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Noch mehr Wunderbare Weihnachtsmorde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am22.01.2014
Gemordet wird immer - besonders gern zur Weihnachtszeit!
Leise rieselnder Schnee, ein knisterndes Kaminfeuer, das Strahlen in glückseligen Gesichtern: so stellen wir uns Weihnachten vor! Das Fest der Liebe und der Harmonie, der ungeahnten Verheißungen und barmherzigen Taten. Doch gemordet wird immer - gerne auch zur Weihnachtszeit. Wenn die Nächte kälter werden und noch dazu dunkler, kommen sie ans Licht - all die unterdrückten Gefühle und kriminellen Energien, die sonst nur im Verborgenen lauern. Skandinavische Autoren und Autorinnen wissen, wovon sie erzählen: Hier sind sie, die neuesten bösen Geschichten zum Fest!
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Produkt

KlappentextGemordet wird immer - besonders gern zur Weihnachtszeit!
Leise rieselnder Schnee, ein knisterndes Kaminfeuer, das Strahlen in glückseligen Gesichtern: so stellen wir uns Weihnachten vor! Das Fest der Liebe und der Harmonie, der ungeahnten Verheißungen und barmherzigen Taten. Doch gemordet wird immer - gerne auch zur Weihnachtszeit. Wenn die Nächte kälter werden und noch dazu dunkler, kommen sie ans Licht - all die unterdrückten Gefühle und kriminellen Energien, die sonst nur im Verborgenen lauern. Skandinavische Autoren und Autorinnen wissen, wovon sie erzählen: Hier sind sie, die neuesten bösen Geschichten zum Fest!
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641140304
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum22.01.2014
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2674 Kbytes
Artikel-Nr.1372573
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Lars Saabye Christensen
Hauptfach Weihnachten

Natürlich hätte Aleksander Ask niemals den Weihnachtsmann im Apalveien niederschlagen sollen.

Man schrieb das Jahr 1975, und er war in einer Schneewehe aufgewacht, gleich zu Füßen des Physikgebäudes. Er war nur dünn gekleidet, trug eine abgewetzte Jeansjacke und eine ebenso abgetragene Jeanshose mit weitem, ausgefranstem Schlag, ein Aufzug, den er aus den Sechzigerjahren mitgenommen hatte und von dem er hartnäckig behauptete, besonders nach drei Flaschen Bier, was ihn immer hartnäckig werden ließ, er wäre vorteilhaft für ihn, was nicht stimmte. Mit anderen Worten, er schlotterte vor Kälte wie ein Hund. Aber das Schlimmste war, dass Aleksander Ask nicht mehr in der Lage war, sich daran zu erinnern, wie er hierhergekommen war, in den Apalveien. Das Einzige, woran er sich erinnern konnte, aber das eher aus alter Gewohnheit, war, dass er am Abend zuvor aus der Sogn Studentby hinunter zum Gamle Major gegangen war. Im Gamle Major hatte er wahrscheinlich das getan, was man im Gamle Major so tut, Bier getrunken, bis der Stuhl, auf dem man sitzt, ein problematisches Verhältnis zum Tisch bekommt. Also musste er auf dem Weg vom Gamle Major nach Hause in die Studentenstadt gewesen sein, Zimmer 312 im Flachgebäude, das seinerzeit, genauer gesagt 1952, die ausländischen Teilnehmer der Winterolympiade in dieser Stadt beherbergt hatte. Aleksander Ask war alles andere als ein Olympionik. Er studierte auch nicht Physik. Er widmete sich zu dieser Zeit, wenn auch nicht gerade an diesem Tag, dem Grundstudium der Philosophie, und er hatte nicht die geringste philosophische Idee.

Im Laufe der Nacht war Schnee auf Aleksander gefallen.

Schließlich gelang es ihm aufzustehen, er schüttelte den Schnee von den Schultern, immer noch wie ein Hund. Er schob die Hände in alle Taschen, die es gab, mit diesem Gefühl, etwas zu verlieren, etwas verloren zu haben, fand er letztendlich sein Portemonnaie, wie immer in der letzten Tasche, Gott sei Dank, doch was nützte es, wenn es leer war? Das Einzige, was darin lag, das war der Schlüssel zu seinem Zimmer, und auch das war leer, abgesehen von den Vorlesungsnotizen, und die konnten Aleksander Ask jetzt nicht viel weiterhelfen.

Da hörte er, wie jemand näher kam, und er duckte sich wieder hinter den Schneewall. Er hatte wenig Interesse daran, Leuten zu begegnen, ganz gleich, wer es auch sein mochte. Es war der Weihnachtsmann. Zumindest trug die Gestalt, die näher kam, eine rote Mütze, einen großen langen Mantel, schwere Stiefel und einen falschen Bart, der das halbe Gesicht verdeckte, während die andere Hälfte, von der Nase bis zum Mützenrand, von einer Maske mit roten Bäckchen, einer runden Brille und einer freundlichen, großzügigen Stirn verdeckt war. Außerdem trug er einen prall gefüllten Jutesack über der Schulter. Aleksander Ask kamen die Tränen. Es musste also Heiligabend sein. Aber warum war der Weihnachtsmann in diesem Jahr schon so früh unterwegs? Aber es war ja gar nicht mehr so früh. Eine Kirchenglocke läutete. Es läutete von allen Seiten. Vestre Aker, Uranienborg, Majorstuen, Fagerborg, Ris, Ullern, Sagene und Frogner. Er konnte mitten im Auge des Klanges vier Schläge zählen. Es wurde nicht hell. Es wurde dunkel. In einer Stunde sollte er bei seinen Eltern sein, und er hatte weder Geschenke noch einen Anzug.

Nur damit es gesagt ist: Der Bericht über das, was dann geschah, beruht zum Teil auf Aleksander Asks eigener Darstellung, die man natürlich nicht so ohne weiteres einfach als wahr hinnehmen darf; deshalb haben Aussagen von Zeugen wie auch der Opfer eine wichtige Rolle gespielt, aber ich muss sagen, dass es schwierig war, sie zum Reden zu bringen. Außerdem habe ich bei vielen Gelegenheiten Kontakt zu seinen Eltern aufgenommen, diese waren kooperativer, doch auch sie waren nicht von sich aus bereit zu reden. Nach bestem Wissen und Gewissen habe ich versucht, den Lauf der Dinge zu eruieren und sie in einen gewissen Zusammenhang zu stellen, nicht zuletzt in eine Reihenfolge, die allen Parteien gerecht wird, und außerdem, was in meinen Augen vielleicht noch wichtiger ist als dies, der Geschichte eine gewisse Glaubwürdigkeit verleiht, denn sie ist wahr, wahr von Anfang bis zum Schluss, zumindest so, wie ich sie erzähle.

Als der Weihnachtsmann in seiner Reichweite angekommen war, bekam also Aleksander Ask schließlich eine Idee. Eine schlechte Idee. Er sprang auf und schlug ihn nieder. Er hatte noch nie zuvor jemanden geschlagen, und schon gar nicht nieder. Und erst recht keinen Weihnachtsmann. Der Weihnachtsmann brach zusammen und blieb hinter dem Schneewall liegen, dort, wo kurz zuvor Aleksander Ask gelegen hatte. Sein Mantel hatte sich geöffnet. In der Maske, direkt unter dem linken Auge, war ein winziger Spalt oder Riss entstanden, ansonsten erschien er unbeschadet, nur bewusstlos. Der Mann, der vor nicht allzu langer Zeit der Weihnachtsmann gewesen war, war jetzt nur noch ein ganz gewöhnlicher Mann, wahrscheinlich ein erschöpfter, emsiger Vater, gekleidet in einen gestreiften, zweireihigen Anzug mit einer Schleife, die aussah wie eine zerdrückte Rose. Aleksander zog ihm den Mantel aus und streifte ihn sich selbst über, schob Bart und Maske an Ort und Stelle, drückte sich die Mütze in die Stirn, warf sich den Sack über die Schulter, die dicken Stiefel ließ er trotz allem beim Mann zurück, und machte sich auf den Weg den Apalveien hinunter. Was war sein Plan? Und lassen Sie mich kurz hinzufügen, dass ein Plan nicht das Gleiche ist wie eine Idee. Es gibt viele Pläne ohne eine Idee. Doch, er konnte seinen Eltern sagen, dass er sich in diesem Jahr vorgenommen hatte, den Weihnachtsmann für die Obdachlosen bei der Heilsarmee am Ankertorget zu geben. Nachdem er ein ganzes Semester hindurch Immanuel Kant studiert hatte, gab es für ihn keine andere Wahl. Er konnte nicht länger nur sein eigenes Süppchen kochen, er musste sich opfern, sich aufopfern, und er hatte seine Aufgabe gefunden, seine Berufung. Oder war es Pascal? Was aufs Gleiche hinauslief. Aleksander Asks Eltern waren in der Philosophie nicht bewandert, dafür waren sie Bezirksmeister in Sitten und Gebräuchen, doch diese Entscheidung, dieses Opfer, konnten sie nicht in Frage stellen. Er fühlte sich erleichtert, fast obenauf. Der Plan entwickelte sich, während er ihn ausführte.

Aleksander Ask ging den Apalveien entlang, Richtung Süden. Dort wurde nach ihm gerufen, das heißt, eine Frau rief den Weihnachtsmann, und das war er, Aleksander Ask, er war jetzt der Weihnachtsmann. Sie stand vor einem Haus und winkte eifrig, vielleicht versuchte sie auch nur, sich warm zu halten, denn sie trug nur ein Kleid und hochhackige Schuhe, nein, sie winkte ihn zu sich, und das hätte Ask vielleicht bedenken sollen, dass ein Weihnachtsmann am Heiligabend nicht einfach nur spazieren geht, er hat an diesem Tag im Jahr auch etwas zu erledigen. Daran dachte er, aber zu spät, während er die Straße überquerte und vor dieser ungeduldigen Frau stehen blieb, die ihren Arm unter den seinen schob und ihn zum Haus und hinein in den Flur führte.

»Du warst aber lange bei den Kroghs«, sagte sie.

Aleksander nickte.

»Ach die, die sind ja immer so anspruchsvoll. Aber sie können den Weihnachtsmann doch wohl nicht den ganzen Heiligabend für sich beanspruchen, nicht wahr?«

Aleksander schüttelte vorsichtig den Kopf.

Sie lächelte.

»Die Kinder haben schon geglaubt, du kommst gar nicht mehr.«

»Oh doch. Der Weihnachtsmann kommt.«

Die Frau schaute ihn an.

»Bist du erkältet?«

»Nein. Vielleicht ein bisschen.«

Sie betrachtete ihn eine Weile.

»Brauchst du einen kurzen Drink, Peder?«

»Schon möglich.«

»Wieder Probleme mit Ruth?«

»Mit Ruth? Nein, ich denke nicht.«

Sie zog eine Schublade auf und holte eine halbe Flasche Baileys hervor, schraubte den Verschluss ab, nahm selbst einen Schluck und gab dann Aleksander die Flasche, der sich wegdrehte, den Flaschenhals unter die Maske schob und trank, es schmeckte krank und niederschmetternd. Sie nahm ihm die Flasche ab und packte sie zurück in die Schublade.

»Jetzt können die Kinder aber nicht länger warten«, sagte sie.

Aleksander folgte ihr ins Wohnzimmer. Die Maske war vom Ohr gerutscht, hing schief, so dass er nur mit einem Auge etwas sehen konnte. Er sah einen riesigen Tannenbaum, zwei ältere Paare, die Eltern und die Schwiegereltern, oder umgekehrt, sie saßen jeweils auf einem Sofa und aßen Kuchen, einen Mann, der wahrscheinlich der Hausvater war und sich gegen den Türrahmen lehnte und eine Zigarre zwischen den Fingern drehte, und nicht zuletzt die Kinder, zwei Mädchen, Zwillinge, und der Sohn, ganz der Vater, der herausgeputzt und stocksteif dastand und mit einem dummen, erwartungsvollen Blick Aleksander Ask anstarrte, das heißt den Weihnachtsmann, der seinerseits versuchte, sich daran zu erinnern, was ein echter Weihnachtsmann eigentlich tut, und Bruchstücke seiner Kindheit fielen ihm ein, verzerrte Bilder in grünem zuckendem Licht, der Vater, der plötzlich verschwunden war, und dann der Weihnachtsmann, der stattdessen auftauchte, diese einfachen, geheimnisvollen Zusammenhänge, die Tradition der Verkleidung, war das der Weg, wie man erwachsen wurde, dass man, wie in einem großen Märchen, die Masken herunterriss? Aleksander Ask wollte jedenfalls, dass niemand in diesem Augenblick erwachsen wurde.

»Sind denn brave Kinder hier?«, rief er laut.

Niemand antwortete.

»Sind denn brave Kinder hier?«, wiederholte er.

Immer noch keine Antwort. Die Alten mümmelten ihren Kuchen. Die Frau hockte sich neben die Mädchen, die angefangen hatten zu weinen, und da konnte der Junge auch nicht mehr ruhig stehen...

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