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Die Zelle

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
Droemer Knaurerschienen am08.01.20161. Auflage
Sammy ist elf und gerade mit seinen Eltern nach Berlin gezogen. Im Luftschutzbunker der alten Jugendstilvilla, die die Familie im Grunewald bezogen hat, macht er eine verstörende Entdeckung. Ein vollkommen verängstigtes Mädchen, nicht viel älter als er, ist dort unten in einer Zelle eingesperrt, die man mit Gummifolie ausgekleidet hat. Nur durch einen winzigen Schlitz hindurch kann er sie sehen. Am nächsten Tag ist die Zelle leer, das Mädchen verschwunden. Und für Sammy kann es dafür eigentlich nur einen Grund geben: seinen Vater.

Jonas Winner, geboren 1966 in Berlin, promovierter Philosoph, arbeitete nach dem Studium in Berlin und Paris als Journalist, Redakteur für das Fernsehen und als Drehbuchautor (ARD, ZDF, Sat.1). Sein Selfpublishing-Bestseller 'Berlin Gothic' sorgte im Netz für Furore. 2012 feierte er mit dem Thriller 'Der Architekt' einen großen Erfolg, 2014 folgte 'Das Gedankenexperiment'. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.
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Produkt

KlappentextSammy ist elf und gerade mit seinen Eltern nach Berlin gezogen. Im Luftschutzbunker der alten Jugendstilvilla, die die Familie im Grunewald bezogen hat, macht er eine verstörende Entdeckung. Ein vollkommen verängstigtes Mädchen, nicht viel älter als er, ist dort unten in einer Zelle eingesperrt, die man mit Gummifolie ausgekleidet hat. Nur durch einen winzigen Schlitz hindurch kann er sie sehen. Am nächsten Tag ist die Zelle leer, das Mädchen verschwunden. Und für Sammy kann es dafür eigentlich nur einen Grund geben: seinen Vater.

Jonas Winner, geboren 1966 in Berlin, promovierter Philosoph, arbeitete nach dem Studium in Berlin und Paris als Journalist, Redakteur für das Fernsehen und als Drehbuchautor (ARD, ZDF, Sat.1). Sein Selfpublishing-Bestseller 'Berlin Gothic' sorgte im Netz für Furore. 2012 feierte er mit dem Thriller 'Der Architekt' einen großen Erfolg, 2014 folgte 'Das Gedankenexperiment'. Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783426435489
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum08.01.2016
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse661 Kbytes
Artikel-Nr.1699393
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Teil I

1

Ich weiß noch, wie wir in Berlin ankamen. Mein Vater und mein Bruder waren wenige Wochen zuvor bereits mit den Möbelpackern vorgefahren. Meine Mutter, ich und unser Au-pair-Mädchen Hannah, das bereits drei Jahre zuvor mit uns nach London gezogen war, sollten etwas später mit dem Flugzeug nachkommen.

Es war ein heißer Tag, wir waren in aller Frühe aufgestanden, um den Flieger zu erwischen, und als wir endlich landeten, hatte ich das Gefühl, die nackte Haut meiner Beine, die unter den kurzen Hosen hervorkamen, würde am Plastik der Sitze festkleben, so sehr glühte die Luft.

Mein Bruder Linus und mein Vater warteten am Gate, an dem wir herauskamen. Ich hatte sie vier Wochen lang nicht gesehen und gleich den Eindruck, sie hätten sich in der kurzen Zeit schon ein wenig verändert. Lag es am ungewohnten Haarschnitt meines Bruders, der neuen Jacke meines Vaters, an einem bestimmten Gesichtsausdruck, den sie sich zugelegt hatten? Ich weiß es nicht. Die Begrüßung war jedenfalls herzlich.

Ein Taxi wartete schon auf uns am Ausgang.

»Ich weiß«, erklärte mein Vater mit einem Blick zu meiner Mutter, »ein Großraumtaxi wäre besser gewesen, aber es war leider keins mehr verfügbar. Meinst du nicht, dass dieses hier auch geht?«

Es ging so leidlich. Es war eng. Ich saß hinten, eingepfercht zwischen Hannah und meiner Mutter, mein Bruder passte nicht mehr hinein. Er meinte, das machte nichts, er würde auch mit dem Bus nach Hause finden. Die Koffer, wir hatten noch einiges an Gepäck mitgebracht, waren in den Laderaum gestopft worden, aber eine Tasche - ich weiß noch genau, wie schwer sie war - stand auf meinen Knien und bohrte sich mit einer scharfen Kante in meine Oberschenkel. Mit einem heftigen Ruck fuhr der Wagen an, gelenkt von einem gedrungenen Glatzkopf am Steuer, den ich die ganze Fahrt über kein Wort sagen hörte, dessen Funkgerät aber unaufhörlich Meldungen und Aufrufe ausstieß, dass ich den Eindruck bekam, ganz Berlin wäre eine Art Ameisenhaufen, und alle seine Bewohner wären ständig über die genaue Position und Geschwindigkeit aller anderen Bewohner informiert.

Um Luft zu bekommen, hatte mein Vater vorne das Seitenfenster heruntergelassen, und ein scharfer Fahrtwind blies mir ins Gesicht, hauchte eisig über die verschwitzten Schultern, die nicht ganz die Rückenlehne berührten und in denen ich ein leises Ziehen von der unbequemen Position verspürte. Gleichwohl war ich froh über den Luftzug, denn - merkten es die anderen nicht? Ich beugte mich ein wenig vor und sog die Luft durch die Nase ein. Erst war es nur ein Hauch gewesen, wie eine verwaschene Erinnerung, ein Hauch so fein und dünn, dass es mir gelungen war, ihn zu verscheuchen. Kaum hatte ich ihn vergessen, kam er jedoch wieder. Ein unangenehmer Geruch, ein strenger Geruch, ein Geruch, von dem ich unwillkürlich Abstand gewinnen wollte, der Geruch nach etwas Verfaultem, aber nicht süßlich, kein Aasgeruch, der ähnlich abstoßend gewesen wäre, eher ein Geruch nach Darm und Verdauung, ein Gestank nach Hundeexkrement, wie ich mir angewidert eingestehen musste, ein Gestank, der wieder und wieder heraufstieg aus dem Fußraum, in dem unsere Schuhe standen. Oder hatte sich ein vorheriger Fahrgast in dem Taxi erbrochen?

Ich warf meiner Mutter einen Blick zu, aber sie hatte den Kopf ganz zurückgelehnt und die Augen geschlossen, sichtlich angestrengt von der Reise und erschöpft. Wahrscheinlich zog der Fahrtwind so durch die Kabine, dass sie gar nichts roch. Auch Hannah, auf der anderen Seite, wirkte ganz ungestört, wie sie durch das Seitenfenster die Häuser und Geschäfte musterte, an denen wir vorbeifuhren. Der Stiernacken des Taxifahrers, daneben mein Vater, der sich mit einer Hand an dem Bügel über seinem Fenster festhielt, eine Sonnenbrille aufgesetzt hatte und starr durch die Windschutzscheibe nach vorne schaute.

Mir war schlecht. Der Geruch unerträglich. Einen zähnefletschenden Hund sah ich vor mir, in dessen Magen sich wer weiß welche Bakterien tummelten und in dessen Haufen auf dem Bürgersteig vor dem Flughafen einer von uns hineingetreten sein musste.

Das soll Berlin sein? Die Stadt, in die wir jetzt zogen? Ich wollte nicht hierher, hatte noch nie hierhergewollt. Die Jahre in London hatten mir gut gefallen, ich hatte Freunde in meiner Klasse gehabt, viel unternommen, das Haus geliebt, in dem wir gelebt hatten.

Diesen Umzug hatte ich nicht gewollt. Meine Mutter aber hatte ein Engagement an der Oper in Berlin bekommen, und es war nichts zu machen gewesen. Meinem Vater war es egal gewesen, für ihn war nur wichtig, dass er ein Arbeitszimmer bekam, in dem er sein Material ausbreiten und in Ruhe komponieren konnte. Als Kollegen meiner Mutter ihr dann auch noch ein Haus in Grunewald vermittelten - »das ist ein Viertel von Berlin«, erklärten mir meine Eltern, weil mir das nichts sagte -, noch dazu für eine vergleichsweise günstige Miete, gab das den Ausschlag, und der Entschluss stand fest: Wir würden nach Berlin ziehen, da konnte ich mich noch so sehr gegen sträuben, es würde nichts ändern.

Also waren Linus und mein Vater vorgefahren, hatten das Haus schon einmal in Beschlag genommen, und Mama, ich und Hannah waren jetzt nur noch mit ein paar Koffern nachgereist.

»Hier ist es.«

Ich schlug die Augen auf, die ich inzwischen ebenfalls geschlossen hatte, und sah es über die grünen Zipfel einer Hecke lugen: ein Türmchen, ein steiles Dach, ein Erker mit bunten Glasscheiben. Ein Haus, fast eine Art Spielzeugburg mit Fenstern in allen erdenklichen Größen und Formen.

»Eine Jugendstilvilla«, jetzt erinnerte ich mich wieder, so hatten meine Eltern gesagt, »du wirst sehen, sie wird dir gefallen, es ist eine echte Jugendstilvilla in Grunewald.«

Ich sprang aus dem Taxi. Der Gestank ließ nach. Wenigstens etwas. Ich schüttelte mich. Noch ein paar Minuten, und ich hätte mich wahrscheinlich zwischen den beiden Vordersitzen übergeben. So aber behielt ich das Flugzeugessen bei mir und rannte an meinem Vater vorbei zu einer Pforte, die im Zaun offen stand und hinter der ein geschwungener Weg ein paar Meter bis zum Eingang der Villa durch einen hübsch angelegten Steingarten führte.

Linus war noch nicht da, mit dem Bus brauchte er natürlich länger. Also blieb es meinem Vater überlassen, uns das Haus zu zeigen. Meine Mutter hatte ihre Sonnenbrille ins Haar geschoben, und ich konnte sehen, dass sie recht angetan war, zugleich aber in Gedanken weit entfernt, wahrscheinlich schon bei dem Termin, den sie am gleichen Nachmittag noch in der Stadt hatte.

»Dein Zimmer ist oben, Sammy.« Mein Vater gab mir einen Klaps auf den Rücken. »Willst du es dir schon mal anschauen?« Er nickte mit dem Kopf zur anderen Seite der prächtigen Halle, die wir betreten hatten. Dort führte eine ganz mit Holz getäfelte Treppe nach oben.

»Ja, gleich.« Ich zögerte. Ein wenig wollte ich noch bei ihnen bleiben, jetzt, wo mein Vater uns gerade so schön herumführte.

Denn so großartig die Villa auch war - ein Gedanke drängte sich mir mit geradezu quälender Hartnäckigkeit auf: Was soll ich die ganzen Sommerferien über in diesem Haus machen?

Mein Bruder war damals ja bereits seit ein paar Wochen in der Stadt und kurz vor den Sommerferien noch in seiner neuen Schule eingeschult worden. Ich wusste, dass er auf Anhieb ein paar Jungen in seiner Klasse kennengelernt hatte, mit denen er sich gut verstand und für die Ferien schon verabredet hatte. Ich hingegen hatte meine Klasse noch in London beendet und sollte erst im September neu eingeschult werden. Das aber hieß, dass ich außer meiner Familie in Berlin niemanden kannte. Was also sollte ich sechs Wochen lang -

»Nun los, lauf schon, sieh dir dein Zimmer an!«

Noch einmal wollte ich mich nicht dagegen sträuben. Ich rannte zur Treppe und sprang die Stufen hinauf. Einen Grundriss hatten wir bereits vorher bekommen, so dass ich wusste, welches Zimmer meins war. Mit weit aufgerissenen Augen betrat ich es. Es war ein wunderbar heller Raum, durch dessen Fenster ich fast den ganzen Garten überblicken konnte, sowie ein Stück der Straße, auf der wir mit dem Taxi gehalten hatten. Über eine große Glastür konnte ich sogar einen schmalen Balkon betreten, der nur zu meinem Zimmer gehörte.

Ich ging zur Balkontür und sah hinunter auf den Rasen, der sich fast wie ein Teppich vom Haus bis zum Pool am anderen Ende des Grundstücks ausbreitete. Meine Eltern und Hannah mussten unten durch eine der Gartentüren bereits hinausgetreten sein, denn ich konnte sie über das Gras schreiten sehen. Zugleich aber lag der Garten so im Schatten, dass ich sie für einen Moment - so dunkel war es dort, wo nicht die gleißende Sonne hinfiel - kaum richtig erkennen konnte.

Ich drehte mich um, schaute zurück in mein Zimmer - und zuckte zusammen. Braunschwarze Flecken. Im gleichen Moment hatte ich ihn in all seiner Widerwärtigkeit auch schon in der Nase. Den Geruch, der mich im Taxi fast wahnsinnig gemacht hatte, den Geruch nach Verdauung, Säure und tierischen Gasen, den Gestank nach Innereien und Ausscheidung. Bestimmt fünf schlammige Flecken zogen sich quer über den beigen Teppich, der in meinem Zimmer bereits ausgelegt war, bis zur Balkontür, vor der ich stand. Ich spürte, wie sich meine Halsmuskeln verkrampften. Vorsichtig, um sie nur ja nicht zu berühren, hob ich meine linke Sandale und sah mir die Sohle an. Sauber. Jetzt die rechte.

Da saß es.

Feucht. Glänzend. Zerquetscht.

Und zugleich schlug mir eine solche Wolke von dem Gestank in die Nase, dass ich förmlich glaubte, mein Gesicht unfreiwillig, aber dadurch nicht weniger heftig in...

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Autor

Jonas Winner, geboren 1966 in Berlin, promovierter Philosoph, arbeitete nach dem Studium in Berlin und Paris als Journalist, Redakteur für das Fernsehen und als Drehbuchautor (ARD, ZDF, Sat.1). Sein Selfpublishing-Bestseller "Berlin Gothic" sorgte im Netz für Furore. 2012 feierte er mit dem Thriller "Der Architekt" einen großen Erfolg, 2014 folgte "Das Gedankenexperiment". Der Autor lebt mit seiner Familie in Berlin.