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Als gestern noch morgen war

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am18.08.20141. Auflage
Paddington Station, 9:00 Uhr morgens. Im Gedränge der Reisenden steht die Zeit für zwei Menschen plötzlich still: Fern und Elliott, einst Liebende, doch seit fünfundzwanzig Jahren getrennt. Nie hätten sie erwartet, sich wiederzusehen, nie hätten sie erwartet, dass es sie so berühren würde. Obwohl ihr Leben weiterging, sie heirateten und Kinder bekamen, hörte keiner der beiden auf, den Tag zu bereuen, der sie auseinanderbrachte. Sie verabreden sich für den Abend, wenn der Rückweg sie wieder zum Bahnhof führt. Es wird der Moment sein, in dem sie ihr Morgen wieder in der Hand haben.

Claire Dyer ist preisgekrönte Lyrikerin. Sie ist Vorsitzende der Reading Writers, der ältesten Autorenvereinigung der Stadt und gibt regelmäßig Lyriklesungen in ganz Großbritannien. Sie lebt in der Nähe von Reading.
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Produkt

KlappentextPaddington Station, 9:00 Uhr morgens. Im Gedränge der Reisenden steht die Zeit für zwei Menschen plötzlich still: Fern und Elliott, einst Liebende, doch seit fünfundzwanzig Jahren getrennt. Nie hätten sie erwartet, sich wiederzusehen, nie hätten sie erwartet, dass es sie so berühren würde. Obwohl ihr Leben weiterging, sie heirateten und Kinder bekamen, hörte keiner der beiden auf, den Tag zu bereuen, der sie auseinanderbrachte. Sie verabreden sich für den Abend, wenn der Rückweg sie wieder zum Bahnhof führt. Es wird der Moment sein, in dem sie ihr Morgen wieder in der Hand haben.

Claire Dyer ist preisgekrönte Lyrikerin. Sie ist Vorsitzende der Reading Writers, der ältesten Autorenvereinigung der Stadt und gibt regelmäßig Lyriklesungen in ganz Großbritannien. Sie lebt in der Nähe von Reading.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426425718
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum18.08.2014
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse676 Kbytes
Artikel-Nr.1405990
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1

So also fängt der Tag an.

Ein Mann rennt durch die Bahnhofshalle der Paddington Station. Offensichtlich ist er spät dran. Vielleicht hat er den Acht-Uhr-sechzehn- statt den Acht-Uhr-zehn-Zug genommen und hetzt nun auf die Treppe Richtung U-Bahn zu, während die Klappen seines Sakkos wie Flügel flattern und seine Aktentasche ihm an den Oberschenkel schlägt. Just als er dem Schild ausweicht, das die Passagiere darauf hinweist, dass Inlineskaten und Fahrradfahren verboten sind und dass sich in diesem Bereich Diebe herumtreiben, vollführt eine junge Frau, eigentlich Kunststudentin von der University of Greenwich, die sich etwas dazuverdienen will und, sehr zu ihrem Leidwesen, angezogen ist wie eine Figur aus einem Thomas-Hardy-Roman, eine abrupte Drehung, um zu dem Stand mit dem Namenszug des Unternehmens zurückzukehren, das beschlossen hat, an diesem Morgen im März kostenlos Joghurtbecher zu verteilen, und stößt dabei mit dem Mann zusammen, woraufhin ihr das Tablett, das sie trägt, auf den Boden fällt, der Mann »Oh!« ruft und Fern Cole, die auf dem Weg hinunter zur Circle und District Line ihren Fuß schon über die oberste Stufe der Rolltreppe hält, sich über die Schulter umblickt.

Genau in diesem Moment, diesem speziellen, winzigen, atemlosen Moment, bevor die Münze umfällt, sieht Fern den Mann, den sie einmal geliebt hat, am anderen Ende der Bahnhofshalle unter der Abfahrtsanzeigetafel stehen und in ihre Richtung blicken.

Fern muss sich jetzt entscheiden, ob sie den Fuß zurückzieht, sich umdreht, auf den Mann zugeht und sich dabei überlegt, was sie Charmantes und Niveauvolles sagen könnte, so etwas wie: »Ach, Elliott, wie schön, dich zu sehen!«, während sie ihm die Wange genau so hinhält, wie sie es nachmittagelang beim Durchblättern der Klatschspalten im Friseursalon studiert hat, oder ob sie ihren Weg nach unten fortsetzen, die U-Bahn zur Victoria Station nehmen, Juliet treffen und so tun soll, als hätte sie ihn gar nicht gesehen.

Wäre es besser, wenn sie ihre Oyster Card über den Sensor an der Schranke ziehen, zielstrebig den Gang hinuntergehen und so tun würde, als sähe sie sich die Werbeplakate an den Wänden an? Schließlich hatte sie es in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren recht erfolgreich geschafft, nicht an ihn zu denken, oder?

Die Zeit, quer durch den Bahnhof zu ihm hinüberzugehen, hätte sie allerdings. Erst in einer Stunde trifft sie sich mit Jules an der Victoria Station. Die Züge hatten genau gepasst: Ferns aus Reading, Jules´ aus Kent, dann ihr Plan, zusammen die District Line raus nach Chiswick zu nehmen. Wie seltsam, denkt sie, den Blick auf ihre Stiefel gesenkt - sie sind neu und noch etwas zu eng -, dass die Töpferei den Kurs auf heute verlegt hat. Hätte er, wie geplant, letzten Dienstag stattgefunden, wäre sie jetzt nicht hier, in diesem Schwebezustand, mit dieser Entscheidung konfrontiert. An keinem anderen Tag wäre sie jetzt hier, in diesem Dilemma.

Es ist eine Entscheidung, von der ihr lieber wäre, sie nicht treffen zu müssen. Beim Aufwachen an diesem Morgen war sie noch in die Gewissheiten ihres Lebens eingebettet gewesen: Jacks regelmäßiger Atem neben ihr, die Form, die er in ihr Bett drückte, das Wissen, dass er, wenn der Wecker klingelte, danach greifen, ihn ausstellen und dann die Hand ausstrecken und leicht auf ihre Hüfte legen würde. Das war vertraut und richtig. Es war das, wofür sie sich entschieden hatte.

Später, als er zur Arbeit aufbrechen wollte und sie gerade am Spülbecken eine Milchflasche auswusch, hatte er sie am Arm berührt. »Heute Abend komme ich, glaube ich, nicht so spät«, hatte er dabei gesagt.

»Ah ja, okay«, hatte sie geantwortet und sich rasch mit einem Lächeln zu ihm umgewandt. Es war nicht nötig, ihn zu mustern. Seine Gesichtszüge waren fest in ihre Netzhaut geprägt.

»Hoffe, du hast einen schönen Tag«, fügte er, an der Tür kurz innehaltend, hinzu.

Sie wusste, dass er versuchte, sich zu erinnern, was sie heute tun würde. Falls es ihm nicht gelang, wäre es aber auch nicht schlimm. Sie würde ihm später davon erzählen. Zwischen ihnen würde so oder so alles in Ordnung sein.

»Danke«, rief sie ihm fröhlich hinterher, als er die Haustür schloss. Sie lauschte in die Stille, die daraufhin folgte, dann hörte sie ihn den Motor anlassen, hörte dessen entferntes Summen und das Geräusch, mit dem er aus der Einfahrt zurückstieß. Sie stellte die Milchflasche auf das Abtropfgitter und trocknete sich die Hände ab. Sie spürte seine Abwesenheit nicht, weil er noch überall präsent war.

 

Jetzt, am Bahnhof, überlegt Fern, was sie tun soll. Sie weiß, dass ihre Söhne, was immer sie gerade tun, nicht in dem Maße an sie denken wie sie selbst an ihre Söhne, und dass es so auch sein sollte. Sie scheinen nicht dieselbe Art von Barometer eingebaut zu haben, das bei ihr unmittelbar unter der Haut sitzt. Jenes Ding, das es ihr zu ermöglichen scheint, nun auch über weite Entfernungen hinweg zu fühlen, wie es ihnen geht. Es ist, als hätte sie eine permanent laufende Diashow im Kopf: Bilder von ihnen, wie sie rennen, der Soundtrack ihres Lachens, die Formen, die sie im Leben ihrer Mutter hinterlassen. Die beiden würde es nicht stören, wenn sie auf dem Weg zu ihrem Treffen mit Jules einem alten Freund hallo sagen würde, für sie hätte es nichts zu bedeuten. Für sie selbst sollte es auch keine Bedeutung haben, und Jack wäre es egal. Sie alle hatten sowieso genug aneinander. Nichts davon würde hierdurch bedroht.

Also befreit sie ihren Fuß aus seiner Haltung über der obersten Rolltreppenstufe, dreht sich ruckartig um und weicht mit einem »Entschuldigung« einer verärgert dreinschauenden Frau in einem hellroten Mantel aus, die gerade auf sie zusteuert. Der fade Kupferton ihres schlecht gefärbten Haars beißt sich mit dem Mantel und lässt sie übellaunig aussehen.

Auf dem Weg durch die Bahnhofshalle dorthin, wo Elliott steht, kommt Fern sich ein bisschen vor wie ein Eisenspan, der von einem Magneten angezogen wird. Sie muss zugeben, dass sie neugierig ist, und angesichts dieser Neugier scheinen die Gewissheiten, die ihr Leben stützen, vorübergehend ins Wanken zu geraten. Das hatte sie nicht erwartet.

Außerdem scheint die Luft an diesem Morgen schwerer zu sein als sonst. Sie ist hier immer etwas eigenartig, das weiß Fern, so als pumpte jemand absichtlich künstliche Luft herein: wiederaufbereitet und körnig, unnatürlich warm. Für sie ist Paddington ein Zwischenort. Niemand bleibt je hier, es ist ein Ziel- oder Startpunkt, ein Ort für Begrüßungen, Abschiede und Durchreisen. Und jetzt, wo die neu überdachten Bahnsteige freigegeben worden sind, die den Bahnhof weit und wesentlich heller machen, ist er noch flüchtiger geworden: Er gehört allen und keinem. Es ist, denkt Fern auf dem Weg zur Abfahrtsanzeigetafel, genau der richtige Ort für diesen Moment, den sie sich allerdings, wie sie zugeben muss, nur sehr selten in den kurzen Ruhepausen inmitten der Wunder ihres Lebens mit Jack und den Jungs vorgestellt hat.

Elliott tritt von einem Fuß auf den anderen und blickt ungeduldig auf die Tafel, so als wollte er sie dazu zwingen, sein Gleis anzukündigen, und Fern fragt sich, ob er sie wohl gesehen hat und jetzt versucht, so schnell wie möglich wegzukommen, um ihr nicht begegnen zu müssen. Vielleicht möchte er, selbst indirekt, nicht an das erinnert werden, was zwischen ihnen passiert ist, wie er vor langer Zeit auf ihr lag, sie ihre Beine um ihn gewunden hatte und er sie auf die weiche Haut an ihrem Hals küsste und ihr Dinge versprach, die er nicht hielt.

Das sind keine guten Gedanken, sagt sie sich und lenkt ihre Aufmerksamkeit darauf, dass er sich anscheinend, jedenfalls aus dieser Entfernung, nicht sehr verändert hat. Er ist immer noch groß, immer noch kräftig, und das findet sie merkwürdig beruhigend.

Sein nur leicht grau meliertes Haar streicht er sich noch mit derselben unbewussten Geste aus dem Gesicht wie als junger Mann, und während sie es wagt, den Blick von ihm weg auf die Postkartenständer vor dem Funky Pigeon zu richten, fragt sie sich für eine Sekunde, wer ihn wohl in all den Jahren zwischen damals und heute diese Geste hat machen sehen, und spürt, wie ein absurder Stich der Eifersucht sie durchfährt, ein unerwünschtes Gefühl der Verbitterung über all das Unbekannte, das sie jetzt trennt. Sie hat nicht das Recht, so etwas zu fühlen, nicht das geringste Recht.

Als noch ungefähr zwanzig Schritte zwischen ihnen liegen, wittert sie einen Duft, der sie aus unerklärlichen Gründen an Jack erinnert: süßlich und intensiv, wie die Ausdünstung von Nähe unter der Bettdecke, gemischt mit dem hartnäckigen Geruch von U-Bahn-Zügen, der an seinen T-Shirts haftet, wenn sie in der Wäsche landen. Falls sie stehen bleiben will, muss sie es jetzt tun. Jack ist doch ein guter Mann. Ist sie ihm nicht schuldig, die Vergangenheit ruhen zu lassen?

Sie stellt sich vor, wie sie sich abends beim Essen unterhalten. »Ach übrigens«, wird sie sagen, »rat mal, wen ich heute Morgen am Paddington getroffen habe!«

Sie über den Tisch hinweg anblickend, wird er leichthin sagen: »Keine Ahnung. Wen?«

»Ach, nur einen alten Freund von der Uni. Hat mir bewusst gemacht, wie lange das alles schon her ist!«

Und dabei wird sie lachen und einen Schluck Wein trinken, und die Gewissheiten würden sich wieder um sie herum ordnen, und sie wäre in Sicherheit.

Mit diesem Bild von Jack im Kopf zögert Fern und täuscht vor, in ihrer Handtasche nach etwas zu suchen. Ihre Atmung geht lächerlich schwer, und sie spürt, wie ihr unter dem Jackenkragen der Schweiß ausbricht. Plötzlich fragt sie sich, wo Jugend und Schönheit hin sind. Sie nimmt wahr, wie ein...
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Autor

Claire Dyer ist preisgekrönte Lyrikerin. Sie ist Vorsitzende der Reading Writers, der ältesten Autorenvereinigung der Stadt und gibt regelmäßig Lyriklesungen in ganz Großbritannien. Sie lebt in der Nähe von Reading.