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Die Stille nach dem Gesang

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
272 Seiten
Deutsch
Kiepenheuer & Witsch GmbHerschienen am16.08.20101. Auflage
Vom langen Schatten der Vergangenheit. Ein glanzvolles literarisches Debüt über eine Frau, die sich in den Schatten eines Mannes begibt und sich nach seinem Tod nicht wiederfindet. Falk Margraf ist berühmt, er ist der rebellische Spross einer alten Bayreuther Großbürgerfamilie, der Wagner gegen die Rockmusik eingetauscht hat, vor allem aber hat er das Lied geschrieben, das das Lebensgefühl einer aufsässigen Generation traf und gleichzeitig prägte. Wen wundert es, dass die aus einfachen Verhältnissen stammende junge Sängerin Alex es Anfang der Achtziger für den Glücksfall ihres Lebens hielt, ihn getroffen und ihm offensichtlich ziemlich gut gefallen zu haben. Und wenn auch Falks machtbewusste Schwester Isolde, nach deren Seminar es zu dem Treffen kam, gerade ihren Elevinnen geraten hatte, lieber Intendantinnen zu werden statt Sängerinnen - Alex entschließt sich, den mühsamen Weg der eigenen Karriere gegen ein erheblich unanstrengenderes Leben mit Falk einzutauschen.Siebzehn Jahre später ist sie klüger: Sieben Jahre ist Falk da schon tot und sie sitzt mit zwei unehelichen Kindern und einem handfesten Trauma vereinsamt und ohne wirkliches Ziel in Berlin, Isolde Margraf gibt ihr die Schuld an Falks Tod und schneidet sie, und nur die Mutter Falks, das erratische Oberhaupt des inzwischen stark dezimierten Margraf-Clans, hält noch den Kontakt zu ihr; schließlich ist Alex' Tochter Wanda ihre einzige Enkelin. Katharina Döbler gelingt in ihrem Debütroman Die Stille nach dem Gesang ein kleines Mirakel: Sie erzählt in einem raffiniert gebauten Roman nicht nur das Leben einer Frau, die sich in den Schatten eines Mannes begeben hat, aus dem sie nicht herausfindet, sondern zeichnet auch das Portrait einer ganzen Generation, die unangepasst und rebellisch startete, sich aber in unendlich vielen pragmatischen Kompromissen verlor, und vom Niedergang dessen, was einst unter dem Namen Bildungsbürgertum den kulturellen Ersatzadel Deutschlands darstellte. Die Stille nach dem Gesang wurde vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt gefördert.

Katharina Döbler, geboren in Gunzenhausen, studierte Theaterwissenschaften. Ihr Debüt Die Stille nach dem Gesang (2010) wurde vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt gefördert. https://www.katharinadoebler.de/
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR18,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextVom langen Schatten der Vergangenheit. Ein glanzvolles literarisches Debüt über eine Frau, die sich in den Schatten eines Mannes begibt und sich nach seinem Tod nicht wiederfindet. Falk Margraf ist berühmt, er ist der rebellische Spross einer alten Bayreuther Großbürgerfamilie, der Wagner gegen die Rockmusik eingetauscht hat, vor allem aber hat er das Lied geschrieben, das das Lebensgefühl einer aufsässigen Generation traf und gleichzeitig prägte. Wen wundert es, dass die aus einfachen Verhältnissen stammende junge Sängerin Alex es Anfang der Achtziger für den Glücksfall ihres Lebens hielt, ihn getroffen und ihm offensichtlich ziemlich gut gefallen zu haben. Und wenn auch Falks machtbewusste Schwester Isolde, nach deren Seminar es zu dem Treffen kam, gerade ihren Elevinnen geraten hatte, lieber Intendantinnen zu werden statt Sängerinnen - Alex entschließt sich, den mühsamen Weg der eigenen Karriere gegen ein erheblich unanstrengenderes Leben mit Falk einzutauschen.Siebzehn Jahre später ist sie klüger: Sieben Jahre ist Falk da schon tot und sie sitzt mit zwei unehelichen Kindern und einem handfesten Trauma vereinsamt und ohne wirkliches Ziel in Berlin, Isolde Margraf gibt ihr die Schuld an Falks Tod und schneidet sie, und nur die Mutter Falks, das erratische Oberhaupt des inzwischen stark dezimierten Margraf-Clans, hält noch den Kontakt zu ihr; schließlich ist Alex' Tochter Wanda ihre einzige Enkelin. Katharina Döbler gelingt in ihrem Debütroman Die Stille nach dem Gesang ein kleines Mirakel: Sie erzählt in einem raffiniert gebauten Roman nicht nur das Leben einer Frau, die sich in den Schatten eines Mannes begeben hat, aus dem sie nicht herausfindet, sondern zeichnet auch das Portrait einer ganzen Generation, die unangepasst und rebellisch startete, sich aber in unendlich vielen pragmatischen Kompromissen verlor, und vom Niedergang dessen, was einst unter dem Namen Bildungsbürgertum den kulturellen Ersatzadel Deutschlands darstellte. Die Stille nach dem Gesang wurde vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt gefördert.

Katharina Döbler, geboren in Gunzenhausen, studierte Theaterwissenschaften. Ihr Debüt Die Stille nach dem Gesang (2010) wurde vom Deutschen Literaturfonds in Darmstadt gefördert. https://www.katharinadoebler.de/
Details
Weitere ISBN/GTIN9783462302059
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum16.08.2010
Auflage1. Auflage
Seiten272 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1732 Kbytes
Artikel-Nr.1438952
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe



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Falk frühstückt

Er trat aus dem Hotel und ging über die Straße, die im Schatten lag. Der Himmel war ganz blau, die Luft gerade so kalt, dass es erfrischend war. Es war noch früh. An der ersten Straßenecke traf ihn jäh das Sonnenlicht, und er knöpfte seinen Mantel auf. Zwei Straßen weiter streifte ihn der Geruch von frischem Brot. Er war froh, dass er noch lange zu gehen hatte. Die Sonne wärmte seine linke Seite, er konnte fühlen, dass er nach Süden ging. Dann bog er um die Ecke und der Glanz blendete ihn von vorn, und einen kurzen Augenblick vergaß er, wo er war: Es hätte auch eine andere Stadt sein können, Madrid oder Wien oder Baden-Baden. Er überlegte im Gehen, welches die hässlichste Stadt war, in der er sich je befunden hatte. Er dachte gerade an Kassel, als er an seiner früheren Wohnung vorbeilief, ohne nach oben zu schauen. Es war nur eine Erinnerung, die ihn anflog und sich ein paar Schritte weiter schon aufgelöst hatte.

Der Weg war ihm vertraut. Jedes Mal ein bisschen anders, aber vertraut, wie ein Freund, der graue Haare bekommen oder eine neue Frau an seiner Seite hat und derselbe Freund bleibt. Er mochte das Hotel, in dem er alle paar Wochen für ein paar Tage wohnte. Es war verbaut, winkelig und sehr geblümt. Und es hatte keine Klimaanlage, was er schätzte. Die Fenster schlossen nicht einmal richtig, es gab immer einen leichten Luftzug im Zimmer, und das in einer der besseren Gegenden der Stadt, gleich um die Ecke vom Kurfürstendamm.

Er ging schnell, die Hände in den Manteltaschen, aber kalt war ihm nicht, er hatte den Schal nicht gebunden, den Mantel nicht wieder zugeknöpft, der wasserdichte Stoff wehte um seine Beine. Er hatte viel vor in den nächsten Tagen. Und zwischendurch wollte er noch zum Friseur, seinem türkischen Lieblingsfriseur, der noch rasierte. Vielleicht. Morgen früh. Und dann die Liste abhaken, die er immer im Kopf hatte, wenn er zurückkam. Zur Bank, zur Agentur, Mama besuchen, Einkäufe, Termine abarbeiten, die Bernhard für ihn festgemacht hatte. Vier Tage. Aber vor allem: Alex. Dann würde er wieder weg sein.

Er war auf dem Weg zu seiner Schwester, die ihn wie immer als Erste erwartete und ihre Entourage zu diesem Zweck aus dem Haus schickte. Das Frühstück mit Isolde war der Anfang jedes seiner Besuche in der Stadt, in der er so lange gelebt hatte, und egal wie lange er blieb, ob er allein war oder nicht, ob sie sich später bei Mama wiedertrafen: Der erste Morgen in Berlin gehörte Isolde. Man hätte auch sagen können: An seinem ersten Morgen in Berlin gehörte er Isolde. Aber er war nie auf den Gedanken gekommen, es so zu betrachten.

Die Straße beschrieb einen Bogen und die Sonnenwärme kam jetzt von rechts. In seinem Kopf kämpften zwei kleine Melodien miteinander, und er blieb einen Augenblick stehen, um zu hören, welche von beiden am Ende übrig bleiben würde.

Dann spürte er links hinter seinem Gesichtsfeld eine plötzliche Unruhe. Jemand schrie, und er merkte, dass er selbst gemeint war. Er drehte sich um zu jemandem, der einen Fahrradhelm trug, ein halb gekipptes Rad zwischen den Beinen. Er hörte nicht hin, was der Mann schrie, sondern versuchte seine beiden Melodien wiederzufinden. Der Mann hatte Bartstoppeln und an seinen Lippen zogen sich Spuckefäden, wenn er den Mund aufriss. Langsam drangen die Worte zu ihm durch. Meinste wirbrauchnochmehr hirntote innerstatistikodawat ... glaubste dubistn ... panza ... wennste dichumbring willstmusste nichandre vakehrsteilnehmafür ... missbrauchn.

Er fand erstaunlich, wie der schreiende Mann die Pausen in seinem Redefluss setzte. Entschuldigung, sagte er und lächelte und hob seinen Blick von den Lippen zu den Augen des Fremden. Die waren zu seiner Überraschung fast schwarz, er hatte blau oder grau erwartet. Er lächelte weiter in die jähe Stummheit hinein. Ich war in Gedanken, sagte er, tut mir wirklich leid.

Er hatte nicht gemerkt, dass er direkt hinter der Ecke auf dem Radweg stehen geblieben war. Der andere atmete stumm und heftig. Dann holte er noch einmal tief Luft, es klang wie ein Seufzen, hob sein Fahrrad auf und kletterte umständlich hinauf. Penna, sagte er im Losfahren, ganz leise.

Er erzählte es Isolde. Sie hatten sich seit vielen Wochen nicht gesehen, er war so lange nicht mehr hier gewesen, und sie hatten sich auch an keinem der anderen Orte getroffen, wo sie sich sonst verabredeten: im Haus bei Tarragona, bei Clara, und natürlich zu Hause, bei Mama. Das war ungewöhnlich.

Isolde trug ein Tuch ums Haar, als sie die Tür öffnete. Brudermein, sagte sie, und Schwestermein antwortete er, wie immer, wenn niemand dabei war, es hatte mit einem Märchen zu tun, das er ihr vorgelesen hatte, als sie noch Kinder waren. Sie umarmten sich und Falk spürte ihren üppigen Busen und dachte zum hundertsten Mal, dass Isolde eine gute Mutter geworden wäre. Nie hätte er ihr das gesagt.

Die Friede geht gleich, sagte Isolde, und Falk verstand den Hinweis, nichts Familiäres zu besprechen, solange sie noch im Hause war. Isolde hielt ihre Affären oder Liebesbeziehungen oder Ausbeutungsverhältnisse streng getrennt von der Familie und hatte ihre Frauen nie zu den Zusammenkünften bei Mama mitgebracht. Falk fand die Disziplin, mit der sie Arbeit, Familie und Liebesleben sortierte, immer noch erstaunlich und bewunderte sie sogar dafür. Er hätte das nie gekonnt.

Holst uns noch a paar Semmeln, Friedl Süße, sagte Isolde über die Schulter und Friede antwortete von weit hinten aus dem Flur, gleich, und stürzte alsbald an ihnen vorbei, ein kleines Wesen mit fliegenden Schals und Haaren und einem runden Kindergesicht. Falk war sich nicht sicher, ob er sie schon einmal gesehen hatte, er hatte sie noch nie begrüßt, das erwartete sie auch nicht und Isolde schon gar nicht.

Sie ist sehr begabt, die Friede, sagte Isolde.

Friede musste es noch gehört haben, bevor sie zur Tür hinaushuschte. Isolde erwähnte nicht, worin diese Begabung lag, aber Falk verstand, dass sie mit Friede zufrieden war.

Er setzte sich an den Tisch, an den Platz, wo er immer saß, und Isolde hantierte mit dem Espresso. Es war genau wie letztes Mal. Wie es in Madrid war, wollte Isolde wissen. Ob es noch einmal Ärger bei der Musik für diesen französischen Kitschfilm gegeben hätte. Ob es jetzt endlich ausgestanden sei. Es waren keine ernst gemeinten Fragen und keine bedeutenden Antworten, der Kaffee wurde fertig und Friede wehte wieder herein mit einer Tüte Brötchen, neigte den Kopf gegen Isoldes Schulter und ließ sich aufs Haar küssen, sagte bis später und verschwand wie ein Luftzug. So, sagte Isolde, und sah ihn über ihre Tasse hinweg gründlich an.

Sie war viel jünger als er, aber irgendwann in seinem Leben hatte er angefangen, sie als Autorität zu betrachten. Er hatte sich nie die Zeit genommen, darüber nachzudenken, warum das so war. Er dachte nie über dergleichen nach: In seinem Leben nahmen Menschen und Dinge eben ihre Plätze ein. Selten hatte er das Gefühl, dass er da eingreifen müsste. Seine Erfahrung war, dass die meisten Dinge und Menschen von selbst wieder verschwanden, wenn er ihnen keine Beachtung schenkte. Alles regelte sich von selbst und manches regelte Isolde für ihn, stellvertretend für die Familie: So wie es Mama früher getan hatte und sein älterer Bruder Veit.

»Ich muss nachher gleich zu Alexandra«, sagte er.

Isolde lachte. »Du Armer.«

»Wieso? Wegen Alex? Sie tut mir doch nichts.«

Isolde tropfte ein wenig Honig in ihre ausgehöhlte Brötchenhälfte. »Nein, das tut sie bestimmt nicht«, sagte sie langsam, »sie tut ja nie irgendwas.«

»Sie will ein Kind«, sagte er.

»Was? Ihr habts euch doch schon fast ein Vierteljahr nimmer gesehn.« Sie betrachtete nachdenklich das Brötchen, mit halb offenem Mund. Mit ihrem Tuch um den Kopf hatte sie etwas von einer Hexe; das unschuldige Ding in ihrer Hand würde sie unerbittlich töten und verspeisen.

»Die Alexandra«, Isolde seufzte und sah ihren Bruder kummervoll an, bevor sie zubiss.

Falk strich feine Leberwurst auf eine Kümmelstange, ein doppelter Genuss, den er in Spanien entbehren musste.

»Dafür bist du zu alt«, sagte Isolde, als sie eine Weile gekaut hatte. Er hob jäh den Blick von seiner Wurst, deren Farbe ihm außerordentlich gefiel, und zeigte sein Erstaunen mit allen Teilen seiner Person, bis in die Falten seines Hemdes hinein.

»Wieso ich?«

»Nicht von dir?«

»Doch, ich glaub schon, von wem denn sonst, aber ...«, er brachte die Leberwurst sorgfältig entlang der Brötchenkante aus, »wie alt ich bin, ist doch egal.«

Isolde zog die Augenbrauen hoch und brummte, weil sie den Mund wieder voller Honig hatte.

»Ich meine, es ist mir nicht egal, aber dem Kind kann es doch egal sein. Und Alex, ich meine, wenn sie unbedingt will ...«

Isolde pfefferte ihr Brötchen auf den Teller.

»Weißt du, was das heißt? Verantwortung! Familie gründen ...! Mit der Alexandra! Mit Alexandra Zelinski eine Familie gründen. Du als Familienvater! Häuslich werden, mit dem Kinderwagen im Park rumlaufen! Du! Mit Alexandra. Familie...

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