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Rettungsringe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am27.05.20141. Auflage
Paul Cullmann ist jegliches Gefühl für die eigene Befindlichkeit abhanden gekommen. 20 Kilo Übergewicht. Ehe und Geschäft kaputt. Er fühlt sich als Treibgut im Strom des Lebens. Wo ist er bloß geblieben, der große Plan? Auf der Abifeier seines Sohnes beschließt er mit ein paar ehemaligen Klassenkameraden, die missglückte Abschlussfahrt - eine Kanutour auf der Weser - nachzuholen. Drei Frauen, drei Männer, drei Kanus. Eine Fahrt voller Unwägbarkeiten, Turbulenzen und persönlicher Erkenntnisse nimmt ihren Lauf

Jan Schröter, geboren 1958 in Hamburg, studierte Sonderpädagogik und Germanistik und führte danach einige Jahre eine eigene Buchhandlung. Seit 1995 schreibt er Drehbücher für große Fernsehproduktionen ('Großstadtrevier', 'Alphateam', 'Traumschiff') sowie Reisebücher und Kriminalromane. 'Rettungsringe' ist sein dritter Roman bei Knaur.
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Produkt

KlappentextPaul Cullmann ist jegliches Gefühl für die eigene Befindlichkeit abhanden gekommen. 20 Kilo Übergewicht. Ehe und Geschäft kaputt. Er fühlt sich als Treibgut im Strom des Lebens. Wo ist er bloß geblieben, der große Plan? Auf der Abifeier seines Sohnes beschließt er mit ein paar ehemaligen Klassenkameraden, die missglückte Abschlussfahrt - eine Kanutour auf der Weser - nachzuholen. Drei Frauen, drei Männer, drei Kanus. Eine Fahrt voller Unwägbarkeiten, Turbulenzen und persönlicher Erkenntnisse nimmt ihren Lauf

Jan Schröter, geboren 1958 in Hamburg, studierte Sonderpädagogik und Germanistik und führte danach einige Jahre eine eigene Buchhandlung. Seit 1995 schreibt er Drehbücher für große Fernsehproduktionen ('Großstadtrevier', 'Alphateam', 'Traumschiff') sowie Reisebücher und Kriminalromane. 'Rettungsringe' ist sein dritter Roman bei Knaur.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426422076
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum27.05.2014
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse848 Kbytes
Artikel-Nr.1330426
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

Durch die Gänge wummerten Beats, und vor dem Eingang zur Aula sprenkelte eine silberne Discokugel die Wände mit flirrenden Lichtern. Trotzdem Schule, dachte Paul Cullmann. Obgleich dies nicht die Schule war, die er früher besucht hatte, und obwohl seine Schulzeit schon ewig zurücklag, beschlich ihn umgehend das Gefühl, irgendetwas ungemein Wichtiges vergessen zu haben. Hausaufgaben oder die Mathe-Klausur. Ging wahrscheinlich jedem so, schätzte Paul, Schule blieb Schule. Da half auch keine Discokugel.

Die zum Festsaal umfunktionierte Aula präsentierte sich schon gut gefüllt mit Menschen. Auf den ersten Rundblick hin entdeckte Paul weder Lennart noch Daniela, also verkrümelte er sich an den Rand des Saals und behielt den Eingang im Auge. Immer noch strömten Gäste herein, Abiturienten und ihre Familien: Eltern, Großeltern, Geschwister. Die Heldinnen und Helden des Abends trennten sich schnell von ihrer jeweiligen Sippe und rotteten sich grüppchenweise auf der Tanzfläche zusammen, als stünden sie noch auf dem Pausenhof. Dabei entfachten sie jedes Mal aufs Neue einen Begeisterungstaumel, wenn wieder einer der Ihren in ungewohnter Abendgarderobe auftauchte. Auch Paul ließ dieses Schauspiel nicht unberührt. Da waren die schlaksigen Kerle, die sich in ihren nagelneuen Anzügen steif und ungelenk bewegten wie Roboter und dabei unablässig nervös am - vermutlich von Papa gebundenen - Krawattenknoten nestelten. Ihre weiblichen Pendants waren die Mädchen, die sich ihre Abendkleider wahrscheinlich schon eine Minute nach dem Anlegen am liebsten heruntergerissen und durch eine Reithose oder Jeans ersetzt hätten. Sie wirkten in diesen Kleidern genau so, wie sie es selbst empfanden: als Fremdkörper. Aber von diesen Mädchen gab es nicht viele. Die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen hatten die Metamorphose vom Schulmädel zur jungen Dame mühelos gemeistert. Perfekt gestylte Scarlett O´Haras, die sich in Putz und Robe auf dem Parkett bewegten, als hätten sie sich ein Schulleben lang bloß verstellt und nun endlich ihre wahre Bestimmung gefunden. Auch unter den Jungen gab es einige, die im Anzug eine souveräne Figur abgaben. Nicht sehr viele, aber immerhin. Auf diese Spezies schien der Nadelstreifen förmlich gewartet zu haben. Vermutlich würden sie ihn für den Rest ihres Daseins kaum noch ablegen.

»Sie sind soooo groß geworden, unsere Kleinen! Gestern noch soooo winzig. Konnten nichts alleine. Und jetzt das. Kaum zu fassen, was?«

Paul nickte gedankenverloren und sah erst dann zur Seite. Sein Blick versackte ungebremst im abgründigen Dekolleté einer wogenden Mutterbrust. Bevor sich Auge und Bewusstsein wieder mühsam schluchtaufwärts hangelten, verschüttete ihn bereits die nächste Wortlawine.

»Obwohl, so alles alleine, das können sie natürlich doch noch lange nicht. Sina, sag ich gestern zu meiner Tochter, was ist nun mit deinem Ballkleid? Stellen Sie sich vor, da hat das Kind bis dahin noch nicht mal daran gedacht, ein Kleid zu kaufen! Ich sag, das ist ein Ball. Ein Tanzfest. Der krönende Abschluss deiner Schulzeit. Du brauchst ein Kleid! Ich also mit meiner Tochter sofort los in die Stadt ...«

Es war, als hätte man eine Endlostonspur gestartet.

»... nicht diese rosa Tüllgardine, sag ich zu der begriffsstutzigen Verkäuferin, mein einziges Kind soll ja nicht Karriere im Harem machen ...«

Wo ist der Nothammer?, fragte sich Paul. Er kannte die Frau, obwohl ihm ihr Name nicht mehr einfiel. Ihre Tochter Sina war mit seinem Sohn Lennart zusammen im Kindergarten gewesen, vor einem gefühlten Jahrhundert. Damals hatte Sinas Mutter mit ihren Dauermonologen schon regelmäßig jeden Elternabend erheblicher überzogen als Gottschalk seine Sendezeiten bei »Wetten, dass«. Paul führte es im Nachhinein auf diese traumatische Früherfahrung zurück, dass er im weiteren Verlauf von Lennarts Schulzeit den Besuch von Elternabenden nur allzu gern Daniela überlassen hatte.

Aber jetzt war Daniela leider noch nicht da.

»... das Grüne passte nun mal kein Stück zu Sinas Teint, aber das Fliederfarbene, Flieder, sag ich, Flieder geht immer, nicht wahr, kennen Sie doch auch, den Spruch, Herr ... Herr ... sagen Sie mal ...«

Sie wusste seinen Namen also auch nicht. Paul beschloss spontan, seine Anonymität zu wahren. »Holunder.« Wenn man schon beim Flieder war. »Fred Holunder.«

»Holunder? Sie kommen mir bekannt vor, aber bei Holunder klingelt es nicht bei mir. Was machen Sie denn so?«

»Ich restauriere.«

Sie kniff interessiert die Augen zusammen. »Alte Meister?«

»Alte Möbel.«

»Aus dem Museum?«

»Vom Sperrmüll.«

Ihr Interesse erlosch schlagartig. »Ihr Name klingt gar nicht polnisch.«

»Eingedeutscht. Eigentlich: Holunderoschinski. Aber Holunder spart Geld. Sonst bräuchte ich Visitenkarten zum Ausklappen.«

»Äh. Ja. Ach so.« Sie wusste nicht recht weiter, stocherte aber trotzdem weiter im Nebel. Notorisch neugierig. »Vielleicht kenne ich Ihr Kind? Es hat doch jetzt in Sinas Jahrgang Abitur gemacht. Sohn oder Tochter?«

»Tochter.«

Sinas Mutter ließ nicht locker. »Wie heißt sie denn?«

Paul zögerte keinen Moment. Diese Nervensäge verdiente es nicht anders. »Melinda Indira Elvis. Da ist sie ja endlich. Tschüs dann, ich muss zu ihr ...«

Er ließ die verdutzte Frau stehen und strebte einem Grüppchen kichernder Ballprinzessinnen entgegen. Einer davon, einem ätherischen Geschöpf mit sorgfältig konstruierter Hochfrisur, tippte Paul im Vorbeigehen vertraulich auf die Schulter. »Entschuldigen Sie bitte - haben Sie Lennart Cullmann hier irgendwo gesehen?«

Sie schüttelte das Köpfchen - ausgesprochen bedächtig, damit ihr die Frisur nicht aus dem Leim ging.

»Danke, macht nichts. Ich finde ihn schon.«

Zu seinem vorigen Beobachtungsposten am Rande der Tanzfläche gab es kein Zurück. Dort stand Sinas Mutter, deren Blicke Paul immer noch verfolgten. Also entschied er sich für einen Abstecher zur Bar. Bis Lennart und Daniela hier aufkreuzten, würde er sich ein kühles Blondes gönnen. Dann hätte er etwas zu tun. Paul spürte wieder dieses Gefühl dumpfer Unruhe im Magen, das ihn bereits durch die ganze letzte Woche begleitete. Heute war es besonders schlimm gewesen. Heute ist ja auch der Tag X, dachte er. Lennarts allerletzte Schulveranstaltung. Nächste Woche wäre sein Junge schon weg. Sechs Monate Wirtschaftspraktikum. New York, Big Apple, USA. Sein Junge. Nicht daran denken, beschwor sich Paul. Er drängte sich energisch an den umlagerten Tresen.

»Ein Bier, bitte.«

»Schule ist anstrengend, was? Damals wie heute.« Vom Barhocker neben ihm grinste Paul ein bekanntes Gesicht entgegen: Sebastian Westhofen, sein einstiger Klassenkamerad.

»Heute ist schlimmer«, seufzte Paul.

»Wenn der offizielle Teil vorbei ist, wird´s bestimmt nett«, tröstete Sebastian.

Basti hatte drei oder vier Kinder, entsann sich Paul. Da wird man wahrscheinlich irgendwann gelassener. »Wenn du es sagst ...«

Ein gestresster Barkeeper stellte das von Paul bestellte Bier vor Sebastian auf dem Tresen ab und hastete zum anderen Ende der Theke. Basti griff nach dem Glas und hielt es Paul entgegen. Dabei bebte seine Hand ein wenig, etwas Gerstensaft lief über den Rand und tropfte auf den Boden, bevor Paul das Getränk übernehmen konnte.

»Tut mir leid«, entschuldigte sich Basti.

»Bist wohl doch nicht so entspannt, wie du tust«, grinste Paul. Sebastian zuckte mit den Achseln. Er wirkte müde und abgekämpft. Vier Kinder, dachte Paul, da altert man rasant. Außerdem ist er zweiundfünfzig. Wie ich. O Mann.

»Irgendwas ist immer«, erwiderte Basti lapidar.

Sebastian, der Meister des Nichtsagens. Der ließ schon als Schüler nie viel von sich nach draußen, erinnerte sich Paul. Sebastian war irgendwie da, aber wie er wirklich tickte, wusste man nie so genau. Deshalb hatte Paul eher wenig mit Basti zu tun gehabt. Und jetzt konnte er auch nicht viel mit ihm anfangen. Paul überbrückte seine eigene Sprachlosigkeit mit einem zügigen Schluck aus dem Bierglas. Wenigstens entdeckte er dabei weiter hinten im Saal, am Rande der Tanzfläche, Daniela und Lennart.

»Ich zieh dann mal weiter.«

Sebastian grinste schief: »Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.«

Klang nicht halb so cool wie bei John Wayne. War ja auch bloß Basti. Paul nickte ihm kurz zu und steuerte auf seinen Sohn und seine ... tja, was eigentlich? - Ex-Frau, das hörte sich komplett bescheuert an. Schließlich war Daniela immer noch eine Frau, auch nach der Scheidung. »Seine« Frau war sie natürlich nicht mehr. Aber das war sie vorher auch nicht gewesen, jedenfalls nicht im wörtlichen Sinne, der ja ausgesprochen besitzergreifend daherkam. Daniela hatte immer sehr viel Wert auf Unabhängigkeit gelegt, auch während ihrer gemeinsamen Ehe. Die war nun bereits seit sechs Jahren geschieden. Und Paul wusste immer noch nicht, wie er sich gegenüber seiner - tja, was eigentlich? - positionieren sollte. Wohin für ihn die Reise mit Daniela gehen würde, die so viele gemeinsame Jahre und einen gemeinsamen Sohn umfasste. An dieser Ratlosigkeit hatte nicht einmal die Tatsache etwas geändert, dass Daniela längst wieder mit jemandem zusammen war. Jean-Luc, ein Franzose. Manager in der Systemgastronomie. Lebte in Lyon, was nur eine Wochenendbeziehung zuließ - für Daniela anscheinend genau das richtige Maß an verbindlicher Unverbindlichkeit. Seine - tja, was eigentlich? - blieb Paul ein Rätsel. Und solange man bei einem Rätsel nicht wusste, wie es sich auflöste, blieb die...
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Autor

Jan Schröter, geboren 1958 in Hamburg, studierte Sonderpädagogik und Germanistik und führte danach einige Jahre eine eigene Buchhandlung. Seit 1995 schreibt er Drehbücher für große Fernsehproduktionen ("Großstadtrevier", "Alphateam", "Traumschiff") sowie Reisebücher und Kriminalromane. "Rettungsringe" ist sein dritter Roman bei Knaur.