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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am26.09.20131. Auflage
»Er war irgendwie anders in letzter Zeit.« Mit diesen Worten beauftragt die Redakteurin Mia Bischof die Detektei Liebergesell, nach ihrem vermissten Freund zu suchen. Süden und seine Kollegen kommt die Frau von Anfang an seltsam vor. Sie sehen sich in ihrem unguten Gefühl bestätigt, als irritierende Hinweise im Arbeitsumfeld des Vermissten auftauchen. Er habe Kontakt zu Neonazis, heißt es. Doch Mia bestreitet das vehement. Süden schiebt seine persönlichen Bedenken beiseite - bis seine Kollegen in höchste Gefahr geraten und er um ihr Leben fürchten muss.

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
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Produkt

Klappentext»Er war irgendwie anders in letzter Zeit.« Mit diesen Worten beauftragt die Redakteurin Mia Bischof die Detektei Liebergesell, nach ihrem vermissten Freund zu suchen. Süden und seine Kollegen kommt die Frau von Anfang an seltsam vor. Sie sehen sich in ihrem unguten Gefühl bestätigt, als irritierende Hinweise im Arbeitsumfeld des Vermissten auftauchen. Er habe Kontakt zu Neonazis, heißt es. Doch Mia bestreitet das vehement. Süden schiebt seine persönlichen Bedenken beiseite - bis seine Kollegen in höchste Gefahr geraten und er um ihr Leben fürchten muss.

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman 'Süden und der Luftgitarrist'. 2011 wurde der Roman 'Süden' mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman 'M', der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426420478
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum26.09.2013
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.19
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse982 Kbytes
Artikel-Nr.1288145
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Erster Teil



1


Am zehnten Todestag ihres Sohnes wurde Edith Liebergesell jäh bewusst, dass sie seit undenklichen Zeiten niemanden mehr in ihre Wohnung eingeladen hatte. Als sie auf der schwarzen Ledercouch saß und auf ihre Tränen wartete, entwischte ihr Blick dem vom Erinnern verdunkelten Verlies ihrer Augen und fiel auf das Ensemble der Stumpenkerzen, die nebeneinander auf dem niedrigen Bücherschrank standen, in Grün und Gelb und Rot und Weiß und Braun und Beige und Violett und Ocker. Vierzehn Kerzen, jede ungefähr zehn Zentimeter hoch, ohne Verzierung, alle mit weißen Dochten, alle aus dem einzigen Grund gekauft, den Gästen beim Essen und Trinken und Reden mit munterem Flackern Gesellschaft zu leisten.

Das war es, was Edith Liebergesell sich vorstellte, während sie mit dem gerahmten Foto in den Händen am Rand der Couch saß: dass da wie selbstverständlich Leute waren, die ohne elektrisches Licht eine Nähe teilten. Die rauchten oder auch nicht; die Singles waren oder echte Einzelgänger; die daheim eine Familie hatten oder einen Hund; die, wenn sie redeten, von Zuhörern umgeben waren und nicht von notgedrungen Verstummten; die sich anschauten und an der Tür einander umarmten und beim Abräumen und Abspülen helfen wollten und keine Chance gegen den Willen der Gastgeberin hatten. Die eine Stille zurückließen, in der die Kerzen knisternd musizierten, weit nach Mitternacht, wenn die Weinreste schon in den Gläsern trockneten und die Speisereste auf den Tellern.

So hätte das alles sein können, sagte sie lautlos und fragte das Bild in ihren Händen, warum ihr erst heute auffiel, dass niemand da war außer ihr.

Dann Tränen. Das Zimmer versank vor ihren Augen, und als es wieder auftauchte, war vor den Fenstern und in der Wohnung stockdunkle Nacht. Edith Liebergesell wollte aufstehen, aber es gelang ihr nicht. Etwas - nicht ihr elendes Übergewicht, nicht der Schmerz, nicht die trostlose Stille, nicht die Angst vor dem Licht, das sie gleich anschalten musste - zwang sie auszuharren und das Foto nicht loszulassen. Etwas, das sie verblüffte, ließ sie den Kopf heben und zum Flur schauen, durch den Rahmen der ausgehängten Tür. Im Flur war alles schwarz. Und doch war etwas anders als sonst, etwas war nicht in der gewohnten Ordnung, etwas veranlasste Edith Liebergesell, noch weiter an den Rand der Couch zu rutschen und die Knie aneinanderzupressen und die Luft anzuhalten, bis sie einen lauten Seufzer von sich gab, der sie selbst erschreckte.

Das Foto glitt ihr aus den Händen und fiel aufs Parkett. Das Glas zersplitterte nicht. Sie bückte sich danach, ergriff es mit Daumen und Zeigefinger am Rahmen und hob es auf. Sie betrachtete das vertraute, verschattete Jungengesicht mit den schmalen, müden Augen und sah noch einmal zur Tür. Sie atmete mit offenem Mund tief ein, was wie ein Röcheln im Schlaf klang, und stand mit einem Ruck auf.

Das, was sie soeben noch niedergedrückt und verstört hatte, schien wie bei einer Explosion aus ihr herauszubrechen.

In diesem Augenblick zerschmetterte ein Gedanke alle anderen, loderte eine Empfindung in ihr auf, wobei sie keine Vorstellung davon hatte, wodurch diese entzündet worden sein mochte und der sie sich doch wehrlos hingab. Es ist passiert, dachte sie vom Herzen her. Heute ist es so weit, heute und von dieser Stunde an.

Zehn Jahre nach Ingmars Entführung und Ermordung stand Edith Liebergesell in ihrer Wohnung, beseelt von der Vorstellung, dass der Abschied von nun an kein blutiger Prozess mehr war, sondern eine Narbe, die zu ihr gehörte wie ihre Stimme. Sie war ein Teil ihrer Persönlichkeit. Ingmars Tod gehörte nicht länger dem Täter, sondern allein ihr, seiner Mutter.

Beinahe hätte sie noch einmal angefangen zu weinen. Sie stellte das gerahmte Bild ins Regal zurück, drückte auf den Lichtschalter neben der Tür und beschloss, die Kerzen anzuzünden, alle vierzehn, zehn für ihren Sohn, zwei für dessen Vater und zwei für sich. Bevor sie sie im Wohnzimmer, im Flur, in der Küche und im Badezimmer verteilte, rauchte sie bei weit geöffnetem Fenster eine Zigarette. Hätte sie wissen müssen, dass sie über die Ereignisse der Vergangenheit und die Echos ihrer Erinnerung keine Macht besaß, solange Ingmars Ermordung dem Täter bis heute eine Gegenwart erlaubte?

 

Das Beste an den Gesprächen mit seinem Vater war, dass er wusste, er könnte sie bis in alle Ewigkeit fortführen. Mit solchen Unterhaltungen in der flüchtigen Dämmerung oder der Schattenhaftigkeit eines Zimmers hatte er Erfahrung. Er lebte fast davon, wegen Martin Heuer. Seit so vielen Jahren, die nicht einmal doppelt zählten und ihm dennoch wie Jahrzehnte erschienen, besprach Tabor Süden mit seinem besten Freund die Dinge des Tages und lud das Gerümpel seiner Gedanken bei ihm ab. Mit wem hätte er auch reden sollen außer mit dem Menschen, dessen Nähe seine Heimstatt war seit jenem Tag, an dem seine Mutter starb? Seit jenem Tag, an dem sein Vater beschloss, eines Tages zu verschwinden, bis er drei Jahre später tatsächlich einen leeren Stuhl zurückließ, seine Lederjacke, einen unbegreiflichen Brief und die Küche ohne ein einziges Trostbrot.

Das war an einem Sonntag gewesen, zwei Tage vor Heiligabend. Obwohl Tabor schon sechzehn und geübt darin war, sich gegen die weißen Wände der Einsamkeit zu stemmen und keine Fragen mehr an seine tote Mutter, an Gott und die Madonna in der Kirche zu stellen - und stattdessen Gedichte las, Musik hörte und im Wald Bäume umarmte -, empfand er das Haus an jenem Nachmittag wie ein im schwarzen Weltall vergessenes Raumschiff.

Und als er nach draußen trat, sog die Finsternis ihn in einen Strudel aus Furcht und Zorn, in dem er womöglich jede Zuversicht verloren oder abgetötet hätte, wäre nicht sein bester Freund wie ein Engel mit Schnurrbart und Parka und einer Fluppe im Mund aus dem Nichts der Welt aufgetaucht. Ohne Umschweife scheuchte Martin ihn vom Seeufer weg und bugsierte ihn in die Alte Schmiede, wo Evi auch an Jugendliche Bier ausschenkte, besonders gern an Tabor, den sie sofort mit nach Hause genommen hätte, wäre sie nicht dreißig Jahre älter und mit einem gemeingefährlichen Blödmann verheiratet gewesen. Später tauchten zwei Streifenpolizisten auf, aber es ging ihnen nicht um den Jugendschutz in Gaststätten, sondern ums Abholen des Jungen, der von seiner Tante Lisbeth und seinem Onkel Willibald vermisst wurde. Bei den beiden sollte Tabor von nun an leben. Wenigstens das hatte sein Vater heimlich geregelt, wenn auch erst am Tag seines Verschwindens, wie Süden erfuhr.

Im Grunde wich Martin Heuer von Stund an nicht mehr von seiner Seite - bis zu jener Nacht, in der Martin in einen Müllcontainer in Berg am Laim kletterte, den Deckel schloss und sich mit seiner Heckler & Koch eine Kugel in den Kopf jagte. Die Sterne am Himmel hatten Martins schwarzen Schmerz jahrelang gespiegelt, und doch hatte Süden die Tat nicht verhindern können. Inzwischen hatte er akzeptiert, dass ihn keine Schuld traf - zumindest keine, die ihn hätte treffen sollen, wie Martin ihm unermüdlich aus dem Himmel versicherte.

Martin lag neben der Kolonialwarenhändlerswitwe Krescenzia Wohlgemuth auf dem Waldfriedhof im Kreis Zehntausender Toter und hörte, weil er keine Wahl hatte, Süden, der bis heute nach Vermissten und Verschwundenen suchte, geduldig zu.

Seit einiger Zeit redete Süden auch mit seinem Vater, der ein paar hundert Meter von Martins Grab entfernt lag. Allerdings wusste Süden nicht, wo genau die Asche seines Vaters beerdigt worden war, irgendwo drei Meter tief in der Erde, auf der Wiese der Anonymen, in einem der mit Erdreich überdeckten Quader, deren Anordnung nur die Grabmacher kannten.

Nach seiner Rückkehr nach München - Süden hatte keine Vorstellung, wo in der Welt sein Vater sich all die Jahre herumgetrieben hatte -, verfügte Branko Süden in seinem Testament eine Feuerbestattung und die anonyme Beisetzung seiner Urne. Somit, dachte Süden, schloss sich der Kreis: Er würde nie erfahren, wo sein Vater gelebt hatte, und er würde nie erfahren, wo die Asche seines Leichnams verstreut worden war. Ein fremder Mann war gestorben, sein Vater. Dennoch redete Süden mit ihm wie mit einem Vertrauten, auf dessen Rücken er einmal galoppiert war, dessen Stimme ihn in den Schlaf gewiegt, dessen Elfmeter er gehalten hatte.

Dieses Reden war kein Gedankengetümmel, kein Murmeln mit halb geschlossenem Mund. Wenn Süden Zwiesprache mit seinem Vater hielt, nahm er keine Rücksicht auf verwirrte Friedhofsbesucher oder Krähen, die in Ruhe im Gras herumpicken wollten. Auf und ab gehend, manchmal wie aus Versehen mit einer Hand durch die Luft wedelnd, als würde er von den eigenen Worten mitgerissen, sprach er mit fester Stimme zur Erde. Er sprach auch zu den Sträuchern, den Buchen und Tannen, ins sinkende Licht - untermalt vom monotonen Rauschen der nahen Autobahn und vom Rufen der schwarzblauen Vögel, die vielleicht um ihre Stimmenhoheit fürchteten. Dann hob Süden den Kopf und sah ihnen zu, wie sie mit scheinbar schwerfälligem Flügelschlag ein Baumkrone-wechsele-dich-Spiel begannen, vielleicht mit dem Ziel, den Stillezerstörer abzulenken oder so lange zu nerven, bis er einsah, dass dieser Flecken Friedhof keine Bühne für zweibeinige Selbstdarsteller war.

Von Jugend an hielt Süden Krähen für Abgesandte der Unterwelt. Er war überzeugt, sie würden jedes Wort verstehen und nachts, wenn die Friedhofstore geschlossen waren, im roten Flackern der Kerzen den Gesang der Toten hören und ihre Stimmen einstudieren, um damit tagsüber die Trauernden zu trösten oder sie auszulachen. Süden ließ sich nicht stören. Er redete hinauf...

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Autor

Friedrich Ani wurde 1959 in Kochel am See geboren. Er schreibt Romane, Kinderbücher, Gedichte, Hörspiele, Drehbücher und Kurzgeschichten. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet: Als bisher einziger Autor erhielt Ani den Deutschen Krimipreis in einem Jahr für drei Süden-Titel gleichzeitig. 2010 folgte der Adolf-Grimme-Preis für das Drehbuch nach seinem Roman "Süden und der Luftgitarrist". 2011 wurde der Roman "Süden" mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, ebenso wie 2014 sein Roman "M", der wochenlang auf der KrimiZEIT-Bestenliste stand. Friedrich Ani ist Mitglied des Internationalen PEN-Clubs und lebt in München.