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Das war der gute Teil des Tages

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am08.09.20101. Auflage
FÜRS KINO VERFILMT UNTER DEM TITEL ?HANNAS REISE?: »Ganz und gar wundervoll.« Freundin »Überraschend und vielschichtig.« Brigitte Lena ist geflohen aus Deutschland: aus einer Beziehung, die irgendwann nur noch Beziehung war, aus einem Leben in den Schubladen der Gleichgültigkeit. Sie arbeitet für einige Monate als Betreuerin in einem Heim für Autisten - in Tel Aviv. Dort lernt sie den Pfleger Tom kennen, einen Ex-Soldaten, der die Angst nicht mehr los wird. Genau wie Lena ist er auf der Suche nach einem anderen Leben. Und durch ihn erfährt sie plötzlich aus nächster Nähe, dass die Flucht nach vorne eine Überlebensfrage sein kann. Als er vorschlägt, eine Scheinehe einzugehen, damit er einen deutschen Pass bekommt, steht Lena zum ersten Mal in ihrem Leben vor einer Entscheidung, der sie nicht entkommen will.

Theresa Bäuerlein, freie Journalistin und Autorin, geboren 1980 in Bonn, lebt seit einiger Zeit in Tel Aviv, wo auch ihr Debütroman ?Das war der gute Teil des Tages? spielt. Sie hat u.a. für NEON und jetzt.de sowie ein Buch über Vegetarismus geschrieben. Theresa Bäuerlein träumt, unter anderem, von einer Welt ohne dumme Sonnenbrillen und Angst, hält sich für einen Menschen, der vielleicht manches kann, aber große Probleme hat, sich zwischen zwei Sorten Joghurt zu entscheiden.
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Produkt

KlappentextFÜRS KINO VERFILMT UNTER DEM TITEL ?HANNAS REISE?: »Ganz und gar wundervoll.« Freundin »Überraschend und vielschichtig.« Brigitte Lena ist geflohen aus Deutschland: aus einer Beziehung, die irgendwann nur noch Beziehung war, aus einem Leben in den Schubladen der Gleichgültigkeit. Sie arbeitet für einige Monate als Betreuerin in einem Heim für Autisten - in Tel Aviv. Dort lernt sie den Pfleger Tom kennen, einen Ex-Soldaten, der die Angst nicht mehr los wird. Genau wie Lena ist er auf der Suche nach einem anderen Leben. Und durch ihn erfährt sie plötzlich aus nächster Nähe, dass die Flucht nach vorne eine Überlebensfrage sein kann. Als er vorschlägt, eine Scheinehe einzugehen, damit er einen deutschen Pass bekommt, steht Lena zum ersten Mal in ihrem Leben vor einer Entscheidung, der sie nicht entkommen will.

Theresa Bäuerlein, freie Journalistin und Autorin, geboren 1980 in Bonn, lebt seit einiger Zeit in Tel Aviv, wo auch ihr Debütroman ?Das war der gute Teil des Tages? spielt. Sie hat u.a. für NEON und jetzt.de sowie ein Buch über Vegetarismus geschrieben. Theresa Bäuerlein träumt, unter anderem, von einer Welt ohne dumme Sonnenbrillen und Angst, hält sich für einen Menschen, der vielleicht manches kann, aber große Probleme hat, sich zwischen zwei Sorten Joghurt zu entscheiden.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104006352
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum08.09.2010
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1413835
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1


Die Autisten haben schlechte Laune und schwitzen, die Pfleger auch.

Als ich heute Morgen zur Arbeit gekommen bin, saß der Neue am Tisch, trank schwarzen Pulverkaffee und passte nicht ins Bild. Jetzt ist sein Blick nach oben gerichtet, eindeutig zweifelnd. Ich zucke mit den Schultern, sage »Anders geht es nicht«, setze einen Fuß auf die Klinke, greife in den Türrahmen, stoße mich ab und rutsche durch den Spalt zwischen dem Rahmen und der Tür, die immer abgeschlossen ist. Mit einem Krachen komme ich auf dem Boden auf und bin sicher, dass in der Werkstatt unter mir, wo die Autisten gerade wieder Hustenbonbons abzählen, ein Bild von der Wand gefallen ist. Ich rappele mich auf und trete zur Seite, gerade rechtzeitig. Der Neue rutscht durch den Spalt hinter mir und landet wie eine Katze. »Geht doch«, sage ich ermunternd. Er lächelt schief.

 

Das Dach ist eine beigefarbene Fläche mit einer brusthohen Mauer. Viel Müll überall, verrostete Drahtrollen, grün gestrichene Bretter, kaputte Stühle. Die Stadt breitet sich kilometerweit um uns aus, das alte Zeug hier oben wirft Schatten, ohne die das Dach in der Sonne ein offener Grill wäre. Der Neue dreht sich einmal um sich selbst, nickt anerkennend. Ein fremdes Gesicht, mit leicht gekrümmter Nase, schmalen Lippen, hohen Wangenknochen. Mein erster Gedanke war: Jesus. Ich kann mich beim besten Willen nicht an seinen Namen erinnern.

Wir gehen zur Mauer und lehnen uns dagegen. Meine Handflächen fangen an zu jucken, wie immer, wenn ich aus großer Höhe herunterschaue. Ich kämpfe gegen den Wunsch, in die Tiefe zu springen - nur weil ich wissen möchte, wie der Sprung sich anfühlt. Vorsichtshalber halte ich mich an der Mauer fest, bis meine Fingerknöchel weiß werden.

 

Heute Morgen bin ich zum 62. Mal, seit ich aus Deutschland weggefahren bin, in einer halbwegs aufgeräumten Wohnung im Zentrum von Tel Aviv aufgestanden, habe eine Tasse Pulverkaffee getrunken, einen Hausschuh nach einer Kakerlake geworfen, sie knapp verfehlt, und dann den Bus zur Arbeit genommen. Der Bus ist nicht explodiert. Das war der gute Teil des Tages. Den Rest regierte Olga, die mir alle fünf Minuten auf Deutsch Befehle zubellte und mich dabei ansah wie etwas, das sie von ihrer Schuhsohle heruntergekratzt hatte. Ich denke, es gibt einen dunklen Zusammenhang zwischen der Tatsache, dass meine Chefin deutsch spricht und dass sie mich von Anfang an nicht leiden konnte. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich das sein soll: jemandes Feind, oder so etwas Ähnliches. Aber Olga findet Gründe, mich zu hassen. Ich würde gerne fragen, aber nicht mal eben zwischendurch, und ich fürchte, dass es noch ein paar Jahrzehnte dauern könnte, bis wir mal abends zusammen einen trinken gehen werden.

 

Mein Herz klopft durch den Bauch hindurch gegen den kalten Stein der Mauer. Mein Gesicht liegt im Schatten, das des Neuen in der Sonne, das Licht fällt durch seine heufarbenen Locken, sodass es aussieht, als hätte er eine Erleuchtung. In Sachen Mitarbeit macht er an seinem ersten Tag nicht mehr her als eine hübsche Zimmerpflanze, aber ich bin froh, dass er da ist, er scheint anders zu sein. Bis jetzt war ich immer allein auf dem Dach, wenn ich ein bisschen Abstand zu Olga und dem verqualmten, kirmeshaften Chaos der Stadt haben wollte. Die meisten meiner Kollegen machen den Job, als wären sie Teil einer Sekte und nicht Teil eines schlecht bezahlten Pflegeteams. Sie scheinen Autismus mit einer heiligen Krankheit zu verwechseln, sie reden über die Heimbewohner, als wäre jeder einzelne ein Cousin des Messias und nur deshalb ein bisschen seltsam. Vielleicht weiß ich zu wenig über Autisten, ganz zu schweigen vom Messias, aber in meinen Augen benimmt sich Amir, mit dem ich täglich zu tun habe, wie ein normaler junger Mann mit extrem schlechten Manieren und Hormonstau. Der unangenehme Unterschied besteht darin, dass ich Amir nicht anschreien kann, wenn er mit einer Erektion, an der man problemlos Badetücher aufhängen könnte, auf mich zuwankt.

 

»Hast du Zigaretten?«, frage ich den Neuen. Er greift hinter sein rechtes Ohr und wirft mir eine Zigarette zu, deren Filter einen schmalen, goldgefärbten Rand hat. Darüber steht »Noblesse«. Der Tabak ist grob wie Krautsalat, nach einem Zug dreht sich alles und ich lege mich auf den Boden, bevor sich mein halbverdautes Frühstück in Richtung Stadt drängen kann.

»Du siehst blass aus«, stellt er fest. Er schaut zu mir herunter und atmet einen Schwall Rauch aus. Ich nicke, zu schlaff, um zu antworten, ich sehe immer blass aus, mein Magen ringt schläfrig mit billigem Zigarettenrauch, meine Haare liegen ausgebreitet auf dem Boden, und mein Rücken wird auf den heißen Steinen gebacken. Ich treibe durch die Pause wie auf einem Boot in einer karibischen Meeresbucht, von mir aus kann die Zigarettenpause Stunden dauern.

Es gibt einen Berg von Dingen, die ich gerne über den Neuen wissen würde, abgesehen von seinem Namen. Er sieht nicht sonderlich interessant aus, zu glatt, mit seinen hellen Haarspitzen, den abgewetzten Jeans und T-Shirts und der Piloten-Sonnenbrille, wie ein kalifornischer Beachboy, der in der Wüste dem Teufel seine Seele im Tausch gegen ein paar Skateboardtricks verkaufen möchte. Der Stil geht mir auf die Nerven. Aber er hat etwas an sich, schwer zu sagen, so etwas Verlorenes, trotz dieser blendenden Selbstsicherheit. Als wüsste er ganz genau, wer er ist, müsste aber erst noch herausfinden, auf welchem Planeten man ihn ausgesetzt hat.

 

»Tom?«, sage ich.

»Ja?«

»Nichts, ich hatte nur deinen Namen vergessen.«

»Ach.« Er klingt verwirrt.

»Ist nicht persönlich gemeint.«

»Schon gut.«

 

Seltsamer Name, für einen Israeli. Hebräisch ist schön, es dröhnt und kracht, als würde jemand mit offenem Mund Knäckebrot essen und gleichzeitig aus der Bibel vorlesen. Ich wollte es lernen, aber es ist überhaupt nicht nötig. Ich habe mir immer etwas auf mein Englisch eingebildet, aber die meisten Israelis sprechen es besser als ich, mit einem Kaugummi-Gangster-Akzent, den sie wahrscheinlich im Kino lernen, da die Filme nicht hebräisch synchronisiert werden.

 

»Du erinnerst mich an eine Schauspielerin«, sagt er.

»Welche?«

»Mena Suvari.«

»Kenne ich nicht.«

»Die Blonde aus American Beauty. Das Teenagermädchen, in das sich der Hauptdarsteller verliebt.«

»Habe ich nicht gesehen.«

»Was? Du kennst American Beauty nicht?«

»Nein. Pulp Fiction übrigens auch nicht.« Ich erzähle gerne, dass ich Pulp Fiction nicht gesehen habe. Die meisten Menschen reagieren, als wüsste ich nicht, dass Sauerstoff das Zeug zum Atmen ist.

»Du vergisst meinen Namen, du kennst Pulp Fiction nicht - entschuldige, das klingt, als wäre mit dir irgendetwas nicht ganz in Ordnung.«

»Weil ich deinen Namen vergesse? Bist du so wichtig?«

Er grinst. »Nein. Ist schon okay. Eigentlich sollte es ein Kompliment sein. Ich mag Mena Suvari.«

»Netter Versuch.« Er lächelt. Ich finde ihn dreist. Es ist sein erster Tag, aber er drückt sich mit der Selbstverständlichkeit eines verdienten Veteranen vor allem, was anstrengend ist. Das Verrückte ist, dass er damit durchkommt. Vielleicht liegt es an diesem unglaublichen, jungenhaften Selbstbewusstsein, das er abstrahlt. Er verändert Räume wie eine gefärbte Glühbirne, drei Quadratmeter um ihn herum wird alles tomfarben. Selbst Olga kann er damit blenden.

»Ich habe noch eine Frage«, sagt er.

»Noch mehr Filme?« Die Hitze bringt mich zum Gähnen.

»Nicht ganz. Was machst du hier?«

»Hm? Das Gleiche wie du, arbeiten.« Er kann ruhig ein bisschen zappeln, nachdem er den ganzen Vormittag den Cowboy in der Hängematte gespielt hat.

Er schüttelt ungeduldig den Kopf. »Ja klar, aber wieso machst du das in Israel?«

Ich spanne meine Bauchmuskeln an und richte mich auf. »Die ehrliche Antwort?«

Er zuckt mit den Schultern. »Am liebsten schon, aber eine richtig gute Lüge wäre auch interessant.«

»Vor einem halben Jahr habe ich angefangen, die Bibel zu lesen. Und da habe ich zum ersten Mal verstanden, dass meine Seele in das Gelobte Land zurückkehren will.«

Er nickt, unbeeindruckt. »Das war gelogen.«

Ich grinse. »Ja.« Er schaut mich an und wartet auf mehr, aber ich stecke mir wieder die Zigarette zwischen die Lippen.

Tom runzelt die Stirn. »Kann ich dich danach fragen oder willst du nicht darüber reden?«

»Nein, nein, das ist schon okay.«

»Du kommst aus Deutschland, oder?« Ich nicke, und meine gute Laune verdünnt sich ein bisschen, nervös betrachte ich sein Gesicht. Hoffentlich reagiert er nicht wie Olga.

In seiner Miene spielt sich nichts ab, das ich deuten kann. »Bist du Jüdin?«, will er wissen.

»Nein«, sage ich. Nervös schnippe ich den Zigarettenstummel weg. Er fliegt knapp an Toms Hand vorbei.

»Sonstwie religiös?« Ich schüttele den Kopf und entspanne mich. Das hat mich bisher jeder gefragt.

Er lächelt. »Sehr gut, religiöse Menschen sind mir unheimlich. Aber dann verstehe ich nicht, was das Ganze soll.«

»Zufall. Ich wollte weg von zu Hause, und auf die Schnelle habe ich nur in Israel einen Job gefunden, für den ich kein Brunnenbau-Diplom oder so etwas gebraucht hätte.« Nachdenklich betrachtet Tom erst mich, dann seine Hände. Er hat ziemlich breite Finger, mit großen, flachen Nägeln. Wie die meisten Leute ziehen mich eher schlanke Hände an, aber das ist eigentlich nur ein dummes Vorurteil. Ich schüttele den Kopf. Was gehen mich seine Hände an.

»Was?«, fragt er.

»Wie, was?«

»Du hast den Kopf...
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