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Morgen ist leider auch noch ein Tag

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am25.09.20151. Auflage
Diagnose: Depression. Behandlung: mit Humor. Selbstironisch und sehr ehrlich erzählt Tobi Katze von seinem Leben mit der Depression. Nach der Diagnose seines Therapeuten ist er beinahe erleichtert. Endlich hat er einen Namen für das Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist: «Ich bin das einzige iPhone 5 in einer Welt voller Android-Telefone. Was allen hilft, passt nicht in meine Anschlüsse.» Die meiste Zeit schließt er sich in seiner Wohnung ein und spricht lieber mit der schmutzigen Wäsche als mit seinen Freunden. Abends übertönt er die Stille in ihm mit Partys, füllt die Leere, wo Gefühle sein sollten, mit Bier und pflanzt sich ein Dauergrinsen ins Gesicht, um ja nicht den Anschein zu erwecken, etwas wäre nicht in Ordnung. Das alles ist furchtbar. Und dann auch wieder furchtbar komisch. Aber spricht man so über Depression? Ja, genau so!

Tobi Katze, geboren 1981, schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. 2009 schloss er sein Studium der Literatur und Kulturwissenschaften ab. Seit mehr als zehn Jahren tritt er auf Poetry-Slams und Lesebühnen auf. 2007 gewann er den LesArt-Preis der jungen Literatur und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis für sein erstes Bühnenprogramm «rocknrollmitbuchstaben». Sein Buch «Morgen ist leider auch noch ein Tag», in dem er selbstironisch und ehrlich über sein Leben mit Depressionen schreibt, war ein Bestseller.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDiagnose: Depression. Behandlung: mit Humor. Selbstironisch und sehr ehrlich erzählt Tobi Katze von seinem Leben mit der Depression. Nach der Diagnose seines Therapeuten ist er beinahe erleichtert. Endlich hat er einen Namen für das Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist: «Ich bin das einzige iPhone 5 in einer Welt voller Android-Telefone. Was allen hilft, passt nicht in meine Anschlüsse.» Die meiste Zeit schließt er sich in seiner Wohnung ein und spricht lieber mit der schmutzigen Wäsche als mit seinen Freunden. Abends übertönt er die Stille in ihm mit Partys, füllt die Leere, wo Gefühle sein sollten, mit Bier und pflanzt sich ein Dauergrinsen ins Gesicht, um ja nicht den Anschein zu erwecken, etwas wäre nicht in Ordnung. Das alles ist furchtbar. Und dann auch wieder furchtbar komisch. Aber spricht man so über Depression? Ja, genau so!

Tobi Katze, geboren 1981, schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. 2009 schloss er sein Studium der Literatur und Kulturwissenschaften ab. Seit mehr als zehn Jahren tritt er auf Poetry-Slams und Lesebühnen auf. 2007 gewann er den LesArt-Preis der jungen Literatur und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis für sein erstes Bühnenprogramm «rocknrollmitbuchstaben». Sein Buch «Morgen ist leider auch noch ein Tag», in dem er selbstironisch und ehrlich über sein Leben mit Depressionen schreibt, war ein Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644540019
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum25.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse750 Kbytes
Artikel-Nr.1548041
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Stille

«Katze!»

Jones schwenkt ihre Arme euphorisch über die Köpfe der Bedienungen, die so zielsicher unchaotisch zwischen den Tischen umherschweben, dass sie im Menschenwirbel der Bar mein Fels und Ruhepunkt sein können. So wie man sich bei Seegang einen Fixpunkt an Land sucht, so suche ich ihn unter Menschen, damit mich die Bewegungen und Geräusche, die Masse an Leben nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

Das Haus zu verlassen ist eine Flucht vor dem Sichverstecken. Ich habe den ganzen Tag, verdammt, das fällt mir gerade auf, die ganze verschissene Woche, wie gelähmt im Bett verbracht. Aber abends rausgehen - ist kein Thema. Es muss mich nur etwas ziehen. Bier zum Beispiel. Mir selbst diesen Widerspruch zu erklären ist mir bisher noch nicht gelungen. Ich verstecke mich, vor Menschen und Leben, und dieses Verstecken führt mich manchmal unter Leute, um wenigstens den Gedanken daran, wie furchtbar ich mich selber und mein gelähmtes Liegen finde, stummzusaufen. Oder leiser.

Jones zu treffen ist ein Bonus, mehr nicht. Freunde treffen ist nichts, was ich wirklich gerne tue. Es ist Teil einer Maske: bloß niemand merken lassen, dass ich allein und nirgendwo sein will. Niemand darf das merken, damit ich es selbst nicht merke. Ergibt das irgendeinen Sinn? Nein? Gut, dann deckt sich das mit dem Rest meines Lebens.

Ich kann mich unter zahllosen Menschen einsam fühlen und mich gleichzeitig für dieses Gefühl verachten, weil es mir wahnsinnig unoriginell vorkommt. Ich meine, man nimmt an so vielem Teil, wenn man sich zwischen feiernden Menschen hindurchquetscht, an Gesprächen und Gerüchen, hat erstaunlich intime Körperkontakte mit Ellenbogen und Ärschen, die sich an einem vorbeireiben, aber Teil davon ist man trotzdem nicht.

Ich kämpfe mich durch ein Kreuzfeuer aus Querschlägern. Ich bekomme Dinge ab, aber ganz sicher nichts, was für mich bestimmt ist. Die ganze gute Laune zum Beispiel, die nicht meine ist. Wie ein Treppenhaus zur Mittagszeit. Fremde Mittagsdüfte schleichen mir in die Nase, aber wenn ich die Wohnung aufschließe, köchelt da nichts für mich, und im Kühlschrank nur abgelaufene Mayonnaise. Oder, schlimmer, nicht abgelaufene Mayonnaise. Die ich dann leider auch noch essen kann. Pur. Mit einem Löffel.

Jones schwenkt inzwischen nichts mehr, starrt nur durch die Crazy Party People hindurch, als wolle sie die Masse teilen wie das Schwarze Meer. Oder einfach zerteilen. Kann man bei ihr nicht so genau sagen. Misanthropie ist ein Hobby von ihr, genauso wie überschäumende Euphorie mit nahtlosem Übergang in Zynismus. Galgenhumor sagt sie manchmal dazu, aber mir mag nie aufgehen, an welchem Galgen dieses hübsche, talentierte Mädchen nun genau hängen soll. Ist alles nur Attitüde, sagen die schwarzen Fingernägel, als sie sich um ihre halbvolle Bierflasche schließen, die Sekunden später geleert vom Mund zurück auf den nikotingebeizten Holztisch wandert.

Scheiße, denke ich, Jones hat gut vorgelegt, da musst du nachziehen. Also winke ich Meret an der Theke ein kurzes «Hallo» zu, sodass mir irgendwer ein Bier in die Hand drücken wird. Es hat Vorteile, Stammgast zu sein.

 

Wir kommen seit Jahren hierher, Jones und ich, in den Laden mit diesem unfassbar bescheuerten Namen. Blume. Wer nennt seine Kneipe so? Und vor allem: Warum? Keine Ahnung, ob das wegen diesem Dings oben auf dem Bier so heißt oder wegen romantischem Grünzeugs. Passt aber beides nicht, denn alles ist aus dunklem Holz hier, und Bier gibt´s nur in Flaschen. Dortmund halt. Aber die Blume ist mehr für uns als eine Kneipe. Hier können wir einfach sein, ohne uns beweisen zu müssen, niemand, der urteilt. Wir tauchen unter. Ich glaube, das hat uns immer verbunden. Zwei Taucher im selben stillen See.

Die ersten Worte, die wir je gewechselt haben, gingen gemeinsam mit uns in einem stürmischen Ozean aus Pearl Jam unter. Beide waren wir Anfang zwanzig und auf Landgang gewesen, an die Schrankwand irgendeiner WG-Küche gespült. Partys waren schon früher wie Wasser für mich und ich ein davon umspielter Fremdkörper, meilenweit zu erkennen. Ein Fels ohne Brandung. Ich betrachtete das formlose Treiben rings um mich, die mir rätselhafte Leichtigkeit, mit welcher die Leute ins Gespräch kamen. Und mir gegenüber stand Jones, die mir mit ihrem schweigenden, schweren Blick voller Nichtverstehen unter Wasser Tauchergrüße zuwarf. Vier Flaschen lang standen wir uns gegenüber, tranken, um die Menschen zu ertragen. Bier war unser Sauerstoff, den wir zum Überleben brauchten. Er ist es bis heute.

Dann nickten wir uns irgendwann zu und versuchten, etwas zu sagen.

«Ist dein Bier auch leer?» war meine Frage gewesen.

«Ich möchte nicht hier sein. Ich möchte nirgendwo sein», hatte sie geantwortet, und beides hatte Eddie Vedder verschluckt.

Wir verstanden uns nicht, sahen nur bewegte Münder, und auf einmal war keiner von uns mehr allein damit, die Dinge um sich herum nicht zu begreifen. Seither verstehen wir gemeinsam die Dinge nicht und schwimmen in regelmäßigen Abständen in angrenzenden Gewässern ein Stück des Weges zusammen.

Jones malt, wofür mir die Worte fehlen, in lebensverwirrtem Aquarell und schwerem Öl. Sie malt, was sie nicht versteht, damit andere es für sie tun. Wirft ihre Verwirrung auf Hauswände mit Sprühdosen, mit fein gestochener Tinte auf ihre eigene und manchmal fremde Haut. Vielleicht, um all das abzugeben, loszulassen, zu erzählen. Und was Jones sich nicht erlaubt, sich nicht erlauben kann, loszulassen, das schreibe ich fest in meinen Geschichten, damit es einen Namen hat, gebannt werden kann und nicht gefürchtet werden muss von uns. So tun wir es seit Jahren.

Und immer mal wieder, wenn die Zeit und wir es brauchen, schaffen wir eine kleine, furchtlose Stunde für uns. Wie heute, und es bleibt unausgesprochen, was da geschieht. Es geschieht einfach.

Ich ziehe die letzten Meter allein meine Bahnen durch die Menschenmenge der Bar, und dann, endlich, schiebe ich mich neben Jones. Ihre Lederjacke quietscht, als sie lächelnd die Arme hinter den Kopf schiebt, um ihre schwarzen Haare festzuzurren.

«Starke Jacke», sage ich. «Aber man versteht dich kaum, wenn du dich bewegst.»

Jones grinst nur breit und bewegt die Arme flügelschlagend auf und ab.

«Katzerich ...», flötet sie unter all dem Lederjackengequieke, «ich bin ein Vogel. Ein quietschender, bösartiger Vogel.»

Dann lacht sie und schlingt einen Arm um mich.

«Ist schön, dich zu sehen. Wie geht´s dir, Alter?»

«Meine Wohnung ist der Vorgarten von Mordor, und jedes Mal, wenn ich in den Kühlschrank schaue, überkommt mich der unbändige Wunsch, diesen Teller Nudeln wegzuwerfen, zu dem ich irgendwie eine ungesunde Bindung aufgebaut habe. Aber ich bringe es nicht übers Herz.»

Sie funkelt mich erschreckend unirritiert an und schweigt.

«Außerdem spricht meine schmutzige Wäsche mit mir.»

«Tobi ... du bist schon einer von den Verrückten», sagt sie dann gestelzt versöhnlich und winkt fahrig in die Leere der menschlichen Masse vor uns.

«Findest du es nicht auch furchtbar still hier?»

Über die Musik und die durcheinanderschießenden Worte, das Gläserklirren und die vibrierenden Blicke hinweg ist ihre Stimme kaum zu vernehmen, und doch ist es still. Der Tresen belagert mit Pinnchen und verwaschenen Existenzen, die über Erikas, Birgits und Manfreds reden und wo die alle hin sind, verschwunden aus ihren Leben, und dann weitertrinken. Die Discokugel zerstückelt buntes Licht zwischen Band-Plakaten und kämpft gegen die Dunkelheit an, die über den Boden heraufkriecht. Der Wirt mit dem Iro reicht Bier an die dahinter gedrängten Studenten, die sich zwischen blutroten Tischkerzen intelligente Anekdoten über die dunklen Holztische zubrüllen, Bierflaschen aneinanderstoßen.

Sie alle sind still. Nicht akustisch. Nicht lautlos. Aber wirkungslos. Es ist alles da, es scharrt und schnarrt und stampft, aber es scheint mir nicht echt, nicht echt in dem Sinne, wie mir diese Stille derzeit echt erscheint. Es ist wie ein Fernsehbild, ein Fernsehton - nicht ganz in meiner Realität. Abgekapselt und wiedergegeben, aber nicht erlebt.

 

«Findest du es nicht auch furchtbar still hier?»

Ich verstehe Jones´ Worte und den Sinn, aber was antwortet man darauf? Männer sind nicht verloren in einer Welt, die so viel lebendiger ist als sie selbst. Männer haben Kontrolle. Über Emotionen und das Leben. Schwäche zeigen als Stärke zu sehen ist eine wunderschöne Utopie, die aber selbst tief in mir keinen Sinn ergeben will.

Ich sage nichts, obwohl ich schreien will, dass mich das alles nicht berührt, dass ich weiß, was sie meint. Aber ich mache nur einen dummen Scherz und brülle: «WAS? - ICH VERSTEH DICH NICHT!» Was für eine beschissene Scheiße.

Diese Maske ist so fest angewachsen und Teil von mir, ich bekomme sie nicht runter. Nicht einmal vor Jones, die jedes Stück meiner Seele auswendig kennt. Und vielleicht sogar besser als ich selbst. Sie kann sehen, was ich nicht sehen will, und hat längst zusammengefügt, was ich als unbegreiflich widersprüchlich empfinde. Ein Schweigen, zwei Menschen. Jones und ich.

Ansonsten geht der Abend aber. Nur dieses Stille-Ding, das ist schon hinderlich beim Seelenfrieden. Wahrscheinlich brauche ich einfach Bier. Schreie ich also wieder, betont zu laut: «ICH BRAUCH ENDLICH EIN BIER!», und dann warte ich ab, was Jones so sagt, aber Jones sagt gar nichts mehr. Und so schauen wir beide weiter in diese aufflackernde Geräuschkulisse, die nur Akustik, aber keine...
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Autor

Tobi Katze, geboren 1981, schreibt Kurzgeschichten, Essays, Gedichte und Drehbücher. 2009 schloss er sein Studium der Literatur und Kulturwissenschaften ab. Seit mehr als zehn Jahren tritt er auf Poetry-Slams und Lesebühnen auf. 2007 gewann er den LesArt-Preis der jungen Literatur und 2014 den Bielefelder Kabarettpreis für sein erstes Bühnenprogramm «rocknrollmitbuchstaben». Sein Buch «Morgen ist leider auch noch ein Tag», in dem er selbstironisch und ehrlich über sein Leben mit Depressionen schreibt, war ein Bestseller.