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Zwischen Menschen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
Hoffmann und Campe Verlagerschienen am16.04.2014
In zehn neuen Geschichten lotet David Guterson den Raum zwischen zwei Menschen aus, der trotz aller Versuche, sich dem anderen zu nähern, oftmals unüberwindlich bleibt. Einmal mehr stellt der Autor von 'Schnee, der auf Zedern fällt' seine psychologische Meisterschaft unter Beweis, komplexe Gefühlswelten auszuloten, und zeigt in den kleinen Begegnungen des Alltags das Drama des Lebens.

David Guterson lebt mit seiner Frau und seinen Kindern auf Bainbridge Island im Puget Sound westlich von Seattle. Sein erster Roman Schnee, der auf Zedern fällt, für den er den Pen/Faulkner-Award erhielt, machte ihn weltberühmt. Zuletzt erschienen seine Romane Ed King (2012) und Der Andere (2013) sowie der Erzählband Zwischen Menschen (2013).
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Produkt

KlappentextIn zehn neuen Geschichten lotet David Guterson den Raum zwischen zwei Menschen aus, der trotz aller Versuche, sich dem anderen zu nähern, oftmals unüberwindlich bleibt. Einmal mehr stellt der Autor von 'Schnee, der auf Zedern fällt' seine psychologische Meisterschaft unter Beweis, komplexe Gefühlswelten auszuloten, und zeigt in den kleinen Begegnungen des Alltags das Drama des Lebens.

David Guterson lebt mit seiner Frau und seinen Kindern auf Bainbridge Island im Puget Sound westlich von Seattle. Sein erster Roman Schnee, der auf Zedern fällt, für den er den Pen/Faulkner-Award erhielt, machte ihn weltberühmt. Zuletzt erschienen seine Romane Ed King (2012) und Der Andere (2013) sowie der Erzählband Zwischen Menschen (2013).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783455812596
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum16.04.2014
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1366660
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Mieterin

Er wollte sich gerade zum Abendessen hinsetzen, als der Wohnungsmakler anrief. Wenn man es denn Abendessen nennen konnte. Zwei Rühreier mit Käse und Toast mit Erdnussbutter, die er vor dem Fernseher essen wollte. Er hatte das Essen auf einen Teller gegeben, sich ein Bier eingegossen und war dabei, den Polsterhocker näher zum Fernseher zu rücken. Er überlegte kurz, wo er die Fernbedienung hingelegt hatte, und entdeckte sie zwischen den Zahnstochern, die er am Morgen von einem Dentalhygieniker zur Pflege seines Zahnfleischs bekommen hatte, und einigen Werbeprospekten aus der Sonntagszeitung; vermutlich müsste er ihr einen leichten Klaps geben, weil die Batterien lose waren. Sollte er rangehen oder warten, dass der Anrufbeantworter ansprang? Die Eier waren warm, das Bier war kalt. Er wollte essen und konnte keine Störung gebrauchen. Ans Telefon zu gehen war mit körperlicher Anstrengung verbunden. Dennoch lief er die sechs Schritte und sah auf die Anruferkennung, und als er bemerkte, dass es der Makler war, setzte er das Bier ab und hielt den Hörer ans Ohr. »Ja«, sagte er.

Der Makler, den er kaum kannte, begann mit ein paar höflichen Floskeln, bevor er zum Geschäftlichen kam. Er war ein Mann alter Schule, der sich erst einmal räusperte und sich dann im Tonfall gespielter Anteilnahme über das Wetter ausließ - scheußlich, regnerisch - und über den furchtbaren Verkehr auf der Interstate 90 von Mercer Island zum Abzweig auf die 405. Seiner Meinung nach gab es - so das Ergebnis seiner professionellen Anstrengungen - zwei Optionen, Leute mit besten Voraussetzungen, die sich alles ganz genau angeschaut hatten. Er hatte die Wohnung am Nachmittag drei Interessenten gezeigt, zuerst einer Frau, die sich lobend über den Umbau geäußert hatte - die großzügige Raumaufteilung, das Licht, die Korkböden -, aber nicht aus ihrer Wohnung ein Stück weiter auf demselben Flur ausziehen wollte. »Eine Voyeurin«, sagte der Makler. »Die war nur neugierig.« Dann hatte er sie einer Krankenschwester gezeigt, die sie sogleich nehmen wollte und die »eine ausgezeichnete Mieterin wäre«. Und zuletzt einer Frau, die die erste Wahl des Maklers war, wegen ihrer Referenzen und »einem Spitzen-Bonitätsrating von knapp unter achthundertfünfzig Punkten«.

»Nehmen Sie Ihre erste Wahl«, sagte er dem Makler.

 

Der Makler setzte den Vertrag auf. Die Mieterin, deren Name Williams lautete, Lydia Williams, unterschrieb und setzte auf jede Seite ihre Paraphe, die im Gegensatz zur Unterschrift schlicht und schmucklos aussah. Lydia Williams, dachte er, Mieterin eines einfachen Zwei-Zimmer-Apartments mit Garage. Lydia Williams, geheimnisvolle Nichtexistenz, bislang ungreifbar, weil er sie noch nie gesehen hatte, aber Garantin, so hoffte er zuversichtlich, beständiger Mieteinnahmen. Er legte eine Kopie des Mietvertrags in den »Apartment«-Ordner, zusammen mit ihren persönlichen Daten und der Bankauskunft, nachdem er sich zuvor vergewissert hatte, dass die Zahlungsvereinbarungen stimmten, nämlich dass Lydia Williams zum 15. jedes Monats per Dauerauftrag ihre Miete überweisen würde; er hatte den 15. gewählt, weil es das Datum der Einkommensteuererklärung war und ihm die Übereinstimmung gefiel. Außerdem heftete er einen Brief des Maklers ab, in dem festgehalten war, dass Williams jeweils zwei Schlüssel für die Haustür, die Garage, den Briefkasten und den Zugang zu den Müll- und Recyclingtonnen erhalten hatte, dass sie über die Parkvorschriften informiert worden war und den entsprechenden Aufkleber für ihre Windschutzscheibe und den Parkschein für Gäste ausgehändigt bekommen hatte, dass man sie über die Hausordnung der Blue-Vista-Wohnanlage informiert und mit ihr eine Wohnungsbesichtigung durchgeführt hatte, um mögliche Schäden festzustellen, für die sie bei ihrem Auszug nicht aufkommen müsste. Aber sie hatte keine Schäden aufgelistet, entweder weil sie keinen Wert darauf legte oder weil sie nicht genau genug hingeschaut hatte oder vielleicht auch weil er die Wohnung für die Vermietung so sorgfältig renoviert und in Schuss gebracht hatte. Er hatte die Haustür von innen gestrichen und die Rigipswand ausgebessert. In den Rauchmeldern steckten neue Batterien.

Lydia Williams, so schrieb der Makler in seinem Abschlussbericht, bevor er seine horrende Provision einstrich, sei ohne Umstände eingezogen. Unsichtbar, eine Abstraktion, MIETERIN in Großbuchstaben, aber die Miete wurde tatsächlich am 15. des zweiten Monats korrekt und automatisch überwiesen, anstandslos und ohne jede Rückmeldung. Es war, als befände sich Lydia Williams immer noch in den Händen des Maklers, als existierte sie auf dem Papier, aber nicht als Person. Er konnte nicht sagen, wie sie aussah oder wie ihre Stimme klang; mehrere Male fragte er sich, wer Lydia Williams sei, aber immer nur im Hinblick auf die Zuverlässigkeit ihrer Mietzahlungen und darauf, ob sie, bildlich gesprochen, eine Glühbirne auswechseln konnte, also ob sie ihm mit soliden handwerklichen Kenntnissen Zeit und Geld für Reparatur- und Wartungsarbeiten ersparen würde. Dennoch unternahm er keine Anstrengungen, etwas über sie herauszufinden, weil er fürchtete, durch sein Auftreten den Weg zu einer lästigen Beziehung zu bahnen, sich Ärger aufzuhalsen, seinen Vorstoß anschließend zu bereuen und zuletzt mit mehr Belästigungen, Arbeit und Sorgen dazustehen, als wenn er im Hintergrund bliebe.

Schließlich schickte er ihr eine freundliche und unverfängliche E-Mail. Oder vielmehr, er leitete einen Anhang von der Sekretärin der Blue-Vista-Eigentümergemeinschaft über vorgeschriebene Kamininspektionen an sie weiter, den er mit »MfG« und seinen Initialen unterschrieb. Keinerlei Antwort von Lydia Williams, nicht einmal eine knappe, förmliche Bestätigung, kein Dank für die Weiterleitung der Nachricht - vielleicht hatte sie die E-Mail gar nicht bekommen? Sollte er sie noch einmal senden? Nein. Er beließ es dabei. Er wollte sich keinesfalls aufdrängen, ganz im Gegenteil - er wollte Distanz wahren. Gleichwohl hatte er sich mit der Nachricht über die notwendige Kamininspektion bei ihr gemeldet. Zugegeben, im Schatten einer ziemlich dicken Schutzmauer, aber er hatte kommuniziert - bloß mit wem? War da überhaupt jemand am anderen Ende? Die nächste Mietzahlung wurde pünktlich überwiesen, Wochen vergingen, und dann, angetrieben von einem inneren Impuls, für den er keinen Namen hatte, schickte er ihr eine zweite Nachricht in Form eines Anhangs, eine Information der Eigentümergemeinschaft über »Sicherheitsmaßnahmen für den Fall eines Stromausfalls«, erneut unterzeichnet mit »MfG« und seinen Initialen, wobei er den Zeitpunkt so wählte, dass die eindeutig zweckgerichtete Nachricht mit Wetterwarnungen im Fernsehen über einen drohenden Schneesturm zusammenfiel. Kurz darauf kam der Sturm, wie zu seiner Begründung oder Rechtfertigung. Denn er hatte nur das getan, was ein Vermieter tun sollte, richtig? Normalerweise machte er jeden Tag - in der Regel am späten Nachmittag, zur blauen Stunde, wenn das Leben sich auf eine unbeschreibliche Weise anders anfühlte - Besorgungen mit dem Wagen. An Wochenenden kam noch der Pflichtbesuch bei seinen Eltern hinzu, aber daran war bei dem extremen Wetter - der Schnee türmte sich im trüben Zwielicht des Tages immer höher auf - nicht zu denken. Er blieb im Haus, sah regelmäßig aus dem Fenster, um die Schneehöhe abzuschätzen, und verfolgte die Berichterstattung im Fernsehen. Es wurde später Nachmittag, seine trübste Stunde, und obendrein sanken die Temperaturen. Er versuchte ein wenig zu schlafen, aber manchmal war es aus unerfindlichen Gründen so, dass die Ischiasschmerzen im rechten Bein stärker wurden, sobald er sich hinlegte. So wie dieses Mal. Er stand auf, sah nach dem Thermostat, setzte sich in seinen Windsor-Stuhl - mit Armlehnen und einem ziemlich dicken Kissen - und las gereizt in der Week. Dann tat er etwas, wozu es ihn häufig drängte, obwohl er es zu kontrollieren versuchte, weil es seinen Frust nur noch verstärkte: Online-Anlageforschung. Und da er nun wider besseres Wissen online war - er verbrachte viel zu viel Zeit im Netz -, sollte er nicht die neue Mieterin kontaktieren? Die strenge Zurückhaltung, die ihn vor sozialen Fehltritten schützte, war nach einem Tag ohne Besorgungen und durch das Gefühl, vom Schnee eingeschlossen zu sein, so sehr geschwächt, dass er schließlich glaubte, ihr eine E-Mail schicken zu dürfen. Aufgeregt begann er zu schreiben. Betreffzeile: WASSER ABSTELLEN. Jetzt der schwierige Teil. Liebe Mieterin, Hallo, Lydia Williams? Zuletzt fiel ihm eine clevere Lösung ein. Einmal mehr schrieb er »MfG« und seine Initialen. Die Nachricht selbst fügte er als Anhang ein, sodass sie wie bei seinen früheren Mails davon ausgehen würde, sie stamme von der Sekretärin der Eigentümergemeinschaft und nicht von ihm - eine kleinere, wenngleich bewusste Irreführung -, und sie lautete: »Wir möchten Sie daran erinnern, bei längerer Abwesenheit das Hauptventil in Ihrer Wohnung zu schließen. Außerdem wäre es ratsam, einem Ihrer Nachbarn Bescheid zu geben, wie er Sie erreichen kann, falls die Wohnung betreten werden muss, wenn etwa eine gefrorene Leitung platzt und großen Schaden anrichten könnte.« Vermutlich würde diese Nachricht Williams dazu bringen, persönliche Informationen preiszugeben - etwa wann und wohin sie verreiste -, obwohl er wusste, dass es vorschnell gedacht war. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass sie in naher Zukunft verreisen würde. Sollte sie aber...
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Autor

David Guterson lebt mit seiner Frau und seinen Kindern auf Bainbridge Island im Puget Sound westlich von Seattle. Sein erster Roman Schnee, der auf Zedern fällt, für den er den Pen/Faulkner-Award erhielt, machte ihn weltberühmt. Zuletzt erschienen seine Romane Ed King (2012) und Der Andere (2013) sowie der Erzählband Zwischen Menschen (2013).