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Sommer in Sepia

Roman
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2014
Vom Verlieren und Wiederfinden der Liebe   Hinter der Fassade seines intakten Familien- und Berufslebens ist der 45-jährige Psychotherapeut Thomas Bachmann ein einsamer Mann. Die Ehe mit Veronika ist schal, seine Kinder gehen bereits eigene Wege, sein bester Freund stirbt. Erst die Begegnung mit der geheimnisvollen Florentine weckt verblasste Sehnsüchte und holt ihn zurück ins Leben. Gemeinsam erleben sie einen Sommer, der ihnen eine große Liebe, aber auch deren Zerbrechlichkeit offenbart. Schließlich ist es Veronika, die eine Entscheidung trifft, mit der sie alle und vielleicht sogar sich selbst am meisten überrascht.  

Marie Velden wuchs in einem kleinen Ort in der bayerischen Rhön auf. Sie volontierte bei einer Tageszeitung und arbeitete als Dramaturgin und Regieassistentin am Theater. Ihr Roman >Lilienrupfer< war ein großer Erfolg. Sie lebt mit ihrer Familie in München.
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Produkt

KlappentextVom Verlieren und Wiederfinden der Liebe   Hinter der Fassade seines intakten Familien- und Berufslebens ist der 45-jährige Psychotherapeut Thomas Bachmann ein einsamer Mann. Die Ehe mit Veronika ist schal, seine Kinder gehen bereits eigene Wege, sein bester Freund stirbt. Erst die Begegnung mit der geheimnisvollen Florentine weckt verblasste Sehnsüchte und holt ihn zurück ins Leben. Gemeinsam erleben sie einen Sommer, der ihnen eine große Liebe, aber auch deren Zerbrechlichkeit offenbart. Schließlich ist es Veronika, die eine Entscheidung trifft, mit der sie alle und vielleicht sogar sich selbst am meisten überrascht.  

Marie Velden wuchs in einem kleinen Ort in der bayerischen Rhön auf. Sie volontierte bei einer Tageszeitung und arbeitete als Dramaturgin und Regieassistentin am Theater. Ihr Roman >Lilienrupfer< war ein großer Erfolg. Sie lebt mit ihrer Familie in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423423601
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum01.07.2014
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1910
Artikel-Nr.1376568
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Ich erwachte und fühlte den Druck auf meiner Brust. Als säße eine Art Koloss auf mir, der mich tief in die Matratze drückte und dort festhielt. Schon seit ein paar Tagen belagerte er mich und schien nicht die Absicht zu haben, bald wieder zu verschwinden. Er hockte da in feister, selbstbewusster Plumpheit und streckte an diesem Morgen eine seiner Pranken nach meinen Lidern aus, um sie zuzudrücken, als seien sie die Deckel auf zwei Särgen. Ich gab einen Laut von mir, der wie ein Ächzen oder Stöhnen klang.

Im Garten sangen die Vögel. Ihr selbstvergessenes Tirilieren, das sie frei von Erwartungen der Sonne spendierten, klang wie Hohn in meinen Ohren.

Das Bett neben mir war leer. Nicht einmal mehr warm. Veronika war längst aufgestanden und bereitete unten das Frühstück vor. Ich drehte mich zur Seite, fühlte noch immer den Druck auf meinen Lidern und gleichzeitig das Verlangen, dem Tag eine Abfuhr zu erteilen. Im Bett zu bleiben und ihn zu verschlafen, anstatt den Aufgaben nachzugehen, die meine innere Agenda mir allmorgendlich präsentierte und die es abzuhaken galt. Im Wesentlichen glichen sie immer denen des Vortags. Selten, dass sich etwas änderte.

Diese Unlust, diese Müdigkeit, dieser Verdruss waren mir neu. Hilflos stand ich davor und wusste nicht, wohin damit. Bei einem Patienten hätte ich vielleicht eine beginnende Depression diagnostiziert oder sie zumindest in Betracht gezogen. Doch bei mir selbst? Ich war mir nicht sicher: Schlechte Laune? Urlaubsreife? Schlichte Müdigkeit? Irgendetwas davon musste es sein. Alles andere passte nicht in mein Konzept, nicht zu meinem Leben. Auch wenn ich nicht gerade eine Lerche war, stand ich gewöhnlich mühelos auf und arbeitete ab, was der Tag mir auftischte. Ich war keiner, der murrte oder protestierte. Vielmehr sah ich mich als Realisten und Pragmatiker und war auch stolz darauf. Idealisten, Grübler und Träumer hatte ich stets heimlich belächelt.

Ich rollte mich wieder auf den Rücken und stemmte die Lider nach oben. Durch die halb geöffnete Tür wehte Kaffeeduft ins Zimmer, gedämpftes Radiogeplauder, darüber die Stimmen von Veronika und den Kindern. Es wurde allmählich Zeit für mich. Mühevoll überwand ich meinen Widerwillen, hob den Kopf aus dem Kissen, schwang mich aus dem Bett und tappte barfuß ins Bad. Rasieren, Zähne putzen, duschen. Danach waren meine Augen klarer, mein Haar roch nach Shampoo, meine Wangen nach Aftershave. Ich trocknete mich ab, zog mir im Schlafzimmer schwarze Jeans und ein weißes Hemd über, krempelte die Ärmel bis zu den Ellbogen auf und griff nach meiner Brille auf dem Nachttisch. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir das vertraute Bild: Thomas Bachmann, dreiundvierzig Jahre, Ehemann, zweifacher Vater, Psychotherapeut. Pflichtbewusst, diszipliniert, treusorgend, intelligent - und wenn es darauf ankam: mitfühlend, humorvoll und charmant. Ein Mann wie aus der Rama-Werbung. Hörbar atmete ich auf.

* * *

Veronika hatte den Tisch auf der Terrasse gedeckt. Wenn es nicht regnete oder zu kalt war, frühstückten wir im Sommer draußen. Als wir das Haus vor acht Jahren gekauft hatten, waren es vor allem der Garten und die große Terrasse gewesen, die uns begeistert hatten. Draußen sein zu können, wann immer wir wollten, unter freiem Himmel zu essen, ohne Opfer einer Sperrstunde zu werden, die einen von den Biergartenbänken verscheucht, davon hatten wir geträumt. Und davon, unsere Kinder über den Rasen rennen zu sehen, Bälle hinter Sträuchern hervorzuangeln, Planschbecken zu füllen und in der hinteren Ecke, vor den Johannisbeersträuchern, ein Zelt aufzuschlagen. Wir hatten es nicht beim Träumen belassen. Es war gelaufen wie bei vielen anderen Paaren unseres Alters. Unsere Eltern griffen uns finanziell unter die Arme, und da meine Praxis gut anlief und Veronika als Lehrerin ohnehin über ein sicheres Einkommen verfügte, war uns die Bank freundlich gesonnen und besorgte den Rest. Das Haus wurde gekauft, das Zelt bei den Johannisbeerbüschen aufgeschlagen, ein Planschbecken gefüllt, und abends, im orangeroten Licht der Sonne, sahen wir mit der Zufriedenheit schläfriger Bernhardinereltern zu, wie die Kinder mit dem Ball über den Rasen sprangen. Später, wenn sie schliefen, saßen wir mit Freunden oder zu zweit draußen auf der Terrasse, überließen unsere Gesichter dem Nachtwind, schwiegen und redeten, lachten und schwiegen wieder - ich ein Bier, Veronika ein Glas Weißwein und eine Zigarette in der Hand.

Es war eine Zeit des Friedens, der Gelassenheit und der Leichtigkeit. Wir waren am Heimatbahnhof angekommen, hatten unser eigenes Arkadien geschaffen, auf dem wir frei und zugleich sicher waren. Wenn ich die bitteren Geschichten meiner Patienten hörte oder Veronika von den Problemen ihrer Schüler und deren Familien erzählte, fühlte ich mich privilegiert und für ein besseres, ein glückliches Dasein auserkoren. Wir hatten alles im Griff. Das beruhigte mich.

* * *

Irgendwann zog der Krebs bei uns ein. Streute Metastasen in unser Leben, als sei es selbst ein schwammiger Körper, der alles Gift in sich aufsog, um es an strategisch günstigen Stellen wieder freizusetzen. Es war nichts, wogegen ein Arzt uns hätte helfen können. Seit eine Kollegin an Magenkrebs gestorben war und Veronika sich während ihrer Besuche im Krankenhaus dem Elend und Martyrium geradezu hingegeben hatte, wucherte die Angst in ihrem Kopf. Seit damals lauerte der Krebs überall auf sie. In Gummibärchen, Getränken, Suppenwürfeln, Cornflakes, Nudeln, Gemüse und Obst. Akribisch studierte sie die Angaben auf Verpackungen und scannte dabei die Namen irgendwelcher Farb- und Schadstoffe in ihr Hirn, wobei sie stumm die Lippen bewegte, um kurz danach »Alles krebserregend. Grauenvoll.« zu wispern.

Natürlich waren es die Zigaretten, die als Erstes verschwanden. Aus ihrer Handtasche, der Küchenschublade, vom Wohnzimmer- oder Terrassentisch. Diese schmalen Glücksstängelchen, die ihr etwas Lustvolles gegeben hatten, wenn sie abends mit angezogenen Beinen auf der Couch saß und mit spitzen Lippen und halb geschlossenen Augen daran sog. Später, als sie nicht mehr rauchte, wurde mir bewusst, dass ich diesen lasziven Ausdruck immer gern an ihr gesehen hatte und dass dieses Bild mir fehlte.

Als wir einmal bei Freunden zu einem Gartenfest eingeladen waren, wurde ich Zeuge, wie jemand sie fragte, ob sie nicht mehr rauche. »Ja«, sagte sie, »ich habe aufgehört. In meiner Familie hat es nie Fälle von Krebs gegeben, ich bin in dieser Hinsicht genetisch völlig unvorbelastet. Wenn ich ihn plötzlich doch bekäme, müsste ich mir wegen der Raucherei selbst die Schuld dafür geben. Und so möchte ich nicht sterben.«

»Wie oder woran möchtest du denn sterben?«, ließ die andere Person nicht locker, und Veronika antwortete: »An einem Aneurysma vielleicht. Bumm und weg. Nichts, was ich mir vorzuwerfen hätte.«

Es war der Augenblick, in dem ich merkte, dass sie mir auf die Nerven fiel. Heftiger, als sie es von mir kannte, mischte ich mich ein: »Aber tot ist tot, nicht wahr?«

Da sah sie mich zum ersten Mal an, als sei ich ein von zähem Schleim überzogenes Etwas, das geradewegs aus der Kanalisation gekrochen kam.

Ich erinnere mich daran, wie ich diesem Blick standgehalten, wie ich mich von ihr abgewandt und sie innerlich verflucht hatte. Für ihre Dummheit. Und ihr Hasenherz. Niemand schrie nach Krebs. Niemand wünschte sich Leid und langes Siechtum. Aber der Wunsch, sich der Verantwortung für den eigenen Tod zu entziehen - wenn es eine solche je gegeben hatte - und sein Leben danach zu gestalten: Das war absurd. Wer, glaubte sie denn, würde mit ihr schimpfen? Ihr Vater? Ich? Gott? Der hatte Besseres zu tun, sofern er überhaupt existierte.

Plötzlich sah ich sie in einem anderen, frostigeren Licht. Zumindest einen Teil von ihr. Den, der Risiken scheute, der immer alles richtig machen wollte, der sich einschüchtern ließ. Wie Rotkäppchen, das sich aus Angst vor dem Wolf zur Folgsamkeit entschließt. In diesem Augenblick wünschte ich mir schmerzlich die junge Veronika zurück. Die Veronika von damals, mit dem wachen Gesicht, der Neugier und Heiterkeit in den hyazinthenblauen Augen, dem sicheren, raumgreifenden Schritt und dem langen blonden Haar, das mir der Wind ins Gesicht geweht hatte, wenn ich hinter ihr ins Meer gerannt war. Die einzige Frau, die ich auf ihrem Führerscheinfoto je schön gefunden hatte.

* * *

»Du bist spät dran«, sagte sie an diesem Morgen mit einem Blick auf ihre Armbanduhr und schob mir ein Glas Wasser hin, in dem Ingwerscheibchen schwammen. Seitdem Krebsalarm in unserem Haus herrschte, wurde dieses Getränk serviert, und Veronika trank es, über den ganzen Tag verteilt, in unmäßigen, fast verzweifelten Schlucken, als käme es direkt aus der Quelle von Lourdes. Ich trank es, um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen, und verzichtete aus demselben Grund auf Ei und Schinken. Stattdessen strich ich nun grüne Paste aus dem Bioladen auf mein Brot und brummte: »Hab schlecht geschlafen. Noch Kaffee da?«

Sie stellte die Kanne neben meine Tasse, schob Milch und Zucker nach. Kaffee aus ökologischem Anbau war erlaubt. Wofür ich dankbar war, denn um Kaffee hätte ich gestritten. Und ich hasste Streit. Es war nicht der Angriff, den ich fürchtete, sondern vielmehr meine eigene Eiseskälte, die ich dann an den Tag legen konnte. Wenn man mich ausreichend reizte, verletzte ich auf eine Weise, die zwischenmenschliches Brachland zurückließ. Dieser Eigenart stand ich machtlos gegenüber und bemühte mich deshalb, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Was lächerlich war. Meinen Patienten riet ich zum genauen Gegenteil.

Meine Gedanken lösten sich auf, verloren sich wie mein...
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Autor

Marie Velden wuchs in einem kleinen Ort in der bayerischen Rhön auf. Sie volontierte bei einer Tageszeitung und arbeitete als Dramaturgin und Regieassistentin am Theater. Ihr Roman >Lilienrupfer
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Velden, Marie