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Hätte, hätte, Fahrradkette

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am24.10.20141. Auflage
Die Welt ist verdammt unübersichtlich: Haben wir die Wahl zwischen 26 Sorten Marmelade, kaufen wir Honig. Suchen wir nach Gründen für unsere Entscheidung, sind wir unzufrieden mit ihr. Aber Leben ist entscheiden. In jeder Sekunde. Florian Schroeder will lernen, Entscheidungen zu fällen. Und beschäftigt sich ganz nebenbei mit den großen Fragen der Menschheit: Entscheiden wir überhaupt selbst? Oder tut es unser Bauch? Ist vielleicht doch unser Kopf der Entscheidungsträger? Das Hirn? Und was machen dann die mit Kopf, aber ohne Hirn?

Florian Schroeder (Jahrgang 1979) hat Germanistik und Philosophie studiert. Schon zu Studienzeiten begann er seine Bühnenkarriere als Kabarettist und Parodist, sammelte Erfahrungen als Radio- und Fernsehmoderator und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Heute brilliert er mit seinen Bühnenprogrammen, im Juli 2017 steht er zusammen mit Ex-Finanzminister Peer Steinbrück für eine «Satireshow spezial - Florian Schroeder wählt... Peer Steinbrück» auf der Bühne. Ab Herbst 2017 ist er mit seinem neuen Programm «Ausnahmezustand» auf Tour. Er ist Gastgeber der «radioeins Satireshow» und der «hr-Satire Lounge» und moderiert die SWR Kabarettsendung «Spätschicht». Seit 2015 bloggt er für «Psychologie heute«. «Frauen. Fast eine Liebeserklärung» ist nach «Offen für alles und nicht ganz dicht» und «Hätte, hätte, Fahrradkette» sein drittes Buch im Rowohlt Verlag.
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Produkt

KlappentextDie Welt ist verdammt unübersichtlich: Haben wir die Wahl zwischen 26 Sorten Marmelade, kaufen wir Honig. Suchen wir nach Gründen für unsere Entscheidung, sind wir unzufrieden mit ihr. Aber Leben ist entscheiden. In jeder Sekunde. Florian Schroeder will lernen, Entscheidungen zu fällen. Und beschäftigt sich ganz nebenbei mit den großen Fragen der Menschheit: Entscheiden wir überhaupt selbst? Oder tut es unser Bauch? Ist vielleicht doch unser Kopf der Entscheidungsträger? Das Hirn? Und was machen dann die mit Kopf, aber ohne Hirn?

Florian Schroeder (Jahrgang 1979) hat Germanistik und Philosophie studiert. Schon zu Studienzeiten begann er seine Bühnenkarriere als Kabarettist und Parodist, sammelte Erfahrungen als Radio- und Fernsehmoderator und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Heute brilliert er mit seinen Bühnenprogrammen, im Juli 2017 steht er zusammen mit Ex-Finanzminister Peer Steinbrück für eine «Satireshow spezial - Florian Schroeder wählt... Peer Steinbrück» auf der Bühne. Ab Herbst 2017 ist er mit seinem neuen Programm «Ausnahmezustand» auf Tour. Er ist Gastgeber der «radioeins Satireshow» und der «hr-Satire Lounge» und moderiert die SWR Kabarettsendung «Spätschicht». Seit 2015 bloggt er für «Psychologie heute«. «Frauen. Fast eine Liebeserklärung» ist nach «Offen für alles und nicht ganz dicht» und «Hätte, hätte, Fahrradkette» sein drittes Buch im Rowohlt Verlag.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644538917
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum24.10.2014
Auflage1. Auflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3755 Kbytes
Artikel-Nr.1468333
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorwort

«Nur wer alle Optionen kennt, kann optimale Entscheidungen treffen!»

Das Haus, das meiner Wohnung gegenüberliegt und eine Weile leer stand, ist wieder bezogen worden. Eine hippe Internet-Werbeagentur ist der neue Mieter. Der Claim der Firma heißt «Nur wer alle Optionen kennt, kann optimale Entscheidungen treffen». Auf der Homepage der Firma steht er unter «Philosophie».

Es handelt sich hier um einen Mobilatsatz. Er muss einwirken. Ich nehme mir vor, ihn nicht gleich in die Tonne der dummdreisten 08/15-Slogans zu kloppen, sondern ihn wie ein Brause-Bonmot auf der Zunge der Aphorismen zergehen zu lassen. Es gibt diese Momente, in denen ein Satz, eine Formulierung einen Punkt trifft. Der Moment, in dem das Lächerlichste, Übersehenswürdigste vielleicht die eigene Zukunft bestimmen wird. «Nur wer alle Optionen kennt, kann optimale Entscheidungen treffen ...» Der Satz hallt nach: Ausreichend Optionen habe ich; oft mehr, als mir recht sind. Und entscheiden kann ich mich oft trotzdem nicht. Ich gehöre zur schorlifizierten HUGO-Generation. Von allem etwas, aber nichts richtig. Ausgehen oder zu Hause bleiben, Sex oder Liebe, Orangen- oder Apfelsaft? Andauernd fühle ich mich überfordert, hadere, zaudere und scheitere an den kleinen Fragen des Alltags - und laufe durchs Leben wie ein Hamster in seinem Rad. Am Ende kaufe ich eine Rhabarbersaftschorle und fühle mich schlecht. Will ich in den Urlaub fahren, weiß ich zwar sehr zielsicher, wohin ich nicht will: in die Berge, dahin, wo´s kalt ist, und in die Berge, in denen es kalt ist. Daraus lässt sich geschwind ableiten, was ich will: alles, wo man wenig anhaben muss. Aber sobald es um die Wahl der Unterkunft geht, ist meine Entschiedenheit dahin, wie ein Feuer unter einem feuchten Handtuch. Die Frage «Appartement oder Hotel» bekommt schnell die Qualität höherer Mathematik. Sobald ich mich grundsätzlich entschieden habe, bin ich schon mit einer Hand im Internet, während die andere noch immer voller Zweifel zittert. Wer mich loswerden will, muss mich nur auf eines der unzähligen Vergleichsportale loslassen. Für Tage bin ich verschollen, gefangen zwischen Preisen, Sternen und Qualitäten unterschiedlicher Unterkünfte. Mehrere Wochen widme ich mich den sprachlich hingerotzten, von chronischem Legasthenie-Schimmelpilz befallenen Kommentaren der Nutzer, die das Mobiliar vor Ort womöglich so hinterlassen haben, wie sie hier schreiben: vollgekotzt und zugeschissen. Wenn ich sehe, dass das privat reisende Swingerpärchen «Knuddelknautschzone69» aus Bad Oldesloe mein erwähltes Appartement negativ bewertet hat («In der Dusche war kaine Badevanne!»), will ich da schon nicht mehr hin. Eine Spur Selbstverachtung mischt sich dann schnell in mein Tun, schließlich verachte ich Menschen, die im Internet schlecht gelaunt und frei von Takt und Ton irgendetwas kommentieren, so sehr wie sonst nur Leute, die Pilze am Wegesrand mit dem Spazierstock zertrümmern. Und jetzt lese ich freiwillig, was diese Leute schreiben, lasse mich von ihnen leiten, spreche ihnen Kompetenz und Autorität zu? Das ganze Unterfangen ist so heuchlerisch wie ein Sparkassendirektor, der sein eigenes Geld in Liechtenstein bunkert. Ich tue das alles nur, weil ich mich nicht entscheiden kann. Und warum kann ich das nicht? Wahrscheinlich, weil ich stets das Beste will.

«Nur wer alle Optionen kennt, kann optimale Entscheidungen treffen.» Wollen wir wirklich alle Optionen kennen? Und können wir uns darum besser entscheiden? Das Leben als permanente Pro-und-Contra-Liste? Eher nicht. Psychologen haben herausgefunden, dass die Depressionsrate dort am höchsten ist, wo die Freiheit am größten ist. Ist Pjöngjang am Ende doch das bessere New York?

Ist das auch der Grund, warum wir uns von der Politik, ohne mit der Wimper zu zucken, vorschreiben lassen, wie wir zu leben haben, was gut ist und was schlecht? Rauch- und Trinkverbote, Lebensmittel-Ampeln in Supermärkten, Tempolimits offline (auf Straßen) und online (sobald ich es wage, die Grenzen meines Heimatlandes zu verlassen und mir, kaum über die Grenze spaziert, für ein Schweinegeld einen Roaming-Pass zulegen muss, der angeblich einen Tag gilt, aber nach einem Besuch bei Spiegel Online irgendwie schon wieder aufgebraucht ist). Der Weg zum Eingang in die selbstverschuldete Unmündigkeit ist gedrosselt, beschränkt und ausgeschildert. Lethargisch lassen wir uns leiten und sind froh, wenn es Leute gibt, die uns eine Entscheidung abnehmen. Auch wenn es «die da oben» sind, die wir eigentlich verachten. Vor lauter Möglichkeiten sehen wir die Wirklichkeit nicht mehr.

Ich beschließe an diesem kalten Morgen: Ich werde an mir selbst und an allen, die ich kenne, überprüfen, ob dieser Satz stimmt: «Nur wer alle Optionen kennt, kann optimale Entscheidungen treffen.» Ich werde jeden Winkel des Lebens ausleuchten: vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, vom Einkauf über den Arztbesuch bis zur großen Politik. Kaufen oder mieten? Geld oder Liebe? Kopf oder Zahl? Wie entscheiden wir? Mit dem Bauch? Oder doch für den Arsch? Ich betreibe fortan Seelen-Feng-Shui: Alles wird neu ein- und wieder ausgerichtet, irgendwie Richtung Fenster. (Schwierig ist das nur, wenn man mit seinem Ich in einer WG im Souterrain lebt. Dann ist man im inneren Pjöngjang angekommen. Ich muss nur lernen, damit klarzukommen.) Und das heißt im ersten Schritt: nie mehr Jein, nie mehr Rhabarbersaftschorle, nie mehr zwischen allen Stühlen, sondern einfach auch mal Platz nehmen und einen Zitronensaft trinken. Frisch gepresst.

Mein morgendliches Ritual ist das Radio. Richtig schöner kulturloser Dudelquasselfunk mit vielen Gewinnspielen und ab und zu ein paar leichtverdaulichen Infohäppchen, damit ich weiß, welche Sau heute durchs Dorf gejagt wird, um später im Mittagsmagazin geschlachtet, in den Tagesthemen verspeist und morgen früh in den Zeitungen noch einmal halbverdaut in die Dorfkloake geklatscht zu werden. Längere Gespräche mit Vizefraktionsvorsitzenden aus der Politgockel-Legebatterie ertrage ich um diese Zeit nur unter Schmerzen. Ich frage mich: War das Radioeinschalten ausgerechnet dieses Senders schon eine Entscheidung, oder lasse ich diese Sitte einfach so halbzufrieden laufen wie andere Leute ihre Ehe? Zu meiner Eigenerbauung beschließe ich, dass es sich hier um eine Entscheidung handelt, und zwar eine ganz bewusste.

Warum muss ich überhaupt optimale Entscheidungen treffen, denke ich so vor mich hin. Ist fürs Erste nicht mehr gewonnen, wenn ich mich überhaupt einmal entscheide? Woher kommt diese Sehnsucht nach dem Optimum? Was löst es aus? Bessere Entscheidungen oder doch eher Angst vor Entscheidungen?

Während ich so dasitze, serviert mir das Radio den Song «Echt» von Glasperlenspiel, der neuen Band von Hermann Hesse, dem alten Narziss. Aus Langeweile höre ich zum ersten Mal auf den Text dieses Songs: «Ich erwart´ nicht viel von diesem Moment. Ich will, dass er perfekt ist, dass er echt ist.»

Ich muss spontan an die Internetwerber denken: Wer einen perfekten Moment will, muss zuvor eine optimale Entscheidung treffen. Ob Glasperlenspiel den Jungs ihren Claim verpasst haben? Vielleicht stecken die unter einer Decke. Ich bin kurz vor dem Entwurf einer Weltverschwörungstheorie. Aber Verschwörungstheoretiker müssen auch Vizefraktionsvorsitzende im Radio ertragen. Darum verbiete ich mir diese Idee und denke weiter auf Glasperlenspiel herum: Dass ich von einem Moment nicht viel außer Perfektion erwarte, ist - vorsichtig ausgedrückt - ein Widerspruch, der argumentationslogisch zum Himmel schreit. Das ist so, wie wenn ein Fußballspieler sagt: Wir erwarten von dieser Begegnung nichts, nicht einmal Tore - nur den Sieg. Wenn ich Perfektion erwarte, erwarte ich schon sehr viel - möglicherweise zu viel. Als Mann kann ich ein Dudelfunklied davon singen: Will ich meiner Freundin den absolut perfekten Abend mit 4-Gänge-Menü, Kerzenschein, Kamin und Kerzen im Kamin bescheren, ist die Gefahr recht groß, dass gerade die Erwartung die Stimmung tötet. Große Erwartungen und große Enttäuschungen sind Nachbarn in der monokulturellen Hausgemeinschaft der Optimierung.

Dennoch ist es das große Ziel heute: Optimale Entscheidungen treffen, um ein perfektes Leben zu führen. Aber optimale Entscheidungen haben einen Haken: Es finden sich immer Gründe, warum sie noch nicht ganz optimal waren. Das Optimum ist ein Wert, dem man sich zwar annähern, ihn aber nie erreichen kann. Das Optimum ist die Fata Morgana unter den Entscheidungen, in ihm wohnt die Melancholie des Vollendeten, das sich immer entzieht. Das bringt mich in den Kreislauf der Optimierung: Ich muss mich mit jeder Entscheidung weiter optimieren, um noch optimalere Entscheidungen zu treffen und immer so weiter. Optimierung ist das Heroin des Perfektionsjunkies.

Während ich so versonnen auf den Rosinen meines Müslis herumkaue, höre ich die Glasperlenspiel-Zeile zum vierten Mal: «Ich erwart´ nicht viel von diesem Moment. Ich will, dass er perfekt ist, dass er echt ist.» Der zweite Widerspruch ist der Anspruch an Echtheit: Das Perfekte ist selten echt und das Echte selten perfekt. Perfekte, makellos schöne Frauen haben zumeist ja alles Echte verloren. Sie sind im schlimmsten Falle künstlich, im besten einfach nur glatt. Charakter dagegen, Ausstrahlung, speist sich aus dem Unperfekten: aus Brüchen und Wunden, aus Spuren, die das Scheitern hinterlassen durfte. Scheitern aber ist in unseren Breitengraden nicht vorgesehen. Wie auch, wenn es stets ums Optimale geht.

Den Gesetzen des modernen Chartplastik-Hits folgend, müsste der Song innerhalb der nächsten dreißig Sekunden...

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Autor

Florian Schroeder (Jahrgang 1979) hat Germanistik und Philosophie studiert. Schon zu Studienzeiten begann er seine Bühnenkarriere als Kabarettist und Parodist, sammelte Erfahrungen als Radio- und Fernsehmoderator und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Heute brilliert er mit seinen Bühnenprogrammen, im Juli 2017 steht er zusammen mit Ex-Finanzminister Peer Steinbrück für eine «Satireshow spezial - Florian Schroeder wählt... Peer Steinbrück» auf der Bühne. Ab Herbst 2017 ist er mit seinem neuen Programm «Ausnahmezustand» auf Tour. Er ist Gastgeber der «radioeins Satireshow» und der «hr-Satire Lounge» und moderiert die SWR Kabarettsendung «Spätschicht». Seit 2015 bloggt er für «Psychologie heute«. «Frauen. Fast eine Liebeserklärung» ist nach «Offen für alles und nicht ganz dicht» und «Hätte, hätte, Fahrradkette» sein drittes Buch im Rowohlt Verlag.