor, dass einer behauptet, er geht zum Zigarettenholen, und haut dann ab für immer!

So etwas hab ich noch nie erlebt, hatte Kriminaloberrat Karl Funkel zu ihr gesagt. Sie glaubte ihm nicht.

Unter den eintausendsechshundert Verschwundenen, deren Fälle Funkels Dezernat 11 jedes Jahr bearbeitete, gab es keinen einzigen Zigarettenholer.

Daran musste Tabor Süden jetzt denken, während er seinen Kaffee trank. Und zur Tür blickte. Und sich dort Sonja vorstellte.

Das Telefon klingelte.

Er stellte die Tasse ab. Strich die...
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Autor

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.