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Die Chronik der Wölfe. Das Dorf der Unsterblichen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am05.10.20091. Auflage
Ein Biss, und du wirst wie sie. Im Jahre 1503 wird der junge Inquisitor Alessandro Varese in eine entlegene Ecke Oberitaliens entsandt. Hexen und Ketzer sollen hier ihr Unwesen treiben. Tatsächlich aber entpuppen sich die Bewohner des Dorfes als Werwölfe, unter ihnen die schöne Valeria, in die sich Alessandro wider Willen verliebt. Als er von ihr gebissen wird, erfüllen ihn Angst und Verzweiflung. Alessandro weiß, dass er selbst zum Werwolf werden muss, und beschließt, seine Erfahrungen in den Dienst des Vatikans zu stellen. Aber je mehr er eintaucht in die Welt der Werwölfe, desto deutlicher erkennt er ihr wahres Wesen. So gerät er bald zwischen die Fronten eines Vernichtungskrieges. Er muss seinen Feinden entkommen. Und er muss Valeria retten, bevor es zu spät ist ...

Hinter dem Pseudonym Alice Braga verbirgt sich eine sehr erfolgreiche deutsche Autorin historischer Romane.
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Produkt

KlappentextEin Biss, und du wirst wie sie. Im Jahre 1503 wird der junge Inquisitor Alessandro Varese in eine entlegene Ecke Oberitaliens entsandt. Hexen und Ketzer sollen hier ihr Unwesen treiben. Tatsächlich aber entpuppen sich die Bewohner des Dorfes als Werwölfe, unter ihnen die schöne Valeria, in die sich Alessandro wider Willen verliebt. Als er von ihr gebissen wird, erfüllen ihn Angst und Verzweiflung. Alessandro weiß, dass er selbst zum Werwolf werden muss, und beschließt, seine Erfahrungen in den Dienst des Vatikans zu stellen. Aber je mehr er eintaucht in die Welt der Werwölfe, desto deutlicher erkennt er ihr wahres Wesen. So gerät er bald zwischen die Fronten eines Vernichtungskrieges. Er muss seinen Feinden entkommen. Und er muss Valeria retten, bevor es zu spät ist ...

Hinter dem Pseudonym Alice Braga verbirgt sich eine sehr erfolgreiche deutsche Autorin historischer Romane.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644415317
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2009
Erscheinungsdatum05.10.2009
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1433507
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



I. Mond über den Bergen



1.


Ungeduldig schob Alessandro Varese die Vorhänge des Reisewagens beiseite und blickte hinaus. Den Augen des jungen Geistlichen bot sich das öde Bild eines sommerlich trockenen Flusslaufes. Nur mehr das leere Schotterbett des Baches wand sich durch das gelbbraun verdorrte Wiesenband, über das sich hier und da die Arme eines einsamen Olivenbaumes oder einer Pinie spannten, um Schatten zu bieten für die verstreuten Flecken einer Schafherde. An den Hängen breitete sich dagegen ein üppiges Grün aus: Der Wald war immer noch saftig und dicht gewachsen, mehr Wald, als Alessandro seit langem gesehen hatte. Er sah aus, als könnten Hitze und Zeit ihm nichts anhaben.

Fasziniert lauschte Alessandro dem Rauschen des Windes in den Wipfeln, über denen die zarte Kontur eines Tagmondes stand, der beinahe voll war. Vereinzelt sangen Vögel, und manchmal erklangen die Rufe unbekannter Tiere in der müden Mittagsluft.

Wie anders es hier war als in den kühlen, marmorgeschmückten Gängen des Kardinalspalastes, in dem er die letzten Monate verbracht hatte. Noch immer betrachtete er den mit einer seidenen Borte gesäumten Mantel ein wenig ungläubig, den er nun trug. Dann fiel sein Blick auf den Ring an seinem Finger, aus dessen Smaragd die Sonne grüne Blitze schlug, die inmitten der staubigen Öde um sie herum beinahe unwirklich wirkten. Die mit Heiligenfiguren bemalte Decke des Reisewagens, die mit Obstschalen und Lämmern bestickten Kissen, die noblen Decken, die Schnallenschuhe, in denen seine eigenen Füße steckten - all das schien nicht hierher zu gehören.

«Anhalten! Ich muss mal.»

Alessandro verzog das Gesicht, als er die Stimme seines Reisebegleiters vernahm, der sich beim Kutscher zudem durch derbes Klopfen an die Holzwand bemerkbar machte. Aber er wandte den Kopf ab, um es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. Mattia Pasquale war ihm von seinem neuen Gönner, dem Kardinal Sforza, als treuer und zuverlässiger Berater mitgegeben worden. Ausgerechnet dieser grobe, ungebildete Mensch! Alessandro runzelte seine hohe Gelehrtenstirn, als er darüber nachdachte. Er zweifelte keinesfalls daran, dass Pasquale vor allem ein Aufpasser war, der seine ersten Schritte auf dem schlüpfrigen Parkett der Kirchenpolitik kritisch beobachten und dem Kardinal detailliert berichten würde, wie der frischernannte Inquisitor sich denn so schlug. In dem Lächeln, mit dem der Mann sein Wissen quittierte, lag einerseits Verachtung, andererseits eine gewisse Ratlosigkeit.

Was, überlegte Alessandro, konnte eine Persönlichkeit wie der Kardinal nur an diesem Menschen finden, der in seinem Leben kaum drei Bücher in Händen gehalten haben mochte, in Händen, die allerdings, das musste er zugeben, in der Lage gewesen wären, einem Ochsen das Genick zu brechen.

Alessandro betrachtete jetzt wieder seine eigenen, langfingrigen Hände, denen man ansah, dass sie oft die Schreibfeder hielten. Einst hatte er damit auch Phiolen, Messer und Pinzetten geführt, um die Geheimnisse des menschlichen Körpers zu erforschen. Bis der Prior des abgelegenen Klosters, in dem er erzogen worden war, ihm gebot, sich mehr um die Geheimnisse der menschlichen Seele zu kümmern. «Deine Beine wirst du nicht besser laufen machen», hatte der alte Mann gesagt, «aber deinem Geist vermagst du dennoch Flügel zu verleihen.» Alessandros graue Augen verdunkelten sich, wie stets, wenn er daran dachte. War nun die Zeit gekommen, seine Flügel zu entfalten und in eine neue Zukunft aufzubrechen? Noch wusste er es nicht.

Er ballte die Hände zu Fäusten und hieb sich damit gegen das linke Bein, das vom langen Sitzen beinahe taub geworden war. Auch ohne die Torturen einer solchen Reise hinkte er ein wenig.

Unbehaglich schaute er jetzt zu, wie Pasquale sich aus dem Wagen schälte, ungeniert die mächtigen Glieder räkelte, sich umsah, um dann an einen Felsen heranzutreten und sich laut vernehmlich zu erleichtern. Kein Zweifel, er war ein Mann, der sich seiner körperlichen Wirkung gewiss war.

Alessandro ließ seinen Blick verdrossen schweifen und entdeckte schließlich eine Eidechse, die mit pulsierendem Hals auf einem Stein hockte, aber blitzschnell verschwand, als etwas im Gras raschelte. Er blickte auf und erstarrte. Für einen Moment sprangen ihn nur einzelne Bilder an: leuchtend grüne Augen in einem schmutzigen Gesicht, lange fettige Zotteln, mehr Fell als Haupthaar eines Menschen, eine nackte Schulter, die sich aus einem Hemd schob, und - lasziv übereinandergeschlagen - Bocksbeine. Ein Faun!

Der junge Inquisitor blinzelte. Zur Beruhigung legte er sich die Hand auf sein schnell pochendes Herz.

Die Gestalt grinste und schlug beneidenswert gesunde Zähne in einen Apfel. «Bon dia», grüßte sie im Dialekt der Berge.

Alessandro kam zu sich und grüßte zurück. Die Hitze und die Monotonie der Reise hatten ihn genarrt, aber nur für Momente. Ein Hirtenknabe hockte auf einem Stein am Wegrand, nichts weiter, ein beklagenswert schmuddeliger Junge mit Hosen aus Ziegenfell, die ihm für einen Augenblick das Aussehen eines Fauns gegeben hatten. Ungeniert ließ er seinen Blick über den Wagen und den Reisenden darin gleiten, während er auf etwas kaute und die Füße baumeln ließ, die sensationell schmutzig waren, aber darüber hinaus so menschlich wie Alessandros eigene.

Pasquale kehrte zurück und schüttelte die Soutane zurecht. «Was glotzt du so?», fuhr er den Jungen an, der sich davon jedoch nicht beeindrucken ließ.

Jetzt erst bemerkte Alessandro auch die Herde, die ihren Hirten in weitem, losem Kreis umspielte, gelbgrau wie die umherliegenden Steine und von diesen kaum zu unterscheiden. Einen Hund konnte er nicht ausmachen. Und die Ziegen schienen ihm unstatthaft weit fort von jeder menschlichen Behausung zu sein. «Pass auf», sprach er, halb tadelnd, halb wohlwollend, «dass der Wolf die Tiere nicht holt.»

Der Junge schüttelte den Kopf. «Die holt kein Wolf», erklärte er in einem lässigen Kauderwelsch, das Alessandro nur mühsam verstand.

«Ach ja?», schnaufte Pasquale, der sich wieder in das Gefährt hievte und ein Taschentuch zückte, um den Staub von seinen Lederstiefeln zu wischen. Er gab dem Kutscher Zeichen, loszufahren.

Das Lachen des Hirtenjungen mischte sich in das Knarren der Räder. «Ja», rief er ihnen nach, «denn wenn er kommt, dann beiß ich ihn.» Er winkte ihnen mit dem Apfel hinterher und entblößte seine weißen, großen Zähne, deren Anblick sich dem jungen Inquisitor tief ins Gedächtnis grub, er wusste selbst nicht, warum.

Alessandro Varese lehnte sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Begleiter lachte, als er es sah. «Heidnisches Pack. Lebt seit Unzeiten hier», erklärte er und wies mit der Hand nach draußen auf die nun wieder langsam vorbeiholpernde Landschaft. «Kein Wunder, sogar die Straße, auf der wir fahren, ist noch aus römischer Zeit. Habt ihr die Grabmale gesehen?»

«Nein», bekannte Alessandro und neigte sich noch einmal vor. Gerade in diesem Moment zog eine Stele an ihnen vorbei, an deren Seite er mit Mühe einen Fries ausmachen konnte: flach, verwaschen vom Regen und verwittert vom Vergehen der Zeit. Die Gestalt eines liegenden Menschen war dort auszumachen, und Alessandro glaubte ein Lager, Weintrauben und Buchstaben erahnen zu können.

«Die stehen hier überall», fuhr Pasquale fort und wurde ein wenig lebhafter. «Und oben im Wald, der Vorsprung kommt gleich, gibt es immer noch die Reste eines Tempels. Säulenstümpfe, fast verschluckt vom Dickicht. Vor Jahren waren wir dort oben und haben zerstört, was immer ein Gesicht aufwies, und den Rest mit Weihwasser besprengt.»

«Eine löbliche Tat», stimmte Varese zu und fragte sich mit stillem Bedauern, welch wertvolle Statuen oder Inschriften der Wissenschaft dabei verlorengegangen sein mochten.

«Gewiss», bestätigte sein Gegenüber. «Eine Frauengestalt war auch dabei, die haben wir in die Kirche nach Vallepiu gebracht, wo sie heute gute Dienste als Maria leistet.»

«Vallepiu», griff Varese das Stichwort auf, als er den Namen ihres Zielortes hörte. «Ist es noch weit?»

«Da. Da oben.» Pasquale neigte sich hinaus und wies auf die Hügel.

Alessandro, der glaubte, es wäre von dem Städtchen die Rede, kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts anderes erkennen als Wald. Der Wagen folgte einer Talschleife, und langsam kam eine Felsnadel in Sicht. Man musste lange hinsehen, um die Säule auf ihrer Terrasse zu erkennen. Jetzt hatte auch Alessandro sie entdeckt und vermochte den Blick kaum mehr davon zu lösen. Zart und schlank erhob sie sich im blauen Dunst. Und für einen Moment schien es ihm, als ruhe der Tagmond direkt über ihrer Spitze und sende ihr einen blassen Gruß.

Er hob den Arm. «Dort steigt Rauch auf.»

«Ja», stimmte Pasquale zu. «Da oben liegt ein gottverlorenes Dorf. Ascolte.»

«Ascolte», überlegte Alessandro und begann, nach seinen Unterlagen zu kramen. «Stammt von da nicht unsere Angeklagte?» Er zog die Akte heraus und las die Anzeige gegen eine junge Frau, die der Hexerei bezichtigt war. Ihretwegen hatten sie die Reise unternommen. «Alissa aus Ascolte.» Der Name ließ sein Herz aus irgendeinem Grund schneller schlagen.

Pasquale zuckte mit den Schultern. «Wundert es einen?», fragte er und schloss seine großen, braunen Augen. Seine schweren Lider zuckten noch ein paarmal, dann war er eingeschlafen. Er schnarchte bereits, als Alessandro Heulen vernahm. Nun hatte er niemanden mehr, den er fragen konnte, ob er recht gehört hatte.

Ob es die Stimme eines Wolfes gewesen war, am helllichten Tage?, überlegte Alessandro, während sein Blick...


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