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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
281 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am06.03.20141. Auflage
Jeden Morgen steht er vor dem Spiegel und misst seine Bauchnabeltiefe. Jeden Abend modelliert er im Fitness-Studio seinen Muskelpanzer: auf dem Weg zur »Alpha-Anatomie«. Ansonsten bewegt sich Philipps Business-Leben zwischen Diät und Dauerflirt, Trizeps und Ferientrips. Körper und Karriere, Frauen und Erfolg spielt er meisterhaft gegeneinander aus. Diesem Solisten ist nichts wichtiger als Wirkung. Ein Global Player auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Doch hinter dem selbstherrlichen Spiel ist Unternehmensberater Philipp ein Getriebener: Der Kinderwunsch seiner Dauerverlobten und Mentorin Isabell beunruhigt ihn genauso wie der Kollege, der ihm den Aufstieg zum »Juniorpartner« streitig macht. Ein gewisser Herr Weinheimer verfolgt ihn. Der Siegeszug dieses modernen Karriere-Athleten durch die »Olympiade des Lebens« wird zur Hetzjagd.

JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenKlassenbuchDer brennende SeeWasser und andere WeltenDie Wütenden und die Schuldigen< (2021) und zuletzt
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,80
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextJeden Morgen steht er vor dem Spiegel und misst seine Bauchnabeltiefe. Jeden Abend modelliert er im Fitness-Studio seinen Muskelpanzer: auf dem Weg zur »Alpha-Anatomie«. Ansonsten bewegt sich Philipps Business-Leben zwischen Diät und Dauerflirt, Trizeps und Ferientrips. Körper und Karriere, Frauen und Erfolg spielt er meisterhaft gegeneinander aus. Diesem Solisten ist nichts wichtiger als Wirkung. Ein Global Player auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Doch hinter dem selbstherrlichen Spiel ist Unternehmensberater Philipp ein Getriebener: Der Kinderwunsch seiner Dauerverlobten und Mentorin Isabell beunruhigt ihn genauso wie der Kollege, der ihm den Aufstieg zum »Juniorpartner« streitig macht. Ein gewisser Herr Weinheimer verfolgt ihn. Der Siegeszug dieses modernen Karriere-Athleten durch die »Olympiade des Lebens« wird zur Hetzjagd.

JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenKlassenbuchDer brennende SeeWasser und andere WeltenDie Wütenden und die Schuldigen< (2021) und zuletzt
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832187989
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum06.03.2014
Auflage1. Auflage
Seiten281 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1382827
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



1

Noch fünf Millimeter. Ich darf gar nicht daran denken, daß es am Anfang sieben waren - oder mehr, zu einer Zeit, als ich noch nicht gemessen habe! Eigentlich könnte ich ganz zufrieden sein. Aber ich bin's nicht. Ich will meinen Nabel auf Null bringen. Ich hasse es, in ein Loch zu starren, wenn ich mir meine Bauchpartie ansehe. Eine verdammte Grube. Oder ein Grübchen, mittlerweile. Es lenkt von meinen Bauchmuskeln ab. Ich muß unbedingt an meiner Nabeltiefe arbeiten.

Ich mache spontan fünfzehn Crunches in Superzeitlupe und schließe drei Sätze à zwanzig Liegestütze an. Klassisch und mit versetzten Armen. Man soll den Fitness-Impuls nie unterdrükken. Währenddessen schaue ich mir meine Oberarme an und meine Laune steigt. Ich bin kein Bizeps-Fanatiker. So ein Bizeps ist im Grunde nur eine Beule. Aber mein Trizeps ist wirklich sehenswert. Ein echter Reliefmuskel. Nichts modelliert einen Oberarm so eindrucksvoll wie ein gut trainierter Trizeps.

Ich stelle mich wieder vor den Spiegel. Auf den ersten Blick scheint mein Nabel wie ausradiert. Meine Laune bessert sich zusehends. Ich bin ein großer Anhänger des ersten Blicks. Nichts ist mysteriöser als die Frage, wie man unmittelbar auf einen anderen Menschen wirkt. Dazu muß man alles vergessen, was man von sich weiß. Man darf sich noch nie gesehen haben.

Ich starre eine Weile auf das Regal mit den Pflegeserien und versuche mich zu erinnern, wann, wo und warum ich was gekauft habe. Dann schwenke ich wie zufällig auf den Spiegel. Wieder nichts. Erst bei näherem Hinsehen entdecke ich meinen Nabel etwas unterhalb der mittleren Bauchmuskeln in meinem durchtrainierten Sixpack. Näheres Hinsehen zählt auch, aber nicht so wie der erste Blick, der Blickfang. Wenn man die Leute dazu bringt, näher hinzusehen, ist das Ziel schon so gut wie erreicht.

Im großen und ganzen kann ich mit dem Trainingsstand leben. Bis jetzt! Mein Nabel macht wirklich Fortschritte. Er ist nicht mehr das Loch, das er mal war. Wenn ich das Sixpack etwas anhebe, sieht man, daß er leicht schräg verläuft. An der Unterseite ist er ein wenig flacher. Weiter oben sinkt er um etwa zwei Millimeter ab - die Stelle, an der ich immer messe. Neu ist das Häutchen, das sich um den oberen Rand spannt. Dreieinhalb Monate habe ich gebraucht, um das herauszuarbeiten. Ein entscheidendes Detail, weil es den ganzen Nabel straff erscheinen läßt. Ich weiß nicht, ob es einen Namen dafür gibt. Sollte es aber!

Wie wäre es mit >Nabellid
Ein solches Nabellid ist eine echte Errungenschaft. Es unterscheidet einen durchtrainierten Nabel von den formlosen Kratern im Fleisch. Es zieht eine klare Grenze zwischen den schwammig weichen Bauchhöhlen und dem Nabel mit Kontur. Und es verleiht der ganzen Bauchpartie einen besonderen Charakter, wenn sich das Nabellid über dem Grübchen ein klein wenig wölbt. Nur eine Idee. Irgendwie wirkt das sehr raffiniert.

Ich bin von meinem Anblick hell begeistert und mache noch einmal fünfzehn Crunches in Supersuperzeitlupe, damit das so bleibt. Man muß absolut Athlet sein! Währenddessen schaue ich auf die Uhr, um sicherzugehen, daß ich vor lauter Euphorie nicht schneller werde. Crunches sind nur etwas wert, wenn man die Schwungkraft nicht ausnutzt und sämtliche Körperspannung aus den Bauchmuskeln holt.

Natürlich registriere ich, daß es höchste Zeit ist, mich anzuziehen. Frühstück habe ich in Gedanken schon gestrichen. Ich würde es dem heutigen Tag nicht verzeihen, wenn ich mich jetzt unterbrechen müßte. Für die letzten Wiederholungen nehme ich mir besonders viel Zeit. Mit bloßem Auge läßt sich kaum eine Bewegung erkennen. Die Crunches bestehen nur noch aus Stillhalten und Muskelzittern. In der Rinne zwischen meinen geraden Bauchmuskeln sammelt sich Schweiß.

Ich sollte jetzt längst bei den Schuhen sein. Trotzdem hänge ich noch zwei Sätze à zehn Klimmzüge dran - einmal mit weitem, einmal mit geschlossenem Griff. Normalerweise bin ich um diese Uhrzeit aus der Tür, aber es gelingt mir, bei den Aufwärts- und Abwärtsbewegungen jegliches Pendeln zu vermeiden. Und dieses Gefühl von perfekter Körperbeherrschung spornt mich dermaßen an, daß ich noch eine Serie Sitzklimmzüge mit angewinkelten Oberschenkeln durchziehe. Meine Bauchmuskeln vibrieren vor Anspannung. Mir ist natürlich klar, daß ich jetzt noch einmal duschen muß.

Ich greife zum Telefon, um meine Sekretärin anzurufen, weil es wohl wieder eine halbe Stunde später wird. Vorher hole ich mehrmals tief Luft. Es würde nicht zu mir passen, wenn ich außer Atem wäre. Sie nimmt erst nach dem vierten Klingeln ab, was mir Gelegenheit für ein paar Lockerungsübungen gibt. Während ich mit ihr spreche, gehe ich in meinem Schlafzimmer umher und federe in ein leichtes Stretching bei jedem Schritt. Irgendwie mag ich ihre Stimme, wenn sie streng sein will.

Meine Oberschenkel fühlen sich gut an. Mit den Waden sollte ich es nicht übertreiben. Ich gehe weiter ins Wohnzimmer und spiegele mich in der Fensterfront. Mein ganzer Körper glänzt vor Schweiß. Ich absolviere ein paar Dehnübungen im Hüftbereich, während sie meinen Terminkalender herunterbetet. Ich stöhne, stimme zu. Dann posiere ich mit einem Gefühl von Unschlagbarkeit und bitte sie, mir für neun Uhr einen Energie-Snack ins Büro kommen zu lassen, dazu einen frisch gepreßten Orangensaft und zwei Flaschen stilles Wasser. Absolut ohne Kohlensäure! Außerdem möchte ich, daß sie mir - wie auch immer - eine Extrastunde fürs Fitness-Studio freischaufelt.

Bevor sie protestieren kann, bin ich schon in der Küche und reiße mit den Zähnen die Lasche meines Kraftshakes auf. Ich frage mich, ob ich an ihrer Stelle sehr in mich verliebt wäre, und trinke einen Schluck. Dann sage ich ihr etwas Nettes zum Abschied. Ich habe die beste Sekretärin der Welt.

Unter der Dusche plötzlich ein Anflug von Bedauern. Der Temperaturwechsler überzieht meine Haut mit heißkalten Nadelstichen, das Gefühl von Straffheit und kompakter Kraft. Ich könnte vor Fitness zerspringen. Der Nacken massiv, meine Brustmuskeln wie von Wasser glasiert, die Brustwarzen pfenniggroß und mehr als eine Handspanne auseinander, so wie ich es immer wollte. Mir ist nach Weinen zumute. Ich presse Daumen und Zeigefinger tief in die Augenhöhlen. Wasser prasselt auf meine Stirn und rinnt mir in den halb geöffneten Mund. Meine erste Vermutung ist, es könnte vielleicht ein verfrühter Schub von Erschöpfung sein. Dann wird mir klar, daß ich so deprimiert bin, weil mir im Moment niemand zusieht. Es ist einfach unglaublich schade.

Beim Frottieren spiele ich mit dem Gedanken, wegen heute abend Isabell anzurufen. Ich stelle mich vor den Garderobenspiegel und kleide mich an. Natürlich könnte ich auch auf Risiko setzen und mich beim Spättraining im Studio anderweitig umschauen. Aber was, wenn sich alle wieder nur für ihre eigenen Körper interessieren? Ich kämpfe mit den Knöpfen meines Hemdes, mir zittern die Finger vor Wut. Es muß doch in meinem Bekanntenkreis wenigstens eine Person geben, die meinen Anblick, verdammt noch mal, zu schätzen weiß!

Meine Hals- und Nackenmuskulatur hat dermaßen zugelegt, daß sich der Kragenknopf kaum noch schließen läßt. Ich bin in Bestform und keiner sieht es. Es ist eine Schande. Im Anzug erkennt man allenfalls Kontur und Volumen meiner Schulterpartie, nicht aber die vielen Einzelheiten, an denen ich so liebevoll gearbeitet habe. Ich bin jetzt wirklich kurz davor, Isabell anzurufen. Vielleicht könnte ich mich mit ihr zum Training verabreden?

Ich binde mir die Krawatte und komme wieder einmal über meine Brustbehaarung ins Grübeln. Ein Zeichen dafür, wie aufgewühlt ich bin! Bislang habe ich mich standhaft geweigert, dem Trend zur männlichen Barbusigkeit zu folgen. Ich sehe in meinem Fall absolut keinen Enthaarungsbedarf. Rücken und Schultern sind bei mir schon von Natur aus unbehaart. Und von der Brustpartie bis zum Nabel läuft nur ein leichter Flaum, der sich unter dem Einfluß von Wasser und Sonne schnell aufhellt bis hin zu einem leuchtenden Weißblond, was an den Badestränden immer ein Hingucker war. Ich mag diese unschuldigen goldenen Härchen.

Und nicht nur ich! Mir fallen aus dem Stand mindestens zwanzig Komplimente ein, die ich meiner Brustbehaarung verdanke. Das Spektrum reicht von »deine romanischen Löckchen« (Julia, letzten Winter, als meine Haarfarbe etwas dunkler war) bis hin zu »süßer Engelsflaum« (Miriam auf einem Kurztrip nach Mauritius vor anderthalb Monaten). Warum also rasieren? Nur damit ich aussehe wie all die anderen Lackaffen, die sich künstlich enthaaren müssen, um als homo sapiens durchzugehen? Ich weiß genau, daß mein Brusthaar etwas Besonderes ist. Doch ich kann machen, was ich will. Immer wenn es mir schlecht geht, werde ich unsicher.

Im Fitness-Studio bin ich inzwischen einer der wenigen, die noch Brustbehaarung tragen - wenn nicht sogar der einzige auf unserer Trainingsebene! (Ich rede nicht von Achselhaaren. Mit Achselhaaren kommt man in den Laden nicht mal rein.) Als letzter hat sich, wenn ich mich richtig erinnere, Jason enthaart. Oder Nils-Peter. Aber den habe ich schon eine Weile nicht gesehen. Möglicherweise hat er sich wegen seiner Sommersprossen gleich einer kompletten Hauttransplantation unterzogen.

Natürlich könnte ich mich auf den Standpunkt stellen, daß mich das alles nichts angeht, weil ich es nicht nötig habe, was von der Sache her stimmt. Beunruhigend finde ich nur, daß ich in letzter Zeit kein einziges männliches Model mit Brustbehaarung gesehen habe. Da kann einem schon mulmig werden. Man möchte schließlich nicht der letzte sein, der noch mit Tennissocken rumläuft.

Ich...


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Autor

John von Düffel wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane und Erzählungsbände bei DuMont, u. a. >Vom WasserHouwelandtWassererzählungenDas Klassenbuch