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Zwei fürs Leben

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am08.06.2015Auflage
'Du musst es ihnen sagen!' ' Was soll ich ihnen denn sagen? 'Ich höre Stimmen'? Dann komme ich hier nie wieder raus.' 'Eine Stimme.' 'Was?' 'Du hörst nur eine Stimme. Meine.' 'Klar, das ändert natürlich alles. 'Herr Doktor, ich höre eine Stimme seit dem Unfall', 'Ach, nur eine? Na dann ...' 'Das ist nicht witzig.' Nein, dachte ich, es ist nicht witzig, plötzlich aufzuwachen und eine Stimme in seinem Kopf zu hören, die einem fremden Mann gehört. Als Anni nach einem schweren Unfall im Krankenhaus erwacht, hört sie eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie gehört zu Ben, einem jungen Architekten, der behauptet, im Koma zu liegen und ihre Gedanken zu hören. Anni ist skeptisch. Doch am nächsten Tag ist Bens Stimme wieder in ihrem Kopf. Und am übernächsten auch. Schon bald werden die Gespräche mit Ben, die mal witzig und mal nachdenklich sind, zum Höhepunkt ihres Tages. Obwohl sie einander noch nie gesehen haben, kommen sich Anni und Ben immer näher. Zu nah, denn beide sind in festen Beziehungen. Trotzdem lässt sie die Stimme des anderen nicht mehr los, und Anni beginnt sich zu fragen, ob man sich wirklich in einen Unbekannten verlieben kann ...

Julia Hanel, geboren 1987 in Ansbach, studierte Germanistik in Bamberg und arbeitete danach als Redakteurin in Fulda. Heute lebt und arbeitet sie in Würzburg.
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Produkt

Klappentext'Du musst es ihnen sagen!' ' Was soll ich ihnen denn sagen? 'Ich höre Stimmen'? Dann komme ich hier nie wieder raus.' 'Eine Stimme.' 'Was?' 'Du hörst nur eine Stimme. Meine.' 'Klar, das ändert natürlich alles. 'Herr Doktor, ich höre eine Stimme seit dem Unfall', 'Ach, nur eine? Na dann ...' 'Das ist nicht witzig.' Nein, dachte ich, es ist nicht witzig, plötzlich aufzuwachen und eine Stimme in seinem Kopf zu hören, die einem fremden Mann gehört. Als Anni nach einem schweren Unfall im Krankenhaus erwacht, hört sie eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Sie gehört zu Ben, einem jungen Architekten, der behauptet, im Koma zu liegen und ihre Gedanken zu hören. Anni ist skeptisch. Doch am nächsten Tag ist Bens Stimme wieder in ihrem Kopf. Und am übernächsten auch. Schon bald werden die Gespräche mit Ben, die mal witzig und mal nachdenklich sind, zum Höhepunkt ihres Tages. Obwohl sie einander noch nie gesehen haben, kommen sich Anni und Ben immer näher. Zu nah, denn beide sind in festen Beziehungen. Trotzdem lässt sie die Stimme des anderen nicht mehr los, und Anni beginnt sich zu fragen, ob man sich wirklich in einen Unbekannten verlieben kann ...

Julia Hanel, geboren 1987 in Ansbach, studierte Germanistik in Bamberg und arbeitete danach als Redakteurin in Fulda. Heute lebt und arbeitet sie in Würzburg.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843710992
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum08.06.2015
AuflageAuflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2077 Kbytes
Artikel-Nr.1547307
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Anni erzählt

Juli

1

Wer möglichst unbemerkt auf einer deutschen Intensivstation sterben will, sollte es gegen 14 Uhr versuchen. Immer um diese Zeit treffen die Schwestern und Pfleger der Frühschicht auf die der Nachtschicht, sitzen für ein paar Minuten zusammen, reden und lachen, trinken eine Tasse Kaffee und genießen die Ruhe vor und nach dem Sturm. Ihr Gelächter dringt dann bis ins Zimmer nebenan, und an manchen Tagen kann man zwischen piepsenden Monitoren und Maschinen sogar ganze Gespräche belauschen. Zumindest bilde ich mir ein, dass es so war.

Die Gelegenheit, mich um 14 Uhr klammheimlich aus dem Leben zu stehlen, habe ich verpasst. Nach 13 Tagen und sieben Stunden auf der Intensivstation habe ich meinen Dornröschenschlaf beendet und die Augen geöffnet. Hannes hat mir erzählt, dass ich als Erstes wissen wollte, ob wir die Europameisterschaft gewonnen haben. Ich kann mich nicht mehr erinnern, traue mir so eine Frage aber durchaus zu.

Wir haben sie nicht gewonnen, doch im Koma ist es auch nicht anders als sonst: Was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Bei mir ist also gerade Eiseskälte angesagt. Die vergangenen zwei Wochen gleichen einem großen schwarzen Loch. Meine letzte Erinnerung ist ein Song von Bruce Springsteen, der im Radio lief, als ich an jenem Tag im Bad stand, und ich finde es nicht gerecht, dass ausgerechnet so etwas Banales das Letzte ist, was sich mir eingeprägt hat. Jetzt hallt jedes Mal, wenn mich die Ärzte nach meiner Erinnerung fragen, »Dancing in the Dark« in einer Endlosschleife durch meinen Kopf, während Bruce Springsteen in engen Jeans und zerrissener Lederjacke vor meinen Augen das Mikro schwingt: I check my look in the mirror, I wanna change my clothes, my hair, my face.

In den Spiegel habe ich heute noch nicht gesehen - aber gestern, und das, was ich gesehen habe, hat mir gereicht. Ich habe selten so beschissen ausgesehen, nicht mal in den 90ern. Mein halber Kopf steckt in einem Turban aus weißen Binden, der Rest in einer Halskrause à la Queen Elizabeth, und über meiner rechten Augenbraue zieht sich die Naht einer Schnittwunde, die mich nie vergessen lassen wird, was am 27. Juni um 18.51 Uhr passiert ist - und die auch in zehn Jahren leider niemand als »interessant« bezeichnen wird. Andere tragen Erinnerungen im Herzen, ich auf meiner Stirn.

»Denkst du immer so viel?«

»Du schon wieder.«

»Ich würde dich zu gerne in diesem Turban sehen.«

»Danke fürs Lauschen. Wie lange hörst du schon zu?«

»Nicht mal eine Minute.«

»Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass du bald wieder weg bist.«

»Glaub mir, ich hoffe das auch.«

»Kannst du das nicht einfach bleiben lassen?«

»Würde ich ja gerne. Aber leider kann ich deine Stimme nicht ausblenden. Das hatten wir doch schon.«

»Hör einfach weg.«

»Geht nicht. Du denkst so laut.«

»Die Gedanken sind frei.«

»Von mir aus. Aber müssen sie auch laut sein?!«

»Puh, Menschen ohne Bildung tun mir einfach leid.«

»Kann man sich selbst leidtun?«

»Haha, wie komisch.«

- Schweigen -

»Und, hast du mit dem Doc gesprochen?«

»Du redest ja, als würdest du ihn kennen.«

»Hast du?«

»Fang nicht schon wieder damit an.«

»Anni!«

»Seit wann nennst du mich so?«

»Seit ich weiß, dass du so heißt.«

»Du klingst wie meine Mutter, wenn sie meine vernachlässigten Zimmerpflanzen sieht.«

»Wenn Klein Anni nicht gegossen hat?

»Klein Anni ist größer, als du denkst.«

»Heißt was?«

»Dass Klein Anni das Gegenteil von klein ist.«

»Also Groß Anni?«

»Du nervst. Deine zwei Minuten sind vorbei.«

»Meine zwei Minuten?! Soll ich jetzt dankbar sein, dass ich diese Zeit mit dir teilen darf?«

»Das ist mir so was von egal. Ich will nur wieder meine Ruhe. Und länger als zwei Minuten ertrag ich dich nicht.«

»Doch, gestern waren es drei Minuten. Und ich glaube, das steigert sich.«

»Lässt du eine Stoppuhr mitlaufen?«

»Haha.«

»Ich ertrag das nicht. Mein Kopf tut auch so schon weh.«

»Dann sprich endlich mit deinem Arzt.«

»Der weiß, dass mein Kopf wehtut. Sonst würde ich ja nicht seit Wochen hier liegen.«

»Du weißt genau, was ich meine. Sag ihm doch einfach, dass du etwas in deinem Kopf hörst, was da nicht hingehört und dir Sorgen macht.«

»Stimmen zu hören kommt aber nicht so gut bei Ärzten, wenn man entlassen werden will, weißt du?«

»Du hörst doch nur EINE Stimme. Und ich habe genauso wenig Lust, weiterhin in deinem Kopf herumzuspazieren, das kannst du mir glauben.«

»Dann rede DU doch mit deinem Arzt. Ständig geht es hier nur um mich. Dabei sitzen wir im selben Boot.«

»Das kann ich nicht. DU hörst ja MICH. Nicht andersherum.«

»Aber DU spazierst in MEINEM Kopf.«

»Ich finde aber, dass deine Geschichte plausibler klingt.«

»Äh, ich habe eine Stimme in meinem Kopf. Plausibel ist was anderes.«

»Ja, aber du hattest einen Unfall und ein Schädel-Hirn-Trauma. Da kann schon mal was verrücktspielen.«

»Die Antwort ist nein . Ich werde meinem Arzt nicht sagen, dass ich die Stimme eines Wildfremden höre und mich mit ihm unterhalte. Das glaubt mir kein Mensch. Diese Geschichte klingt viel zu ... verrückt. Die werden mich hierbehalten. Noch schlimmer, die schicken mich zum Psychologen.«

»Vielleicht gehörst du da ja hin.«

»Du bist so ein Arsch.«

- Schweigen -

»Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen?«

- Schweigen -

»Ben?«

- Schweigen -

»Bist du noch da?«

- Schweigen -

2.

Mein behandelnder Arzt heißt Dr. Behnsen. Er ist noch ­Assistenzarzt, sieht aber aus wie Mitte vierzig, weil seine Haare an den Schläfen ergrauen und sich drei tiefe Falten über seine Stirn ziehen. Ich kenne Dr. Behnsen schon sehr lange, aber er würde das bestimmt nicht behaupten, weil er vergessen hat, wann wir uns zum ersten Mal begegnet sind - und das war nicht, als ich mit meinem zertrümmerten Schädel in den OP geschoben wurde, sondern mehr als drei Jahre früher in einem kleinen Café namens »Moccacino«, das ­berühmt ist für seine Trinkschokoladen und Blaubeermuffins.

Dr. Behnsen saß am Tisch neben mir und erzählte jemandem, der ihm viel bedeutet haben muss, am Telefon freudestrahlend und detailreich von seiner ersten erfolgreichen Blinddarmoperation. Ich weiß noch, dass ich ihn in diesem Moment um die Begeisterung in seiner Stimme beneidet und mir gewünscht habe, eines Tages mit derselben Euphorie von meinem Beruf sprechen zu können.

Und dann ist es passiert: Dr. Behnsen will sein Handy in die Jackentasche gleiten lassen und lässt es vor Hochgefühl fallen, bückt sich, um es wieder aufzuheben, und knallt mit dem Kopf gegen das Tablett jenes Studenten, der just in diesem Moment meine Traubensaftschorle servieren will und nicht mehr verhindern kann, dass sich die dunkelrote Brühe über meine helle Hose ergießt. Dr. Behnsens Gesicht nimmt die Farbe von Traubensaftschorle an, und der Student sagt mit einem Grinsen: »Wenigstens war´s kalt.« So habe ich Hannes kennengelernt. Und Dr. Behnsen.

»Das sieht doch ganz gut aus«, murmelt er, als er rund drei Jahre später mit einer kleinen Lampe in meine Augen leuchtet und irgendwelche Reflexe testet, die ich wahrscheinlich nicht mal vermissen würde, weil ich gar nicht weiß, dass ich sie habe.

»Dann kann ich gehen?«

Er schüttelt den Kopf. »Nein, das dauert schon noch ein paar Tage.« Dann kritzelt er etwas in seine Mappe. »Mit einer Kopfverletzung darf man nicht zu leichtfertig umgehen. Die Gefahr von bleibenden Schäden ist zu groß, und dieses Risiko will ich nicht eingehen.«

Einen Moment lang überlege ich, ihm von der Stimme in meinem Kopf zu erzählen, aber ich lasse ihn verstreichen, und ein zweiter kommt nicht.

»Was machen die Erinnerungen?«

I check my look in the mirror, I wanna change my clothes, my hair, my face.

»Nichts.«

Er nickt, und für einen Moment spüre ich seinen Blick auf der Narbe über meinem rechten Auge. Ich frage mich, ob ich solche Blicke nun mein Leben lang ertragen muss - ein Schicksal, das ich lieber Harry Potter überlassen würde.

»Haben Sie noch einmal über einen Termin bei Frau Dr. Heller nachgedacht? Ich rate Ihnen wirklich dazu.«

»Ich brauche keinen Psychologen«, schießt es ungewollt forsch aus meinem Mund.

Dr. Behnsen nickt, als hätte er mit dieser Reaktion gerechnet. Vielleicht ist ihm auch eingefallen, dass er mir vor drei Jahren eine Hose mit Traubensaftschorle ruiniert und kein Recht der Welt hat, mich zu einer Therapie zu zwingen. Doch das ist eher unwahrscheinlich.

»Manchmal kann es helfen ...«, beginnt er vorsichtig, überlegt es sich dann aber wieder anders. »Sie wären fast gestorben. So etwas verarbeitet die Seele nicht so leicht. Hilfe in Anspruch zu nehmen ist kein Zeichen von Schwäche.«

»Es geht mir gut.«

Er nickt wieder und lässt die Lampe in die Tasche seines weißen Kittels gleiten. Wie ein Handy. Aber diesmal landet es nicht auf dem Boden.

»Sie lassen es mich wissen, wenn Sie Ihre Meinung geändert haben, ja? Ich kann Ihnen wirklich nur dazu raten, und Dr. Heller ist gut auf ihrem Gebiet.«

Ich weiß nicht...

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