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Leichte Liebe

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am01.06.20101. Auflage
Er ist ein Lebemann, liebt die Frauen und Musik - und er pflegt von Zeit zu Zeit spurlos zu verschwinden. Einen solchen Vater zu haben hält Yael, Mitte dreißig, Single in Berlin, für einen Fluch. Hat er sich doch nie um sie gekümmert, sie weder finanziell unterstützt noch durch die Wirren des Erwachsenwerdens geleitet. Als aber ihr Vater wieder einmal verschwindet und die Polizei ihn des Mordes an seiner Geliebten beschuldigt, weiß Yael: Das hier ist keine seiner fröhlichen Eskapaden. Sie macht sich auf die Suche nach ihm, reist nach Israel, wo er seine Wurzeln hat. Ihr Vater bleibt spurlos verschwunden. Aber ihre israelische Sippe lehrt Yael, die Dinge im Leben zu nehmen, wie sie sind. Und sie beginnt zu verstehen, dass sie braver, disziplinierter, beherrschter ist als nötig, dass das, was sie für einen Fluch hielt, vielleicht eine Gabe ist: dem Leben immer das Beste abzugewinnen. Verfügt sie auch selbst über diese Gabe und hat sie nur noch nie genutzt? Ein temporeicher Vater-Tochter-Krimi und die berührende Geschichte einer Selbstfindung.

Rebecca Niazi-Shahabi, geboren 1970 in Bremen, kommt aus einer deutsch-iranischisraelischen Familie. Sie lebt als freie Autorin in Berlin und arbeitet als Texterin für verschiedene Werbeagenturen.
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Produkt

KlappentextEr ist ein Lebemann, liebt die Frauen und Musik - und er pflegt von Zeit zu Zeit spurlos zu verschwinden. Einen solchen Vater zu haben hält Yael, Mitte dreißig, Single in Berlin, für einen Fluch. Hat er sich doch nie um sie gekümmert, sie weder finanziell unterstützt noch durch die Wirren des Erwachsenwerdens geleitet. Als aber ihr Vater wieder einmal verschwindet und die Polizei ihn des Mordes an seiner Geliebten beschuldigt, weiß Yael: Das hier ist keine seiner fröhlichen Eskapaden. Sie macht sich auf die Suche nach ihm, reist nach Israel, wo er seine Wurzeln hat. Ihr Vater bleibt spurlos verschwunden. Aber ihre israelische Sippe lehrt Yael, die Dinge im Leben zu nehmen, wie sie sind. Und sie beginnt zu verstehen, dass sie braver, disziplinierter, beherrschter ist als nötig, dass das, was sie für einen Fluch hielt, vielleicht eine Gabe ist: dem Leben immer das Beste abzugewinnen. Verfügt sie auch selbst über diese Gabe und hat sie nur noch nie genutzt? Ein temporeicher Vater-Tochter-Krimi und die berührende Geschichte einer Selbstfindung.

Rebecca Niazi-Shahabi, geboren 1970 in Bremen, kommt aus einer deutsch-iranischisraelischen Familie. Sie lebt als freie Autorin in Berlin und arbeitet als Texterin für verschiedene Werbeagenturen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644105317
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum01.06.2010
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1437211
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



 

Ich rufe in München an, in Chemnitz, in Israel, in Frankreich, in Ungarn. Niemand hat etwas von meinem Vater gehört. Allerdings hat auch kaum jemand erwartet, von meinem Vater zu hören: Der Unterschied zwischen dem üblichen Nichtmelden meines Vaters und diesem besonderen Nichtmelden meines Vaters erschließt sich den meisten nicht, die ich nach ihm frage. Da mein Vater mir stets stolz die Telefonnummern seiner Eroberungen diktierte und ihnen wiederum meine Nummer zu geben pflegte, habe ich einen guten Überblick über seine weiblichen Bekanntschaften der letzten Jahre. Mit einigen habe ich auch schon lange und ermüdende Telefongespräche über das problematische Zusammensein mit meinem Vater geführt, ohne Erfolg. Es war keineswegs so, dass ihre Namen von da an in den Erzählungen meines Vaters nicht mehr auftauchten. Nur diese Frauen sind empfänglich für Nuancen, was meinen Vater betrifft. Sie sind sehr bemüht, ihre Erleichterung zu verbergen, wenn sie von mir erfahren, dass er nun schon seit Wochen vermisst wird, und enthusiastisch bieten sie an, mir bei meiner Suche zu helfen. Ohne Zweifel wäre es ihnen lieber, man findet ihn erschlagen in einem Waldstück neben einem Autobahnparkplatz, als dass sich herausstellt, dass er sich nicht bei ihnen meldet, weil er eine neue Freundin hat.

Auch die Familie in Israel ist nicht besorgt. «Du kennst doch deinen Vater», sagt mein Onkel Romain am Telefon, Antoines ältester Bruder, der ihn nun schon mehr als ein halbes Jahrhundert hat suchen müssen, seit sage und schreibe 1949, als ihn meine Großmutter in Casablanca regelmäßig auf die Straße geschickt hat, den kleinen Bruder nach Hause zu bringen.

Ich allein bin davon überzeugt, dass es mit seinem Verschwinden dieses Mal etwas anderes auf sich hat. Mein Vater ist nicht mehr jung, und er kann nicht mehr so leicht Geld verdienen unterwegs, für alles, was er zum Leben braucht: Zigaretten, Kaffee und französische Zeitungen. Er ist auch nicht mehr so risikofreudig wie früher. In den letzten Jahren ist es schon zu unangenehmen Engpässen gekommen, so zum Beispiel, als Martha ihn vorigen Winter rausgeworfen hat und Gizella nicht erreichbar gewesen ist. Da hat mein Vater dann eine Nacht im Auto zugebracht, ohne Heizung. Keine vierundzwanzig Stunden hat es gedauert, und er stand wieder in seiner schmutzigen Winterjacke vor Marthas Tür. «Siehst du, was für eine Ehefrau Martha ist», klagte mein Vater, als wir an diesem Abend miteinander telefonierten, nachdem er ein Bad genommen hatte und nun in ihrem Wohnzimmer vor der Heizung hockte. «Umbringen wollte sie mich. Einfach so in die Kälte schickt sie mich hinaus.»

Immer kürzer werden die Abstände zwischen seinen Fluchten und der Rückkehr. Und immer öfter kann man ihn abends bei Martha zu Hause erreichen, wo er liest, kocht oder fernsieht.

Es beunruhigt mich, dass das Auto bei Martha im Hof geparkt ist, die Koffer und Taschen im Schrank stehen und sein Pass in der Schreibtischschublade liegt. Joseph hat schon Dutzende Male angerufen, dabei ist Joseph der beste Freund meines Vaters und weiß meistens, wo er sich gerade aufhält. Er muss etwas Besseres gefunden haben als Martha, die ihn seit sechsunddreißig Jahren mit Unterbrechungen hasst und erträgt. Etwas Besseres als Eva, Renate, Uta und Heidrun, denn auch sie haben seit fünf Wochen nichts von ihm gehört. Dass er in letzter Zeit von keiner neuen Bekanntschaft erzählt hat, muss nichts heißen. Es ist durchaus möglich, dass mein Vater vormittags aus dem Haus geht, um Joseph oder Raoul zu treffen, und nur zwei Stunden später hat eine Schwabinger Lehrerin in den Fünfzigern, die mit einem soliden Rechtsanwalt oder Architekten ermüdende dreißig Jahre verheiratet ist und im Café zufällig mit meinem Vater ins Gespräch kommt, das Gefühl, ihr Leben habe sich verändert.

Mein Vater kann einen Menschen im Kaufhaus, in einem Schnellrestaurant, auf der Straße oder bei einem Arztbesuch kennenlernen. Ihm genügt ein kleiner Anlass - man sucht die Eingangstür, bestellt zufällig das gleiche Gericht, weiß die Uhrzeit, braucht Feuer oder die Zeitung -, um mit Fremden ein Gespräch zu beginnen.

Ich habe keine Lust mehr, ihn zu suchen. Überall, wo er hätte sein können, habe ich nun angerufen. Irgendwann wird er sich schon melden, mein Vater, mit irgendeiner lächerlichen Erklärung für seine Abwesenheit, und es täte einem leid um jede Minute, die man in die Suche nach ihm investiert hat.

Dennoch habe ich kein gutes Gefühl, als ich das Fremdwörterbuch und den Grammatikduden in meine Tasche packe. Wenn ich mich nicht beeile, komme ich zu spät in die Agentur. Das fehlte noch, dass ich wegen meines Vaters einen Kunden verliere.

Wahrscheinlich wäre es das Beste, ich würde eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgeben. Ich versuche mir das Gespräch vorzustellen, das der diensthabende Beamte mit mir führt:

 

Polizist: «Sie möchten eine Vermisstenanzeige aufgeben?»

Ich: «Ja, mein Vater ist verschwunden.»

Polizist: «Seit wann vermissen Sie Ihren Vater denn?»

Ich: «Seit ungefähr fünf Wochen.»

Polizist: «Wieso kommen Sie erst jetzt?»

Ich: «Es ist nicht ungewöhnlich, dass mein Vater für längere Zeit verschwindet.»

Polizist: «Wie oft kommt das denn vor?»

Ich: «Ich weiß es nicht. Manchmal.»

Polizist: «Ist Ihr Vater verheiratet?»

Ich: «Ja, er lebt mit seiner zweiten Frau in München.»

Polizist: «Und warum hat sie ihn nicht vermisst gemeldet?»

Ich: «Sie vermisst ihn nicht.»

Polizist: «Sie vermisst ihn nicht?»

Ich: «Nein.»

Ich werde nach der Arbeit trotzdem zur Polizei gehen.

 

Auf dem Fahrrad konzentriere ich mich auf den Text, den ich heute zu schreiben habe: «Rufen Sie uns an, Ihre Krankenkasse kümmert sich gerne um Sie.» Dieser Satz war der Krankenkasse nicht enthusiastisch genug gewesen, und heute Morgen hatte mich der Kreativdirector angerufen und gebeten, einige Variationen dazu zu verfassen.

«Wir freuen uns auf Ihren Anruf. Ihre Krankenkasse»- formuliere ich auf der Oranienburger Straße. Am Alexanderplatz: «Wir freuen uns sehr auf Ihren Anruf. Ihre freundliche Krankenkasse.» Das Fahrrad abschließen, warten auf den Fahrstuhl: «Wir würden Ihren Anruf außerordentlich begrüßen. Ihre Ihnen stets verbundene, freundliche Krankenkasse.» Im Fahrstuhl: «Ihr Anruf ist uns Ehre und Verpflichtung zugleich. Ihre Ihnen ergebene Krankenkasse.» Ich steige im zwölften Stock aus, drücke den elektronischen Türöffner, an meinem Platz tippe ich die vier Sätze in den Computer. Dann gehe ich in die Küche und mache mir einen Tee. Auf dem Alexanderplatz weit unten zu meinen Füßen laufen viele Menschen zwischen S-Bahn, der Straßenbahnhaltestelle und dem Kaufhaus hin und her. Wie schnell kann da jemand verlorengehen. Auf jeden Einzelnen von ihnen wartet irgendwo irgendjemand, und dieses Gefühl hat etwas so Schönes und Tröstliches, jeder ist bemüht, an den Ort zu gelangen, an den er gehört, keiner auf dem Platz unter mir hält inne, niemand zögert vor der Straßenbahn, lässt sie abfahren und schlägt plötzlich eine ganz andere Richtung ein. Wie wäre es, wenn mein Vater wieder auftauchen würde, um festzustellen, dass ihn niemand vermisst hat? Würde er mich eigentlich suchen, wenn ich einfach verschwinden würde? Er ist nie allein gewesen. Nie hat ihm jemand zu verstehen gegeben: Jetzt ist es genug. Auch ich habe in der wenigen Zeit, die wir miteinander verbringen, ein Dutzend Dinge erlebt, die ich ihm hätte nicht verzeihen dürfen. Zum Beispiel, dass er in Jerusalem auf einem Ausflug mit meiner Freundin Hannah mitten auf einer Kreuzung kehrtmachte und in der Menge verschwand. Während der zweiten Intifada, wo in der Stadt Dutzende von Bomben hochgingen und über fünfzig Leute getötet wurden, ist er einfach ohne einen Abschiedsgruß davongelaufen. Es war unmöglich, ihn einzuholen, und das war auch der Sinn der Sache, denn er ist, wie sich hinterher herausgestellt hat, mit dem Auto nach Hulon zurückgefahren, mit dem wir gemeinsam gekommen waren. Hannah und ich mussten am Abend den Bus zurück nach Tel Aviv nehmen. Warum er das getan hat, weiß ich bis heute nicht, entschuldigt hat er sich jedenfalls nie, und noch heute werde ich wütend, wenn ich daran denke. Damals habe ich ihm inständig gewünscht, dass er einen Unfall hat oder überfallen wird, und plötzlich war ich sicher, dass genau in diesem Bus, in dem wir uns befanden, der nächste Anschlag stattfinden wird, als Strafe für meine schlechten Gedanken.

 

«Name, Alter und Wohnort der vermissten Person», fordert mich der Beamte auf.

«Antoine Hasidim, geboren 1941 in Casablanca, Wohnort: Türkenstraße neunzehn in München-Schwabing. Staatsangehörigkeit Israel.» Der Beamte schreibt Namen und Adresse auf den Vordruck für Vermisstenanzeigen. Als er bei der Zeile für die Staatsangehörigkeit ankommt, hält er inne. Er schaut mir ins Gesicht: «Kein Deutscher?» «Nein, Israeli.» «Ihr Freund?» Und obwohl er mir auch die letzte Frage in einem freundlichen Ton stellt, hat sie etwas Ungehöriges, Beleidigendes. «Nein, mein Vater.» «Wie lange schon hier wohnhaft?»

«Mein Vater wohnt seit achtunddreißig Jahren in Deutschland.»

«Aufenthaltserlaubnis?» Seine Hand rutscht weiter zum nächsten Feld.

«Er ist seit siebenunddreißig Jahren mit einer Deutschen verheiratet.»

«Mit Ihrer Mutter?»

«Nein.»

Jede Information komplettiert das Bild über meine Verhältnisse, die mir immer so unendlich kompliziert vorgekommen waren, die sich aber plötzlich problemlos in ein vierseitiges Dokument eintragen lassen. «Gut, nun notieren Sie bitte hier noch eine...

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