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Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am06.06.20141. Auflage
Das Thema einer »deutschen Kultur« durchzieht das gesamte Werk von Thomas Mann und nimmt darin eine Schlüsselstellung ein. Dennoch fehlte bis heute eine umfassende systematische Untersuchung. Philipp Gut hat sie nun vorgelegt. In seiner brillanten Studie analysiert er Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur vom Frühwerk bis zu den letzten Texten. Er kontrastiert den Kulturbegriff mit den Gegenbegriffen »Barbarei« und »Zivilisation« und arbeitet den Wandel heraus, dem Manns Denken in dieser Frage unterliegt. Neben den explizit politischen Texten stehen besonders die literarischen Texte im Zentrum der Untersuchung. Damit gelingt Philipp Gut eine neue Sicht auf den politischen Thomas Mann, der die Problematik der deutschen Kultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer ganzen Ambivalenz reflektiert hat. »Philipp Gut ist ein glänzender Formulierer, bei aller Bewunderung auch nicht unkritisch gegenüber seinem Gegenstand, und er verfügt in großer Souveränität über seinen Stoff.« Tages-Anzeiger »... die wohl anregendste Studie zum politischen Thomas Mann.« Hans Rudolf Vaget

Philipp Gut, geb. 1971, studierte Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich. Nach vierjähriger Assistenz am dortigen Historischen Seminar war er Redakteur beim Tages-Anzeiger. Heute ist er Redakteur der Weltwoche in Zürich. Für »Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur« erhielt er den Förderpreis der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft 2007.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR24,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR19,99

Produkt

KlappentextDas Thema einer »deutschen Kultur« durchzieht das gesamte Werk von Thomas Mann und nimmt darin eine Schlüsselstellung ein. Dennoch fehlte bis heute eine umfassende systematische Untersuchung. Philipp Gut hat sie nun vorgelegt. In seiner brillanten Studie analysiert er Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur vom Frühwerk bis zu den letzten Texten. Er kontrastiert den Kulturbegriff mit den Gegenbegriffen »Barbarei« und »Zivilisation« und arbeitet den Wandel heraus, dem Manns Denken in dieser Frage unterliegt. Neben den explizit politischen Texten stehen besonders die literarischen Texte im Zentrum der Untersuchung. Damit gelingt Philipp Gut eine neue Sicht auf den politischen Thomas Mann, der die Problematik der deutschen Kultur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer ganzen Ambivalenz reflektiert hat. »Philipp Gut ist ein glänzender Formulierer, bei aller Bewunderung auch nicht unkritisch gegenüber seinem Gegenstand, und er verfügt in großer Souveränität über seinen Stoff.« Tages-Anzeiger »... die wohl anregendste Studie zum politischen Thomas Mann.« Hans Rudolf Vaget

Philipp Gut, geb. 1971, studierte Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich. Nach vierjähriger Assistenz am dortigen Historischen Seminar war er Redakteur beim Tages-Anzeiger. Heute ist er Redakteur der Weltwoche in Zürich. Für »Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur« erhielt er den Förderpreis der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft 2007.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105690017
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum06.06.2014
Auflage1. Auflage
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse991 Kbytes
Artikel-Nr.1449104
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil I: Kultur vs. Zivilisation (1909-1933)

1 Der ästhetische Ursprung des Gegensatzes von Kultur und Zivilisation in Geist und Kunst (1909)


1.1 Grundzüge und Kontext: Décadence, Zivilisationskritik und ästhetische Moderne um 1900



1.1.1 Kultur und Politik im Deutschen Kaiserreich (1871-1918)

Mit der Ausrufung Wilhelms I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 kam ein spektakulärer Prozess zum Abschluss. In wenigen Jahren war es Kanzler Otto von Bismarck gelungen, die europäischen Machtverhältnisse zu verändern und einen deutschen Nationalstaat zu schaffen, der das internationale Gleichgewicht erst nach der Entlassung seines Gründers im Jahr 1890 massiv zu gefährden begann. Der junge Kaiser Wilhelm II. setzte auf eine imperiale Weltpolitik und führte das Reich in eine Isolation, deren Folgen sich nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo offenbarten. Aufgrund der einseitigen Ausrichtung des Reichs auf die Habsburgermonarchie und des verwickelten internationalen Bündnissystems mündete die Krise auf dem Balkan in den Ersten Weltkrieg, der 1918 nicht nur mit einer deutschen Niederlage, sondern auch mit dem Zusammenbruch der Hohenzollern-Herrschaft endete.

Im Innern war das Reich durch eine eigentümliche »Schwebelage« zwischen Obrigkeitsstaat und Demokratie gekennzeichnet.[23] Zwar war der Kanzler nicht dem Parlament, sondern dem Kaiser gegenüber verantwortlich, aber dank der Gesetzes- und Haushaltshoheit von Bundesrat und Reichstag, zu dem ein uneingeschränktes Wahlrecht für Männer bestand, blieb er vom Parlament abhängig. Das Deutsche Reich war ein Rechtsstaat, doch bestimmten die alten Eliten die Justiz- und Verwaltungspraxis. Für die aufstrebende Schicht des Bürgertums gab es wenig politischen Spielraum. Nach der Erfüllung der nationalen Wünsche von oben zog sich insbesondere das Bildungsbürgertum weitgehend aus der Politik zurück - ein Zustand, für den Thomas Mann die Formel einer »machtgeschützten Innerlichkeit« prägte. (Leiden und Größe Richard Wagners [1933], IX, 419)[24]

Damit gerät das Verhältnis von Politik und Kultur in den Blick, in dem der Historiker Thomas Nipperdey einen Schlüssel für das Verständnis der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sieht.[25] Eine tragende Rolle spielte die Figur des unpolitischen Deutschen, die in Mann ihren herausragenden Protagonisten und bedeutendsten Kritiker zugleich fand. Die Betrachtungen eines Unpolitischen von 1918 sind Ausdruck und Abgesang einer bürgerlichen Tradition, die Kultur und Bildung in einen Gegensatz zur Politik brachte, mit emphatischer Präferenz für die unpolitische Sphäre der Kultur - und mit politischen Folgen. »Eine behütete Provinz jenseits der Politik konnte es nicht auf Dauer geben, hier wuchs das Potenzial, das dem Sog totaler und antihumaner Politik nicht widerstehen konnte«, schreibt Nipperdey am Ende des ersten Bandes seiner Deutschen Geschichte 1866-1918.[26] Das entspricht der Einsicht, die Mann nach dem Ersten Weltkrieg zu einer kritischen Revision der deutschen Kulturidee veranlasste.

Schon Friedrich Schiller hatte 1797, ernüchtert durch den Verlauf der Französischen Revolution und die politische Ohnmacht seiner zersplitterten Heimat, die deutsche Größe in die »Kultur« verlegt und behauptet, sie bleibe von den »politischen Schicksalen« der Nation unabhängig.[27] Diese Hochschätzung der Kultur entsprang einerseits historischen Enttäuschungen. Andererseits setzt sie den funktionalen Ausdifferenzierungsprozess der Moderne voraus: In den Ideenhimmel konnte die Kultur erst aufsteigen, nachdem sie ein eigenständiger Bereich der Gesellschaft geworden war und sich von ihrer Funktion im Dienst der Religion befreit hatte. Am Ende des 18. Jahrhunderts machte sich ein neues kulturelles Selbstbewusstsein breit, wie es Johann Wolfgang Goethe im neunten Kapitel seiner Zahmen Xenien ausdrückt: »Wer Wissenschaft und Kunst besitzt, / Hat auch Religion; / Wer jene beiden nicht besitzt, / Der habe Religion.«[28]

Als Kunstreligion konnte der ästhetische Kernbereich der Kultur kompensatorisch an die Stelle der eigentlichen Religion treten; die an die Kunst gerichteten Ansprüche wuchsen buchstäblich ins Unendliche. Verschiedene Denker in Deutschland, die ein Unbehagen in der Moderne verspürten, betrachteten sie als Heil- und Erlösungsmittel. Friedrich Nietzsche sprach im Vorwort an Richard Wagner, das er seiner Geburt der Tragödie (1872) voranstellte, von der Kunst als der »höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Thätigkeit« des Lebens.[29] Mit dem Werk des Musikdramatikers verband der Philosoph die Hoffnung auf die Wiedergeburt einer »tragischen« Kultur, die der oberflächlichen Gegenwart »Tiefe« verleihen sollte.[30]



1.1.2 Die großen Anreger einer deutschen Kultur: Wagner und Nietzsche

Von Wagner und Nietzsche gingen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidende Impulse für die Idee einer deutschen Kultur aus, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein wirkten. Die intellektuelle Biographie Thomas Manns ist ein Beispiel für diese Wirkung, bei der es nicht nur um die Pflege der Tradition, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen und Problemen ging - vom Fin de Siècle bis zu Hitler.[31]

Einflussreich wurden Nietzsche und Wagner durch ihre Utopie, einen neuen Mythos aus dem Geist der Musik zu stiften,[32] aber auch durch ihren Ansatz. Beide verbanden das Ideal einer erneuerten deutschen Kultur mit einer Kritik der Gegenwart, die sie als kraftlos und verflacht ansahen. Bei Nietzsche nahm diese Kritik eine Wende gegen die positivistische Gelehrsamkeit, gegen das Anhäufen von totem Wissen im Historismus, gegen Fortschrittszufriedenheit und das selbstherrliche Ausruhen auf den Lorbeeren des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71, von dessen siegreichem Ausgang er befürchtete, er könnte sich »in die Niederlage, ja Exstirpation des deutschen Geistes zu Gunsten des deutschen Reiches « verwandeln.[33] Nietzsche war enttäuscht von der im Krieg errungenen Reichsgründung, weil sie nicht jene Auffrischung der Kultur brachte, die er - alles andere als ein Pazifist - vom »militärischen Genius« erhofft hatte.[34] Er war überzeugt, »dass eine solche hoch cultivirte und daher nothwendig matte Menschheit, wie die der jetzigen Europäer, nicht nur der Kriege, sondern der grössten und furchtbarsten Kriege - also zeitweiliger Rückfälle in die Barbarei - bedarf, um nicht an den Mitteln der Cultur ihre Cultur und ihr Dasein selber einzubüssen«.[35]

Die Vorstellung einer kulturerneuernden Wirkung des Kriegs, die sich schon beim vorsokratischen Philosophen Heraklit und seinem Wort vom Krieg als Vater aller Dinge findet, hängt unmittelbar mit Nietzsches kulturdiagnostischem Gegensatzpaar des Apollinischen und des Dionysischen zusammen. Hinter Nietzsches bellizistischen Ansichten steht ein Kulturmodell, das er zunächst in ästhetischem Kontext zur Deutung der griechischen Tragödie entwickelt hatte.[36] In der grundlegenden Frühschrift Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1872) ist die »Duplicität des Apollinischen und des Dionysischen« der Schlüssel, um das - wie es Rüdiger Safranski pointiert - »Betriebsgeheimnis der Kultur« zu verstehen.[37] Das dionysische Prinzip ist die eigentliche Lebensmacht, ähnlich dem »Willen« Schopenhauers[38], schöpferisch, rauschhaft, entgrenzend, heillos und grausam. Der Name Apollos dagegen steht für die Sublimierung der dionysischen Energien, für Form, Maß, Klarheit und das principium individuationis. In diesem Spannungsfeld verortet Nietzsche die Kultur: Sie lebt von der dionysischen Grundsubstanz, muss sich aber gleichzeitig von ihr abgrenzen, um nicht im orgiastischen Chaos unterzugehen. Umgekehrt ist die Kultur in ihrer schöpferischen Potenz und damit in ihrer Lebenskraft gefährdet, wenn sie den Bezug zu ihrem dionysischen Grund verliert.

Von hier aus wird ersichtlich, warum für Nietzsche die Denkfigur eines Rückfalls in die Barbarei so wichtig wurde: Sie sollte der Wiederbelebung einer saftlosen Kultur dienen, die zwar viel wissen mochte, aber nichts mehr schuf. Mit dieser Position, die ihren emphatischen Kulturbegriff aus radikaler Kulturkritik gewann, beeinflusste Nietzsche das Denken einer ganzen Generation. Mit ungeheurem Erfolg popularisiert wurde sein Ansatz durch Julius Langbehns Rembrandt als Erzieher (1890), einen kulturkritischen Bestseller, der es in zwei Jahren auf neununddreißig Auflagen brachte. Wie Fritz Stern in seiner Untersuchung über den Kulturpessimismus als politische Gefahr...



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Autor

Philipp Gut, geb. 1971, studierte Geschichte, Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Philosophie an der Universität Zürich. Nach vierjähriger Assistenz am dortigen Historischen Seminar war er Redakteur beim Tages-Anzeiger. Heute ist er Redakteur der Weltwoche in Zürich. Für »Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur« erhielt er den Förderpreis der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft 2007.