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Herbstvergessene

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am01.09.20101. Auflage
Drei Frauen, drei Leben Für eine Versöhnung ist es zu spät: Zehn Jahre lang hat Maja Sternberg keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter Lilli gehabt - jetzt ist Lilli tot. Die Polizei in Wien spricht von Selbstmord. Doch daran mag Maja nicht glauben. In der Wohnung ihrer Mutter findet sie deren Geburtsurkunde: Der Name des Vaters fehlt. Als Geburtsort ist Hohehorst eingetragen. Ein Foto zeigt Großmutter Charlotte mit einem Baby, doch dieses dunkle Baby hat keinerlei Ähnlichkeit mit der hellblonden, blauäugigen Lilli. Von Schuldgefühlen und Neugier getrieben, begibt Maja sich auf die Spurensuche und stößt auf ein dunkles Familiengeheimnis, das alle Gewissheiten in ihrem Leben mit einem Schlag zunichtemacht ...   Kennen Sie bereits die weiteren Romane von Anja Jonuleit bei dtv? »Der Apfelsammler« »Das Nachtfräuleinspiel« »Novemberasche« »Rabenfrauen« »Die fremde Tochter« »Das letzte Bild«

Anja Jonuleit wurde in Bonn geboren. Sie arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie anfing, Romane und Geschichten zu schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Friedrichshafen.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR13,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDrei Frauen, drei Leben Für eine Versöhnung ist es zu spät: Zehn Jahre lang hat Maja Sternberg keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter Lilli gehabt - jetzt ist Lilli tot. Die Polizei in Wien spricht von Selbstmord. Doch daran mag Maja nicht glauben. In der Wohnung ihrer Mutter findet sie deren Geburtsurkunde: Der Name des Vaters fehlt. Als Geburtsort ist Hohehorst eingetragen. Ein Foto zeigt Großmutter Charlotte mit einem Baby, doch dieses dunkle Baby hat keinerlei Ähnlichkeit mit der hellblonden, blauäugigen Lilli. Von Schuldgefühlen und Neugier getrieben, begibt Maja sich auf die Spurensuche und stößt auf ein dunkles Familiengeheimnis, das alle Gewissheiten in ihrem Leben mit einem Schlag zunichtemacht ...   Kennen Sie bereits die weiteren Romane von Anja Jonuleit bei dtv? »Der Apfelsammler« »Das Nachtfräuleinspiel« »Novemberasche« »Rabenfrauen« »Die fremde Tochter« »Das letzte Bild«

Anja Jonuleit wurde in Bonn geboren. Sie arbeitete als Übersetzerin und Dolmetscherin, bis sie anfing, Romane und Geschichten zu schreiben. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Friedrichshafen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423403009
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2010
Erscheinungsdatum01.09.2010
Auflage1. Auflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse2477 Kbytes
Artikel-Nr.1444198
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Im Sternenmantel

Jahrelang habe ich mir gewünscht, ich könnte aufhören zu rauchen. Ich wollte frei sein von diesem Zwang, frei von dem Drang, nach einer bestimmten Zeit, spätestens nach zwei Stunden, wieder in die Packung zu greifen und mit spitzen Fingern eine Zigarette herauszuangeln. Der erste Zug war das eigentliche Antriebsmoment, schließlich ist nichts so gut wie das erste Mal. Und dabei meine ich nicht die ungeschickten Versuche zweier junger Menschen, sich körperlich näher zu kommen. Nein, ich spreche vom ersten Zug, vom ersten Schluck, egal, ob Kaffee, egal, ob Wein oder, wenn es sein musste, Grappa. Und manchmal musste es einfach sein.

Auf jeden Fall war das Nikotin ihr, Mutters, Erbe an mich, und wenn es eines gab, was wir gemeinsam hatten, dann war es unsere Leidenschaft fürs Rauchen im Allgemeinen und für den »ersten Zug« im Besonderen. Ich erinnere mich noch gut an ihren Gesichtsausdruck, wenn sie neben mir am Fenster stand, die Hand in den Ärmel geschoben, und ich hin und wieder ihr Profil betrachtete, unbemerkt zusah, wie sie die Augen schloss und inhalierte. Sie hatte dann für eine Weile - die Zeit, die es dauert, eine Zigarette zu rauchen - etwas Mildes und Ruhiges an sich, eine Kompromissbereitschaft, die kurz darauf, wenn sie mit ihren knochigen Fingern die Zigarette in den Aschenbecher aus Kristallglas drückte, verschwunden war. Und mit der Zigarette verglomm auch die fast schwesterliche Sympathie, die ich in diesen Augenblicken für sie empfand. Mutter.

Es hätte anders sein können, das Verhältnis zu meiner Mutter, und dass ich sie so viele Jahre nicht mehr gesehen hatte, war allein meine Schuld. Ich hatte ihre Erwartungen nicht erfüllt. Sie hat es nie verwunden, dass ich kurz vor den Abschlussprüfungen zum Konferenzdolmetscher das Handtuch geworfen habe, ohne triftigen Grund, in ihren Augen. Trotz hervorragender Leistungen und der Aussicht auf einen Job bei den Vereinten Nationen. Ich hätte viel Geld verdient, regelmäßig noch dazu, doch was das Ausschlaggebende gewesen wäre: Sie hätte stolz auf mich sein können. Auf ihr Mädel, das es, wie sie, geschafft hatte. Aber leider oder Gott sei´s gedankt war es beim Konjunktiv geblieben: Sie hätte stolz sein können! Ein Lehrsatz wie aus einem Standardwerk Deutsch für Ausländer. Stattdessen habe ich der Welt des geschliffenen Wortes und damit auch Mutter den Rücken gekehrt und das gemacht, was schon immer mein Traum gewesen war: Ich hatte bei einem Freund in England eine Ausbildung als Interior Decorator und Upholsterer gemacht. Was für eine brotlose Kunst!

Und als an diesem Sonntagvormittag das Telefon klingelte und Wolf mir den Hörer reichte und mit hochgezogenen Augenbrauen stumm die Worte »Lilli Sternberg« formte, wusste ich, dass etwas Schlimmes passiert sein musste.

Das Schweigen zwischen meiner Mutter und mir dauerte nun schon zehn Jahre und unser Verhältnis, wenn man es denn noch als ein solches bezeichnen konnte, war auf je zwei Postkarten pro Jahr geschrumpft: eine zu unseren Geburtstagen und eine zu Weihnachten. Wir tauschten diese Karten jedes Jahr und in stummer Sturheit aus, und da wir beide demselben Sternzeichen angehören, das für seine Ausdauer bekannt ist, hatte ich manchmal die Vorstellung, wir würden auch nach unserem Tod noch Grußkarten austauschen.

Wolf hielt mir immer noch gestikulierend den Hörer hin und rollte mit den Augen, bis ich mich überwand, danach zu greifen.

»Hallo? Wer spricht denn da?«, hörte ich mich selbst sagen, absurderweise. Ich hielt den Hörer fest umklammert, und als mir ein barsches »Nun tu doch nicht so gschamig« entgegenbellte, wusste ich, dass sie es wirklich war. Ich hielt den Atem an, trotz allem ungläubig, ihre Stimme zu hören, die noch rauer, noch krächzender geworden war, eine richtige Raucherstimme, ein weiblicher Joe Cocker. Einen kurzen Augenblick lang lauschten wir beide dem summenden Schweigen in der Leitung, und als täte ihr der harsche Auftakt plötzlich leid, fragte sie: »Wie geht´s dir?«

Ich straffte die Schultern und wandte mich abrupt um, weg von Wolfs forschendem Blick, von der Besorgnis, die er ausstrahlte. Ich räusperte mich und antwortete mit fester Stimme: »Es geht uns gut. Danke.« Und eine Weile später, als ich die Stille nicht mehr aushielt, fragte ich: »Und dir? Bist du krank?«

Ich hörte sie schnauben, doch ihre Antwort klang überraschend milde, was mir mehr Sorgen machte, als wenn sie mich angeherrscht hätte.

»Es ist so: Ich muss mit dir über etwas sprechen.«

Ich zögerte. Mutter war nicht der Typ, der um den heißen Brei herumredete. Was ich oft bedauert hatte, denn ihre Direktheit war verletzend und ein bisschen mehr Diplomatie hätte ihr gut zu Gesicht gestanden. Was also konnte so wichtig sein, dass meine starrköpfige Mutter ihr über Jahre gehegtes Schweigen nun brach?

Sie sagte: »Es ist wichtig.«

»Na ... dann ... Ich hab Zeit. Du kannst sprechen.«

Sie schnaubte wieder und fuhr mich an: »Nicht am Telefon! Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss ... und zeigen.«

Ich überlegte. Was sollte das denn bedeuten? Wollte sie mich besuchen kommen? Mich mit Wolf unter die Lupe nehmen und womöglich feststellen, dass ...

»Es wäre das Beste, wenn du kämst«, schnitt sie meine Überlegungen ab.

»Na ja ...« Ich versuchte Zeit zu gewinnen. Im Moment war es schwer, hier alles stehen und liegen zu lassen. In der kommenden Woche konnte ich auf keinen Fall hier weg, denn ich musste den Fliesenlegern, die im Haus eines meiner Kunden arbeiteten, hin und wieder eine Stippvisite abstatten. Also sagte ich: »In einer Woche. Vorher geht´s auf keinen Fall.«

Sie zögerte einen Moment, ehe sie mit etwas zittriger Stimme antwortete: »Also gut. Dann in einer Woche.«

Der Flieger kreiste über Schwechat, drehte nach Osten hin ab und landete in der Warteschleife. So hatte ich noch ein wenig Zeit nachzudenken. Durch den Nieselregen erkannte ich ein sumpfiges Gewässer, das ich früher nie gesehen hatte. Groß und grau und stumpf lag es da, umgeben von einem braunen Schilfgürtel, seltsam unberührt und wie herausgelöst aus der übrigen Landschaft, die aus Feldern und Siedlungen bestand. Als habe nie ein Mensch die Einsamkeit zu stören gewagt. Ich war nervös, ich hatte Lust zu rauchen, mich an etwas festzuhalten. Grübeleien kamen und gingen und irgendwann, vielleicht nach der dritten Schleife, nahm der Flieger wieder Kurs auf den Flughafen und wenig später, viel zu früh, spürte ich das Vibrieren der Räder auf Beton. Bald würde ich ihr gegenüberstehen.

Nach Oma Charlottes Tod war Mutter »ganz« nach Wien gegangen. Ganz bedeutete, dass sie Omas Haus in Lindau, in dem sie hin und wieder während ihrer Einsatzpausen gewohnt und Oma Gesellschaft geleistet hatte, an eine siebenköpfige Familie vermietet hatte. Das Ferienhaus an der ligurischen Küste hatte sie für ihren Gebrauch behalten. Ich dachte bedauernd daran, denn ich wäre gerne wieder einmal hingefahren.

Mutter war Dolmetscherin bei den Vereinten Nationen, ein mnemotechnisches Wunderkind, und ich wusste, dass man sie sogar jetzt noch, mit Mitte sechzig, hin und wieder holte. Denn das hatte neben dem obligatorischen wünscht dir Mutter auf der letzten Weihnachtskarte gestanden. Natürlich hatte sie es sich nicht verkneifen können, mir diese Nachricht zukommen zu lassen - und damit die Botschaft, dass sie immer noch »auf höchster Ebene« mitmischte.

Am Volkstheater verließ ich die U-Bahn und wartete oberirdisch auf die Straßenbahn. Wenn ich es recht in Erinnerung hatte, brauchte ich die Linie 19. Ich war die Einzige, die hier herumstand, und daraus schloss ich, dass ich sie gerade verpasst hatte. »Wie du die größte Chance deines Lebens verpasst hast«, hätte Mutter in ihrer pathetischen Art dazu sicher gesagt. Und hinzugefügt, dass ich ein schwieriges Kind gewesen sei.

Mir war kalt, aber vielleicht lag das an der Wiedersehensangst. Im Volkstheater waren schon die Lichter an. Eine Weile lang stand ich mit hochgezogenen Schultern herum und träumte mich in die Wärme. Und in die Sicherheit. Jetzt einfach so dasitzen und zwischen Unbekannten auf eine Bühne sehen dürfen.

»Du willst dein Leben damit verbringen, den Leuten zu sagen, wo sie ihre Sessel hinstellen sollen?«, hatte Mutter bleich, die Lippen ein Strich, herausgepresst, als ich ihr verkündete, was ich in Zukunft tun wollte. Und das war für Jahre der letzte Satz gewesen, den ich mir angehört hatte. In der Zeit, die darauf folgte, war es meine Großmutter Charlotte, die hin und wieder ein Wort über Mutter verlor, sodass ich zumindest wusste, dass sie noch lebte. In diesen Jahren schafften meine Mutter und ich es manchmal, uns nur ein paar Stunden voneinander getrennt die Klinke in Charlottes Haus in die Hand zu geben. Nachdem das Schweigen fünf Jahre gedauert hatte, war es Charlotte zu bunt geworden und sie hatte diese Stunden herausgeschnitten und uns, Mutter und mich, zeitgleich in ihr Haus gelockt. Dort war es dann zu einer Art zähneknirschenden Versöhnung gekommen, bei der keine von uns echte Einsicht zeigte und sich entschuldigte (wofür auch!). Und auf die Phase des verbissenen Schweigens war dann eine Phase der verbissenen Weihnachtsgrüße gefolgt, die irgendwann auch Geburtstagskarten einschloss. Das einzige Mal, das ich Mutter nach diesem unfreiwilligen Treffen in Oma Charlottes Haus wiedersah, war bei deren Beerdigung.

Meine Mutter hat mir nie verziehen, dass ich nicht die gleichen Träume habe, die...
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Kritik
» «Freies Wort 06.04.2011

Anja Jonuleit versteht es meisterhaft, den Leser zu packen und an das Buch zu fesseln.
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