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Die lieben Kleinen

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
203 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.04.20151. Auflage
Der moderne Erziehungsberater für eine neue Elterngeneration Sigrid Tinz blickt witzig und schlagfertig auf die neuesten Erkenntnisse rund um Schwangerschaft und Kindererziehung. Mit ihren beliebten Kolumnen aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung steht sie jungen Eltern in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sigrid Tinz, geboren 1975, studierte Geoökologie in Braunschweig und besuchte die Evangelische Medienakademie in Berlin. Danach Tätigkeit als freie Redakteurin.
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Produkt

KlappentextDer moderne Erziehungsberater für eine neue Elterngeneration Sigrid Tinz blickt witzig und schlagfertig auf die neuesten Erkenntnisse rund um Schwangerschaft und Kindererziehung. Mit ihren beliebten Kolumnen aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung steht sie jungen Eltern in allen Lebenslagen mit Rat und Tat zur Seite. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sigrid Tinz, geboren 1975, studierte Geoökologie in Braunschweig und besuchte die Evangelische Medienakademie in Berlin. Danach Tätigkeit als freie Redakteurin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105601525
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.04.2015
Auflage1. Auflage
Seiten203 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4068 Kbytes
Artikel-Nr.1692813
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Mutters Leid,
Mutters Freud


Ein Kind kommt zur Welt -
ein wichtiger Moment für die ganze Familie.

Schlecht zu planen zwar, aber gut vorzubereiten.


DER ERSTE, DER ALLERERSTE GEBURTSTAG ist bestimmt der wichtigste Tag im Leben eines Menschen. Und der anstrengendste und aufregendste. Das Baby wird geknetet und gedrückt, stundenlang und immer mehr, es muss seine gewohnte Umgebung verlassen und landet urplötzlich in einer lauten, hellen, kalten Leere.

Das Drumherum bei dieser langen, schweren und mitunter gefährlichen Reise sollte also möglichst perfekt sein. Dieser Idealfall sieht seit Millionen Jahren gleich aus: Das Zeichen zum Aufbruch soll das Kleine geben dürfen, denn vermutlich werden die Wehen angeregt, wenn das Kind gegen Ende der Schwangerschaft verstärkt ein für die Lungenentfaltung nötiges Protein bildet. Während der Geburt gilt: ausreichend Sauerstoff und keinen zusätzlichen Stress. Und das gilt für Kind und Mutter: also keinen Hunger, keinen Durst, keine Sorgen, drumherum vertraute Begleiter und Begleiterinnen. Dann starten das Kind, seine Mutter und sein Vater bestmöglichst ins neue Familiendasein: erschöpft und aufgewühlt zwar, aber wach und gesund.

Der Idealfall, wie gesagt. Und die Realität? Wissenschaftlerinnen der Osnabrücker Universität haben die Daten rund einer Million Geburten der vergangenen 15 Jahre ausgewertet und festgestellt, dass nahezu jedes der jährlich knapp 700000 Neugeborenen in Deutschland bei seiner Geburt von Apparaten überwacht wird. Ein Viertel von ihnen wird durch künstliche Hormone auf die Reise geschickt, ein gutes Drittel während der Geburt zur Eile gedrängt. Für jedes vierte Kind ist das erste Licht der Welt die grelle Beleuchtung des Operationssaales, weil es per Kaiserschnitt entbunden wird. Und fast jede Mutter erhält Kügelchen, Kreislaufmittel, Schmerzmedikamente oder Beruhigungsspritzen.

Muss das sein? Ist es so gefährlich, geboren zu werden? So anstrengend? Dass Kinder und Mütter es nicht aus eigener Kraft schaffen? Selten ja, aber meistens nicht. Zumindest nicht so oft, wie es die Statistik vermuten lässt. Die Interventionen - so nennen Fachleute zum Beispiel Weheneinleitung, Rückenmarksnarkosen, Dammschnitte, Kaiserschnitte - steigen seit Mitte der neunziger Jahre drastisch. Verbessert hat sich das sogenannte Outcome dadurch nicht. Die Sterblichkeit der Mütter zum Beispiel beträgt weniger als ein Promille, die Säuglingssterblichkeit rund fünf Promille - und das nicht erst seit Mitte der Neunziger, sondern seit bald dreißig Jahren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg starben noch zehnmal so viele Kinder vor, während oder nach der Geburt. Seitdem aber haben sich die hygienischen Verhältnisse deutlich gebessert, die Frauen sind besser ernährt und insgesamt fitter, die Medizin entwickelte sich weiter und Hebammen und Ärzte konnten bei Notfällen immer schneller und wirksamer helfen.

Heute überlässt man nichts dem Zufall: Bei einer Steißlage wird ein Dammschnitt gemacht, ist ein Baby zehn Tage über dem berechneten Geburtstermin, werden die Wehen eingeleitet, und für Zwillinge wird ein Kaiserschnitttermin festgelegt. Medizinisch zwingend notwendig ist das nicht und weniger Stress für Kind und Mutter auch nicht.

Im Gegenteil.

Meist bringen solche Interventionen die Geburtschemie durcheinander, die Wechselwirkungen von Wehen, Schmerzen, Endorphinausschüttung, Liebeshormonen und Milchbildung. Noch ist das alles nicht bis ins Detail erforscht, auch nicht, was im Einzelnen welchen Sinn hat. Aber: Lebendgebären ist offenbar eine erfolgreiche Art der Vermehrung, sonst hätte die Evolution sie sich gar nicht so weit verbreiten lassen. Trotz aller Schmerzen und Leiden - und Geburt tut weh, den Müttern und den Kindern; auch wenn Atmen, Singen und ein Bad in der Wanne viel erleichtern, auch wenn der Schmerz ein anderer ist als bei einem entzündeten Zahn oder einem gebrochenem Nasenbein und auch wenn die Mutter von Emelie sagt, es seien die schönsten zehn Stunden ihres Lebens gewesen.

Eine Erklärung ist die: Erreicht das Leiden eine gewisse Schwelle, schüttet der Körper Endorphine aus, körpereigene Drogen sozusagen, die betäuben - den Schmerz, aber auch die Erinnerung an ihn. Wenn das Kind erst mal da ist, ist also alles vergessen. Und die Mutter kann sich, anders als meist während der Geburt, durchaus vorstellen, noch ein weiteres zu bekommen. Umfragen bestätigen dies, zumindest wünschen sich Frauen nach einer spontanen Geburt ohne Komplikationen häufig mehr Kinder als Frauen, die per Kaiserschnitt und damit oft ohne Wehen geboren haben.

»Die Schwangerschaft einer gesunden Frau und die Geburt ihres Kindes lassen sich nicht verbessern«, so formuliert es ein niederländischer Geburtshilfeprofessor, »nur verändern«. Viele, viele Studien bestätigen diese Einschätzung, egal, ob es dabei um Vorsorgeultraschall, Geburtseinleitung oder Termin-Kaiserschnitt geht.

Dennoch erwarten eine Schwangere und ihr Baby heute in Deutschland medizinische Unterstützung statt begleitende Geburtshilfe.

Warum? Weil werdende Eltern meinen, mit Yoga, Folsäuretabletten, Koffeinverzicht und Fruchtwasseruntersuchungen würden sie sich den Anspruch auf ein gesundes Kind erarbeiten? Weil Ärzte Angst haben, verklagt zu werden, wenn - Schicksal oder Zufall - Mutter oder Kind doch nicht gesund sind und sie nicht nachweisen können, dass sie alles medizinisch Mögliche auch gemacht haben? Weil das Klinikpersonal oft jung und unerfahren ist? Weil das Abrechnungssystem Interventionen fördert, weil ein Kaiserschnitt mit fünf Tagen Liegezeit doppelt so viel Geld einbringt wie eine ambulante Geburt und Hebammen hin und wieder aufgefordert werden, »doch bitte mehr Frauen in den OP zu bringen und nicht nur natürliche Geburten zu produzieren«? Ja. Auch.

Aber auch, weil - besonders beim ersten Mal - Schwangere einfach mal annehmen, dass alle, Ärzte, Ärztinnen, Hebammen, Kinderkrankenschwestern, nur ihr Bestes wollen und das Beste ihres Kindes. Und dass das Übliche doch auch gut sein müsse.

Was es aber nicht unbedingt ist, schon gar nicht für die mehr als neunzig Prozent der gesunden Mütter und Kinder, für die es eigentlich reichen würde, einfach nur guter Hoffnung zu sein.

Immerhin kommen Babys heute nur noch selten in weißgekachelter Schlachthofatmosphäre zur Welt, ihre Mütter werden nicht mehr von resoluten Schwestern betreut, die ihnen nur alle paar Stunden das Kind zum Füttern aushändigen. Ihre Väter dürfen die Nabelschnur durchschneiden, das Kleine anfassen und sogar wickeln und nicht nur durch eine Glasscheibe betrachten.

Dem Pillenknick sei Dank, denn angesichts sinkender Gebärfreude mussten sich die Kliniken etwas einfallen lassen: Statt Pritschen in Kreißsälen haben sie jetzt nach Feng Shui eingerichtete Vorwehenzimmer mit operntauglicher Stereoanlage und Gebärlandschaften mit Geburtswanne, Hocker und Seil. Sie werben mit schmerzfreien, schnellen und auf Bestellung auch pünktlichen Geburten und einem Frühstücksbuffet ohne blähende Zutaten, genügend Parkplätzen und einem Babypass mit Fußabdruck.

»Ist mir doch egal, ob die Vorhänge uterusfarben sind und Mama Arien hören kann«, würde das Baby vielleicht einwenden, würde es nach seinen Wünschen gefragt. »Mama soll ihre Ruhe haben, damit sie sich um mich kümmern kann. Während der Geburt. Und danach.« Geburtsmediziner, und von denen haben wir mehr als genug, sollten sich lieber wieder auf die Mütter und Kinder konzentrieren, die wirklich Schwierigkeiten haben; wegen einer vorzeitigen Plazenta-Ablösung, einem Nabelschnurvorfall, weil die Wehen zu schwach sind, die Herztöne schlecht, weil die Nachgeburt nicht kommen will oder wenn ein Kind nach der Geburt Atemprobleme bekommt. »Und es müsste viel mehr Hebammen geben«, würde das Baby vielleicht sagen, »damit Mama und ich eine ganz für uns alleine haben könnten, die ganze Zeit.« »Liebes Kind«, würde die Mutter antworten, »das ist Gesundheitspolitik. Darauf können wir nicht warten, selbst wenn es ginge.«

Es geht übrigens. Zum Beispiel in Schweden; dort werden normale Schwangerschaften und normale Geburten ausschließlich von Hebammen betreut. Zum Beispiel in den Niederlanden; dort kommt ein Drittel der Kinder zu Hause zur Welt - und das bei niedrigeren Interventionsraten und sogar noch besserer Gesundheit von Müttern und Kindern.

Also müssen werdende Eltern ihren eigenen Weg gehen und nicht den üblichen. Zugegeben, Erstgebärende wissen noch nicht so genau, ob ihnen eine Geburt in der heimischen Eckwanne lieber wäre oder ein Wunschkaiserschnitt: einfach nur daliegen und warten, bis der erste Schrei ertönt.

Für welchen Weg sie sich auch entscheiden, es schadet nichts, wenn sie sich Geburtshelfer suchen, die das Wort Routine aus ihrem Wortschatz und ihrer Arbeit gestrichen haben. Während der Schwangerschaft brauchen Baby und Mutter Ärzte, Ärztinnen und Hebammen, die sie nicht wie überwachungsbedürftige Kranke behandeln; die alle paar Wochen die technischen Daten kontrollieren und dann verkünden, einer von beiden nähme zu schnell zu, oder zu langsam, die Mutter habe zu niedrigen Blutdruck und das Baby zu viel Fruchtwasser. Zumeist ohne vorher gefragt und sich ernsthaft angehört zu haben, wie es der Frau geht, wie sie sich fühlt, in ihrem Körper, mit ihrem Kind. Baby und Mutter brauchen Ärzte, Ärztinnen und Hebammen, die normal verlaufende - also die meisten - Schwangerschaften normal sein lassen, die der Frau Vertrauen in ihren Körper geben. Und die, falls sich die...
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Autor

Sigrid Tinz, geboren 1975, studierte Geoökologie in Braunschweig und besuchte die Evangelische Medienakademie in Berlin. Danach Tätigkeit als freie Redakteurin.Isabel Klett, Illustratorin, wurde 1972 in Stuttgart geboren und studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration.