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Runterkommen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am31.03.20101. Auflage
Eine Orgie des Menschlichen und Allzumenschlichen: Erik, Anwalt, verheiratet, zwei Kinder, Haus in Hamburg-Niendorf, wird von der Putzfrau Dani heimlich von seinem Garten aus beobachtet. Er bemerkt es, es erregt ihn, und er entblößt sich für sie. Das wird ihm so wichtig - seine Frau sieht ja nur noch fern, wenn sie nicht gerade zum Shoppen oder Reiten unterwegs ist -, dass sein Leben den Bach runtergeht: Sein Chef schmeißt ihn raus, Frau und Kinder verlassen ihn. Der Verfall macht sich breit, Erik trinkt und verkommt. Im Grunde trinken und verkommen beinahe alle Figuren in diesem Roman - und immer aus Liebesgründen. Was Erik und Co. antreibt, ist die Sehnsucht nach völliger Verschmelzung mit einem geliebten Gegenüber. Leider ist das geliebte Gegenüber in den seltensten Fällen zum Verschmelzen bereit, oder es verwechselt Liebe mit schnödem Sex. In beinahe Horváth'scher Manier lässt die Autorin ihre Helden sich durchboxen, Liebe machen und sich um Kopf und Kragen schwadronieren, dass dem Leser das Lachen im Halse steckenbleibt. Ein rasant erzählter Roman über die halsbrecherische Jagd nach dem großen Glück.

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEine Orgie des Menschlichen und Allzumenschlichen: Erik, Anwalt, verheiratet, zwei Kinder, Haus in Hamburg-Niendorf, wird von der Putzfrau Dani heimlich von seinem Garten aus beobachtet. Er bemerkt es, es erregt ihn, und er entblößt sich für sie. Das wird ihm so wichtig - seine Frau sieht ja nur noch fern, wenn sie nicht gerade zum Shoppen oder Reiten unterwegs ist -, dass sein Leben den Bach runtergeht: Sein Chef schmeißt ihn raus, Frau und Kinder verlassen ihn. Der Verfall macht sich breit, Erik trinkt und verkommt. Im Grunde trinken und verkommen beinahe alle Figuren in diesem Roman - und immer aus Liebesgründen. Was Erik und Co. antreibt, ist die Sehnsucht nach völliger Verschmelzung mit einem geliebten Gegenüber. Leider ist das geliebte Gegenüber in den seltensten Fällen zum Verschmelzen bereit, oder es verwechselt Liebe mit schnödem Sex. In beinahe Horváth'scher Manier lässt die Autorin ihre Helden sich durchboxen, Liebe machen und sich um Kopf und Kragen schwadronieren, dass dem Leser das Lachen im Halse steckenbleibt. Ein rasant erzählter Roman über die halsbrecherische Jagd nach dem großen Glück.

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644105218
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum31.03.2010
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse2170 Kbytes
Artikel-Nr.1436084
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe




ERSTER TEIL
Blätter und Blüten



Dani


Als er in seinem schwarzen Mercedes-Benz um die Ecke summt, kneift sie die Augen zusammen und umarmt den sonnenwarmen Stamm.

Mein Freund, der Baum.

Sie pult ein paar Stücke aus der weichen, moosigen Rinde und tritt vor Aufregung mit der Fußspitze gegen das Holz. Von vorn das Ploffen der Wagentür, das Knacken der Verriegelung, sie kennt sein Auto, auf dem Nummernschild seine Initialen und ein Aufkleber: Ich bremse auch für Rentner. Er streckt sich, Arme Richtung Himmel, eine unglaubliche Bläue heute, wie glühendes Metall, Flecken unter den Achseln, sein Ehering blitzt - Ehe, da war doch was - und macht dabei ein Geräusch wie ein Tier aus einem Zeichentrickfilm.

Während er sich bückt, um seinen Schnürsenkel zu binden, das hätte er nicht gemusst, er ist ja gleich zu Hause, stolpert er, sie hat es kommen sehen, hüpft, um sich zu fangen, und läuft während des sich Fangens gegen die Tür. Schönes, wunderschönes Zuhause. Blumenkübel am Eingang.

Hier. Wohnt. Familie.

 

Sie kennt seinen Arbeitsplatz, und sie kennt seinen goldenen Kugelschreiber, auf dem ist eingraviert: Alles Liebe im neuen Jahrtausend.

Alles, das ganze Liebe, was es überhaupt gibt.

Sie weiß, wie er tippt, draufhauen, verschreiben, zurückspringen und neu schreiben, immer zu schnell, und er muss eigentlich wissen, dass er sich gleich wieder verschreiben wird, aber darum geht es nicht, ums Richtigschreiben.

 

Sein Umriss zerfließt hinter dem dicken Glas der Haustür. Sie muss woandershin, hinter das Haus. Knistern unter ihren Sandalen, lackweiß wie seine Eingangstür, und ihre Zehennägel pinki.

Sie ist mit zwei Jugoslawinnen aus ihrer Arbeit bei Martina gewesen, und deren Nachbarin hat eine Farbberatung für sie gemacht. Die eine, deren Namen sie nicht kannte, weil sie erst seit zwei Tagen in der Firma war - zwei Tage später war sie wieder weg -, hat mehrmals gesagt: «Rot ist eine schöne Farbe», dabei trug sie alles in Schwarz. Die Farbberaterin hat Dani gesagt, grelle Farben stünden ihr nicht, wegen ihres blassen Teints. Findet Dani eigentlich nicht. Grelle Farben stehen ihr manchmal sehr gut, sieh dir mal deinen eigenen Teint an, wie Bierschinken und Butter, aber das sagte sie nicht, sie sagte: «Mein Teint ist blass, aber auf eine frische Art», die Farbberaterin sagte nichts mehr dazu, sie sah zur Seite, wo Martinas Sohn in Rot, Gelb, Blau mit den Händen wirbelte und lachte, farblich gesehen war er eine Attraktion. Sonst auch.

«Ich mein ja nur», sagte die Farbberaterin zum Schluss, «muss ja jeder selbst entscheiden, mir ist es ja egal, aber um was zu sagen, wurde ich schließlich gebucht.»

«Ich fand es sehr schön», sagte Dani. «Ich mag nun mal grelle Farben, weißt? Das ist mehr schockig, manchmal.»

 

Der Wald ist knistertrocken. Ein Streichholz würde genügen.

Die Büsche, der Zaun, der Grasstreifen neben den versetzt angeordneten, bläulich schimmernden Steinplatten, die fettigen Blätter des Rhododendrons, die Tannen vor dem Schlafzimmer ... das Fenster würde platzen, die Hauchgardine schmelzen, alles würde brennen, auch der Beton und die Schindeln.

Und er kommt heraus, sieht sein Haus in Flammen aufgehen, zu Asche werden, sein ganzes, schönes Leben.

 

Sie geht zu ihrem Baumstumpf, ihrem Moosthron hinter dem mattgelben Busch. Sie muss warten. Sie ist schweißnass, er wird es auch sein. Er wird sich ausziehen, alles in die Wäsche - in den Wäschekorb der Familie zwischen die Frauensachen und Kindersachen und Katzensachen und Hundesachen -, alles von sich schleudern und unter die Dusche gehen.

Sie kann leider nicht in sein Badezimmer sehen. Einmal war er nackt im Wohnzimmer. Das war nur einmal. Da war er total nackt.

Sie streckt die Beine aus und fokussiert einen Fleck zwischen den Gräsern, eine Spiegelung von Himmel im Panoramafenster seines Wohnzimmers. Es verschwimmt und löst sich auf. Sie nimmt das Fernglas.

In seinem Wohnzimmer ist es wie immer, sauber, schwarz-weiß. Schwarz ist das Ledersofa, weiß ist der Teppich. An der Wand ein Aquarell mit einem galoppierenden Pferd. Es galoppiert so daher, seit sie es kennt, und wirbelt in der untergehenden Abendsonne Staub auf, nur - der scheiß Staub bleibt in der Luft hängen. Das ganze Bild ist erfüllt von Staub, Staub, Staub, so sieht man keine Landschaft, obwohl sie gerne wissen würde, welche Landschaft da ist, wo das Pferd langläuft die ganze Zeit.

Es ist nur Leinwand dahinter, das weiß sie eigentlich, aber in echt war da eine Landschaft, und gedacht ist da auch eine Landschaft, es läuft ja nicht in der Luft, das Pferd.

Hinter ihr knackt es, und ein Vogel mit einem richtigen Menschengesicht steht auf dem Moos, ein Bein arrogant angewinkelt, und verharrt. Er will sie überlisten, er glaubt, sie sieht ihn nicht, wenn er sich nicht bewegt, nicht mal die schwarzen Knopfaugen in seinem Gesicht, angenäht an das Federgesicht, das freche. Sie gibt sich Mühe, so zu tun, als würde sie ihn tatsächlich nicht sehen, aber sie kann ihn nicht täuschen, er schreit und fliegt weg. Wahrscheinlich hat sie ihm irgendwas versaut. In die folgende Stille ratscht sorgfältig eine Grille. Schweißrinnsale schlängeln sich an ihrem Körper hinab, zwischen den Brüsten, auf ihren Wirbeln den Rücken hinunter, und dünsten Lockstoffe in die Atmosphäre.

Sie hebt das Fernglas, aber das Sofa steht verlassen auf dem Teppich, die Tür ist geschlossen, das Zimmer leer, das Pferd staubt unermüdlich allein in dem Bild.

Sie legt den Kopf auf ihre Knie.

Als sie vom Baumstumpf kippt, wacht sie auf. Blick auf die Uhr. Gleich sieben. Mist, sie muss los, aber sie sieht noch einmal durch das Fernglas.

Sein weißer Slip leuchtet auf dem schwarzen Leder, sonst ist er nackt.

Nackt, wunderbare Hitze. Er sieht fern.

Seine Frau kommt von irgendwo und setzt sich neben ihn.

Er greift nach der Fernbedienung, hält sie vor sich und schüttelt sie. Er schüttelt, schüttelt wieder. Seine Frau rutscht an das andere Ende des Sofas, beleidigt vielleicht, und schlägt die Beine unter ihren dicken Hintern wie ein Mädchen. Nützt auch nichts, du. Die schlafen dir gleich ein - und dann ...

Ihre Lippen bewegen sich, ihr Mund öffnet und schließt sich. Er sieht nicht zu ihr hin, schüttelt nur die Fernbedienung, wirft sie auf den Boden - mach nur, schmeiß alles in Scherben -, steht auf und tritt ans Fenster. Er mit seinem ganzen Körper und seiner Haut und seinen Härchen überall.

Sie nimmt ihr Fernglas von den Augen, dann wieder hoch, er steht noch da, hundert Jahre später, und betrachtet seinen Garten oder die Scheibe oder auch gar nichts, während seine Frau sich im Hintergrund eine Zigarette anzündet. Er streicht sich über den Bauch und über seine weiße Unterhose.

Sie verharrt wie ein Vogel, der andere über sein Vorhandensein täuschen möchte. Sie muss jetzt gehen, Spätschicht, aber sie verharrt. Sie kann sich nicht bewegen, nicht atmen, nicht denken.

Er lässt sich wieder neben seine Frau fallen, die teilnahmslos rauchend ins Nichts schaut, und packt die Fernbedienung wie eine Waffe. Hundertachtundsiebzig Sender. Scheint endlich zu gehen, geht doch, sie lässt die Hände mit dem Fernglas sinken. Sie sieht auf die Uhr. Viertel nach sieben. Renn, Dani, renn!

 

Beim Sprung über einen Baumstamm knickt sie um, fällt mit dem Knie auf einen Stein. Ihr Schrei bleibt in der Luft hängen. Sie versucht, so einen Schrei nochmal hinzukriegen, aber es gibt einen Unterschied zwischen echten und unechten Schreien. Echte sind echter.

Unecht schreiend humpelt sie weiter.

Als sie die Tür zu ihrem Auto aufmacht, zu ihrem Zuhause, Geruch von Bonbons, Kaugummi und Duschbad mit Meeresalgen, weil ihr das auf den Rücksitzen ausgelaufen ist, murmelt sie: «Scheiße, Mann.»

Der Wagen springt nicht gleich an.

Sie startet und startet, erst mit und dann ohne Gefühl, und bei ohne Gefühl klappt es irgendwann. Sie dreht das Fenster herunter, Nadeln und Äste knacken unter den Reifen, als sie auf die Straße fährt. Im Radio Oasis. (Today is gonna be the day, that they´re gonna throw it back to you, by now you should have somehow, realized what you gotta do ...) Sie singt leise mit, und ihre Augen tränen vom Fahrtwind.

 

Sie parkt auf dem Parkplatz vor dem Haus, in dem sie wohnt. Der Fahrstuhl gähnt sie an. Innen, an die Wand gelehnt, liest sie jeden Tag das Gleiche: «Fuck Frau Gör. Frau Gör. ist Sau»

Frau Gör Punkt ist Frau Göring , abgekürzt. Frau Göring wohnt ganz unten. Sie fegt den Eingang mit einem roten Besen, freiwillig, das wissen alle, weil sie oft sagt: «Ich mach das freiwillig, nicht dass hier einer denkt ...», was hier einer denken könnte, sagt sie nicht.

Die Kinder beschmieren ihre Wohnungstür mit Eis. Sie gehen mit Eis vorbei und schmieren es einmal an ihrer Wohnungstür ab. Es ist selbstverständlich geworden. Es ist der Kindereintrittscode in dieses Haus. Dani hat gehört, wie ein Kind das andere fragte: «Schmierst du bei Gör?», und das Kind sagte: «Ich hab heut schon.»

Frau Göring schreit durch das Haus, sie weiß, wer das war.

Aber sie weiß es nicht. Alle waren es.

Oasis immer weiter. (I said maybe, I said maybe, you´re gonna be the one that saves me, saves me ...) In ihrem Kopf.

Im neunten Stock, wo sie wohnt, ist es feucht und riecht zitronig. Die Frau neben ihr hält Ordnung. Aber sie nimmt zu viel Reiniger, das schmiert schon an den Schuhen....


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Autor

Katrin Seddig, geboren in Strausberg, studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über «Runterkommen» (2010) schrieb die taz: «Ein brillantes Debüt ... Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) urteilte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht». Zuletzt erschienen «Das Dorf» (2017) sowie der Roman «Sicherheitszone» (2020), für den Seddig mit dem Hamburger Literaturpreis und dem Hubert-Fichte-Preis ausgezeichnet wurde.