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Juden und Worte

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
285 Seiten
Deutsch
Juedischer Verlagerschienen am16.09.20131. Auflage
Juden und Worte bilden von jeher eine enge Verbindung. Amos Oz und seine Tochter Fania Oz-Salzberger, die als Historikerin lehrt, erkunden jüdische Wortwelten, Wörter, ihre alten wie neuen Bedeutungen, Auslegungen und Wandlungen, die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Kontinuität im Judentum war immer ans mündlich geäußerte und geschriebene Wort geknüpft, an ein ausuferndes Geflecht von Interpretationen, Debatten, Streitigkeiten. In der Synagoge wie in der Schule, vor allem aber zu Hause umspannte es zwei oder drei ins Gespräch vertiefte Generationen. Was Juden untereinander verbindet, sind Texte. Es ist mit Händen zu greifen, in welchem Sinne Abraham und Sara, Rabban Gamiel, Glückel von Hameln und zeitgenössische jüdische Autoren demselben Stammbaum angehören. Vater und Tochter zeigen anhand verschiedener Themen wie Kontinuität, Frauen, Zeitlosigkeit, Individualität quer durch die Zeiten, von der namenlosen, möglicherweise weiblichen Verfasserin des Hohenliedes bis zu den Talmudisten, Gelehrten und Künstlern die Verbindung von Juden und Wörtern. Sie zeigen, dass jüdische Tradition, auch jüdische Einzigartigkeit nicht von zentralen Orten, Erinnerungsstätten, heroischen Figuren oder Ritualen abhängt, sondern vielmehr von geschriebenen Worten, deren Auslegungen und Debatten zwischen den Generationen. Gelehrt, behände und humorvoll bietet »Juden und Worte« einen einzigartigen Streifzug durch die jüdische Geschichte und Kultur und lädt jeden Leser, jede Leserin zum Gespräch ein, zu Fragen, Einwänden, Entdeckungen in einem Buch.


Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR21,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextJuden und Worte bilden von jeher eine enge Verbindung. Amos Oz und seine Tochter Fania Oz-Salzberger, die als Historikerin lehrt, erkunden jüdische Wortwelten, Wörter, ihre alten wie neuen Bedeutungen, Auslegungen und Wandlungen, die 22 Buchstaben des hebräischen Alphabets. Kontinuität im Judentum war immer ans mündlich geäußerte und geschriebene Wort geknüpft, an ein ausuferndes Geflecht von Interpretationen, Debatten, Streitigkeiten. In der Synagoge wie in der Schule, vor allem aber zu Hause umspannte es zwei oder drei ins Gespräch vertiefte Generationen. Was Juden untereinander verbindet, sind Texte. Es ist mit Händen zu greifen, in welchem Sinne Abraham und Sara, Rabban Gamiel, Glückel von Hameln und zeitgenössische jüdische Autoren demselben Stammbaum angehören. Vater und Tochter zeigen anhand verschiedener Themen wie Kontinuität, Frauen, Zeitlosigkeit, Individualität quer durch die Zeiten, von der namenlosen, möglicherweise weiblichen Verfasserin des Hohenliedes bis zu den Talmudisten, Gelehrten und Künstlern die Verbindung von Juden und Wörtern. Sie zeigen, dass jüdische Tradition, auch jüdische Einzigartigkeit nicht von zentralen Orten, Erinnerungsstätten, heroischen Figuren oder Ritualen abhängt, sondern vielmehr von geschriebenen Worten, deren Auslegungen und Debatten zwischen den Generationen. Gelehrt, behände und humorvoll bietet »Juden und Worte« einen einzigartigen Streifzug durch die jüdische Geschichte und Kultur und lädt jeden Leser, jede Leserin zum Gespräch ein, zu Fragen, Einwänden, Entdeckungen in einem Buch.


Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783633734177
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum16.09.2013
Auflage1. Auflage
Seiten285 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1301908
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




II
Frauen mit Stimme




Man sehe sich doch noch einmal den Beginn des Hohenliedes an.

»Das Lied der Lieder«, so heißt es da, »von Salomo.«

Wirklich? Und wie soll man das verstehen? Wurde es, wie Generationen von Weisen und Gelehrten uns kundtaten, von König Salomo verfaßt? Oder wird es, wie Wissenschaftler der neueren Zeit behaupten, lediglich traditionellerweise König Salomo zugeschrieben?

Vielleicht muß man es auf ganz andere Art und Weise Salomo zuordnen. Es wurde ihm gewidmet, für ihn geschrieben.

Von wem?

Wir haben einen Vorschlag, der uns in psychologischer und grammatikalischer Hinsicht einleuchtet. Sehen wir uns noch den zweiten Vers an:

»Das Lied der Lieder von Salomo. Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes - denn deine Liebe ist süßer als Wein.«

Schön, nicht wahr? Und außerdem ziemlich unbestimmt. Denn bemerkenswerterweise kommen alle drei grammatischen Personen des Singulars in diesen beiden kurzen Versen vor: Es ist von »mich« die Rede, von »dein«, von Salomo und »sein«.

Wer spricht hier?

Weise und Gelehrte lassen uns wissen, daß das Hohelied eine Allegorie der Liebe Gottes zu Israel und der Liebe der Juden für ihren Gott sei. Diese Interpretation machte es überhaupt erst möglich, diesen hocherotischen Text in den biblischen Kanon aufzunehmen. Das ist nicht uninteressant, aber befriedigt unsere Neugier keineswegs. Auf wen bezieht sich »sein«, »mich« und »dein«?

Wir nehmen die Gott-als-Geliebter-Theorie nicht ab. Wenn Salomo Gott auffordert, ihn mit den Küssen seines Mundes zu küssen, was sich - um es mal ganz unverblümt zu sagen - mehr nach Tel Aviv als nach der Heiligen Stadt Jerusalem anhört, so sind die folgenden Verse noch verwirrender. Sie verweisen auf eine ganz physische, heterosexuelle Anziehung: »Der Duft deiner Salben ist süß […] darum haben die Mädchen dich lieb.«

Also wer spricht hier?

Wir kennen einen kleinen Zaubertrick, auf hebräisch. »Von Salomo« heißt »ascher li-Schlomo« ().38

Nun fügen wir einen Buchstaben hinzu, den allerkleinsten im hebräischen Alphabet, das yod. Dann lautet der Vers verbessert so: »aschir li-Schlomo«( ).

Und unser Buch beginnt nun: »Das Lied der Lieder singe ich für Salomo«, was ohne weiteres glatt übergeht zu »Er küsse mich mit den Küssen seines Mundes - denn deine Liebe ist süßer als Wein«.

Das paßt alles wunderbar zusammen, wenn es sich bei der Person, die das Hohelied singt, um eine Frau handelt, die ihr Liebeslied für Salomo in einer pathetischen ersten Person anstimmt, um ebenso flink wie vertraulich zur zweiten Person überzugehen. Deine Liebe. Seine Salben. Die Mädchen haben dich lieb.

Wir verkünden hier keine historische Wahrheit. Keiner weiß, wer das Hohelied geschrieben hat oder ob es überhaupt eine Beziehung zu dem historischen König Salomo hat. Wohl aber wissen wir, daß Sprache Geheimnisse birgt. Indem wir einen kleinen hebräischen Buchstaben der ersten Zeile am Anfang beigefügt haben, entdeckten wir einen neuen Autor. Eine Frau. 

Nennen wir sie Avischag. Es gab eine Avischag von Sunem, eine hübsche junge Frau, die dazu da war, den alten König David nachts in seinem Bett zu wärmen. Die namenlose Geliebte im Hohenlied ist die Sunamitin (oder Schulamit), was sich möglicherweise auf die historische Avischag oder ein allegorisches Pendant beziehen könnte. Sollte also unsere symbolisch genommene Avischag tatsächlich Teile der höchst erotischen biblischen Schrift verfaßt haben, so muß man sie, neben Miriam und Debora, unbedingt zu den großen Dichterinnen der Bibel zählen und, wie Sappho und Emily Dickinson, zu denen der Weltliteratur überhaupt.

Lange Zeit glaubte die Historikerin in unserem Duo, daß der Erzähler im Team den textverändernden Trick, dieses subversive kleine yod, erfunden habe. Und vielleicht hat er es ja auch wirklich. Glücklicherweise aber haben schon vor uns einige Wissenschaftler das »aschir li-Schlomo«, eine weibliche Stimme, als gangbare Alternative zum offiziellen biblischen Text eingesetzt. Doch wie so oft in der Ideengeschichte wird der entscheidende Wendepunkt dann erreicht, wenn eine Vorstellung in einem neuen Zusammenhang erscheint. Heute ist die vernehmbare Stimme unserer Sunamitin neuerlich belangvoll. Wir müssen uns diese starken Israelitinnen, die in der gesamten Hebräischen Bibel redend und singend anzutreffen sind, wieder vornehmen, sind sie doch von einschneidender Bedeutung für das Israel des 21. Jahrhunderts und die Juden von heute.

Auch heute wollen einige wichtige jüdische Gemeinden keine Frauen mehr singen hören. Nicht auf dem Podium oder der Bühne, nicht bei zivilen oder militärischen Feierlichkeiten, nicht einmal unter der Dusche. Während wir dieses Buch schreiben, tobt eine lautstarke Debatte in Israel über die Forderung der Ultraorthodoxen, die Stimmen von Frauen zum Schweigen zu bringen und Bilder von Frauen im öffentlichen Raum zu entfernen oder nur verschwommen zu zeigen. Manche Inserenten und Event-Manager leisten dem Folge. Das Gesicht, der Körper und vor allem die Stimme einer Frau gehören, wie uns zahlreiche Rabbiner sagen, ins Haus. Tugend und Moral sind in Gefahr, besonders die von Männern. Jüdische Frauen sind Prinzessinnen, hört man von Repräsentanten der Geistlichkeit, und ihre Würde und Schönheit sollten tunlichst von der Straße ferngehalten werden. Heißt es nicht in der Bibel: »Die Ehre der Königstochter ist innen«? (Ps 45,14)

Nein, so heißt es eigentlich nicht. Der Psalm beschreibt in farbenfrohen Details, wie König Salomos Bräute aus dem Ausland, Töchter benachbarter Königreiche, in all ihrer festlichen Pracht zum Palast in Jerusalem gebracht werden. Tatsächlich werden in diesem einen Kapitel so viele schicke Accessoires aufgeführt, daß man nicht umhinkann anzunehmen, daß der Hofchronist, der sich in den ersten Zeilen am Anfang als »behender Schreiber«, sofer mahir, vorstellt, irgendwie selbst in diesen importierten Mode-Hype involviert war. Man kann sich schwer vorstellen, daß er Frauen gern hinter Fensterläden verborgen gesehen hätte. Eher wären wohl Bühnenvorhänge seine Sache.

Doch Generationen von Gelehrten und Rabbinern haben den Vers »Die Ehre der Königstochter ist innen« dazu verwandt, Frauen vom Blick der Öffentlichkeit auszuschließen. Maimonides tat das bestimmt. Eine Frau, so schrieb er in Mischne Tora, ist keinesfalls Gefangene ihres Hauses. Gleichwohl ist es

 

»für Frauen nicht schicklich, stets das Haus zu verlassen, mal, um auszugehen, mal, um auf der Straße zu schlendern. Ein Ehemann sollte unbedingt seine Frau daran hindern und ihr nicht gestatten, mehr als ein- oder zweimal im Monat außer Hauses zu gehen - wenn unbedingt nötig. Denn es gibt nichts Angenehmeres für eine Frau, als in einem Winkel ihres Hauses zu sitzen, wie es heißt >die Ehre der Königstochter ist drinnen39?

 

Wir haben nichts gegen den alten oder neuen Brauch der Rabbinen, mit Sinn und Bedeutung alter Verse herumzuspielen. Wie könnten wir? In diesem Buch machen wir so ziemlich dasselbe. Aber es gibt da einige Unterschiede. Im Gegensatz zu den Ultraorthodoxen geht es uns nicht darum, irgend jemanden zu verurteilen, einzuschränken oder zum Schweigen zu bringen. Genauer gesagt, unser Ansatz bei der Interpretation weicht deutlich von dem der Rabbinen ab. Wir halten uns in etwa an folgende Regeln: Man lese in stets größeren Kreisen um ein bestimmtes Zitat herum, anstatt dieses aus seinem Zusammenhang zu reißen. Dann freut man sich über Entdeckungen und überrascht weit mehr als die eigene Agenda: Man wird auf die Mängel von Texten und Autoren aufmerksam, die man schätzt, und vermag die Vorzüge jener anzuerkennen, die man nicht mag. Es gilt, genau hinzusehen, um die innere Logik eines Absatzes, einer Seite, eines Kapitels zu erfassen.

Die Bibel wimmelt nur so von Frauen, die »auf der Straße« sind.40 Pech, Maimonides. Und sie kennt eine Menge Frauen, die draußen und für ein gemischtes Publikum singen. Miriam sang, trommelte und tanzte möglicherweise auch vor einem ganzen Volk. Debora trug ihre eigenen Gedichte vom Sitz der Regierung aus vor, und zwar in einem Duett mit ihrem Stabschef. Hanna hat ihren poetischen Dank an den Allmächtigen vielleicht allein zu Hause verkündet, aber er gelangte in die Medien und nimmt einen beträchtlichen Teil im 1. Buch Samuel, Kapitel 2 ein. Diese Damen und vielleicht auch unsere Sängerin Avischag, dazu die drei Töchter der singenden Familie des Heman sind nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt noch jede Menge andere.41

»Alle Frauen« der Generation, die aus Ägypten auszog, folgten, so berichtet das Buch Exodus, der jubelnden und trommelnden Miriam. Das erste Buch Samuel spricht von Frauen aus »allen Städten Israels«, die sangen, »musizierten« und die Trommeln schlugen, nachdem David Goliath besiegt hatte: »Saul hat seine Tausende geschlagen, David aber seine Zehntausende.« Man frage mal König Saul, was er vom landesweiten Frauenchor hielt. Jede Wette, daß das Geschlecht dieses Ensembles nicht eben zu seinen vordringlichsten Problemen gehörte.

Indessen ist die hebräische Grammatik eindeutig chauvinistisch. Maskuline Formen überwiegen, während feminine im allgemeinen hinterhertrotten und unter der Last eines zusätzlichen Suffixes stöhnen. Besteht eine Gruppe aus einem Mann und tausend Frauen, ist das Pluralpronomen oder die Verbform maskulin. Jeder weiß, daß die Bibel und...

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Autor

Amos Oz wurde am 4. Mai 1939 in Jerusalem geboren und starb am 28. Dezember 2018 in Tel Aviv. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf Hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Amos Oz war Mitbegründer und herausragender Vertreter der seit 1977 bestehenden Friedensbewegung Schalom achschaw (Peace now) und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1992, dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main 2005 und dem Siegfried Lenz Preis 2014. Sein bekanntestes Werk Eine Geschichte von Liebe und Finsternis wurde in alle Weltsprachen übersetzt und 2016 als Film adaptiert.