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Das Hohe Schloß

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
164 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am09.12.20131. Auflage
Stanis?aw Lem, einer der profiliertesten polnischen Autoren nicht nur der Science-fiction-Literatur, hat seine Kindheitserinnerungen niedergeschrieben. In Das Hohe Schloß entsteht das Lwów der zwanziger und dreißiger Jahre, »mit bewundernswerter Akkuratesse beschrieben«, wie Mario Szenessy in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bemerkte: »Ich habe selten Beschreibungen von solch zwingender Eindringlichkeit gelesen, oder genauer: verschlungen, denn sie haben mich in Atem gehalten, sie sind spannender als der intelligenteste Kriminalroman.« Doch sieht Lem seine Heimatstadt nur scheinbar mit den Augen des Kindes und Jugendlichen. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit realisiert sie sich zu einer ununterbrochenen Gegenwärtigkeit.

»So war die Zeit denn ein Abgrund, unbeweglich in sich selbst, gleichsam machtlos, untätig. In ihr geschah sehr viel, viel wie in einem Meer, doch sie selbst schien stillzustehen.« Stanis?aw Lem



Stanis?aw Lem wurde am 12. September 1921 in Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. Während des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und übte den Arztberuf nicht aus. Er übersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den fünfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Krákow. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanis?aw Lem zählt heute zu den erfolgreichsten Autoren Polens. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, verfilmt und in 57 Sprachen übersetzt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextStanis?aw Lem, einer der profiliertesten polnischen Autoren nicht nur der Science-fiction-Literatur, hat seine Kindheitserinnerungen niedergeschrieben. In Das Hohe Schloß entsteht das Lwów der zwanziger und dreißiger Jahre, »mit bewundernswerter Akkuratesse beschrieben«, wie Mario Szenessy in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bemerkte: »Ich habe selten Beschreibungen von solch zwingender Eindringlichkeit gelesen, oder genauer: verschlungen, denn sie haben mich in Atem gehalten, sie sind spannender als der intelligenteste Kriminalroman.« Doch sieht Lem seine Heimatstadt nur scheinbar mit den Augen des Kindes und Jugendlichen. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit realisiert sie sich zu einer ununterbrochenen Gegenwärtigkeit.

»So war die Zeit denn ein Abgrund, unbeweglich in sich selbst, gleichsam machtlos, untätig. In ihr geschah sehr viel, viel wie in einem Meer, doch sie selbst schien stillzustehen.« Stanis?aw Lem



Stanis?aw Lem wurde am 12. September 1921 in Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. Während des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und übte den Arztberuf nicht aus. Er übersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den fünfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Krákow. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanis?aw Lem zählt heute zu den erfolgreichsten Autoren Polens. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, verfilmt und in 57 Sprachen übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518743195
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum09.12.2013
Auflage1. Auflage
Seiten164 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1331564
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Erinnern Sie sich noch an das Sammelsurium rätselhafter Dinge, die die Liliputaner in Gullivers Taschen fanden? An jene geheimnisvollen und phantastischen Gegenstände, wie den Palisadenkamm, die gewaltige Uhr, die einen rhythmischen Lärm erzeugte, und die vielen anderen, deren Bestimmung völlig unklar war? Einst war auch ich ein Liliputaner. Ich habe mich mit meinem Vater vertraut gemacht, bin an ihm hinaufgekrochen, wenn er in dem Sessel mit der hohen Lehne saß, und habe die Taschen seines schwarzen, nach Tabak und nach Krankenhaus riechenden Anzugs, zu denen er mir Zugang gewährte, durchforscht. In der linken Westentasche trug er einen Metallzylinder, der einer Großwildpatrone glich; man konnte ihn auseinanderdrehen, und dann zeigte er in seinem Inneren eine kleine Pyramide aus übereinandergesteckten Nickeltrichtern jeder nächstfolgende hatte einen kleineren Durchmesser als der vorherige. Das waren Endoskope. Die benachbarte Tasche enthielt einen Bleistift, der zur Zeit meiner ersten Untersuchungen schon fast abgenutzt war und in einer goldenen Fassung stak, die den Bleistiftstummel mit einem Klicken aus sich herausschob, wenn man auf sie drückte aber dazu bedurfte es größerer Kraft, als ich sie besaß. Im Gehrock befand sich eine Metallschachtel, die ziemlich beängstigend zuschnappte, mit einer Samteinlage, darin ruhte ein winziges Portemonnaie, nicht für Münzen, denn es enthielt überhaupt nichts außer einem Stückchen Samt, das sich nach dem Aufknöpfen des Verschlusses von selbst auseinanderlegte. Dort war auch ein kleines silbernes Schächtelchen mit einem Schnappschlößchen am Deckel, und darin lag ein silbernes Plättchen, an dessen Unterseite ein flacher dunkellila Gummi befestigt war, aber da durfte man nicht die Finger hineinstecken, weil sie sich gleich tintenblau färbten, und auf der entgegengesetzten Seite, im Gehrock war noch ein runder Spiegel, der ein Loch in der Mitte und einen Sprung hatte und der an einem schwarzen Band mit einer Klammer hing. Dieser Spiegel vergrößerte stark mein Gesicht, verwandelte das Auge in eine Art gewaltigen Teich, in dem die braune Iris wie ein runder Fisch schwamm, während die massiven Wimpern wie Schilf waren, das rings um den Teich wuchs. In der Weste wiederum stak, an einer goldenen Kette verankert, eine flache Uhr, ebenfalls aus Gold, mit drei Deckeln. Sie hatte Ziffern, die als römisch bezeichnet wurden, und einen kleinen Sekundenzeiger. Die Deckel der anderen Seite konnte ich nicht selbst öffnen, und man konnte das auch nicht immer tun. Kleine Rädchen mit Rubinäuglein lebten dort für sich hin, leuchteten und bewegten sich.

Auf diese Weise lernte ich meinen Vater kennen; aus der Nähe. Er trug weiße Hemden mit feinen schwarzen Streifen, mit Manschetten, die angeknöpft wurden, und mit einem steifen Kragen, der ebenfalls befestigt werden mußte, aber mit Klammern. Viele solcher Kragen, die bereits alt waren, lagen in den Schubladen des Wäscheschranks herum. Sie fühlten sich durch ihre elastische Steife angenehm an, und ich hatte immer den Eindruck, man könne aus ihnen etwas Interessantes, Nützliches machen, doch kam ich nie darauf, was das hätte sein können. Die Krawatte meines Vaters war weich und schwarz, sie sah wie eine Schärpe aus und wurde wie eine Kokarde gebunden. Der Hut hatte breite weiche Ränder und einen Gummi, der sich vorzüglich spannen ließ. Es gab zwei Spazierstöcke, einer war manchmal verlegt; beide waren sie ziemlich gewöhnlich der Onkel besaß einen interessanteren, mit einem silbernen Pferdekopf, und ein unsäglich altes Wesen, das sich kaum bewegen konnte und das uns manchmal aufsuchte, benutzte wieder einen anderen, mit einem Knauf aus Elfenbein.

Aus der Nähe bekam ich diesen Stock jedoch nie zu sehen, weil ich mich vor diesem Besucher zu verstecken pflegte: Er schnaufte immer so entsetzlich. Ich wußte nicht, daß er mich damit gar nicht erschrecken wollte. Angeblich war er ebenfalls ein Onkel, offenbar ein Uronkel, aber nach meinen Vorstellungen hatte er überhaupt nichts von einem Onkel an sich.

Wir wohnten in der Brajerowskastraße Nummer vier, in der zweiten Etage. Spazieren gingen wir, das heißt ich und mein Vater, gewöhnlich in den Jesuitengarten oder die Mickiewiczallee hinauf, in Richtung der orthodoxen Kirche des heiligen Jura. Ich weiß gar nicht, weshalb mein Vater einen Spazierstock trug, denn er stützte sich nie auf ihn. An Wintervormittagen, wenn noch zuviel Schnee im Garten lag, wandelten wir die Marsza?kowskastraße entlang, vorbei an der Jan-Kazimierz-Universität, wo ich, wenn ich den Kopf reckte, gewaltige halbnackte Steinfiguren mit eigenartigen Hüten, ebenfalls aus Stein, betrachten konnte; sie übten reglos ihre unbegreiflichen Funktionen aus: Die eine saß, während die andere ein aufgeschlagenes Buch hielt, das sie auf das nackte Knie stützte. Das ständige Hochreißen des Kopfes wäre ermüdend gewesen, also beobachtete ich den neben mir schreitenden Vater grundsätzlich bis zur Kniehöhe na, vielleicht ein wenig höher. Einmal bemerkte ich, daß mein Vater nicht seine gewohnten Schnürschuhe anhatte, sondern mir völlig unbekannte, glatte, ohne jede Spur von Verschluß. Auch seine Gamaschen waren verschwunden, von denen er sich nie zu trennen pflegte. Woher hast du diese Schuhe? fragte ich überrascht, und da ertönte von oben eine fremde Stimme: Was soll diese Frechheit?

Es war gar nicht mein Vater, sondern ein ganz fremder Mann, dem ich mich angeschlossen hatte, ohne zu wissen, wie; mein Vater ging ein Dutzend Schritte hinter uns. Ich war starr vor Schreck. Das muß ein außerordentlich unangenehmes Erlebnis gewesen sein, wenn ich es mir so gut gemerkt hatte.

Der Jesuitengarten war nicht besonders groß, aber auch so verirrte ich mich einmal darin; das ist jedoch so lange her, und ich war damals so klein, daß es eigentlich nicht meine eigene Erinnerung ist, man hat mir nur davon erzählt. An einer bestimmten Stelle, zwischen hohen Büschen, es waren wohl Haselnußsträucher, denn sie hatten rote Zweige, stand ein großes Faß mit Wasser; ich glaube, ich habe es dreißig Jahre später in die Erzählung Der Garten der Finsternis aufgenommen. Offen gesagt, der Jesuitengarten war gar keine Attraktion. Ganz anders der Stryjer Park. Dort gab es einen kleinen See, geformt wie eine Acht, und rechter Hand öffnete sich eine Allee, die bis ans Ende der Welt führte. Vielleicht deshalb, weil man dort nie entlangging, was weiß ich. Vielleicht hatte mir das auch nur jemand gesagt. Wahrscheinlich jedoch habe ich es mir selbst ausgedacht, und ich neigte sogar ziemlich lange dazu, dies zu glauben. Der Stryjer Park war etwas verworren angelegt in seiner Nachbarschaft befand sich das herrliche Ausstellungsgelände der Ostmesse. Im Winter wie im Sommer beherrschte ihn der viereckige Baczewski-Turm, gesäumt von Reihen bunter gefüllter Flaschen. Ich wollte wissen, ob sie echten Likör oder nur buntgefärbtes Wasser enthielten, aber das konnte mir niemand sagen.

Zum Stryjer Park fuhren wir gewöhnlich mit einer Droschke, während wir zum Jesuitengarten meistens zu Fuß gingen. Ich bedauerte das, denn die Fahrbahn war vor der Universität mit besonderen Holzwürfeln gepflastert, und die Pferdehufe erzeugten darauf eigenartige Geräusche, es hallte, als verberge sich darunter ein großer Raum. Das soll nicht heißen, daß mir Spaziergänge in die nähere Umgebung keine Freude bereitet hätten. Am Eingang zum Jesuitengarten saß ein Mann mit einem Glücksrad. Es gelang mir ein paarmal, ein blechernes Zigarettenetui, das innen gelbliche Bändchen zum Festhalten der Zigaretten hatte, zu gewinnen, meist jedoch nur zweiseitige Taschenspiegel. Es standen dort auch Wägelchen mit Eis, aber das durfte ich nicht essen. Und später, als ich etwas größer geworden war, traf ich dort manchmal Anusia. Die alte Frau, kaum größer als ich, mit einer Drahtbrille auf der Nase und einem Korb Brezeln in der Hand, war einst meine Amme gewesen. Die Brezeln verkaufte sie entweder zu zwei Stück für fünf Groschen die zog ich vor oder eine für einen Fünfer. Zu einer Zehngroschenmünze sagte man Sechser das war schon eine beträchtliche Menge.

Aus dem Garten kehrten wir entweder geradewegs nach Hause zurück oder auf Umwegen über den Smolka-Platz, in dessen Mitte eine Steinfigur stand; und das taten wir deshalb, um Obst oder sogar Kirschkompott in einer Dose, was eine Rarität war, in Orensteins Laden zu kaufen. Im Schaufenster lagen immer Pyramiden rotbäckiger Äpfel sowie Apfelsinen und Bananen mit ovalem Etikett, das mit der Aufschrift Fyffes versehen war. Ich habe mir dieses Wort gemerkt, aber ich weiß nicht, was es bedeuten könnte. Etwas weiter, dort, wo bereits die Jagiellonenstraße begann, war das Kino Marysienka. Ich liebte es überhaupt nicht, weil meine Mutter mit mir hinzugehen pflegte, wenn sie, wie es scheint, nichts mit mir anzufangen wußte. Was auf der Leinwand geschah, verstand ich nicht. Es langweilte mich entsetzlich. Manchmal endete das damit, daß ich sacht und verstohlen vom Sessel auf den Fußboden rutschte und auf allen vieren die kühle Bodennähe zu erforschen begann, indem ich zwischen den Beinen der Leute hindurchkroch, aber auch dessen wurde ich bald überdrüssig. Also mußte ich warten, bis der Film zu Ende war. Die Herren und Damen auf der Leinwand öffneten und schlossen die Münder, ohne einen Laut auszustoßen, nur die Musik spielte dazu. Zunächst war es Klavierbegleitung, später wohl Musik von Grammophonplatten.

Aber wir sollten ja nach Hause zurückkehren. Vom Smolka-Platz gingen wir also die Podlewskistraße entlang, die ziemlich uninteressant war, dann durch kleine Seitenstraßen, die Chopin- und die Moniuszkogasse, wo der starke Kaffeegeruch...
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Autor

Stanislaw Lem wurde am 12. September 1921 in Lwów (Lemberg) geboren, lebte zuletzt in Krakau, wo er am 27. März 2006 starb. Er studierte von 1939 bis 1941 Medizin. Während des Zweiten Weltkrieges musste er sein Studium unterbrechen und arbeitete als Automechaniker. Von 1945 bis 1948 setze er sein Medizinstudium fort, nach dem Absolutorium erwarb Lem jedoch nicht den Doktorgrad und übte den Arztberuf nicht aus. Er übersetzte Fachliteratur aus dem Russischen und ab den fünfziger Jahren arbeitete Lem als freier Schriftsteller in Krákow. Er wandte sich früh dem Genre Science-fiction zu, schrieb aber auch gewichtige theoretische Abhandlungen und Essays zu Kybernetik, Literaturtheorie und Futurologie. Stanislaw Lem zählt heute zu den erfolgreichsten und meist übersetzten Autoren Polens. Viele seiner Werke wurden verfilmt.