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Der Bibliothekar

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
224 Seiten
Deutsch
DuMont Buchverlag GmbHerschienen am14.11.20141. Auflage
Die Geschichte einer besessenen Liebe bis zum Tod Hans-Ullrich Kolbe ist Bibliothekar jenseits der fünfzig. Jahrzehntelang hat er sich in seiner Bücherwelt vergraben, er riecht schon »aus dem Mund nach Büchern«. Nun will er sein Leben ändern, zieht durch Nachtclubs und stößt auf Jelena, die so alt ist wie seine Tochter. Die erdbeerblonde Stripteasetänzerin merkt, dass sich mit achtundzwanzig auch ihre Laufbahn bald dem Ende zuneigt. Die beiden finden einander - eine Amour fou aus Gegensätzen. Wie sie einander bis zur Obsession verfallen und doch auch zu zweit einsam bleiben, das schildert Judith Kuckart mit seltener Intensität und Wahrhaftigkeit: das Kunststück einer unmöglichen Liebe.

Judith Kuckart, geboren 1959, lebt als Autorin und Regisseurin in Berlin. Sie veröffentlichte bei DuMont den Roman >Lenas LiebeDer BibliothekarKaiserstraßeDie VerdächtigeWünscheDass man durch Belgien muss auf dem Weg zum GlückKein Sturm, nur WetterCafé der Unsichtbaren< (2021). Judith Kuckart wurde mit zahlreichen Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,90
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR8,99

Produkt

KlappentextDie Geschichte einer besessenen Liebe bis zum Tod Hans-Ullrich Kolbe ist Bibliothekar jenseits der fünfzig. Jahrzehntelang hat er sich in seiner Bücherwelt vergraben, er riecht schon »aus dem Mund nach Büchern«. Nun will er sein Leben ändern, zieht durch Nachtclubs und stößt auf Jelena, die so alt ist wie seine Tochter. Die erdbeerblonde Stripteasetänzerin merkt, dass sich mit achtundzwanzig auch ihre Laufbahn bald dem Ende zuneigt. Die beiden finden einander - eine Amour fou aus Gegensätzen. Wie sie einander bis zur Obsession verfallen und doch auch zu zweit einsam bleiben, das schildert Judith Kuckart mit seltener Intensität und Wahrhaftigkeit: das Kunststück einer unmöglichen Liebe.

Judith Kuckart, geboren 1959, lebt als Autorin und Regisseurin in Berlin. Sie veröffentlichte bei DuMont den Roman >Lenas LiebeDer BibliothekarKaiserstraßeDie VerdächtigeWünscheDass man durch Belgien muss auf dem Weg zum GlückKein Sturm, nur WetterCafé der Unsichtbaren< (2021). Judith Kuckart wurde mit zahlreichen Literaturpreisen und Stipendien ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783832188009
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum14.11.2014
Auflage1. Auflage
Seiten224 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1539704
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Bücher bei DuMont : Lenas LiebeDie AutorenwitweDer BibliothekarKaiserstraßeDorfschönheitmehr
Leseprobe

 

Hans-Ullrich Kolbe klappte das Buch zu, nahm seinen hellen Mantel über den Arm und schob einen Stadtplan in die Jackettasche. Es war Sonnabend, spät und Ende April. Er zog die Vorhänge in seiner Mansarde zu. Auf dem Küchentisch unter der Leselampe lagen zwei Riegel Kinderschokolade gekreuzt übereinander, und das leere Weinglas trug am Rand die milchige Spur seiner Lippen. Daneben lag das Buch.

Ein gewisser Alain Bernardin hatte vor dreißig Jahren im 8. Arrondissement von Paris das CRAZY HORSE gegründet. Zwei Wächter im Polizeikostüm sicherten den Eingang des Nachtclubs und die bürgerliche Atmosphäre. Alain Bernardin war magisch angezogen von schönen Frauen, und nur eine nackte Frau, wie gezeichnet im komplizierten Spiel des Lichts, war für ihn schön. Hob sich der Vorhang, so stand im 1. Kapitel, zeigten Frauen mit großer Lust am Zeigen ihre perfekten Körper. Tänzerinnen verschoben die Grenze zur Nacktheit so delikat, daß die Gesichter der Zuschauer sich glücklich öffneten, nicht schmal wurden vor Gier. Man sah, was man nicht sah. Die Szenen der Show wechselten alle fünf Jahre, die eine so überraschend und raffiniert ausgearbeitet wie die folgende. Alain Bernardin war ein Zauberer. Er befreite die männlichen und die weiblichen Phantasien gleichermaßen. Das hatte Hans-Ullrich Kolbe gelesen. Manche Seite hatte er dreimal gelesen.

Mehrmals war er mit der Hand über den glänzenden Einband gefahren, wie eine Frau über Seidendessous streicht, und dabei die Adern und feinen Runzeln auf ihrer Hand sieht. Paris 47 23 32 32 hatte er gewählt. Die S-Bahn war zweihundert Meter von ihm entfernt vorbeigerattert. Eine Frauenstimme hatte auf Englisch Konditionen genannt. 450 Francs Eintritt, eine halbe Flasche Champagner pro Person, zwei Shows am Abend, eine um 20.30 Uhr, die zweite um 23 Uhr, samstags drei.

Heute also drei. Hans-Ullrich hatte tatsächlich auf die Uhr geschaut an seinem offenen Fenster in Friedenau. Mit einem Flugzeug könnte er es zur Late Show um 0.50 Uhr noch schaffen. Er hatte aufgelegt.

Vom Lesen ganz verrückt vergaß er, was er sehr wohl wußte. Berlin war nicht Paris. Trotzdem. Er hatte seine Armbanduhr angelegt.

Den Mantel über den Arm verließ er das Haus. Er war Bibliothekar.

»Herr, zeige mir Deine Wege und lehre mich Deine Steige«, erinnerte er auf der U-Bahn-Station Dahlem Dorf einen Psalm. Er tippte Nummer 25, ja, Psalm 25. Er legte den Mantel über die Schultern und warf den rosa Handzettel in den Papierkorb. »LA FEMME, für den anspruchsvollen Gast.« Das weibliche Personal in dem Club war ihm vertraut gewesen wie Studentinnen oder Kolleginnen, auch in der Verkleidung als Eisbecher. Eine Rote hatte die Arme zu Tina Turner gehoben und angetanzt gegen die Müdigkeit. Der Scheinwerfer hatte die rasierten Achseln nach Schweiß abgesucht. Hans-Ullrich hatte mit dem Rücken zur nackten Tänzerin noch einen Kaffee getrunken, war in seinen frischgeputzten Schuhen immer wieder vom Chromstreben des Barhockers gerutscht und auch deshalb schon bald gegangen.

Die U-Bahn fuhr ein. Er saß allein im Waggon und lutschte ein Pfefferminzbonbon. Er stieg um, setzte sich neben eine junge Mutter. Dem Kind auf ihrem Knie brannten vor Müdigkeit die Ohren rot. Geduldig gab er ihm mehrmals die Rassel zurück und setzte das Gesicht auf, mit dem er die jüngste seiner Töchter, Edna, angelächelt hätte. Kurfürstendamm stieg er aus. Neben dem Kino Astor ließ er sich in die Dorrett Bar locken. Der Türsteher hatte ihn, als Hans-Ullrich zögerte, mit »Herr Doktor« gelockt. Hans-Ullrich maß jedes Körperteil, maß Bein um Bein an den Sätzen vom schönen Bein. Von einer winzigen Beule an der Rückseite der Oberschenkel hatte in seinem Buch »Das Crazy Horse« nichts gestanden, aber? Aber so ein Buch log doch nicht. Es erfand um einen Kern Wahrheit herum, manchmal mit geliehener Pracht. Aber es betrog seinen Leser nicht. Da wechselte die Nummer.

Zwei Träger brachten einen goldenen Käfig auf die Bühne. Ein Mann neben Hans-Ullrich zeigte auf das Mädchen hinter den Stäben, sagte, die ist ja heiß wie eine leergeschossene MP, und wandte sich wieder seinem Glas zu. Hans-Ullrich setzte die Brille ab und sah sich das Mädchen genau an. Er setzte die Brille wieder auf. Das Gesicht war eine Beleidigung für den Körper.

Er seufzte.

Und mit dem Seufzen wurde er mutig. War doch egal, ob das Buch in Wahrheit die Wahrheit erzählte. Hauptsache, es erzählte ihn, den lesenden Hans-Ullrich. Tat es das, mußte etwas dran sein an der Kunst. Genauer, mußte etwas vom Leben dran sein an der Kunst. Heute nacht noch würde er sich das Lesen vom Leib reißen und nackt ins Leben laufen. Heute nacht noch würde er den berauschenden Wirklichkeitsgehalt des Buchs von 38 Prozent wirklich genießen. Aus den Buchseiten von »Das Crazy Horse« trat er hervor, betört von dem einen Gedanken. Im Namen der Literatur, schwor er. Und war zu jeder Schweinerei bereit.

Warum? Darum, antwortete er sich. Und leise fügte er hinzu, es sei schon spät in seinem Leben.

Wie ein Spürhund nahm er die Fährte auf. Er bestieg den Bus und sah im Kegel einer Straßenlampe bald eine Frau, die seinen Blick hielt, bald eine andere, die eine ölverschmierte Fahrradkette am Handgelenk trug. Er stieg um in die U-Bahn, dachte schneller, schneller so, starrte auf ein Gipsbein, aus dem der Schenkel eines Mädchens, siebzehn, wuchs, und hatte absonderliche Phantasien in unwirklichem Weiß, beim Ausstieg näherte er sein Gesicht dem Handgelenk einer Frau, die hielt sich an der Stange bei der Tür fest, er sah ihr Armband, die Perlen türkis, das gab ihm Kräfte, türkis zu träumen, bevor er in ein Taxi umstieg, das Taxi einem Mann, einer Frau und deren Hund vor der Nase wegschnappte, den Hund mit einem flüchtigen Blick beim Anfahren für eine Mädchenpuppe auf allen Vieren hielt, sich jedoch im Halbdunkel auf dem Taxirücksitz wieder sammelte, bevor er den Fahrer mit einem Geldschein ans Kinn tippte, was er noch nie getan hatte, und sich dabei wünschte, der sei eine Frau, eine Frau mit seinem Geldschein und zu einigem bereit, ja, er fragte die einschlägigen Adressen ab, wie er gehört hatte, daß man es tut, und ließ fahren, ließ Schöneberg, Wilmersdorf, ließ »Shadow-Bar«, »Zwielicht«, »Pigalle für Alle«, ließ alles hinter sich. Geduckt in den Rücksitz kämmte er sich vor jedem neuen Anlauf. Schließlich, gegen 0.30 Uhr, strich er mit einer letzten Quittung über 27,- DM Fahrpreis in der linken Hosentasche nah dem Bahnhof Zoo an den späten Wohnungssuchenden vorbei, die im Blau der Karbidlampen die Sonntagszeitung verlangten.

Er landete im ersten Stock unter der Erde in einer Live-Show.

»Sie kommen gerade richtig«, die Frau an der Kasse tat, als ob sie ihn kenne.

»Sie tanzt gerade.«

»Wer?«

»Jelena«, sagte die Frau.

Hans-Ullrich sah den Mann neben sich an der Kasse den Hosenknopf drehen und dachte, daß früher auch dies als Währung gegolten hatte. Als er noch klein war und der da auch.

»Wie ist es denn da drin«, hörte er sich leise fragen.

»Wie im Theater«, hörte er den fremden Mann sagen. »Nur wirklich und geiler.«

Jelena fuhr mit der Hand zwischen die Brüste, den Bauchnabel abwärts, und Hans-Ullrich hatte -

Sie tanzte, und er war sich sicher, sie schaute nur ihn an. Zwölf Männer saßen zu Füßen einer engen Bühne. Sie tanzte und schälte ihn heraus aus dem Dunkel, in dem er mit den anderen Kunden saß. Hans-Ullrich schloß die Augen. So erinnerte er sich an sich. Das war noch er. Neben ihm atmete jemand schwer. Nimm den Hund aus dem Gesicht, dachte Hans-Ullrich noch. Dann sah er ihr in die Augen und hatte -

Eine Erleuchtung hier, im Halbdunkel der Live-Show.

Nicht mehr essen und nicht mehr trinken würde er können, ohne diese Frau. Die Tränen würden ihm kommen, vor allem im Schlaf, ohne diese Frau. Beinahe wäre er aufgestanden und hätte sie laut angesprochen: »Fräulein, kommen Sie doch bitte mal in mein Büro.«

Jelena reckte sich ein letztes Mal und stand angespannt, festgeschraubt in ihrer Schönheit, in jener Pirouette, die er von Pin-ups kannte. Keine Frau, ein Akt. Sie ließ die Arme fallen. Sie trug über der linken Hand einen schwarzen Lederhandschuh.

Sie tanzte nicht mehr.

Hans-Ullrich griff nach seinem Mantel. Die Welt wich zurück. Knapp wie ein Junge verbeugte sie sich am Ende der Platte. Sie wandte den Kopf in seine Richtung, und er schnappte nach der Verlängerung ihres Blicks. Im Fortgehen kam sie näher? Eine optische Täuschung, dachte er noch. Dann fiel das Denken aus. Ihre und seine Augen fügten sich ineinander. Jelenas Mund lag im Schatten, ihre Augen an dessen Saum. Ein Wunder, dachte Hans-Ullrich, und hob die Nase. Mitten in der Wüste kam eine schwarz verschleierte Frau auf ihn zu. Sie schlug die Augen auf. Die waren blau, so unsagbar blau. Hagel, dachte er. Er konnte die Augen der Frau hören.

»Denn Deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete wie es im Sommer dürre wird«, betete Hans-Ullrich, als Jelena in der hinteren Bühnengasse verschwand. Er wußte nicht mehr, ob er noch dort und wo er überhaupt saß. Ob Holz oder Polster oder Wasser unter ihm war. Ob er ein Mann war oder plötzlich eine kranke Möwe, oder ein Kind oder nur dessen Hand, die nach dem klebrigen Gefieder der Möwe griff, ganz gleich, ob an kranken Möwen der Tod klebt. Er wußte nicht mehr, ob er was war, ob Mann, ob Tier, Finger oder Flügel. Er wußte nicht mehr, ob er war, was er gewesen war. Mit zwei Lidschlägen hatte die...
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