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Ich ein Tag sprechen hübsch

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am02.12.2013
'Nackt' war erst der Anfang - jetzt kommt die Fortsetzung!
David Sedaris schreibt hier seinen mit dem Erfolgstitel 'Nackt' begonnenen 'Roman in autobiographischen Geschichten' fort. Noch einmal wirft der Autor einen Blick zurück in die Kindheit. Wir erleben Davids Vater und dessen Jazz-Leidenschaft, gehen mit Klein David zur Logopädin, begleiten den Kunststudenten David zum ersten Mal in den Aktsaal und beobachten, wie aus David 'Mr. Sedaris' wird.

David Sedaris, geboren 1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt in England. Er schreibt u. a. für den New Yorker und BBC Radio 4. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber, Ich ein Tag sprechen hübsch und Schöner wird's nicht wurde er zum Bestsellerautor. Zuletzt erschienen im Blessing Verlag Das Leben ist kein Streichelzoo. Fiese Fabeln (2011), Sprechen wir über Eulen - und Diabetes (2013), Calypso (2018) und Bitte lächeln! (2023) sowie seine vielbeachteten Tagebücher Wer's findet, dem gehört's (2017) und Kleine Happen (2023).
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Produkt

Klappentext'Nackt' war erst der Anfang - jetzt kommt die Fortsetzung!
David Sedaris schreibt hier seinen mit dem Erfolgstitel 'Nackt' begonnenen 'Roman in autobiographischen Geschichten' fort. Noch einmal wirft der Autor einen Blick zurück in die Kindheit. Wir erleben Davids Vater und dessen Jazz-Leidenschaft, gehen mit Klein David zur Logopädin, begleiten den Kunststudenten David zum ersten Mal in den Aktsaal und beobachten, wie aus David 'Mr. Sedaris' wird.

David Sedaris, geboren 1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt in England. Er schreibt u. a. für den New Yorker und BBC Radio 4. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber, Ich ein Tag sprechen hübsch und Schöner wird's nicht wurde er zum Bestsellerautor. Zuletzt erschienen im Blessing Verlag Das Leben ist kein Streichelzoo. Fiese Fabeln (2011), Sprechen wir über Eulen - und Diabetes (2013), Calypso (2018) und Bitte lächeln! (2023) sowie seine vielbeachteten Tagebücher Wer's findet, dem gehört's (2017) und Kleine Happen (2023).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641135690
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum02.12.2013
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse950 Kbytes
Artikel-Nr.1335579
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Riesenträume, Zwergentalent
(Giant Dreams, Midget Abilities)

Mein Vater ist Jazz-Fan und Besitzer einer beachtlichen Schallplatten- und Tonbandsammlung, die er nach der Arbeit zu hören pflegte. Er konnte noch so mies gelaunt nach Hause kommen, sobald er seinen Dexter Gordon und einen Wodka Martini hatte, schmolz der Ärger dahin, und alles war »beautiful, baby, just beautiful«. Im Moment, da die Nadel auf der Platte aufsetzte, lockerte er seine Krawatte und war nicht mehr der steife Techniker mit der Tasche voller IBM-Stifte mit dem Aufdruck »Denk«.

»Mannomann, hör dir an, was der Kerl in den Bakken hat. Ich habe ihn mal im Blue Note gesehen, und ich kann nur sagen, der hat mich glatt vom Stuhl gepustet! So einem Talent begegnet man nur einmal im Leben. Der Bursche war der absolute Senkrechtstarter, und ich saß gleich in der ersten Reihe. Kannst du dir das vorstellen?«

»Wow«, antwortete ich, »muß irre spannend gewesen sein.«

Empathie war die falsche Reaktion, da sie nur seinen Ärger zu wecken schien.

»Was weißt du schon davon«, sagte er. »Von wegen, >irre spannendrichtig zuhörst.«

Da wir mit der Musik groß geworden waren, nahm ich immer an, meine Schwestern und ich würden wirklich was von Jazz verstehen. Wir schätzten ihn mehr als die Musik unserer Freunde, aber weder Worte noch Taten konnten unseren Vater von unserer Hingabe überzeugen. Wie, außer daß man ein Stück auf einem Instrument nachspielte, konnte man beweisen, daß man richtig zugehört hatte? Es war, als erwartete er von uns, daß wir nach jeder Hörprobe die Farbe wechselten.

Aufgrund seines Gehörs und seiner fast krankhaften Disziplin war ich immer der Überzeugung, aus meinem Vater hätte ein erstklassiger Musiker werden können. Er hätte Saxophonist werden können, wäre er nicht in eine Einwandererfamilie hineingeboren worden, die schon Topflappen für übertriebenen Luxus hielt. Bei ihm zu Hause wurde nur griechische Musik gehört, ein Oxymoron, was den Rest der Welt angeht. Das Gejaule eines Straßenkaters, dessen Schwanz in der Tür eines Milchwagens eingeklemmt ist, würde spielend die Charts daheim in Sparta oder Thessaloniki stürmen. Jazz war für meinen Vater die einzige Form von Rebellion. In seinem Haus war die Musik verboten, so daß er sie als seine ganz persönliche Entdeckung betrachtete. Als junger Mann versteckte er seine 78er-Platten unterm Sofa und machte sich regelmäßig heimlich auf nach New York City, wo er sich in den Klubs herumtrieb und mit Schwarzen verkehrte. Alles in allem konnte er sich nicht beklagen. Bis er Anfang Vierzig mit der ganzen Familie nach North Carolina versetzt wurde.

»Wo, bitte, soll ich hin?« fragte er.

Die Winter in Raleigh sagten ihm zu, nur hätte er das milde Klima liebend gern für einen anständigen Radiosender getauscht. Ganz auf seine Schallplatten und Tonbänder beschränkt, reifte in ihm der Traum, seine Familie werde eines Tages die Leere füllen und eine Jazz-Combo gründen.

Sein Plan nahm an dem Abend Gestalt an, als er mich zusammen mit meinen Schwestern Lisa und Gretchen zu einem Konzert von Dave Brubeck mitnahm, der auf Tour mit seinen Söhnen bei uns in der Uni spielte. Das Publikum tobte, als das Quartett die Bühne betrat, während ich mich mit geschlossenen Augen zurücklehnte und so tat, als gelte der Applaus mir. Um ein solches Maß an Aufmerksamkeit zu bekommen, mußte man sich was einfallen lassen, was die Leute aus den Socken haute. Ich hatte im stillen an einer Sache gearbeitet, von der ich mir vorzustellen begann, sie einem menschlichen Publikum zu präsentieren. Mein Auftritt bestand darin, daß ich, bekleidet mit einem schicken Hemd und Krawatte, ein Medley aus Werbe-Jingles im Tonfall von Billie Holiday singen würde, die eine der Lieblingssängerinnen meines Vaters war. Mein Konzert in Raleigh würde ich voraussichtlich mit der Werbemelodie für das älteste Einkaufszentrum der Stadt eröffnen. Ein kurzes Kopfnicken in die Richtung meines Begleitmusikers, und ab ging's mit »Die Atmosphäre von Cameron Village wird auch Sie verzaubern«. Das Ergreifende meiner Darbietung war, daß sie sowohl die Freude als auch das Leid eines Besuchs bei Ellisburg's oder J. C. Penney einfing. Danach kämen Knaller wie »Schon entdeckt, wie die Winston schmeckt« und der neue Coke-Ohrwurm »Mein Lied geht um die ganze Welt«.

Eingesponnen in meinen Traum, hatte ich Dave Brubeck ganz vergessen, als mir mein Vater den Ellbogen in die Seite rammte und fragte: »Hörst du das? Die Jungs heizen ein, daß der Putz von den Wänden bröckelt!« Die übrigen Zuhörer saßen andächtig wie in der Kirche, nur mein Vater schnippte mit den Fingern und nickte mit dem Kopf vor der Brust. Leute zeigten mit dem Finger auf uns, doch als wir ihn baten, sich gerade hinzusetzen und mit dem Geschnippe aufzuhören, legte er beide Hände an den Mund und brüllte nach Blue Rondo à la Turk!

Auf der Fahrt nach Hause trommelte er mit den Handflächen auf das Lenkrad und schwärmte: »Habt ihr das gehört? Der Bursche wird mit jedem Tag besser. Da steht er mit seinen Jungs auf der Bühne und fetzt los, was das Zeug hält. Mein Gott, was gäbe ich für so eine Familie. Ihr solltet wirklich eine Band aufmachen.«

Meine Schwester Lisa spuckte einen Mundvoll Zitronensprudel durch den Wagen.

»Nein, ganz im Ernst«, sagte mein Vater. »Ihr braucht nur ein paar Instrumente und Stunden, und ich schwöre bei Gott, ihr geht ab wie 'ne Rakete.« Insgeheim hofften wir, es wäre eine seiner Fünf-Minuten-Ideen, doch als wir zu Hause eintrafen, glänzten seine Augen immer noch. »Genau das ist es«, sagte er. »Wieso bin ich nicht früher drauf gekommen.«

Am nächsten Nachmittag kaufte er einen Stutzflügel. Er war gebraucht, machte aber selbst in einem Zimmer mit Linoleumfliesen noch einiges her. Wir hämmerten abwechselnd auf den Tasten herum, doch sobald der Reiz des Neuen verflogen war, wurde er mit Hilfe von Sofakissen in ein Fort verwandelt. Das Klavier blieb in seiner eigentlichen Bestimmung ungenutzt, bis mein Vater Gretchen für ein paar Unterrichtsstunden anmeldete. Sie hatte nie großes Interesse an dem Ding bekundet, sondern war allein deshalb auserkoren worden, weil sie, mit ihren zehn Jahren, nach Ansicht unseres Vaters die künstlerischsten Finger besaß. Nachdem man Lisa mit einer Flöte bedacht hatte, entdeckte ich eines Abends, nach der Rückkehr vom Pfadfindertreffen, an das Aquarium in meinem Zimmer gelehnt mein Instrument.

»Halt dich fest«, sagte mein Vater. »Hier ist die Gitarre, die du schon immer haben wolltest.«

Zweifellos hatte er mich mit irgendwem verwechselt. Ich hatte zwar wiederholt den Wunsch nach einem Marken-Staubsauger geäußert, nie aber auch nur ein Wort über eine Gitarre verloren. Das Gerät sprach mich nicht im entferntesten an, nicht einmal auf ästhetischer Ebene. Ich konnte schließlich auch nichts dafür, wenn das Instrument so gar nicht zum nautischen Thema meiner Zimmereinrichtung passen wollte. Ein Anker, ja. Eine Gitarre, nein. Seinem Wunsch, so richtig loszufetzen, kam ich gerne dadurch nach, daß ich das Teil in meinen Schrank fetzte, wo es blieb, bis mein Vater mich für ein paar Einzelstunden in einem Musikgeschäft im kürzlich eröffneten North Hills Mall anmeldete. Ich wehrte mich mit allen Mitteln und schützte selbst noch auf dem Weg zum ersten Termin massive Übelkeit vor.

»Aber ich bin krank«, brüllte ich, während ich ihn vom Parkplatz brausen sah. »Ich habe einen Virus, und obendrein will ich kein Musikinstrument erlernen, falls du das noch nicht kapiert hast.«

Nachdem klar war, daß er nicht umkehren würde, schleppte ich meine Gitarre in den Musikladen, dessen Besitzer mich zu meinem Lehrer brachte, einem kauzigen, in sich selbst versunkenen Gnom namens Mister Mancini. Da ich, gerade zwölf, ziemlich schmächtig für mein Alter war, fand ich es reichlich seltsam, in einem fensterlosen Raum mit einem Mann eingesperrt zu sein, der mir gerade bis zur Brust reichte. Ich kannte Zwerge nur vom Zirkus und unterdrückte zwanghaft die Sätze, die zu Hause häufig im Zusammenhang mit meinem einjährigen Bruder fielen. Instinktiv wollte ich mich über seine winzigen, perfekt geschwungenen Fingernägel auslassen oder fragen, ob er nachts schon durchschliefe. Irgendwie gehörte es sich nicht, daß ich größer als mein Lehrer war, aber ich behielt die Beobachtung für mich und sagte nur: »Mein Vater hat mir das eingebrockt. Es war allein seine Idee.«

Als jemand, der großen Wert auf sein Äußeres legte, aber in der modischen Diaspora gelandet war, trug Mister Mancini Kleidung, die ich aus der Kinder-Abteilung bei Hudson Belk kannte. An manchen Nachmittagen bevorzugte er Button-down-Hemden mit Ansteckfliege, an anderen empfing er mich in Schlaghose und lässigem Stehbundpullover, mehrere bunte Perlenketten um den Hals geschlungen. Seine Arme waren männlich und mit dichtem schwarzen Haar überzogen, doch seine Stimme klang dünn und piepsig, als würde sie zu schnell von einem Band abgespielt.

Er war kein echter Zwerg, aber ohne Frage ein ziemlicher Knirps. Mein Staunen war ebenso schamlos wie unwillkommen,...

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Autor

David Sedaris, geboren 1956 in Johnson City, New York, aufgewachsen in Raleigh, North Carolina, lebt in England. Er schreibt u. a. für den New Yorker und BBC Radio 4. Mit seinen Büchern Naked, Fuselfieber, Ich ein Tag sprechen hübsch und Schöner wird's nicht wurde er zum Bestsellerautor. Zuletzt erschienen im Blessing Verlag Das Leben ist kein Streichelzoo. Fiese Fabeln (2011), Sprechen wir über Eulen - und Diabetes (2013), Calypso (2018) und Bitte lächeln! (2023) sowie seine vielbeachteten Tagebücher Wer's findet, dem gehört's (2017) und Kleine Happen (2023).