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Endlich Kokain

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am10.04.20141. Auflage
»Ganz Wien greift zu Kokain« oder: eine todsichere Methode, sein Leben zu retten Ein rührend normaler, leider zu dicker Gutmensch, der nie wild, aufregend und hemmungslos gelebt hat, erhält die furchtbare Diagnose: noch maximal drei Jahre Lebenserwartung bei weiter zunehmendem Bluthochdruck und Bewegungslosigkeit. Der frühpensionierte TV-Redakteur fasst einen verzweifelten Entschluss, als er erfährt, dass nur harte Drogen gegen seine monströse Fettsucht helfen: Er beginnt eine »Kokain-Diät«. Der geborene Spießer protokolliert penibel Dosis und Wirkung, doch bald schon wird er immer rauschhafter, wilder, offener - und dünner! Sein Charakter löst sich auf. Er lügt, fälscht, betrügt, hat plötzlich Sex im Übermaß und steigt mit jedem verlorenen Pfund auf zur schrulligen Kultfigur der Wiener Kunstboheme. Nur ein Zufall kann ihn vor seinem naiven Optimismus und dem sicheren Drogenende retten. Joachim Lottmanns Roman ist die eindrückliche Seelenstudie eines Mannes, der in einen Strudel dekadenter Abenteuer gerät, und zugleich das Abbild einer berauschten Zeit.

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Ganz Wien greift zu Kokain« oder: eine todsichere Methode, sein Leben zu retten Ein rührend normaler, leider zu dicker Gutmensch, der nie wild, aufregend und hemmungslos gelebt hat, erhält die furchtbare Diagnose: noch maximal drei Jahre Lebenserwartung bei weiter zunehmendem Bluthochdruck und Bewegungslosigkeit. Der frühpensionierte TV-Redakteur fasst einen verzweifelten Entschluss, als er erfährt, dass nur harte Drogen gegen seine monströse Fettsucht helfen: Er beginnt eine »Kokain-Diät«. Der geborene Spießer protokolliert penibel Dosis und Wirkung, doch bald schon wird er immer rauschhafter, wilder, offener - und dünner! Sein Charakter löst sich auf. Er lügt, fälscht, betrügt, hat plötzlich Sex im Übermaß und steigt mit jedem verlorenen Pfund auf zur schrulligen Kultfigur der Wiener Kunstboheme. Nur ein Zufall kann ihn vor seinem naiven Optimismus und dem sicheren Drogenende retten. Joachim Lottmanns Roman ist die eindrückliche Seelenstudie eines Mannes, der in einen Strudel dekadenter Abenteuer gerät, und zugleich das Abbild einer berauschten Zeit.

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462307924
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum10.04.2014
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2449 Kbytes
Artikel-Nr.1369782
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


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2


»Paris, den 3. Mai 2013, kurz nach 14 Uhr (MEZ).

Liebes wissenschaftliches Tagebuch,

mehrere Tage lang habe ich nichts mehr eingetragen, und das hatte natürlich Gründe. Ich bin mit Xenia in Paris! Das ist schon der Wahnsinn, auch wenn Paris selbst ganz anders ist, als ich es mir - aus meiner Erinnerung schöpfend - vorgestellt habe. Ich möchte nicht sagen, daß ich enttäuscht bin - dazu ist der Faktor XENIA , wenn ich einmal so sagen darf, einfach zu ... sensationell - aber die Fahrt durch die Banlieu oder wie diese Zonen heißen hatte es in sich. Ich hatte in dieser Situation nicht die Möglichkeit, meine vorgeschriebene Portion Kokain einzunehmen, jedenfalls nicht pünktlich. Ich bin nicht der Typ Mensch, der sich am Flughafen mit einer relativ großen Menge Rauschgift festnehmen läßt. Lieber riskiere ich ein paar Tage Entzug und die Gefahr, in der fremden Stadt nicht an das Mittel in der gewohnten Qualität heranzukommen. So hatte ich, ganz gegen meine eigenen Labor-Regeln, schon ganz in der Frühe noch im Dunkeln eine doppelte Portion genommen und dann den Rest in Wien gelassen.

Wir stiegen also am Flughafen in einen Vorortzug und waren bald von finsteren Gestalten umgeben. Wir hätten ein Taxi nehmen sollen, aber das hätte vielleicht hundert Euro gekostet. Der ganze Zug war zu wohl 90 Prozent mit Afrikanern besetzt, was ich zuerst gar nicht begreifen konnte. Wir waren in einem anderen Land. Das war nicht Frankreich. Nur Beton, Rost, Neonlampen, nirgends Schönheit. Und dann die Menschen:

Das waren irgendwie gar keine Migranten mehr, sondern sozusagen Einheimische, ganz sie selbst, während die wenigen Weißen wie Migranten, wie Eindringlinge wirkten.Wohlgemerkt: Wir näherten uns der Stadt der Liebe oder waren schon drinnen. Erst ganz am Ende erreichten wir Überbleibsel der einstigen Kultur, aber unfrisch, gammelig, irgendwie schlecht konserviert. Bei alldem gefiel mir Xenia immer besser. Sie trug einen wetterfesten Outdoor-Anzug, gepanzert, geschützt, versteckt, keine Begehrlichkeiten erweckend. Die alten, abblätternden Lackfarben erinnerten mich seltsamerweise an den Materialmangel in der ehemaligen DDR . Wir befanden uns nämlich inzwischen in Montmartre. Xenia sah umwerfend cool aus. Ich sah sie an, um nicht nach draußen blicken zu müssen. Ihre Augen, ihre gesunde Gesichtsfarbe, der feine dunkelblaue Ring um die hellblaue Iris, die kleine, aber sehr gerade Nase, die langen blonden ungekräuselten vitalen Haare, die dunklen Augenbrauen, der Mädchenkörper ... das war schon begeisternd. Ich hatte mich noch immer nicht an ihr vergangen, aber jetzt waren wir in Paris ...

In den Bistros lungerten keine Säufer, Zuhälter und Jean-Paul-Belmondo-Typen mehr herum. Es gab auch keine Telefonkabinen und Musikboxen mehr, also diese automatischen Schallplattenmaschinen, in die man eine Münze einwarf. Dagegen drehte sich inzwischen alles ums Essen, offenbar. Von hundert Geschäften in einer Straße waren 99 Restaurants. Man wartete wohl auf Touristen. Oder die Franzosen waren tatsächlich so heruntergekommen, daß sie nur noch daran denken konnten, wie sie sich den Bauch vollschlagen würden. Wir setzten uns in ein Bistro und sahen nach draußen. Ich war noch immer ziemlich berauscht von der Koks-Doppelladung, die ich noch in Wien zu mir genommen hatte.

Die Vorbeikommenden erschienen mir komplett reizlos. Gut, es waren nicht mehr diese feindseligen, geduckten Verbrechertypen aus der Vorstadt beziehungsweise Schwarzafrika - wobei ich gleich sagen muß, daß ich solche Vorurteile nur im Zustand des verschärften Drogenmißbrauchs entwickle beziehungsweise erlebe ... ich kann natürlich gar nicht wissen, was diese Menschen umtreibt und ob sie tatsächlich kriminell sind - aber diese Menschen hier gefielen mir trotzdem nicht.

Nur noch etwa jeder siebente Mann erinnerte an das Klischee vom unrasierten Liebhaber mit dem jungenhaften Wuschelkopf, den dunklen Augen, dem obligatorischen Knackarsch und dem nachlässigen Outfit mit zu weiten Hosen und Hemden. Das waren die, die Xenia interessieren konnten. Die übrigen sahen unsexy aus, völlig ohne Stil, nichtssagend, verfettet. Sie steckten in billigen Thermojacken in gedeckten Farben, immerhin im Monat Mai. Bei den Frauen war es etwas besser. Aber war es das, was ich mir einmal unter Französinnen vorgestellt hatte? Bestimmt nicht. Breite Hintern, dicke Nasen, Proletenlook, in der Regel zu alt, insgesamt eher das Personal für eine Problem-Soap im Unterschichtsfernsehen. Ich bin ja in den 90er Jahren berufsbedingt ein paarmal in Paris gewesen, aber immer nur kurz, in teuren Hotels und in luxuriösen Zusammenhängen. Ich war in meiner Kaste geblieben, den verklemmten Weinkennern und graubärtigen Kulturredakteuren. Da sah eine Stadt wie die andere aus, besser gesagt: ein Abend wie der andere. Mit Xenia war nun alles ... ja, wie? Einfach das Gegenteil!

Sie sprach viel, redete fast so drauflos wie die Franzosen früher. Natürlich drehte sich manches um ihren Freund, der offenbar doch älter war als angegeben. Ich schätze ihn inzwischen auf knapp 70. Ihm verdankte sie auch ihre Wohnung, wie ich nun weiß. Und somit indirekt auch unsere kleine Pariser Bleibe in Montmartre, denn Xenia hatte extra einen sogenannten Wohnraumtausch organisiert, über das Internet. Alle jungen Leute machen das inzwischen so. Sie regeln das binnen Stunden, und angeblich klappt es immer. Auf diese Weise können sie praktisch umsonst auf der ganzen Welt wohnen. Auch die Fahrtkosten tendieren ja gegen Null bei diesen Leuten. Mit dem Bus geht es für wenige Euro überallhin.

Ich verstand nicht, warum Xenia, die so praktisch veranlagt, robust und zu allem fähig war, die Mätresse eines erbärmlichen Lustgreises geworden war. Aber ich fragte nicht direkt. Ich tat natürlich so, als würde ich Enrico, so hieß er, ebenso respektieren und bewundern wie sie. Die Wahrheit würde sicher von selbst herauskommen, in jeder Beziehung. Beim Abendessen in dem Lokal gleich gegenüber der Tauschwohnung verriet die schöne Studentin - sie selbst nannte sich Doktorandin, denn sie schrieb angeblich an einer Dissertation - einiges über sich und ihre Gefühle. Als sie sagte, sie hätte sich so über meine Ankündigung der Parisreise gefreut, sind ihr fast die Tränen rausgeschossen. Ich war außerordentlich überrascht.«

 

Hier stockte Braums Schreibhand. War seine Begleiterin ins Zimmer gekommen? Es war für ihn schon länger nicht mehr möglich, jeden Tag das Tagebuch zu führen, da er ganze Tage mit Xenia verbrachte. Sie war nicht seine Freundin, und vielleicht klappte es deswegen mit ihnen. Sie strengte ihn weit weniger an als die Frau, die er einmal geheiratet hatte, und noch einmal weniger als die, um die er sich in seinen besten Jahren bemüht hatte, natürlich vergeblich. Wahrscheinlich war er für Xenia nur deswegen ein angenehmer Umgang, weil er die erotische Bedrohlichkeit eines schwulen Eunuchen hatte. Sie konnte es sich sogar leisten, mit ihm in die Badewanne zu steigen - was sollte schon passieren? Sie tat es gern, weil sie Mitleid mit einem derart chancenlosen Menschen hatte, und sie wollte ihm eine Freude machen. Sie hätte ihm sogar gefahrlos einen runterholen können, denn selbst dabei würde er niemals irgendwelche Hoffnungen oder gar Erwartungen produzieren können. Er war das arme Schwein und alt genug, es zu wissen. Die Krümel, die vom Tisch der Erotik für ihn abfielen, konnte er nur artig annehmen und sich dafür gewissenhaft bedanken. Mit der kleinsten Unduldsamkeit oder gar herrischen Geste hätte er alles zerstört. Es machte ihm nichts aus. Eher fürchtete er, beim Ankauf von neuem Kokain zu versagen; das konnte die kleine Frau enttäuschen und ihr Wohlwollen zerstören.

Interessanterweise nahm Xenia ihre gemeinsame Reise und das bereiste Land ganz anders wahr. Ihre Vorfreude auf Paris war noch größer als seine. Sie hatte viele Bücher mitgenommen, allein drei Romane von Balzac. Braum hatte seine Lehrbücher dabei. Also die Fachliteratur über Kokain. Noch immer war er der Spießer, der eine Droge nur nehmen konnte, wenn er sie medizinisch analysierte. Er hatte sich durchaus auch verändert, war ungestümer und vulgärer geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sich unlängst dabei erlebt, in der Öffentlichkeit laut das Wort »Scheiße« zu schreien. Das war in der U-Bahn gewesen. Aber die Bücher interessierten ihn inzwischen auch literarisch. Pitigrillis Klassiker »Kokain« faszinierte ihn, weil er im Milieu der Pariser Journalisten spielte. Das war in gewisser Weise auch Stephan Braums Welt - und war doch so anders. Die Journalisten in dem Buch waren keine blasierten Gutmenschen und schnarchlangweilige Besserwisser weit jenseits der geschlechtsaktiven Lebensphase, sondern entstiegen direkt dem Leben selbst. Sie waren dreist, kühn, zynisch, brutal und geistreich. Solche Leute hatte er in keiner seiner beruflichen Stationen gesehen, nicht beim Hamburger Abendblatt, bei der ZEIT, beim Südwestfunk, bei Aftenposten in Stockholm und schließlich beim ORF. Nie waren ihm vorwärtsstürmende junge Männer begegnet, immer nur fistelstimmige Weichtiere, die etwas für »die Umwelt« tun wollten, zum Beispiel für das Trinkwsser am Nordpol oder für »Gorleben«. Er sah das jetzt alles ganz klar. Früher hatte er selbst etwas »gegen Gorleben tun« wollen. Ja, so war er einmal gewesen. Pitigrilli lehrte ihn etwas anderes. Gierig sog er die neuen Ansichten ein. Auch Agejews »Roman mit Kokain« befand sich in seinem Koffer, ein...
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Autor

Joachim Lottmann, geboren 1959 in Hamburg, studierte Theatergeschichte und Literaturwissenschaft in Hamburg. 1987 erschien bei KiWi sein literarisches Debüt »Mai, Juni, Juli«, das als erster Roman der deutschen Popliteratur gilt. Lottmans zweiter Roman »Deutsche Einheit« erschien 1999, es folgten bislang sieben weitere Bücher bei KiWi, am erfolgreichsten »Die Jugend von heute« (2004), »Der Geldkomplex« (2009) und »Endlich Kokain« (2014). 2010 nahm Lottmann den Wolfgang-Koeppen-Preis entgegen. Der Autor schreibt u.a. für taz, FAS und Welt und lebt in Wien.