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Ausflug mit Urne

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am25.08.2014
Ein lakonischer Roadtrip durch Finnland, bei dem hinter jeder Kurve etwas Unvorhergesehenes passiert.
Teemu und Janne, zwei ungleiche Brüder, machen sich mit der Asche ihres Stiefgroßvaters Jalmari auf den Weg ins ostfinnische Imatra. Dort soll der letzte Wille des Verstorbenen verkündet werden. Teemu, der als Versicherungsmathematiker arbeitet, und Janne, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, hoffen auf ein üppiges Erbe. Die Reise quer durch Finnland, auf der die Brüder die Lebensstationen Jalmaris abklappern, ist gleichzeitig eine Reise in ihre Vergangenheit. Zwischen den beiden flammen seit Langem schwelende Konflikte wieder auf, doch Schlägereien, schlechter Sex, verrückte Verwandte, bekiffte Tramper und schließlich die Liebe zu einer Frau machen den beiden deutlich, dass sie trotz allem im selben Boot sitzen.
Ein humorvoller und scharfsinniger Roman über geplatzte Illusionen, über das Älterwerden und darüber, wie unterschiedlich Menschen sein können, selbst wenn sie dieselben Eltern haben.

Roope Lipasti, geboren 1970, hat Literatur und Philosophie studiert und ist als Journalist und Kolumnist für große finnische Tageszeitungen und Magazine tätig. Er ist Autor von mehreren Kinderbüchern und erlangte mit seinem Blog 'Pihalla', in dem er satirisch den Alltag seiner Mitmenschen beschreibt, in Finnland große Popularität. Roope Lipasti lebt mit seiner Familie in Lieto, in der Nähe von Turku.
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Produkt

KlappentextEin lakonischer Roadtrip durch Finnland, bei dem hinter jeder Kurve etwas Unvorhergesehenes passiert.
Teemu und Janne, zwei ungleiche Brüder, machen sich mit der Asche ihres Stiefgroßvaters Jalmari auf den Weg ins ostfinnische Imatra. Dort soll der letzte Wille des Verstorbenen verkündet werden. Teemu, der als Versicherungsmathematiker arbeitet, und Janne, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, hoffen auf ein üppiges Erbe. Die Reise quer durch Finnland, auf der die Brüder die Lebensstationen Jalmaris abklappern, ist gleichzeitig eine Reise in ihre Vergangenheit. Zwischen den beiden flammen seit Langem schwelende Konflikte wieder auf, doch Schlägereien, schlechter Sex, verrückte Verwandte, bekiffte Tramper und schließlich die Liebe zu einer Frau machen den beiden deutlich, dass sie trotz allem im selben Boot sitzen.
Ein humorvoller und scharfsinniger Roman über geplatzte Illusionen, über das Älterwerden und darüber, wie unterschiedlich Menschen sein können, selbst wenn sie dieselben Eltern haben.

Roope Lipasti, geboren 1970, hat Literatur und Philosophie studiert und ist als Journalist und Kolumnist für große finnische Tageszeitungen und Magazine tätig. Er ist Autor von mehreren Kinderbüchern und erlangte mit seinem Blog 'Pihalla', in dem er satirisch den Alltag seiner Mitmenschen beschreibt, in Finnland große Popularität. Roope Lipasti lebt mit seiner Familie in Lieto, in der Nähe von Turku.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641140717
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum25.08.2014
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2067 Kbytes
Artikel-Nr.1444863
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


 

5

»Ihr Zivildienstleistenden seid aber sehr mordlustig«, sagte ich.

»Leiden zu beenden ist keine Gewalt«, entgegnete ­Janne. Er starrte vor sich hin, und ich ahnte, wie es in seinem Inneren aussah. Zu töten ist eine unangenehme Sache. Deshalb ist Hackfleisch eine gute Erfindung: Vakuumverpackt entstellt es das Schicksal der Tiere so sehr, dass man nicht dar­über nachdenken muss. Andernfalls würden viele Leute Vegetarier werden. Auch ich selbst könnte es in Erwägung ziehen, wenn vegetarisches Essen nicht so unglaublich schlecht wäre.

»Jetzt haben wir einen einzigen Luchs in unserem Leben gesehen, und auch den haben wir noch getötet«, sagte ich.

»Wir sind Menschen.«

Wir verfielen in Trübsinn. Das Schicksal des Luchses im Straßengraben stimmte uns eindeutig trauriger als das Jalmaris, wobei wir uns an Letzteres inzwischen gewöhnt hatten. Und vielleicht waren beide Schicksale auch irgendwie miteinander verknüpft: Der Tod ist immer gleich. Er bringt uns ins Grübeln.

Während seiner letzten Jahre hatte ich mich um Jalmari gekümmert - zumindest soweit es mir möglich war. Hauptsächlich besuchte ich ihn. Janne tat nicht einmal das. Er spekulierte: Je weniger man dem Mann hilft, desto eher stirbt er, und wir bekommen das Erbe. Sehr schnell ging es allerdings nicht. Der Alte war zäh, sodass Janne, knapp bei Kasse, schon allen Ernstes vorschlug, mit einem kleinen Schubser nachzuhelfen. Natürlich wechselte ich rasch das Thema. Es reicht, wenn es in der Familie ein graues Schaf gibt, wir brauchen keine zwei schwarzen. Außerdem ist das Leben des Menschen heilig. Sogar der verstockteste Massenmörder wird im Krankenhaus zusammengeflickt, damit man ihn anschließend ins Gefängnis stecken kann.

Ich weiß nicht, warum ich Jalmari überhaupt half, schließlich war er eine Art Fleisch gewordener Klotz am Bein. Ein bisschen so wie ein Fersensporn. Janne interpretierte die Sache so, dass ich, während ich mich um Jalmari kümmerte, einen Vorwand hätte, anderswo nicht genauer hinzusehen. Damit meinte er vor allem unseren Vater. Aber er irrte sich. Janne begriff nicht, dass man Dinge auch aus Gutherzigkeit tun konnte.

Jalmari faszinierte mich schon allein wegen seiner Lebenserfahrung. Wenn jemand zum richtigen Zeitpunkt geboren wird, erlebt er innerhalb eines Jahrhunderts mehr Veränderungen als frühere Generationen in tausend Jahren. Das haut einen irgendwie um: Allein während der Zeitspanne, die Jalmaris Leben umfasste, erfand der Mensch den Wäschetrockner, die Atombombe, die Mondrakete, das Internet, den Faschismus, den Helikopter, Möbel zum Zusammenbauen, die Verhütungspille, die Volksrente, die Rockmusik, das Radar, das Handy, Post-it-Aufkleber, die Klimaveränderung, Stringtangas und Nordic Walking. Die Welt, in die Jalmari hineingeboren wurde, war so anders als die, in der er starb, dass man hätte meinen können, Jalmaris Leben hätte sich auf zwei unterschiedlichen Planeten abgespielt. Somit ist es kein Wunder, dass es ihm noch zu Beginn des neuen Jahrtausends gelang, für sein Auto ­einen C-Kassettenrekorder anzuschaffen. Die Renault-­Werke mussten ihn extra aus Malaysia bestellen.

Und da hatte ich nun den Kassettenrekorder direkt vor mir; Jalmaris altes Auto war über Umwege bei Janne gelandet. Ich spielte an den Knöpfen des Rekorders herum und überlegte, ob er wohl funktionierte.

Ich fragte Janne nach Kassetten, er öffnete das Handschuhfach und holte die Bestände heraus. Die Kassetten erinnerten mich an die Schallplattenläden und Tankstellen unserer Kindheit. Trotz all ihrer Brüchigkeit waren die Kassetten haltbarer als jede nachfolgende Technologie. Ich lenkte mit der linken Hand, und mit der rechten zeigte ich auf Eini. Die Kassettenhülle war zerschrammt, aber Eini selbst hatte im Dunkel des Handschuhfachs seinen Glanz bewahrt.

Die Musik gefiel mir nicht. Der Schlager ist der Minerit der Musikwelt, Humppa für jene Menschen, die sich geistig zu Heizdecken hingezogen fühlen. Jalmari war von seinem Musikgeschmack her ein ausgeprägter Humppaliebhaber gewesen. Er hätte Mozart nicht erkannt, selbst wenn der neben ihm gewohnt hätte. Das Requiem wäre dann vermutlich nie komponiert worden, weil Wolfgang ständig nach Jalmaris Rollator hätte suchen müssen. Jalmari vergaß nämlich stets, wo er ihn abgestellt hatte, und glaubte dann, er sei gestohlen worden.

Nach Großmutters Tod lebte Jalmari noch fünf Jahre, und während dieser Zeit erfuhr ich nach und nach einiges über sein Leben. Im Allgemeinen machte er nur knappe Andeutungen, aber manchmal ließ er sich auch dazu hinreißen, ausführlicher zu erzählen. Von seiner Kindheit sprach er wenig, aber einmal, als wir in Turku an seinem Küchentisch saßen und im Radio Mauno Kuusisto sang, ­erzählte er, dass er um ein Haar gar nicht geboren worden wäre.

Dann folgte Schweigen. Ich wartete darauf, dass er weiterredete und ich mich nicht demütigen müsste, Interesse zu zeigen. Aber in Jalmaris Welt fielen keine Worte, wenn man nicht darum bettelte. Mauno Kuusisto war fertig. Es folgte der Seewetterbericht. Beim Bottnischen Meerbusen hielt ich es nicht mehr aus und ließ die Bemerkung fallen, dass wir ja alle geboren worden waren.

Jalmari schnaubte nur. Er anscheinend nicht. Dann entschloss er sich doch noch, weiterzuerzählen. Vielleicht begriff er, dass man als alter Mensch eine Geschichte sofort erzählen sollte, wenn sie einem in den Sinn kam, denn man konnte ja nie wissen, ob das am nächsten Tag auch noch der Fall sein würde. Aus demselben Grund sollte man als junger Mensch auch zuhören.

Jalmari erzählte, wie seine Mutter in der Nähe von Mikkeli vor einem Hinrichtungskommando der Weißen gestanden hatte und plötzlich der Befehl gekommen war, die Gefangenen nicht zu erschießen, weil ein Gerichtsprozess stattfinden würde. Die vorige Gruppe lag tot im Graben. Gliedmaßen kreuz und quer durcheinander, Blut, Därme, Scheiße. Einer lebte sogar noch. Der Geruch war furchtbar, erzählte Jalmari. Der Geruch des Todes, der Geruch der Angst. Die Leute weinten, einer weinte nicht einmal mehr, sondern hatte sich seinem Schicksal ergeben und wartete nur noch darauf, dass eine Kugel alledem ein Ende machte. Es nieselte, aber die Leute froren nicht wegen des Wetters, sondern wegen der menschlichen Kälte. Nicht einmal mehr der Hass wärmte.

Und gerade da, als alle Hoffnung verloren war, erschien ein Reiter. Jalmaris Gesicht hellte sich auf, als er davon erzählte. Der Reiter war wie ein hoher Offizier gekleidet und trug ein Schwert an der Seite. Sein Pferd war stolz und prächtig. Kein finnisches Pferd, sondern eine ganz andere Rasse. Der Offizier saß sehr aufrecht, und sein Blick war fest. Sein Erscheinen veranlasste das ganze Erschießungskommando, automatisch Haltung anzunehmen. Einer der Soldaten schlug die Stiefel gegeneinander, um den gröbsten Dreck zu entfernen. Ein zweiter war so aufgeregt, dass sich versehentlich ein Schuss aus seinem Gewehr löste und einen der Gefangenen ins Bein traf; dieser starb später, da sich das Bein entzündete.

Der Reiter grüßte und winkte den Gruppenführer zu sich. Er sagte etwas, und der Gruppenführer runzelte die Stirn, so, als wäre er nicht zufrieden mit dem, was er hörte. Jalmaris Mutter sah eine Krähe am grauen Himmel schweben, offenbar ziellos. Später erinnerte sie sich an dieses Bild, an die Krähe, die ihr wie der Mensch oder die ganze Menschheit auf Flügeln vorgekommen war. Profil- und orientierungslos.

Der Reiter war Carl Gustav Mannerheim, es war der Mai 1918, und Jalmaris Mutter kam ungeschoren davon. Jalmari wurde im Juni geboren und blieb am Leben. Jal­mari betonte, dass seine Mutter ihr Überleben zwei Männern zu verdanken hatte: Mannerheim und ihm. Weil sie schwanger war, schickte man sie ins Krankenhaus, sie bekam zu essen und blieb von Krankheiten verschont. Glück gehörte allerdings auch dazu, denn Barmherzigkeit stand zu jener Zeit nicht hoch im Kurs. Für einen Balg der Roten gab es kein Mitleid, aber einer der Wärter des Lagers war ein Bekannter, und mit seiner Hilfe konnte die Mutter schließlich nach Hause zurückkehren. Vielleicht wirkte sich auch aus, dass der General persönlich sie und die anderen begnadigt und dadurch die größte Lust am Töten erstickt hatte.

Als die Mutter schließlich Jalmari nach Hause trug, warteten dort vier ältere Geschwister, die vor Hunger halb tot waren, der Vater war im Winter gestorben. Die Nachbarn hatten geholfen, aber auch sie konnten nicht viel geben. Die Zeiten waren grausam.

Das Hinrichtungskommando stellte keine Bedrohung mehr dar, doch jetzt mussten sie den Hunger fürchten. Die Brüste der Mutter waren leer, also stand Jalmaris Über­leben erneut auf der Kippe. Irgendwo trieb die Mutter Ziegenmilch, Kuhmilch oder Zuckerwasser auf. »Ich war ein Kümmerling, aber am Leben. So ein Volksaufstand konnte mich nicht umbringen«, sagte Jalmari selbstzufrieden.

Und ihn brachte tatsächlich gar nichts um. Er sog alle Nahrung auf, die er bekommen konnte, und hielt sich zäh am Leben. Er lernte laufen, später dann arbeiten, und als er für sich selbst sorgen konnte, machte er die Tür des Elternhauses hinter sich zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er war zehn Jahre alt, und seine Mutter war noch immer nicht imstande, die Familie zu ernähren. Die älteren Geschwister taten ihr Möglichstes, aber bald schon hatte Jalmari noch drei jüngere Brüder, sodass er es für das Beste hielt, im gemeinsamen Bett Platz zu machen.

Ich dachte an meinen eigenen zehnten Geburtstag. Ich bekam ein Rennrad mit fünf Gängen, das einen gebogenen Lenker hatte und schneller war als der Wind. In Moskau...

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Autor

Roope Lipasti, geboren 1970, hat Literatur und Philosophie studiert und ist als Journalist und Kolumnist für große finnische Tageszeitungen und Magazine tätig. Er ist Autor von mehreren Kinderbüchern und erlangte mit seinem Blog "Pihalla", in dem er satirisch den Alltag seiner Mitmenschen beschreibt, in Finnland große Popularität. Roope Lipasti lebt mit seiner Familie in Lieto, in der Nähe von Turku.
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Lipasti, Roope