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Ein Schmetterling im November

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
355 Seiten
Deutsch
Insel Verlag GmbHerschienen am21.10.20132. Auflage
Erst wird die junge Isländerin von ihrem Liebhaber verlassen und wenige Stunden später auch von ihrem untreuen Mann. Hals über Kopf stürzt sich die junge Frau daraufhin in eine Reise durch ihr Land. Mit dem Handschuhfach voller Geld, denn tatsächlich ist eingetroffen, was eine Wahrsagerin ihr prophezeit hat: Sie hat im Lotto gewonnen. Und noch etwas ist ihr gewahrsagt worden: Sie wird den Mann ihres Lebens treffen, wenn drei Tiere gestorben sind. Begleitet wird sie von dem gehörlosen Sohn ihrer Freundin. Eine herzerwärmende Freundschaft entsteht zwischen dem kleinen Jungen und der abenteuerlustigen Frau. Am Ende der Reise sind drei Tiere gestorben. Wo ist der Mann ihres Lebens?


Auður Ava Ólafsdóttir, eine der besten Schriftstellerinnen Islands, lebt in Reykjavík. Sie schreibt Romane, Theaterstücke und Gedichte. Ihre Bücher, in über 25 Sprachen übersetzt, wurden vielfach ausgezeichnet. Für ihren Roman Miss Island erhielt sie in Frankreich 2019 den Prix Médicis étranger für den besten ausländischen Roman des Jahres.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR22,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextErst wird die junge Isländerin von ihrem Liebhaber verlassen und wenige Stunden später auch von ihrem untreuen Mann. Hals über Kopf stürzt sich die junge Frau daraufhin in eine Reise durch ihr Land. Mit dem Handschuhfach voller Geld, denn tatsächlich ist eingetroffen, was eine Wahrsagerin ihr prophezeit hat: Sie hat im Lotto gewonnen. Und noch etwas ist ihr gewahrsagt worden: Sie wird den Mann ihres Lebens treffen, wenn drei Tiere gestorben sind. Begleitet wird sie von dem gehörlosen Sohn ihrer Freundin. Eine herzerwärmende Freundschaft entsteht zwischen dem kleinen Jungen und der abenteuerlustigen Frau. Am Ende der Reise sind drei Tiere gestorben. Wo ist der Mann ihres Lebens?


Auður Ava Ólafsdóttir, eine der besten Schriftstellerinnen Islands, lebt in Reykjavík. Sie schreibt Romane, Theaterstücke und Gedichte. Ihre Bücher, in über 25 Sprachen übersetzt, wurden vielfach ausgezeichnet. Für ihren Roman Miss Island erhielt sie in Frankreich 2019 den Prix Médicis étranger für den besten ausländischen Roman des Jahres.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783458733249
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum21.10.2013
Auflage2. Auflage
Seiten355 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1310686
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Sieben?




Ich kann nicht behaupten, dass ich gerne koche, aber wer lesen kann, der kann auch kochen. Das ist alles. Und nichts macht mehr Spaß, als abends allein im Bett in fremdsprachigen Kochbüchern zu blättern. Ich suche mir also einen anständigen Radiosender, drehe die Lautstärke voll auf, hole den Vogel vom Balkon und lege los.

I got the soul of every rapper in me, love me or hate me. Er ist fast noch ein Kind, der Rapper, der hier seine Mutter verflucht. So dankt also ein Sohn seiner Mutter. Fuck your mother. Ich begreife immer besser, wie unglaublich sinnvoll es ist, kein Kind zu haben. Jungs in seinem Alter haben Hautprobleme, da muss man einen Termin beim Hautarzt machen, den man dann erst nach einem halben Jahr bekommt, dann wird eine Hormoncreme verschrieben, die die Kinder noch mehr gegen die Eltern aufbringt. Sie wachsen zu schnell, immer nur ein Körperteil auf einmal, sind schon beim Aufwachen schlecht gelaunt, machen nie ein Fenster auf, und wenn sie einmal ihr Bett machen, haben sie das Gefühl, einen ganzen Monat lang den Haushalt versorgt zu haben, auf Familiengeburtstagen sitzen sie in der Jacke da, hängen die blinkende Lichterkette nicht ab, die man ihnen in der Weihnachtszeit ins Zimmer gehängt hat, obwohl die Osterfeiertage schon lange vorbei sind, sammeln schmutzige Socken unter ihrem Bett. I just found out my mum does more dope than I do.

Kochen heißt lesen. Ich merke mir nie irgendwelche Rezepte, aber ich halte mich immer gewissenhaft an die Anweisungen, und dann arbeite ich mich mit Musik im Ohr durch die langweiligsten und zeitaufwendigsten Gerichte. Wenn ich Zitronenhähnchen mit Oliven koche, ist es die CD mit Khaled Sahra, wenn ich Kürbissuppe mache, sind es die Pinetop Perkins, zu gegrillten Maiskolben höre ich Ruben González und zu Ossobuco oder Baccala alla Livornese nur Gianmaria Testa. Dvo?ák oder Liszt habe ich im Ohr, wenn ich Dios Palascinta mache, Pfannkuchen mit Nussfüllung; auch wenn ich nicht viel für Strauß übrighabe, finde ich mich mit ihm ab, wenn ich Pusztertaler Kassuppe zubereite, bei isländischem Lammeintopf muss es etwas aus der Sammlung des alten Bjarni ðorsteinsson sein, bei Borsitj oder Kohlrouladen aus Moskau sind es die Orchestersuiten von Prokofjew. Vielleicht nicht besonders originell, aber schließlich bin ich auch nicht der erste Mensch, der mit Hackfleisch gefüllte Kohlrouladen zubereitet. Wie hast du das geschafft?, wird man mich wohl fragen. Die Antwort ist: im Stichwortverzeichnis unter Gans nachgeschlagen, das Rezept durchgelesen und genau den Anweisungen gefolgt, es waren sogar Bilder mit dabei, Schritt für Schritt, von gepflegten Männerhänden vorgeführt. Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen den Fähigkeiten am Herd und anderen Fähigkeiten im Leben, man muss zum Beispiel nicht kinderfreundlich oder überhaupt nett zu anderen Menschen sein, um gut kochen zu können.

Ich habe gerade den Vogel auf die Arbeitsplatte gelegt, als es an der Tür klingelt. Es ist meine Nachbarin aus dem Untergeschoss mit der Hauskatze auf dem Arm.

»Ich kann verstehen, wie du dich fühlst«, sagt sie, »jetzt sind wir schon zwei geschiedene Frauen im Haus.«

Ich frage, woher sie das weiß, ich habe es ja selbst gerade erst erfahren und noch keinem davon erzählt.

»Ich wusste das schon seit dem Frühjahr«, sagt sie, während sie die Katze liebkost und überall kratzt, sodass das Fell bald so aussieht, als hätte man das Tier gerade geföhnt.

»Es ist gut, dass jetzt alles ans Licht gekommen ist«, sagt sie und reicht mir zum vierten Mal ihr leeres Sherryglas. Besonders attraktiv ist sie nicht. Keine Ahnung, was die Männer an ihr finden.

Die Flasche ist fast leer, als sie sich verabschiedet und ich mich wieder ungestört dem Vogel auf der Arbeitsplatte zuwenden kann. Im Buch steht, dass man mit der obersten Schicht anfangen muss, also dem Tier als Erstes die Federn ausrupfen muss. Und wie macht man das? Ich rufe meine Mutter an und sie erzählt mir, dass sie mich auch gerade anrufen wollte, den Hörer schon in der Hand hatte, weil sie zufällig meine alten Schlittschuhe gefunden hat.

»Die werden wie neu«, sagt sie, »wenn ich sie ein wenig aufpoliere.«

Was die Gans betrifft, scheint jeder beim Rupfen eine andere Methode zu haben, Feder um Feder oder eine ganze Hand voll auf einmal, das spielt anscheinend keine Rolle, die Hauptsache ist, dass sie am Ende nackt daliegt, mit einem hübschen Karomuster auf der graublauen Haut. Dann muss ich nur noch die letzten Federn absengen, bis sie verführerisch und bratfertig vor mir auf dem Tisch liegt. Liebe Grüße an ðorsteinn.

»Er hat mir neulich dabei geholfen, den Schrank wegzurücken, und ich habe fast den Eindruck, dass er in letzter Zeit etwas abgenommen hat«, sagt sie zum Abschied. Ich kann dazu nichts sagen, aber es kann schon sein, und ich verabschiede mich auch.

Wo jetzt das Tier so nackt neben der Spüle liegt, erkennt man seine Vogelnatur viel besser. Weil ich technisch nicht so gut ausgestattet bin, weder ein Schweißgerät noch einen Campingkocher parat habe, zünde ich alle Kerzen an, die ich finden kann, schaffe sämtliche Kerzenständer heran und stelle die Kerzen auf den Tisch, goldene, rote, Teelichter und Duftkerzen, dann mache ich mich ans Werk. Der Schmetterling lässt sich nicht stören - nicht einmal wenn man sich mit einem Streichholz nähert, bewegt er die zusammengefalteten Flügel.

Ich könnte ihn auch damit überraschen, dass ich ein paar Leute dazu einlade. In Gedanken stelle ich eine Gästeliste zusammen, sofort fallen mir ein paar seiner Arbeitskollegen ein, doch ich glaube, das ist in diesem Fall nicht angemessen. Dann lieber eine alte Freundin von ihm, die ein Faible für Pferde hat, einen Experten in Angelegenheiten des Mittleren Ostens, der allerdings eigentlich ein Jugendfreund von mir ist, eine Schauspielerin in der Beziehungspause, mit der er erst seit Kurzem wieder befreundet ist, und die Klavierspielerin Auður, meine treue Freundin. Keine der beiden Witwen, weder seine Mutter noch meine, denn schließlich ist das kein vereinendes Familienfest, sondern das letzte Abendmahl, wo jede von ihnen garantiert die Position ihres schon lange erwachsenen Sprösslings vertreten würde.

Der Hals hängt von der Tischkante herab. Es ist eine ungewöhnliche Gans, auf ganz besondere Art erlegt, vielleicht ein wenig angeschlagen, wahrscheinlich mit ausgekugelter Schulter, aber eigentlich kaum versehrt, zumindest nicht mehr als nach einem Kugelhagel aus Schrotflinten. Keiner verliert eine Zahnfüllung, weil in diesem Tier keine Schrotkugeln stecken, mit Sicherheit ist es ganz zart, hat auf der Flucht vor den Scharfschützen keinen langen Weg zurücklegen müssen, keinen Adrenalinschock erlitten, als ich auf die Bremse stieg.

Den Rest übernimmt die Füllung, mit einer wirklich überzeugenden Füllung kann man immer auftrumpfen. Dann noch anständig würzen, ohne dabei über die Stränge zu schlagen, nur wenige Männer sind nämlich für so etwas zu haben. Ich schlage nie über die Stränge, auch wenn ich manchmal vielleicht nah dran bin. Ich werde wohl kaum meinen Mann vergiften, dem ungeborenen Kind den Vater rauben, oder? Nein, ein Kind braucht seinen Vater, ein kleiner Junge muss einen Vater haben.

 

Der Arzt lachte. Kein Vater, ja? Das ist also ganz von selbst geschehen wie bei der Heiligen Jungfrau? Na, du bist mir ja eine ganz Schlaue, aus dir wird noch mal eine. Eine, nach der sich die Männer umdrehen werden. Wenn du nur mal einen Augenblick stillhalten könntest, nicht dauernd herumwuseln würdest wie ein Regenwurm.

 

In diesem Moment frage ich mich allerdings, ist mein Mann tatsächlich ein Mann von Geschmack? War es ein Mann von Geschmack, der mich gewählt hat?

Wenn man mit einem Mann verheiratet ist, der oft beruflich im Ausland unterwegs ist, hat man meist ein gut gefülltes Weinregal. Damit kriegt man am Ende nämlich noch jedes Essen hin, auch wenn es auf der Kippe steht, um Soßen zu retten zum Beispiel. Auch beeinträchtigt ein Likör vor dem Essen das Urteilsvermögen der Gäste, stärkt das Selbstvertrauen desjenigen, der am Herd steht, auch wenn ich jetzt vielleicht nicht noch mehr von diesem gelben Zitronengesöff trinken sollte.

Die Gans ist nicht gut genug abgehangen, daran besteht kein Zweifel. Ich untersuche die Haut auf braune Flecken, die darauf hinweisen könnten, dass das Vieh an irgendeiner Krankheit litt. Das würde zwar nicht den Tod eines Gastes herbeiführen, aber vielleicht einen verdorbenen Magen.

Ich sollte wohl besser die Brust abschneiden, die Wildsoße gut mit Sahne verköcheln, um das Reifenmuster völlig zu verdecken, und nur wenn er dann die sämig-dicke Soße vom Fleisch herunterschabt, wird er das Muster der Reifen noch erkennen können. So wie die an Weihnachten im Reisbrei versteckte Mandel oder die Überraschung, wenn geflügelte Hafergrütze auf dem Frühstückstisch steht. So errege ich seine Aufmerksamkeit und bekomme ihn dazu, aufzublicken - wenn auch nicht unbedingt in meine Augen -, und dann sage ich:

»Also dann, ein frohes neues Jahr im Voraus und herzlichen Dank für die vier Ehejahre plus zweihundertfünfundachtzig Tage und sieben Stunden.«

Schließlich öffne ich die Gans und reiße ihr das blutende Herz aus der Brust. Der Anblick, der sich mir jetzt bietet, überrascht mich. Das Herz ist so klein, dass es in die Hand eines...

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Auður Ava Ólafsdóttir, eine der besten Schriftstellerinnen Islands, lebt in Reykjavík. Sie schreibt Romane, Theaterstücke und Gedichte. Ihre Bücher, in über 25 Sprachen übersetzt, wurden vielfach ausgezeichnet. Für ihren Roman Miss Island erhielt sie in Frankreich 2019 den Prix Médicis étranger für den besten ausländischen Roman des Jahres.