Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Psychologie der Aggression

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am31.07.20151. Auflage
Gibt es einen Trend zur Verrohung? Beruht aggressives Verhalten immer auf Konflikten? Kann man aggressive Gefühle am Sandsack kanalisieren? Wer Aggression und Gewalt verstehen möchte, sollte beliebte Vereinfachungen durch einen differenzierenden Blick ersetzen. Zu unterschiedlich sind Erscheinungsformen wie etwa Kindesmisshandlungen, Mobbing per Internet, Amokläufe oder Völkermord. Unterschiedlich können zudem die Motive sein, aus denen Menschen attackieren, und auch hochaggressive Personen sind kein Einheitstyp: Was unterscheidet zum Beispiel Psychopathen und Sadisten? Und wieso können selbst unaggressive Personen eine hochaggressive Gruppe bilden? Viel Raum widmet der Autor der Aggressionsverminderung, zum einen in persönlichen Lebensbereichen, zum andern bezüglich krimineller Gewalt: Kann man Gewalttäter umerziehen und therapieren? Und wichtiger noch: Wie lässt sich verhindern, dass Menschen zu Gewalttätern werden?

Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Psychologie-Dozent an der Universität Göttingen. Er hat verschiedene Sachbücher publiziert, darunter das Standardwerk «Lernfall Aggression», das bei rororo inzwischen in der 50. Auflage lieferbar ist. Das vorliegende Buch setzt andere inhaltliche Schwerpunkte und greift Forschungen aus jüngster zeit auf.
mehr

Produkt

KlappentextGibt es einen Trend zur Verrohung? Beruht aggressives Verhalten immer auf Konflikten? Kann man aggressive Gefühle am Sandsack kanalisieren? Wer Aggression und Gewalt verstehen möchte, sollte beliebte Vereinfachungen durch einen differenzierenden Blick ersetzen. Zu unterschiedlich sind Erscheinungsformen wie etwa Kindesmisshandlungen, Mobbing per Internet, Amokläufe oder Völkermord. Unterschiedlich können zudem die Motive sein, aus denen Menschen attackieren, und auch hochaggressive Personen sind kein Einheitstyp: Was unterscheidet zum Beispiel Psychopathen und Sadisten? Und wieso können selbst unaggressive Personen eine hochaggressive Gruppe bilden? Viel Raum widmet der Autor der Aggressionsverminderung, zum einen in persönlichen Lebensbereichen, zum andern bezüglich krimineller Gewalt: Kann man Gewalttäter umerziehen und therapieren? Und wichtiger noch: Wie lässt sich verhindern, dass Menschen zu Gewalttätern werden?

Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Psychologie-Dozent an der Universität Göttingen. Er hat verschiedene Sachbücher publiziert, darunter das Standardwerk «Lernfall Aggression», das bei rororo inzwischen in der 50. Auflage lieferbar ist. Das vorliegende Buch setzt andere inhaltliche Schwerpunkte und greift Forschungen aus jüngster zeit auf.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644046016
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum31.07.2015
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse685 Kbytes
Artikel-Nr.1547993
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

1.3 Die passenden Begriffe: Aggression? Gewalt? Das Böse?

Zu Beginn des Kapitels wurde der Themenkreis Aggression und Gewalt bereits anhand von konkreten Erscheinungsformen umrissen. Was aber sind deren gemeinsame Merkmale? Genau dies ist die Frage, wenn man abstrakte Definitionen formulieren will. Wie also kann man Aggression definieren? Wie kann man Gewalt definieren? Und sind es Synonyme?

Es gibt keine Instanz, die verbindliche Definitionen verordnen kann, und faktisch gibt es kein ganz einheitliches Begriffsverständnis von Aggression oder Gewalt, nicht in der Öffentlichkeit und zum Teil auch nicht in der Wissenschaft. Aber es gibt Tendenzen, und zu diesen gehört, dass in der Öffentlichkeit die Begriffe «Aggression» und «Gewalt» etwas unterschiedliche Assoziationen wachrufen. Deshalb nennt man häufig beide zusammen, wenn man einen sehr umfassenden Themenkreis ansprechen will. Im Folgenden halte ich mich aber an den Trend innerhalb der wissenschaftlichen Psychologie.

Aggression

«Aggression» ist in diesem Buch der Oberbegriff für das gesamte Themenfeld. Er schließt «Gewalt», «Grausamkeit» und «das Böse» mit ein. Da diese Termini alle eine engere Bedeutung haben, eignen sie sich nicht als Oberbegriff.

Aggression ist ein Verhalten, das darauf gerichtet ist, andere Individuen zu schädigen. So etwa lauten typische Kurzdefinitionen in der Psychologie. Die Bandbreite solcher Verhaltensweisen ist außerordentlich groß; dazu gehören


körperliche wie zum Beispiel schlagen, kratzen, würgen, erschießen, vergiften, zerstören.


verbale mit erregtem Ton und wüster Wortwahl wie etwa beschimpfen oder anschreien.


verbale, die primär durch ihre Aussage angreifen, wie zum Beispiel verspotten, beleidigen, kränken, drohen.


nonverbale wie etwa böse Blicke, eine drohende Faust oder ein gereckter Mittelfinger.


relationale, die die Beziehungen und soziale Stellung der angegriffenen Person untergraben, beispielsweise ausgrenzen, wie Luft behandeln oder heimlich verleumden («relationale Aggression» ist ein psychologischer Fachterminus).



Ausführlicher als in der Kurzfassung kann man all dies in folgender Definition zusammenfassen: Aggression ist ein Verhalten, das darauf gerichtet ist, andere Individuen gegen deren Willen zu schädigen oder ihnen weh zu tun. Die Angabe «gegen deren Willen» mag merkwürdig und überflüssig klingen, aber wenn man genau sein will, ist sie durchaus sinnvoll, weil etwa im Falle des Masochismus die «Opfer» wünschen, dass man ihnen Schmerzen zufügt.

Die Erweiterung durch den Zusatz «oder ihnen weh zu tun» scheint mir aus folgendem Grund sinnvoll: Das Wort «schädigen» passt zwar gut, wenn man einen Menschen körperlich verletzt oder gar tötet, wenn man sein Eigentum zerstört oder auch, wenn man ihn verleumdet («Rufschädigung»). Aber in vielen Fällen zielen die oben genannten Verhaltensweisen ausschließlich darauf ab, unangenehme Gefühle hervorzurufen. Man foltert einen Menschen, um körperliche Schmerzen zu erzeugen. Man bedroht ihn, damit er Angst bekommt. Man stichelt, damit er sich klein fühlt oder schämt. Man dreht ihm das Wort im Munde um, damit er blöd dasteht. All dies wird mit «schädigen» nicht angemessen ausgedrückt. Mangels eines anderen Oberbegriffs meint «weh tun» hier das Erzeugen all dieser negativen Emotionen.

Erfahrungsgemäß stoßen die genannten Definitionen - sowohl die kurze als auch die längere - nicht überall auf Zustimmung. Für viele Menschen gehört zu «Aggression» oder «aggressivem» Verhalten, dass heftige Emotionen im Spiel sind. Einen kühl ausgeführten Überfall würden sie zwar als Gewalt, nicht aber als Aggression bezeichnen. Andere sprechen nur von Aggression, wenn jemand als Erster angreift, nicht aber, wenn er reagiert. Selbst das Töten eines Menschen wäre für sie keine Aggression, wenn es in Notwehr geschieht.

Nach den vorgestellten Definitionen gehören solche Handlungen jedoch mit in die Kategorie «Aggression», weil in jedem Fall das Kriterium des zielgerichteten Schädigens oder Wehtuns erfüllt ist. Diese Art des Verhaltens lässt sich einigermaßen gut abgrenzen («definieren» im Wortsinne). Das wäre viel schwieriger, wenn man, bevor man von «Aggression» spricht, zunächst klären müsste, welche Emotionen im Spiel waren oder ob Person X tatsächlich zuerst angegriffen oder aber auf einen Angriff reagiert hat. All dies sind Fragen, die vor Gericht oft eine große Rolle spielen, und sie sind natürlich auch psychologisch bedeutsam - aber nur für die Klärung konkreter Fälle, nicht für eine allgemeine Definition von Aggression.

Die Grauzone

Keine Aggressionsdefinition kann eine scharfe Grenze zwischen aggressivem und nicht aggressivem Verhalten ziehen; es bleibt immer eine Grauzone von halbaggressivem Verhalten übrig. Das ist kein Mangel der Definitionen; es liegt einfach in der Natur der Sache, dass es Zwischenformen gibt. Daher stellt sich auch nicht selten die Frage, ob dieses oder jenes Verhalten schon aggressiv zu nennen ist.

Nehmen wir an, es brüllt jemand in den Raum: «Ruhe jetzt» oder «Ey, was soll das?». Verhaltensweisen wie diese sind laut, ruppig, unfreundlich und offenkundig Ausdruck einer gereizten Stimmung. Wenn dieses Verhalten auf andere lediglich wie schlechte Laune wirkt oder der Polterkopf sich gar für seinen Ton entschuldigt («Pardon, das ist mir so rausgerutscht»), dann handelt es sich noch nicht um aggressives Verhalten im eigentlichen Sinn - es fehlt das gezielte Schädigen oder Wehtun. Ich spreche hier gerne von impulsiven Unmutsäußerungen; manche nennen es Pseudo-Aggression. Der Übergang zur «echten» Aggression ist allerdings fließend, denn auch Beleidigungen oder Ohrfeigen können impulsiv geschehen. Entscheidend ist die Art der Intention: Soll die andere Person sich schlecht fühlen oder nicht? Je deutlicher es in Richtung Herabsetzung oder Kränkung geht, umso eher kann man von aggressivem Verhalten sprechen.

Weiterhin gibt es Personen, die schon allein durch ihre martialische Aufmachung aus Bekleidung, Tattoos usw. wie Angreifer wirken und unangenehme Gefühle erzeugen - und zwar mit voller Absicht, nämlich um andere einzuschüchtern und sich «Respekt» zu verschaffen. Auf eine solche Wirkung zielen zum Beispiel manche Inkassofirmen ab, wenn sie dem säumigen Zahler drei bullige, in schwarzes Leder gekleidete Männer zur ernsthaften Unterredung ins Haus schicken. Sofern dabei Drohungen ausgesprochen werden, wäre das eindeutig aggressiv, aber gilt das auch schon für die einschüchternde Aufmachung? Ich denke, es liegt in der Grauzone.

Dass nur absichtliches Schädigen und Wehtun, und nicht etwa versehentliches, als Aggression gilt, ist zwar unvermeidlich, erschwert jedoch ebenfalls eine klare Grenzziehung, und zwar nicht nur, weil wir nicht verlässlich in die Täter hineinschauen können, sondern auch, weil tatsächlich «ein bisschen» Absicht, eine leichte Tendenz zum Wehtun im Spiel sein kann, aber nicht die Absicht, etwas Schlimmes anzurichten. Bekanntlich spielt diese Frage vor Gericht oftmals eine zentrale Rolle. Wenn ein Täter seine Tat geplant und vorbereitet hat, wenn er zum Beispiel vorher eine Waffe eingesteckt und dem Opfer aufgelauert hat, verrät dies eine eindeutige Absicht; für eine schwächere Absicht spricht es hingegen, wenn er in einem akuten Zusammenstoß seine Wut zeigen wollte und dabei die Kontrolle über sich verloren hat. Darüber hinaus gibt es auch noch die Frage nach der mangelnden Zurechnungsfähigkeit aufgrund von Drogen- oder Alkoholkonsum, aufgrund von Wahnvorstellungen oder aus anderen Gründen, die gegen ein bewusstes, zielgerichtetes Handeln sprechen können.

Aggression(en) als Emotion

Als Aggression werden im Deutschen häufig nicht nur sichtbare Verhaltensweisen bezeichnet, sondern auch innere Impulse, nämlich Emotionen wie Ärger, Wut und Hass. In dieser Bedeutung wird dann meistens die Pluralform «Aggressionen» bevorzugt: Aggressionen haben, Aggressionen ausleben, Aggressionen loswerden usw. Das wäre unproblematisch, wenn aggressives Verhalten und aggressive Emotionen lediglich zwei Seiten desselben Prozesses wären. Aber so ist es nicht. Es gibt aggressives Verhalten, das nicht auf aggressiven Emotionen beruht, sondern zum Beispiel auf Habgier oder Angst (s. Kapitel 2), und umgekehrt werden aggressive Emotionen keineswegs immer in aggressives Verhalten umgesetzt. Daher sollte man beides auseinanderhalten. Sonst wäre nicht klar, ob beispielsweise mit der Aussage «Er richtet seine Aggressionen gegen Ausländer» Hass auf Ausländer gemeint ist oder reale Angriffe.

Am besten folgt man sprachlich dem englischen Vorbild: Da gibt es keine «aggressions». Wenn Emotionen gemeint sind, ist etwa von «anger» oder «hostile feelings» die Rede; ansonsten bezieht sich «aggression» auf das Verhalten. Um der Klarheit willen spreche ich in diesem Buch, auch wenn es leider wenig elegant klingt, meist von aggressivem Verhalten, Aggressionsverhalten oder aggressiven Handlungen und für das Innenleben von aggressiven Emotionen, Gefühlen oder Impulsen. Bei Zusammensetzungen wie «reaktive Aggression» oder «kollektive Aggression» ist stets die Verhaltensebene gemeint.

Gewalt

Gewalt ist ebenfalls kein einheitlich verwendeter Begriff. Es entspricht aber sicher dem vorherrschenden Sprachgebrauch, wenn man Gewalt als Teil des Aggressionsverhaltens versteht, nämlich schwerwiegende Formen, insbesondere körperliche Angriffe und Waffengebrauch oder...
mehr

Autor

Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Psychologie-Dozent an der Universität Göttingen. Er hat verschiedene Sachbücher publiziert, darunter das Standardwerk «Lernfall Aggression», das bei rororo inzwischen in der 50. Auflage lieferbar ist. Das vorliegende Buch setzt andere inhaltliche Schwerpunkte und greift Forschungen aus jüngster zeit auf.