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Acht Tage, die die Welt veränderten

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am02.03.2015
Die Deutschen und die Geschichte ihrer einzigen erfolgreichen Revolution
Mit der Fälschung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 setzte die Führung der DDR Ereignisse in Gang, die sie bald nicht mehr kontrollieren konnte. Der Unmut über die Wahlfälschung führte zu Unruhen und steigerte sich zu Massenprotesten, die Ende des Jahres 1989 in die einzige erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden münden sollten. Anhand von acht Tagen, an denen sich die Ereignisse dramatisch verdichteten, zeigen SPIEGEL-Autoren und Historiker eindrucksvoll, warum die DDR unterging und wie Deutschland den Weg zur Wiedervereinigung fand. Nicht zuletzt beleuchten die Autoren dabei auch, welchen Stellenwert die friedliche Revolution von 1989/90 in der deutschen Geschichte einnimmt und wie die Ereignisse vor 25 Jahren unser Land verändert haben.
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Produkt

KlappentextDie Deutschen und die Geschichte ihrer einzigen erfolgreichen Revolution
Mit der Fälschung der Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 setzte die Führung der DDR Ereignisse in Gang, die sie bald nicht mehr kontrollieren konnte. Der Unmut über die Wahlfälschung führte zu Unruhen und steigerte sich zu Massenprotesten, die Ende des Jahres 1989 in die einzige erfolgreiche Revolution auf deutschem Boden münden sollten. Anhand von acht Tagen, an denen sich die Ereignisse dramatisch verdichteten, zeigen SPIEGEL-Autoren und Historiker eindrucksvoll, warum die DDR unterging und wie Deutschland den Weg zur Wiedervereinigung fand. Nicht zuletzt beleuchten die Autoren dabei auch, welchen Stellenwert die friedliche Revolution von 1989/90 in der deutschen Geschichte einnimmt und wie die Ereignisse vor 25 Jahren unser Land verändert haben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641154622
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum02.03.2015
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3507 Kbytes
Artikel-Nr.1560763
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Die eigensinnige Republik

Die Revolution von 1989 tilgte die DDR von den Landkarten. Aber hat sie auch die Bundesrepublik verändert? Zunächst sah es so aus, als würde alles weitergehen wie gewohnt - bis Angela Merkel kam. Denn heute ist dies ein anderes Deutschland.

Von Dirk Kurbjuweit

Der Westen wird sich den Osten einverleiben und die Früchte der Revolution in Gewinne seiner Unternehmen umwandeln. Von der DDR wird nichts bleiben, ihre Bürger müssen sich fremden Verhältnissen unterwerfen. Es kommt zu einer Übernahme, zu der die Revolutionäre freundlich eingeladen haben, die aber feindlich ausgeführt wird, als Vertilgung, Ausmerzung dessen, was der deutsche Osten einmal war. Die Bundesrepublik wird sich schlicht ausdehnen, und das wird es dann gewesen sein.

Das waren Erwartungen, nachdem die Euphorie der Revolution, die Sektlaune des Mauerfalls am 9. November, verflogen war. Noch schlimmer: Die aufgepumpte Bundesrepublik könne sich rückwärts entwickeln, zu einem neualten Reich des Bösen. Der Schriftsteller Günter Grass sagte im Februar 1990: »Die grauenhafte und mit nichts zu vergleichende Erfahrung Auschwitz, die wir und die Völker Europas mit uns gemacht haben, schließt einen deutschen Einheitsstaat aus.« Grass war für eine Konföderation, und sollte es doch ein Einheitsstaat werden, »wird ihm das Scheitern vorgeschrieben sein«.

An diese Vorschrift hielt sich die Bundesrepublik nicht. Ein Scheitern konnte, wenn nicht alles täuscht, vermieden werden. Aber was ist mit dem anderen Verdacht: Übernahme? Kommerzialisierte Revolution? Haben die mutigen Bürger von Leipzig oder Halle nur das Heer der Konsumenten erweitert, ohne in ihrem neuen Staat politisch etwas zu verändern?

Eine Revolution hat zwei Ziele: Sie will etwas Altes beenden. Und sie will etwas Neues begründen. Ziel eins haben die 89er erreicht, der Staat DDR ist untergegangen. Mit Ziel zwei ist es schwieriger. Die Bundesrepublik hat sich über den Osten gestülpt, das Neue war etwas Altbekanntes, zunächst jedenfalls. Der Westen expandierte nach Osten.

Doch nun, 25 Jahre nach dem Mauerfall, zeigt sich, dass dies nicht die ganze Geschichte ist. Die Revolution hat auch etwas Neues möglich gemacht, eine andere Bundesrepublik. Zwar sind die Institutionen geblieben, zwar herrscht die westdeutsche Wirtschaft über das gesamte Land, aber da ist noch eine andere Strömung. Kann es sein, dass die Bundesrepublik, die doch seit 1949 Richtung Westen blickte, seit einigen Jahren östlicher geworden ist?

Nichts hat dazu mehr beigetragen als die Bundeskanzlerin aus dem Osten, Angela Merkel. Sie ist eine Demokratin, eine Freundin der Freiheit, sie hat nicht eine große DDR geschaffen, aber sie führt dieses Land so, dass man sich hier und dort an die DDR erinnert fühlen kann.

Eine Diktatur fürchtet den offenen Diskurs, den Streit, und lebt von der Fiktion der Einigkeit. Der Herrscher oder die Partei behauptet, den Volkswillen zu exekutieren, und da der einheitlich sein soll, stehen alle unter Konsenszwang. Stille im Land gilt als Zustimmung. Mit diesem System ist Merkel aufgewachsen.

Elemente davon finden sich in ihrem Politikstil wieder. Offener Streit ist ihr verhasst, sie stößt keine Diskurse an, sie fühlt sich dann wohl, wenn Stille herrscht. Sie regiert am liebsten mit einer Großen Koalition, da sie hier einen breiten Konsens in kleinen Runden herstellen kann. Es ist ruhig geworden in der Bundesrepublik.

Vielen Bürgern gefällt das. Die Ostdeutschen sind es so gewohnt. Den Westdeutschen war das angelsächsische Modell mit den Dualismen und hitzig ausgetragenen Konflikten in der Mehrheit schon früher suspekt. Auch die Franzosen streiten härter als die Deutschen. Mit Merkel haben die Deutschen zu sich gefunden.

Aus Union und SPD hat sie eine neue SED geschmiedet, eine Sozialdemokratische Einheitspartei, die den Sozialkonsens üppig bedient, mit Geld für Familien, für Rentner, mit dem Mindestlohn. Die einzige Partei, die ein bisschen Sympathie für den angelsächsischen Kapitalismus aufbringen konnte - die FDP -, ist beinahe verschwunden.

Während Merkel das DDR-Element der diskursiven Stille in die bundesdeutsche Politik trägt, steht Bundespräsident Joachim Gauck, auch ein Ostdeutscher, für die vernehmliche Dissidenz. Als Pfarrer in Rostock war Gauck kein Widerstandskämpfer, aber doch ein Bürgerrechtler. Deren energischen Freiheitsbegriff trägt er in die bundesdeutsche Politik, auch mit der Botschaft, dass Freiheit erkämpft oder verteidigt werden muss, zur Not mit Waffen.

Den meisten Ärger handelte er sich mit einer Partei ein, deren Wurzeln ebenfalls in der DDR liegen, der Linken, die zum großen Teil aus der SED-Nachfolgepartei PDS hervorgegangen ist und die sich später mit Abtrünnigen der SPD vereinte. Die Linke ist so stark, dass ohne sie keine linke Mehrheit zustande kommt. Die SPD wollte auf Bundesebene bislang aber nicht mit der Linken koalieren. Damit ist eine ostdeutsche Partei dafür verantwortlich, dass eine ostdeutsche Bundeskanzlerin lange an der Macht bleiben und mit ostdeutscher Prägung regieren kann. Will noch einer sagen, dass die Bundesrepublik nach dem Mauerfall die alte Bundesrepublik geblieben ist?

Allerdings hängt dieser Befund stark an Merkel und könnte damit vergänglich sein. Aber auch die Nation hat sich verändert, hat eine neue Mitte gefunden.

Bis 1945 hatten die Deutschen nur 74 Jahre lang in einem gemeinsamen Staat gelebt. Vielleicht fiel es dem Westen der Nation deshalb so leicht, den Gedanken an die Einheit aufzugeben. Konrad Adenauer (CDU), der erste Bundeskanzler, sah das Heil seiner Bundesrepublik bei den Westmächten. Die Stalin-Noten, die zu Beginn der Fünfzigerjahre eine Einheit um den Preis der Neutralität in Aussicht stellten, nahm er nicht ernst. Die Ostdeutschen waren damit im Stich gelassen.

Die Westdeutschen gingen den Weg nach Westen, und spätestens in den Siebzigerjahren meinten die meisten das Wort »Brüder und Schwestern« nur noch ironisch. Fremdheit war da, wurde aber auch hergestellt. Viele Westdeutsche wollten sich nicht zuerst als Deutsche verstehen, sondern als Europäer, vor allem aus Scham gegenüber der Nazivergangenheit. Ein gängiger Satz war: Ein Brite oder ein Franzose ist mir näher als ein Ostdeutscher. Das klang lässig.

Auf der komfortableren Seite der Mauer fand man die Menschen dahinter mit den Jahren immer merkwürdiger: große Athleten, gedopt natürlich, aber kleinliche Grenzer, alles so spießig, Tempo auf der Autobahn exakt 100, Spitzel überall, und dann noch diese komisch verwaschenen Jeans; leider sind diese armen Leute hinter dem Todesstreifen eingesperrt, aber irgendwie auch ein bisschen freiwillig. In ihren Vorstellungen bastelten die Westler sich einen Ostdeutschen zurecht, der so fremd war, dass man mit dem gar nicht wiedervereinigt sein wollte. Und übersahen dabei, dass Konsumniveau und Freiheitsgrad nicht über tieferliegende Mentalitäten bestimmen, jedenfalls nicht in 40 Jahren alles verändern. Historisch ist das ein Wimpernschlag.

Die Bürger der DDR hatten sich nicht so stark entfremdet, obwohl die SED sie darauf verpflichten wollte. Das Nachbarland im Westen blieb ein Hort der Sehnsüchte und Hoffnungen, nach einem höheren Konsumniveau, nach einem höheren Freiheitsgrad. Nach ihrer Revolution machten sie in Wahrheit keinen Schritt in die totale Fremde. Denn die Bürger aus Ost und West blieben trotz der Trennung in ihrer politischen Mentalität relativ dicht beieinander.

Die Deutschen schätzen einen starken Sozialstaat. In der DDR schaffte er eine Rundumversorgung auf niedrigem Niveau. In der Bundesrepublik ist er nicht so umfassend, bietet aber gleichwohl einen besseren Lebensstandard. Ost und West neigen zum Antikapitalismus. In der DDR war er systemisch angelegt, in der Bundesrepublik entwickelte sich die Sonderform des Rheinischen Kapitalismus, der weniger freizügig war als das angelsächsische Modell und mehr Staatseinfluss zuließ.

Der jüngst verstorbene Historiker Hans-Ulrich Wehler hat herausgearbeitet, dass es schon im Deutschland des 19. Jahrhunderts den Wunsch nach einem »socialen Königtum« gab. Die Hoffnungen richteten sich auf den starken Staat, nicht auf das Individuum. Das ist der entscheidende Unterschied zu Briten oder Amerikanern.

Die Deutschen haben einen pazifistischen Zug, der sich nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs auf beiden Seiten der Grenze entwickelt hat. In der DDR und in der Bundesrepublik entstanden besonders aktive Friedensbewegungen.

Die Deutschen frönen, bei aller Faszination gegenüber dem Amerikanischen, dem Antiamerikanismus. In der DDR war er staatlich verordnet, aber die Bürger wussten selbst, dass US-Raketen ihr Land verwüsten würden, wenn ein Krieg ausbräche. In der Bundesrepublik mischten sich in die Hassliebe zum großen Bruder antikapitalistische und pazifistische Elemente.

Interessant ist, dass diese vier Grundhaltungen - Sozialstaatsliebe, Pazifismus, Antikapitalismus und Antiamerikanismus - der Programmatik der Linken entsprechen, die damit zur urdeutschen Partei wird. Sie kann jedoch bundesweit keine Mehrheiten erringen, weil sie ihre Standpunkte mit einer nichtdeutschen Haltung vertritt: radikal.

Mit ihrer radikalen Kapitalismuskritik hat es Sahra Wagenknecht allerdings geschafft, ein Medienstar zu werden. Im Zuge der Finanzkrise gewann sie die Sympathie von...


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