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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
384 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am20.08.20151. Auflage
In der Mitte seines Lebens macht der israelische Architekt Skip Landau eine Erfahrung, die er mit niemandem teilen kann: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht - ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Aber was soll, was kann er tun? Nicht viel mehr, als da zu sein und ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, stellt er ernüchtert fest. Die Aufgabe, die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt die Familie in Tel Aviv fast auseinanderbrechen. Spät versteht er, dass er nicht nur die Sterbenden in den Tod, sondern auch seine Söhne ins Leben führen muss - und sich dazu. Katharina Hackers großer und seit langem erwarteter Roman steht nicht in Beziehung zum Figurenkosmos der vorausgegangenen Romane ?Alix, Anton und die anderen? und ?Die Erdbeeren von Antons Mutter?, sondern erschafft eine eigene Welt. Seine Schauplätze sind Paris, Tel Aviv, Amsterdam und Berlin, sein Thema aber ist universal: Wo ist unser Ort auf der Welt, wo ist unser Ort im Leben?

Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, lebt nach mehrjährigem Aufenthalt in Israel als freie Autorin mit ihrer Familie in Berlin und Brandenburg. 2006 erhielt sie den Deutschen Buchpreis für »Die Habenichtse«. 2015 erschien ihr Roman »Skip« und 2021 das Jugendbuch »Alles, was passieren wird«. Katharina Hacker wurde 2021 mit dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Roman »Die Gäste« (2022).
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Produkt

KlappentextIn der Mitte seines Lebens macht der israelische Architekt Skip Landau eine Erfahrung, die er mit niemandem teilen kann: Eine innere Stimme ruft ihn an Orte, wo wenig später eine Katastrophe geschieht - ein Zugunglück in Paris, ein Flugzeugabsturz in Amsterdam. Offenbar soll er einzelne Sterbende auf ihrem schwierigen Weg in den Tod begleiten. Aber was soll, was kann er tun? Nicht viel mehr, als da zu sein und ihnen ein wenig Gesellschaft leisten, stellt er ernüchtert fest. Die Aufgabe, die er sich nicht ausgesucht hat, belastet seine Ehe und lässt die Familie in Tel Aviv fast auseinanderbrechen. Spät versteht er, dass er nicht nur die Sterbenden in den Tod, sondern auch seine Söhne ins Leben führen muss - und sich dazu. Katharina Hackers großer und seit langem erwarteter Roman steht nicht in Beziehung zum Figurenkosmos der vorausgegangenen Romane ?Alix, Anton und die anderen? und ?Die Erdbeeren von Antons Mutter?, sondern erschafft eine eigene Welt. Seine Schauplätze sind Paris, Tel Aviv, Amsterdam und Berlin, sein Thema aber ist universal: Wo ist unser Ort auf der Welt, wo ist unser Ort im Leben?

Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, lebt nach mehrjährigem Aufenthalt in Israel als freie Autorin mit ihrer Familie in Berlin und Brandenburg. 2006 erhielt sie den Deutschen Buchpreis für »Die Habenichtse«. 2015 erschien ihr Roman »Skip« und 2021 das Jugendbuch »Alles, was passieren wird«. Katharina Hacker wurde 2021 mit dem Droste-Preis der Stadt Meersburg ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Roman »Die Gäste« (2022).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104009384
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum20.08.2015
Auflage1. Auflage
Seiten384 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1430 Kbytes
Artikel-Nr.1697395
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Ich heiße Skip Landau, meine Mutter stammt aus England, mein Vater aus Paris, seine Eltern sind aus Ungarn nach Frankreich ausgewandert, weil sie als Juden in Ungarn nicht Medizin studieren durften. Den Krieg haben sie, so wie mein Vater auch, knapp überlebt, in irgendeinem Dorf in Südfrankreich.â

Warum meine Mutter 1946 nach Paris gegangen ist, hat sie nie erklärt, vermutlich wollte sie weg von zu Hause, weit weg und schnell, und sie behauptete, Französisch lernen zu wollen und Malerin zu werden. Sie hat wirklich gemalt, nicht schlechter als andere, denke ich, und warum sie es am Ende aufgegeben hat, weiß ich nicht, oder vielleicht hat sie es auch nicht aufgegeben, sondern nur noch in kleine Hefte gezeichnet, sie hatte kleine Hefte, vielleicht finde ich sie in ihrem Nachlass, wenn ich mich endlich aufraffe, die letzte Kiste zu öffnen und zu sichten, was ich brauche, was ich behalte, eine Vorstellung, die ich nicht gut ertrage. Die Kiste steht mittlerweile in meiner Wohnung in Berlin.

Von ihren Gemälden habe ich nichts behalten, ich dachte, ich würde sie nie los, an die hundert, um genau zu sein siebenundachtzig, doch es tauchten immer mehr Freunde und Bekannte meiner Eltern auf, die danach fragten, und plötzlich stand ich da, hatte nichts außer einem kleinen, quadratischen Bild. Es hing immer in meinem Büro, in dem Zimmer mit Blick auf den Hof in Newe Zedek, das heißt Oase des Friedens. Ich habe lange in Israel gelebt, jetzt wohne ich in Berlin.

In Paris lernte meine Mutter in der zweiten Nacht meinen Vater kennen. So erzählte mein Vater. Meine Mutter erzählte, sie habe ihn in einem Café gesehen und sich verliebt, bevor sie nur ein Wort mit ihm gewechselt habe. Mein Vater sagte, sie sei mit ihm ins Bett gegangen, in dieser zweiten Nacht, in ihrer zweiten Nacht in Frankreich, und in der Nacht ihrer Begegnung. Er hatte eine eigene Wohnung, eine winzige Wohnung im jüdischen Viertel.

Seine Eltern wohnten damals etwas außerhalb, in Neuilly. Meine Großeltern waren fromm, auf ihre Weise, meine Großmutter sogar vermutlich ganz und gar gläubig, und vielleicht hätte sie besser einen Orthodoxen geheiratet. Alles hat sich verflüchtigt wie sie selbst, ihr Glaube, ihre Gewohnheiten, und ich bin nicht einmal Jude nach dem strengen Gesetz, denn meine Mutter war keine Jüdin, obwohl eine ihrer Tanten irgendwann schnaubte, etwas derart Albernes habe sie noch nie gehört, bei einer Familie, die Blomfield heiße, das war der Mädchenname meiner Mutter.

Was ist, was nicht ist, ich habe einigermaßen so gelebt, als wäre das klar, mich hat das Sichtbare interessiert. Immer das Sichtbare und was man anfassen kann, wie Menschen sich bewegen zwischen Wänden, umgeben von Möbeln.

Also bin ich Architekt geworden.

Ich wollte Häuser bauen. Wohnungen. Höfe auch, Höfe, in denen Kinder spielen, ihre Mütter könnten sie dann aus großen Küchenfenstern sehen, in den Höfen stünden Bänke, unter Bäumen, blühenden Bäumen. Alles würde belebt und klar sein, offen, jede Bewegung könnte einen Raum schaffen für das, was Menschen miteinander teilen. Und es würde abgelegene Zimmer geben, in die man sich zurückziehen könnte, um nachzudenken, zu lesen, Wände für Bücher, aber nicht so viele dunkle Bücher, wie ich es von meinen Großeltern kannte, die Regale bis zur Decke, die Einbände schwarz oder braun. Vielleicht haben sich mir nur die Bücher eingeprägt, die sie aus Budapest mitgebracht hatten.

Ein Mal habe ich ein Haus gebaut, mit einem Hof, ein Haus für drei Familien.

Es war eine der glücklichsten Zeiten in meinem Leben, ich arbeitete Tag und Nacht, nein, nachts war ich mit Shira zusammen, in ihrer kleinen Wohnung unweit des Meeres, man hörte die Wellen bis zu unserem Bett, und ich hielt sie in den Armen, wenn sie einschlief, hielt sie und hielt sie, mit der Zuversicht eines ganzen Lebens. Mit der Zuversicht unserer Kinder, die zwei und dreieinhalb Jahre später geboren wurden.

Lange Jahre war ich zu sehr mit mir, mit Shira, mit meiner Arbeit und mit den Söhnen, als sie endlich geboren waren, beschäftigt, als dass ich hätte darüber nachdenken können, was es heißt, wenn man plötzlich aus dem Leben gerissen wird, unvermutet und grausam, und was es heißt, wenn die Lebenszeit immer weniger wird, wenn man die Tage hinter sich bringt, schwerfällig, mühselig, manchmal sogar bitter, blind. Im Nachhinein habe ich einige der Tage noch einmal durchlebt. Stück für Stück. Verwundert, gerührt. Verängstigt.

Lange Zeit dachte ich, ich würde von Unglücken verfolgt. Ich wartete sehnsüchtig, dass Shira schwanger würde, aber sie wurde nicht schwanger, nicht von mir. Ich wartete darauf, wieder ein Haus bauen zu können, aber man übertrug mir nur alte Häuser zum Ausbau. Ich hoffte, Shira würde gesund werden, aber sie starb. Der Tod rückte immer näher, und doch habe ich nie darauf geachtet, wie die Tage vergehen, die Tage, an denen nichts Sonderliches geschieht, die glücklichen Tage. Manchmal war mir, als hätte ich das Sterben schon hinter mir.

Kein besonderes Erlebnis, keine einschneidende Erfahrung, keine Tiefe, wenn man so sagen will, hat mich ausgezeichnet. Ob es das nun gibt oder nicht, Menschen, die besonders empfindsam sind, besonders tief, besonders geeignet, auserwählt. Ich bin Halbjude, allenfalls halb auserwählt. Das passt. Jahre habe ich darunter gelitten, vielleicht bin ich deswegen als junger Mann nach Israel ausgewandert. Vor allem bin ich nicht: doch nicht Vater, denn meine Söhne habe ich nicht gezeugt, doch nicht Architekt, denn ich baue nicht selber Häuser, nicht mehr Shiras Mann, denn sie ist gestorben. Nicht einsam, denn hier in Berlin habe ich Zipora.

Skip. Einen anderen Namen hatte ich nie, ich weiß nicht, was sich meine Mutter dabei gedacht hat. Skip Jonathan Landau.

*

In Israel ist der Frühling nicht so spektakulär wie in Europa, ich habe ihn immer vermisst. Dafür habe ich in Tel Aviv jede Blume, jedes Grün, jede Veränderung des Lichts gesehen, die Flughunde, wenn sie auffliegen, und die milde Luft nachts habe ich geliebt. Liege ich jetzt in Berlin wach und denke an meine Söhne, bin ich glücklich, dass sie beide in England leben. Sie waren beim Militär, aber sie werden nicht eingezogen, sie müssen nicht zu Reserveübungen.

Ich habe in Israel auch meinen Wehrdienst gemacht, so wie jeder andere, kurz nach meiner Einwanderung. Nur wollte ich keinesfalls sterben, unter keinen Umständen. Ein Freund brachte mich auf die Idee - melden wir uns zur Leichenidentifizierung, dann passiert uns unter Garantie nichts. Entweder es ist nichts los, oder es ist der Teufel los und man braucht uns. Man hat uns gebraucht. Irgendwann dachte ich, man sollte die Erkennungsmarken in die Absätze der Schuhe tun, Schuhe tauscht man nicht so leicht wie eine Marke, die man sich um den Hals hängt, und immer wieder mussten wir feststellen, dass der Tote offenbar seine Marke mit jemandem aus der Etappe getauscht hatte.

Israel ist vielleicht nicht der beste Platz auf der Welt, aber es bleibt ein Zuhause. Avi und Naim werden nicht dahin zurückkehren, ebenso wenig, wie ich nach Paris zurückgekehrt bin. Das Haus in Newe Zedek habe ich behalten, noch gehört es mir und uns. Noch können wir zurückkehren, wenn wir wollen. Wer weiß.

Ich bin jetzt seit ein paar Jahren in Berlin. Seit sieben Jahren. Und ich spüre, dass ich bald wieder irgendwohin gerufen werde. Ich weiß, dass ich nichts Besonderes tun muss. Abwarten. Den Kopf offen halten, vielleicht, die Seele, wenn man so will, nefesh, wie es auf Hebräisch heißt. Auf Hebräisch ist es ein ganz normales Wort. Seele. Mich hat, als ich hierherkam, verwundert, dass ich so viel verstand, dass ich so rasch Deutsch sprechen konnte, obwohl ich nur das Jiddisch meiner Großeltern im Ohr hatte, und dann das bisschen Deutsch, das sie uns in der Schule eher widerwillig beibrachten. Zunächst waren meine Sätze holperig und voller Fehler, aber sie waren auch voller Luft, voller Atem, Luft und Wasser, das ist es, was die toten Konsonanten, schrieb ein berühmter Mystiker im zwölften Jahrhundert, ich glaube, er hieß Jitzchak von Akko, zum Leben erwecke, so, dass aus den Buchstaben, tote Knöchelchen und nichts weiter, Wörter werden könnten, Sätze, Sprache. Lebendige Sätze. Ob richtig oder falsch tut nicht so viel zur Sache.

Aber man braucht Vertrauen.

Man braucht Vertrauen, dass sich nicht alles über einem Unglück ändert, dass die Wörter bleiben. Der Atem, die Luft. Die Knöchelchen.

Natürlich hängt viel davon ab, wie man es beschreibt, wie man sich die Seele, oder was immer es sein soll, vorstellt. Ein Faden. Viele Fädchen. Stimmen. Vielleicht auch Bewegungen. Ich warte, dass ich gerufen werde, zu wem auch immer.

Wie stellst du sie dir vor?, fragte Naim einmal.

Wen stelle ich mir wie vor?

Die Toten! Er stand mit dem Rücken zu mir. Ich wusste, er dachte an seinen Freund Joni, der bei einem Attentat umgekommen war.

Langsam antwortete ich: Ich stelle sie mir gar nicht vor.

Sie sind einfach da, wollte ich sagen. Ich sehe sie, aber ich könnte sie nicht beschreiben, wollte ich sagen, aber ich sagte nichts weiter.

Naim sah enttäuscht aus, sein Rücken sah enttäuscht aus, die Schulterblätter, die sich durch das kurzärmelige Hemd abzeichneten.

Und Mama?, fragte er.

*

Um Shira hat sich, als sie starb, jemand anderes gekümmert, ich jedenfalls war es nicht, und vielleicht brauchte sie auch keine Hilfe, keine Gesellschaft in diesen ersten Stunden und Tagen nach dem Tod, sie hatte ja lange genug Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten. Am dreißigsten Todestag trifft man...
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Autor

Katharina Hacker, geboren 1967 in Frankfurt am Main, studierte ab 1986 Philosophie, Geschichte und Judaistik an der Universität Freiburg. 1990 wechselte sie an die Hebräische Universität Jerusalem. Seit 1996 lebt sie als freie Autorin in Berlin. 1997 debütierte sie mit >Tel Aviv. Eine StadterzählungMorpheus oder Der SchnabelschuhDer BademeisterEine Art LiebeDie HabenichtseÜberlandleitungAlix, Anton und die anderenDie Erdbeeren von Antons MutterEine Dorfgeschichte