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Menschenrechte, Demokratie und Frieden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
238 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am10.01.2015Originalausgabe
Während in der aktuellen Diskussion Menschenrechte häufig als einziger Legitimationsgrund für militärische Interventionen oder für globale Organisationsformen gelten, vertritt Ingeborg Maus in ihrem neuen Buch die programmatische These, dass Menschenrechte nur im Verbund mit Demokratie und Frieden verwirklicht werden können. Eine aggressive Menschenrechtspolitik gegen Staaten, die keine westlichen Standards einhalten, zerstört das Prinzip der Menschenrechte selbst. Angesichts der Heterogenität der internationalen Staatenwelt ist darüber hinaus die vieldiskutierte Errichtung eines Weltstaats für Maus nur unter Gefahr eines neuen Weltkriegs zu erreichen. Ein leidenschaftliches und streitbares Buch.


Ingeborg Maus ist emeritierte Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR17,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR16,99

Produkt

KlappentextWährend in der aktuellen Diskussion Menschenrechte häufig als einziger Legitimationsgrund für militärische Interventionen oder für globale Organisationsformen gelten, vertritt Ingeborg Maus in ihrem neuen Buch die programmatische These, dass Menschenrechte nur im Verbund mit Demokratie und Frieden verwirklicht werden können. Eine aggressive Menschenrechtspolitik gegen Staaten, die keine westlichen Standards einhalten, zerstört das Prinzip der Menschenrechte selbst. Angesichts der Heterogenität der internationalen Staatenwelt ist darüber hinaus die vieldiskutierte Errichtung eines Weltstaats für Maus nur unter Gefahr eines neuen Weltkriegs zu erreichen. Ein leidenschaftliches und streitbares Buch.


Ingeborg Maus ist emeritierte Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518738528
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum10.01.2015
AuflageOriginalausgabe
Seiten238 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1557938
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
I. Das Prinzip der Nichtintervention in der Friedensphilosophie Kants oder:
Staatssouveränität als Volkssouveränität

Eine gegenwärtig herrschende Diskussion, die extreme Menschenrechtsverletzungen zum Anlaß nimmt, um unter dem Namen der »humanitären Intervention« weltweite polizeiliche oder militärische Einsätze und schließlich ein globales Gewaltmonopol zur Sicherung der Menschenrechte zu begründen, kann sich auf Kant am wenigsten berufen. Kants Überlegungen zum engen Zusammenhang von Weltfrieden, Republikanismus und Menschenrechten stehen zu den heutigen Bemühungen in genauem Gegensatz. Es scheint, daß die gegenwärtige Direktheit, mit der politische Mittel zum Zweck der Menschenrechte angesteuert werden, den wesentlichen Sinn dessen verkennen muß, wofür sie sich einsetzt. Es kann nämlich für Sinn und Bedeutung von Menschenrechten, die historisch als vorstaatliche, atomistisch-individuelle Rechte in Opposition zum herausgebildeten Gewaltmonopol des absolutistischen Staates gefordert wurden, nicht folgenlos bleiben, wenn sie heute umgekehrt als Begründung eines zu errichtenden globalen Gewaltmonopols eingesetzt werden. Die Frage lautet zugespitzt, ob das, was in Zukunft durch ein globales Gewaltmonopol geschützt werden soll, überhaupt noch den Namen »Menschenrechte« verdient.

Es scheint, daß die heutige Diskussion durch den Verlust von Einsichten behindert ist, die das 18. Jahrhundert bereits erreicht hatte. Die wichtigste betrifft den Zusammenhang von Volkssouveränität und Menschenrechten.[1] Kant hatte das vormoderne substantialistische Naturrecht so weit verabschiedet, daß er das Menschenrecht gleicher Freiheit nicht mehr als »gegeben« identifizierte, sondern als Gegenstand des öffentlichen Diskurses und der konkretisierenden Gesetzgebung der Staatsbürger behandelte. Weil demzufolge über die »unverlierbaren Rechte« »jeder Mensch [...] selbst zu urteilen befugt ist«,[2] besteht die Sicherung dieser Rechte gerade darin, daß umgekehrt allen Staatsapparaten (auch der Justiz) jeder Aktivismus der Grundrechtsinterpretation untersagt ist und Rechte selbstverständlich nicht durch exekutivische Apparate, sondern gegen sie - in Ausübung prozeduralisierter Volkssouveränität - zu verwirklichen sind. Dagegen fällt die heutige Diskussion auf eine Auffassung von Menschenrechten als vorgegebenen Substanzen zurück, wenn sie diese als Aufgabenkataloge für ein globales Gewaltmonopol thematisiert. Aus Freiheitsrechten werden so leicht Ermächtigungsnormen für Staatsapparate, und die Individuen stehen in Gefahr, von Subjekten und Interpreten ihrer Rechte zu bloßem »Material der Grundrechtsverwirklichung«[3] zu degenerieren.

Letzteres ist genau dann der Fall, wenn nicht die Individuen selbst, sondern gewalttätig intervenierende Mächte für sie über die Alternative Freiheit oder Tod entscheiden. Gerade weil die Kriegführung im 20. Jahrhundert den Unterschied zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten prinzipiell aufhob, wird Kants normatives Verdikt über den Krieg als Mittel für einen noch so hehren Zweck durch schlechte Empirie bestätigt. Der Begriff der gewaltbewehrten »humanitären Intervention« ist durch Kants Einsicht in die Dialektik der Freiheitsverwirklichung noch nicht hindurchgegangen. Humanitär ist Kant zufolge der Zweck der Durchsetzung von Menschenrechten, niemals aber das Mittel der gewalttätigen Intervention selbst, das als Mittel diesen Zweck verletzt.

In dieser Ablösung der Menschenrechte aus dem engen Zusammenhang mit demokratie- und friedensbegründenden Prinzipien, in dem sie bei Kant noch standen, ist die paternalistische Intention der gegenwärtigen Vorschläge und ihre Differenz ums Ganze begründet - auch dann, wenn sie sich fälschlicherweise auf Kant noch berufen. Dessen Erkenntnisse zur Beziehung zwischen Friedensstiftung und höchsten normativen Anforderungen an innerstaatliche Demokratie sind heute freilich unbequem. Angesichts der gegenwärtigen Diskussion um Kants Friedensprojekt drängt sich der Eindruck auf, daß Konzeptionen anspruchsvoller Demokratie längst aufgegeben sind. Es stellt sich sogar die Frage, ob selbst Kants Friedensidee heute noch als vordringliches Problem behandelt wird. War der Friede innerhalb der Rangfolge philosophischer Bemühungen ohnehin ein eher »vernachlässigtes Ideal«,[4] so werden seine Implikationen im Zeichen neuer Kriegslüsternheit nach dem Ende des Ost-West-Konflikts[5] erst recht unverständlich. Soweit eine Reorganisation der UNO zum Zweck effizienter Menschenrechtspolitik gefordert wird, scheint es immer mehr um nachträgliche Bestrafungen individueller oder kollektiver Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu gehen als um eine Politik vorgängiger Vermeidung von Kriegen, in denen diese notorisch geschehen.

Dagegen findet sich von der zähneknirschenden Strafgerechtigkeit, die Kant im innerstaatlichen Kontext für angemessen hielt, in seinem Friedensprojekt nicht die leiseste Spur. Aus Gründen, die noch im einzelnen zu erörtern sind, setzt Kant angesichts der ganz anderen Gewaltpotentiale der internationalen Beziehungen ausschließlich auf Prävention. Bei den Verbrechen im Kriege hält Kant sich nicht lange auf, sie interessieren nur unter dem Aspekt, einen künftigen Friedenszustand nicht unmöglich zu machen.[6] Im Zentrum aller seiner Überlegungen steht das Verbrechen des Krieges, den Kant - anderslautenden Interpretationen zum Trotz - im Hinblick auf das staatlich befohlene Abschlachten unzweideutig als »Umkehrung des Endzwecks der Schöpfung selbst« bezeichnet.[7] Es ist dieser letztere Gesichtspunkt, der für Kant den Krieg als Mittel für einen noch so hehren Zweck grundsätzlich ausschließt und ihn dazu bestimmt, auch den »Strafkrieg« mit dem Ausrottungs- oder Unterjochungskrieg in einem Atemzug abzuhandeln.[8] Wenn unter der gegenwärtigen Option einer globalen Strafgerichtsbarkeit diejenigen vorkantischen Völkerrechtslehrer, die sich mit dem Recht im Kriege befaßten und von Kant »leidige Tröster« gescholten wurden,[9] gegen Kant wieder geltend gemacht werden,[10] so scheint auch dies anzuzeigen, daß heute jedenfalls die Hoffnung auf Vermeidung von Kriegen schwindet. Daß erst ein Krieg überhaupt stattfindet und anschließend die Kriegsverbrechen bestraft werden, genau das empfand Kant als »leidigen« Trost. Hatte Kant das kollektive Strafen in Form des Bestrafungskriegs ohnehin unter die Mittel gerechnet, die selber friedensverhindernd sind,[11] so könnten, was das Bestrafen individueller Kriegsverbrechen angeht (wozu sich Kant nicht ausdrücklich äußert), Kants Überlegungen zur »Bösartigkeit der menschlichen Natur«, die sich im Kriege ganz »unverhohlen blicken läßt«,[12] mit seiner Akzentuierung des Verbrechens des Krieges zusammen gelesen werden: Der »Kriegsverbrecher« ist derjenige, an dem zuerst das Verbrechen begangen wurde, ihm das Töten im Krieg zu befehlen, ehe nach Überwindung der ersten großen zivilisatorischen Hemmschwelle seine individuellen Verbrechen folgten. Der Krieg versetzt nicht nur die Staaten, sondern auch die kämpfenden einzelnen Menschen in den »Naturzustand«, in dem die innerstaatlich selbstverständlich geltenden Tötungsverbote aufgehoben werden - ein Naturzustand, in dem das Strafen der von Kant entwickelten Logik widerspricht.

Das heute aufkommende Strafbedürfnis angesichts barbarischer Kriegsverbrechen - die die Aussichtslosigkeit zivilisatorischer Einhegungen seit den Verbrechen im Dreißigjährigen Krieg belegen - soll hier nicht etwa psychologisch verdächtigt werden; noch soll das Strafen in diesen Fällen für ungerecht oder überflüssig erklärt werden. Es ist nur auf eine merkwürdige Diskrepanz im gegenwärtigen Bewußtsein der Intellektuellen aufmerksam zu machen, das einerseits innerstaatliche Strafermäßigungen als kulturellen Fortschritt bewertet und hier Forderungen nach Strafverschärfungen als »populistisch« qualifiziert, andererseits aber alles Strafbedürfnis auf internationale Konfliktaustragungen verschiebt. Diese Diskrepanz ist mindestens so irritierend wie deren umgekehrtes Erscheinungsbild bei Kant. Die aktuelle, von humanitären Beweggründen getragene Forderung der militärischen Intervention zum Schutz von Menschenrechten oder einer internationalen Strafgerichtsbarkeit für Kriegsverbrechen hält offenbar einen »sauberen Krieg« für realisierbar - so wie ganz anders intendierte Forderungen die Möglichkeit einer »sauberen Diktatur« unterstellen.

Im folgenden sollen die Differenzen zwischen Kants Projekt und den gegenwärtigen Konzeptionen anhand der bisher angedeuteten zentralen Themen behandelt werden. Es geht um die Rekonstruktion der Grundbegriffe politischer Demokratie und des klassischen - heute aufgelösten - Zusammenhangs von Republik und Frieden, Volkssouveränität und Staatssouveränität, Menschenrechten und Frieden und um die Konsequenzen für Fragen der völkerrechtlichen Intervention.
1. Republik und Frieden

Ganz überwiegend wird gegenwärtig als immanente Inkonsistenz der Theorie Kants behandelt,[13] was tatsächlich auf deren Begründung eines engen Zusammenhangs zwischen Republik und Frieden beruht. Wenn Kant im Ersten Definitivartikel seiner Friedensschrift als eine conditio sine qua non des Friedens angibt: »Die bürgerliche Verfassung in jedem Staat soll republikanisch sein«, so besteht die erste interpretatorische Destruktion dieses Zusammenhangs darin, den Begriff der Republik in vielerlei Hinsicht mißzuverstehen. Der schlichteste Irrtum besteht darin, Kants im höchsten Sinn normativen Begriff mit den real existierenden Demokratien der...
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